Die meisten Amerikaner halten ihn für einen verwöhnten Jungen aus reichem Haus, für ehrgeizig, für einen, der fünfe gerade sein läßt, wenn es um das eigene Vergnügen geht. Ross Perot, der unabhängige dritte Kandidat im Rennen um das Amt des US-Präsidenten, weiß es besser. Er hat gesagt, Clinton sei die Verkörperung des amerikanischen Traums.
Clintons Vater, William Blythe, kam vor der Geburt des Jungen bei einem Autounfall um. Seine Mutter arbeitete als Krankenschwester, um die Familie durchzubringen. Seine Kleinkindjahre verbrachte William Blythe jr. bei den Großeltern, in Hope, Arkansas. Die größte Attraktion dieses Ortes sind seine Wassermelonen. Später heiratete die Mutter wieder. Der Stiefvater adoptierte Bill. Seither trägt er dessen Namen; Clinton.
Der Stiefvater handelte mit Gebrauchtwagen, war Alkoholiker und aufbrausend. Die Familie zog nach Hot Springs um, in den Bergen von Arkansas, einen Badeort, der seine besten Tage hinter sich hatte. Bill Clinton sprach bislang nicht gern über seine Jugend, nur soviel: "Es war nicht alles schlecht."
1963 kam Bill Clinton zum ersten Mal nach Washington, als Pfadfinderführer. Präsident Kennedy drückte ihm die Hand. Davon gibt es ein Foto, ein Foto mit Symbolkraft, sollte Clinton tatsächlich am 3. November zum Präsidenten gewählt werden.
Als High-School Absolvent kam Clinton zurück in die US-Hauptstadt. Wo muß ich studieren, um Diplomat zu werden, hatte er seine Lehrerin gefragt. An der Georgetown-Universität, antwortete sie. Bill Clinton bewarb sich nur dort - und wurde angenommen.
Er war wißbegierig, klug und charmant, er fiel auf. Bill Clinton bekam eines der begehrten Rhodes-Stipendien für einen Studienaufenthalt in England. Schon das war ein riesiger Erfolg für einen Jungen aus Hope. Später studierte er noch in Yale; Rechtswissenschaften. Dort lernte er Hillary Rodham kennen.
Yale-Absolventen stehen in Amerikas Business-Welt alle Türen offen. Doch Clinton kehrte nach Arkansas zurück. Hillary folgte ihm. Eine Zeitlang unterrichteten die beiden an der Universität in Lafayette, kaum älter als ihre Studenten. Nebenher bewarb sich Clinton erst, vergeblich, um einen Sitz im Kongreß, dann, erfolgreich, um das Amt des Generalstaatsanwalts von Arkansas. Da war er 30 jahre alt.
Mit 32 wurde Clinton Gouverneur seines Heimatstaates, der jüngste Gouverneur der Vereinigten Staaten. Zwei Jahre später, 1980, wurde er wieder abgewählt. Er hatte allzuviel auf einmal ändern wollen. Die Wähler mochten das nicht und erteilten ihm eine Lektion. Seither gilt Clinton als Politiker, der Kompromisse sucht, auf Gegner zugeht. Versöhnen statt spalten, das Motto von Johannes Rau, es könnte auch von Clinton stammen.
1982 zog er erneut in den Gouverneurspalast ein und wurde seither viermal wiedergewählt. Mitte der achtziger Jahre gründete Clinton zusammen mit anderen jungen demokratischen Gouverneuren, Abgeordneten und Senatoren den Democratic Leadership Council. Ziel: die Partei von innen zu erneuern, sie wieder mehrheitsfähig zu machen, sie einzuschwören auf eine gemäßigte, zugleich soziale, ökologische und wirtschaftsfreundliche Politik. Der Parteitag in New York, das neue Programm, sie tragen die Handschrift dieses Councils.
In Clintons Arbeitszimmer im State Capitol von Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, steht eine Kennedy-Büste. An der Wand hängen Bilder von Abraham Lincoln, von Hillary Clinton, von Tochter Chelsea, von Bills Großvater, einem einfachen Arbeiter - und drei Porträts von Winston Churchill.
Er: „Wir sind in der Bronx!“
Sie: „Weißt Du, wie wir hier wieder 'rauskommen?“
Sherman, der junge, erfolgverwöhnte Money-Makler, und Maria, seine Geliebte, haben sich verirrt. Auf dem Weg vom Flughafen nach Manhattan sind sie vom Highway abgekommen und im Dschungel gelandet. In der Bronx. Panik, Entsetzen machen sich breit, Angst, wie bei Zoobesuchern, die plötzlich entdecken, daß sie aus Versehen ins Löwengehege geraten sind. Die Folge ist ein verhängnisvoller Unfall.
So beginnt Tom Wolfes satirischer Roman „Fegefeuer der Eitelkeiten“. Die Bronx, das ist darin der Vorhof der Hölle.
„The Bronx? - No, thonks!“ heißt es in einem populären Reiseführer über New York. Touristen wird empfohlen, den Stadtteil besser zu meiden. Insbesondere die South Bronx, die Heimat von „Fort Apache“. So hieß in den siebziger Jahren jenes Polizeirevier, dessen Insassen sich fühlten wie Truppen in Feindesland, belagert von Wilden. 1973 wurden hier in einem einzigen Wohnblock 33 Morde verübt.
Fort Apache steht immer noch. Aber drumherum hat sich der Dschungel gelichtet. Jene rauchenden Ruinen, in denen Drogenbanden ihre Fehden austrugen, und wo nachts wilde Hunde nach zivilisationsresten suchten, haben neuen Zweifamilienhäusern Platz gemacht, mit Blumenkästen vor den Fenstern.
„Leerstehende Gebäude? Die gibt es nicht mehr in der South Bronx,“ sagt Bernd Zimmermann, der in Deutschland geborene Stadtplaner der Bronx. Zimmermann berichtet von einer der erstaunlichsten und zugleich unspektakulärsten Wiederbelebungen einer totgeglaubten Stadtlandschaft. Davon, wie sich die Bewohner der Bronx an ihren eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen haben. Wie als Beleg der amerikanischen Weisheit: Bist Du erst ganz unten, gibt es für Dich nur noch einen Weg - nach oben.
Als niemand mehr für die South Bronx einen Cent gegeben hätte, als Hauseigentümer auf Vermietung vezichteten und ganze Blocks in die Gewalt krimineller Banden und streunender Hunde übergingen, als Polizisten sich nur noch in Gruppen auf die Straße trauten, als New York und die Nation die Bronx am liebsten im Atlantik hätten untergehen sehen, da schlossen sich hier und da deren Bewohner zu Gruppen zusammen und gaben sich Namen wie „Mid-Bronx Desperadoes“ oder „Banana Kelly“.
„Diese Gegend war zehn Jahre lang vollständig tot,“ erzählt Yolanda Rivera, Geschäftsführerin von Banana Kelly, einer der erfolgreichsten CBOs, was Community Based Organisations heißt. CBOs sind Selbsthilfevereine zur Rekultivierung von Stadtvierteln. Banana Kelly verwaltet heute mehr als tausend sanierte Wohnungen. Yolanda Rivera: „Heute gibt„s hier wieder Hoffnung - weil wir gelernt haben, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“
éhnlich wie an der gekrümmten Kelly Street sind in den achtziger Jahren vielerorts in der Bronx kleine Oasen bürgerlichen Wohnidylls gewachsen. Das erstaunlichste Beispiel ist Charlotte Gardens, ein Stück Vorort mitten in der Großstadt. Wo einst Flucht der einzige Weg zum öberleben schien, stehen heute, Gartenzaun an Gartenzaun, Einfamilienhäuser im Rancho-Stil. Die Rasenstücke dazwischensind penibel gepflegt. Hier und da grast ein Reh aus Plastik. Vor den Türen stehen Koniferen stramm. Auf den Straßen spielen Kinder. Nirgendwo liegt auch nur ein Papierfetzen herum. Charlotte Gardens ist die Hochburg der Mid-Bronx Desperadoes.
(Bernd Zimmermann hat für die CBOs nur lobende Worte: „Sie haben bewiesen, daß hier ein Markt für Wohneigentum vorhanden ist.“ Auch wenn die Einfamilienhäuser zur traditionellen Architektur der Bronx passen wie die Faust ins Auge. Zimmermann: „Planerisch betrachtet ist das die reinste Idiotie.„ Aber planerisch betrachtet gäbe es die Bronx vielleicht nicht mehr, hätten die Desperadoes nicht den Weg gewiesen.)
Selbsthilfe hat hier Tradition. Zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Bronx, damals noch weitgehend Landschaft, nach Greater New York eingemeindet. Von der Insel Manhattan aus betrachtet war die Bronx drüben auf dem Festland nie viel mehr als eine Müllkippe mit Hinterland: Im Norden machten sich Villen breit, umgeben von weitläufigen Parks. Im Süden wurden die Probleme der Großstadt abgeladen: der Müll und die jeweils neuesten - und armen - Einwanderer, einst Iren und Deutsche, osteuropäische Juden und Italiener, heute Latinos, Albaner und Russen.
Ginge es nach den Herrschern von Manhattan, hätte die Bronx womöglich bis heute keine eigene Verwaltung. Es war ein Akt der Rebellion und der Selbstbehauptung, daß sich die Bewohner der Bronx Ende des 19. Jahrhunderts einen Burroughs-Präsidenten wählten, so etwas wie einen Stadtteil-Bürgermeister. Der eignete sich Planungsrechte einfach an.
Seit 1987 heißt der Burroughs-Präsident Fernando Ferrer. Der 42jährige ist eine dreifache Symbolfigur: für den Lebenswillen der Bronx, für das wachsende Selbstbewußtsein der US-Bürger mit südamerikanischer Abstammung - der Latinos -, und für die Wiederentdeckung der Politik als Mittel zur Verbesserung der Lebensumstände, nicht nur der eigenen.
Ferrer ist in der Bronx geboren. Hier ist er zur Schule gegangen, hier hat er studiert. 1989 wurde er mit 84 vh der Stimmen in seinem Amt bestätigt. Ferrers politischem Geschick ist es zu verdanken, daß die New Yorker Polizeihochschule Ende der neunziger Jahre in die South Bronx umziehen wird, als Teil eines ehrgeizigen Projekts namens Bronx Center.
(Bronx Center ist der Versuch, der einstigen Schlafstadt einen urbanen Mittelpunkt und Anziehungskraft gegenüber den Suburbs zu geben. Ein Versuch der Befreiung vom Sog nach Manhattan.
Noch residiert die Polizeihochschule in Manhattan. Niemand in der City hat sich je für diese Einrichtung begeistert - bis bekannt wurde, daß die Bronx um sie warb. Nun unterbreitete auch Manhattan interessante Offerten für einen Neubau. Ferrer und die Bronx machten dennoch das Rennen - eine Sensation in einer Stadt, wo Siegen alles ist. Und wo Sieger selten in der Bronx zuhause sind.)
Bronx Center ist der Versuch, zwei Milliarden Dollar an Investitionen genau dorthin zu holen, wo Touristen nach Angaben gängiger Reisefüher lieber wegbleiben sollten. Der Plan sieht eine Mischung aus Verwaltung, Schulen, Kultur, Kleingewerbe und erschwinglichem Wohnraum vor. Die ersten Kräne drehen sich schon. Möglich ist diese Form der innerstädtischen Totalsanierung nur, weil die Stadt nach amerikanischem Recht all jene Grundstücke geerbt hat, die von ihren Eigentümern in den siebziger Jahren zurückgelassen wurden.
Im Roman „Fegefeuer der Eitelkeiten“ müssen die Angestellten des County-Gerichts der Bronx bei Dunkelheit in Gruppen ihre Autos in Sicherheit bringen - auf einen bewachten Parkplatz in der Nähe. Den Platz gibt es tatsächlich. Dort steht jetzt ein frisch eröffnetes Einkaufs- und Kinozentrum.
(Bernd Zimmermann arbeitet seit acht Jahren in dem monumentalen Gebäude am Grand Concourse, das Tom Wolfe literarisch berühmt gemacht hat: Hier muß sich - im Roman - Sherman vor Gericht dafür verantworten, daß er in seiner Panik einen schwarzen Jugendlichen angefahren hat.
Zimmermann fährt täglich mit dem Auto zum Bronx County Building. Offenkundig wäre er nie auf die Idee gekommen, den Wagen bei anbrechender Dunkelheit unter Begleitschutz in Sicherheit zu bringen. Die Angst vor der Bronx hält er weitgehend für Medienmache. Gefährlich kann es überall sein in New York. Zimmermann jedenfalls versichert: „Ich sehe mich nicht besonders vor.“ Und passiert sei ihm noch nie etwas.
Das County Building, ein mächtiger Würfel, indem noch die Aufzugtüren reliefverziert sind, ist Stein gewordener Ausdruck des Bürgerstolzes der Bronx. Wie der Zoo, der größte der USA, wie der botanische Garten, wie das Kunstmuseum oder das gigantische Baseballstadium der Yankees.)
Bis über die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinweg war die Bronx der kleinbürgerliche Gegenentwurf zu Manhattan. Dort regierte das Geld, hier wohnte der kleine Mann. Dort galt alle Sehnsucht dem großen Glück im schnellen Erfolg, hier blühten die bescheiden-stolzen Träume der American Middle Class. Träume vom Studium der Kinder, von eigenem Auto, Fernseher und Waschmaschine. In den siebziger Jahren floh die Mittelschicht in die Vororte. Geblieben ist der Stolz.
(„Die Bronx hat Nationalgefühl,“ sagt Bernd Zimmermann. Auch wenn sich kaum irgendwo sonst auf der Welt soviele Nationalitäten treffen wie hier. Oft auf engstem Raum.
Das Williamsbridge-Viertel in der Nord-Bronx gilt heute als Muster an großstädtischer Toleranz, es ist ein Vorzeigestück multikultureller Urbanität. In Williamsbridge leben heute fast zu gleichen Teilen Schwarze, Weiße und Latinos, neben einer wachsenden Minderheit von Amerikanern asiatischer Abstammung. Hier lebt man sicherer als in Downtown Manhattan. Das Geheimnis: die soziale Homogenität. Ob schwarz, ob weiß, ob gelb, alle eint das Minderwertigkeitsgefühl der Bronx-Bewohner und der Ehrgeiz, die soziale Leiter aufwärts zu klettern. Hier ist die Middle Class noch intakt.
Vor einem Jahr, im Januar, wurden in Williamsbridge zwei schwarze Kinder von vier weißen Jugendlichen auf der Straße angegriffen und mit weißer Farbe bepinselt. Anschließend formierte sich ein Protestzug. Ganz Williamsbridge schien auf den Beinen, alle Hautfarbern miteinander, vereint im Willen, das Gespenst des Rassismus und der Intoleranz sofort wieder zu vertreiben.
So wie in Williamsbridge soll es eines Tages wieder überall in der Bronx aussehen.) Ferrers und Zimmermanns Ziel heißt: Wiederaufbau einer Mittelschicht. Der Weg dorthin führt über das Eigentum an Wohnraum und über Jobs. Seit 1987 sind in der South Bronx 25000 öffentlich geförderte Wohneinheiten entstanden, mehr als in irgendeiner anderen Stadt der USA.
(1970 lebten in der Bronx 1,4 Mio Menschen. Nach der Massenflucht aus der South Bronx waren es 1980 nur noch 1,1 Mio. jetzt steigt die Zahl wieder, auf derzeit 1,2 Mio.
Stadtplaner Zimmermann sieht am liebsten vierstöckige Reihenhäuser wachsen, so wie sie Tradition haben in der Bronx. Das erste größere Bauprojekt dieser Art steht kurz vor der Vollendung, mitten in der South Bronx. Jedes Zweifamilienhaus kostet zwischen 150000 und 170000 Dollar. Alle Häuser sind verkauft. Zimmermann: „Wenn man Wohnraum mit Qualität anbieten kann, ist Geld vorhanden. Die Leute wollen hier bleiben.“
Auch Groß-Investoren beginnen sich für das Projekt Bronx Center zu interessieren. Schon ist über über einem Gleisgelände eine kleine neue Einkaufsstadt entstanden.) Seit Ferrers Amtsantritt wurden in der Bronx 350 neue Betriebe und Geschäfte eröffnet. Das reicht nicht, bei weitem nicht, um dem Stadtteil Arbeit und Geld zu bringen, aber es ist ein Anfang. Möglich wurde er nur, weil zum Überlebenswillen der CBOs ein Plan fürs Ganze kam.
Zimmermann war zehn Jahre lang Stadtplaner in Manhattan, bevor er in die Bronx kam. Hier, sagt er, hat er seinen Traumjob gefunden. In Manhattan bestehe Stadtplanung darin, das Ortsrecht jeweils den Investitionsvorhaben großer Kapitalanleger anzupassen. In der Bronx fehlte das Kapital, aber es gab städtisches Land zuhauf - und jede Menge zu tun.
Nur: Es gibt hier auch ein tiefverwurzeltes Mißtrauen gegen jede Form von Planung, gegen Politik und Verwaltung. „Das große Problem heißt “Trust in Government“,“ sagt Zimmermann: „Verwaltung lügt, betrügt und stiehlt - das ist die normale Erfahrung der Bürger.“
Ferrer hat darauf bestanden, daß Zimmermann all seine Pläne im Konsens mit den CBOs entwickelt. Zu Bürgerversammlungen hat der Stadtplaner jeweils zehntausend Einladungen verschickt. öber 600 Bronx-Bewohner haben sich zwei Jahre lang in fünf Arbeitsgruppen mit Verwaltungsleuten zusammengesetzt. Ergebnis war, 1990, das „Strategic Policy Statement“, eine Auflistung erster Erfolge und weitreichender Planungen; für die Verschönerung der Prachtstraße Grand Concourse, für die Neubepflanzung der einst prächtigen Parks der Bronx, für eine Neuerfindung des maroden Schulsystems, für die Bekämpfung des Drogenhandels.
„Laßt uns nicht nur eine neue Schicht Farbe auf ein schäbiges altes Haus legen,“ hat Ferrer im Juli 1992 den Delegierten des Demokratischen Parteitages im Madison Square Garden zugerufen, am Vorabend der Nominierung Bill Clintons zum Präsidentschaftskandidaten: „Sondern laßt es uns von Grund auf neu aufbauen, unter Beteiligung jedes Mannes, jeder Frau und jeden Kindes, in Erneuerung unseres amerikanischen Geistes und unseres amerikanischen Traums.“
Das Besprechungszimmer des Burroughs-Präsidenten hängt voller Urkunden und Plaketten, vom Boden bis zur Decke: Dankesgaben von Organisationen, Vereinen, Schulen und Bürgern an Ferrer. Ausdruck des Stolzes auf ihren Bürgermeister - und auf sich selbst. Und vor allem: auf die Bronx. Sherman würde staunen.
Albert Gore jr. wurde "großgezogen, um Präsident zu werden." Jedenfalls sagt das sein Vater, Albert Gore sr. Wie der Sohn war der Vater Senator der Vereinigten Staaten. Die Gores gehören seit Jahrzehnten zu Washingtons Establishment. Gore junior nennen hier alle nur Al.
1988 bewarb sich Al Gore um die Nominierung als Präsidentschaftskandidat seiner Partei. Er schaffte es nicht. Diesmal trat er nicht an. Doch sollte er an der Seite von Clinton Vizepräsident werden, ist er nur noch "einen Herzschlag entfernt" von seinem Erziehungsziel.
Al Gore bringt alles mit, was man üblicherweise braucht, um in Amerikas Politik erfolgreich zu sein - und noch etwas mehr. Er sieht blendend aus, hat in Harvard studiert, war Soldat in Vietnam (anders als Clinton und obwohl sein Vater ein Gegner des Vietnamkriegs war), ist verheiratet und hat vier prächtige Kinder.
Das Mehr: Gore hat eine Leidenschaft. Das ist die Umweltpolitik. Er ist Autor eines Bestsellers über den Treibhauseffekt. Er ist seit Jahren der schärfste Kritiker des selbsternannten "Umwelt-Präsidenten" Bush. Und er bringt noch etwas mit auf das demokratische Ticket, was Clinton fehlt: Gore hat sich im Senat einen Namen als Außen- und Sicherheitspolitiker gemacht.
Al Gore ist Südstaatler, wie Clinton. Er stammt aus Tennessee, aus der Gegend um Nashville, der Country-Music-Metropole. Wie Clinton gehört Gore dem Democratic Leadership Council an, einer Gruppe junger Demokraten, die ihre Partei erneuern wollen. Vom Süden aus, vom Lande, mit jugendlichem Schwung.
Delegierte sind nicht schutzlos in New York. Für zehn Dollar können sie eine kugelsichere Weste mieten. Gleich neben dem Madison Square Garden, der Arena mitten in Manhattan. New York ist eine aufregende Stadt, zum Glück. Denn der Parteitag der Demokraten ist es eigentlich nicht. Carra George (71) aus Montana sagt trotzdem: "Ich habe mir nichts so sehr gewünscht wie zu diesem Parteitag zu kommen, nichts."
Der Parteitag hat nur einen Zweck: Bill Clinton als Präsidentschaftskandidaten offiziell zu küren, und das möglichst spektakulär und in Eintracht. Zu diesem Zweck haben sich im Madison Square Garden mehr als 4000 Delegierte versammelt, einige Tausend VIPs (very important persons, sehr wichtige Menschen) und, Steigerung von VIP, FOBs. Das sind "friends of Bill", Freunde von Bill. Ach, und mehr als 13000 Presseleute.
Normalerweise streiten sich die Demokraten bei ihren Familientreffen. Dafür sind sie beim Wahlvolk berüchtigt und bei der Presse beliebt. Den konkurrierenden Republikanern gelten sie als eine Zusammenrottung von kreischenden Interessengruppen; von Abtreibungsfreunden, Pazifisten, Liberalen und Lesben. In dieser Woche verblüffen die Demokraten Amerika damit, wie einig sie sind, wie optimistisch und wie amerikanisch.
Zu Wort kommt nur, wer sich einschwören läßt auf das Lied von der Eintracht. Die Wahlplattform ist diesmal keine endlose Summierung von Resolutionen, sondern ein Papier mit kurzen Sätzen, die ökonomischen und politischen Wandel versprechen. Viel ist darin von Familie die Rede.
Der kalifornische Ex-Gouverneur Jerry Brown und seine Anhänger bekommen Pickel, wenn sie das lesen. Ihnen ist nicht genug Substanz in dem Programm. Brown ist die einzige Parteigröße, die sich noch nicht offiziell zu Clinton bekannt hat. Solange er das nicht tut, lassen ihn Clintons Leute, nicht ans Rednerpult; erbarmungslos.
Die Demokraten wollen Wähler zurückgewinnen, die zuletzt für Reagan stimmten und Bush. öberhaupt: Sie wollen gewinnen. Endlich einmal wieder. Zuletzt ist ihnen das 1976 gelungen, mit Jimmy Carter. Jetzt glauben sie erneut Grund zur Hoffnung zu haben. "Honey, knips das Licht aus, die Party ist zuende!" rief die Gouverneurin von Texas, Ann Richards, ihrem Landsmann George Bush zu, unter dem Jubel der Delegierten.
Die USA seien nichts anderes als der größte Versuch der Weltgeschichte, Menschen ihre Verzweifelung zu nehmen, beschwor der Gouverneur von New Jersey, Bill Bradley, die Erinnerung an den amerikanischen Traum. Nach zwölf Jahren republikanischer Regierung seien allzu viele im Lande ohne Traum und verzweifelt, weil ohne Chance, ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Zugang zu vernünftigen Schulen.
(Die vielleicht bewegendste, auf jeden Fall aber nachdenklichste Rede hielt bisher die Schwarze Barbara Jordan. Vom Rollstuhl aus verurteilte sie weißen wie schwarzen Rassismus zugleich, sagte, auch die Demokraten müßten umlernen. Und sie sprach von Opfern, die jeder werde bringen müssen, um das gewaltige Haushaltsdefizit der USA abzubauen, jeder. Und davon, daß die Demokraten die Nation davon überzeugen und dazu überreden müßten, ihnen erneut zu vertrauen: "Das ist nicht einfach," sagte sie: "Aber wenn wir es schaffen, werden wir vielleicht erneut ein Rendezvous mit dem Schicksal erleben.")
Jede Rede ist ein durchkomponierter Auftritt, umrahmt von Videoprojektionen, von Musik, von Hurra. Weil tagsüber kaum jemand fernsieht, fängt der Parteitag logischerweise immer erst am frühen Abend an. Ziel: live in die Hauptabendprogramme zu kommen. Und das mit Bildern und Botschaften, die sitzen.
Als Ron Brown, der Parteivorsitzende, George Bushs Wahlparole von 1988 wiederholte: "Read my lips", lest meine Lippen, erschien dieser Spruch zugleich riesengroß auf der Videowand hinter seinem Rücken. Und dann gleich der Zusatz: "No second term", keine zweite Amtszeit! Unter Bush hieß der Zusatz: Keine neuen Steuern. Als Präsident hat er dann doch die Steuern erhöht. Das ist unvergessen im Volke. "Read my lips!" wiederholte Brown, und Tausende im Garden skandierten: "No second term!"
Jetzt müssen sich die Demokraten nur noch mit ihrem Präsidentschaftskandidaten anfreunden, mit der Person Bill Clinton. Als Jungstar der Partei durfte er vor vier Jahren den damaligen Kandidaten vorstellen, Michael Dukakis. Er tat das, 32 endlose Minuten lang. Applaus kam erst auf, als Clinton versprach: "Ich komme zum Schluß..."
Nach dieser Rede galt der Gouverneur von Arkansas nicht mehr als kommender Star der Partei, sondern als verglühte Sternschnuppe. Jetzt ist er wieder da.
Und so ist das aufregend Spannende am New Yorker Parteitag der Demokraten nicht nur das Straßenleben der Millionenstadt, sondern auch die Frage: Verglüht er wieder? Oder reißt Clinton diesmal das Publikum im Saal und in den Fernsehsesseln mit? Für viele heißt das auch: Hat er im November eine Chance, ins Weiße Haus gewählt zu werden?
Die Regie ist optimistisch. öber den Köpfen der delegierten hängen, in riesigen Netzen, schon einige zehntausend bunte Luftballons. Sie sollen niederschweben auf den Kandidaten und die Delegierten, am Ende der Woche, am Ende des Parteitags, wenn Clinton seinen Auftritt hatte und der Applaus nicht enden will.
Ronald Reagan versprach den Amerikanern einst das Morgenrot - "Morning in America". Zweimal wählten ihn seine Mitbürger zum Dank ins Weiße Haus. Ronald Reagan, der gelernte Schauspieler, verstand, was das Medienzeitalter vom Politikgeschäft verlangt. Vor allem sympathische Gesichter, knappe, einprägsame Botschaften. Botschaften nicht nur fürs Hirn, sondern - und vielleicht vor allem - auch fürs Herz. Manche sagen: für den Bauch.
In New York beweisen die Demokraten zur Zeit, daß sie ihre Lektion gelernt haben. Was dort abläuft, ist kein Parteitag im europäischen Sinn, keine Wahl- und Redenschlacht im Stil des 19. Jahrhunderts. Wen die demokratische Partei zum Präsidentschaftskandidaten nominieren wird, mit welchem Programm sie die republikanische éra Reagan/Bush beenden will, es stand lange schon fest.
ôffentliche Meinungsbildung findet in den USA wie in Deutschland schon lange nicht mehr in Versammlungslokalen und via Flugblatt und Parteiprogramm statt. Sondern via Telefon, Telefax, im Fernsehen und in den Zeitungsspalten.
Auch die Parlamente sind nicht mehr wie einst die eine einzige öffentliche Tribüne, auf der Interessen und Ideen aufeinanderprallen. Wer sich darüber grämt, beklagt in Wahrheit den technischen Fortschritt, beklagt die Demokratisierung von Kommunikation.
Die amerikanischen Parteien inszenieren ihre Zusammenkünfte als Medienereignis, als Polit-Show, so unterhaltsam wie ein Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und Holland, bei dem das Ergebnis vorher feststeht. Kritisch beobachtet von Journalisten, die jede Rede, jeden Auftritt kommentieren und sezieren wie Sportberichterstatter am Stadionrand. Beobachtet und benotet auch von Millionen Wählern daheim im Fernsehsessel.
Deutsche Beobachter erheben sich gerne amüsiert über das Politspektakel der US-Parteien. Das sollten wir besser lassen.
Die Amerikaner sind nur konsequenter. Sie praktizieren Parteiendemokratie im Medienzeitalter. Es lohnt sich hinzusehen. Sie zeigen uns, wo’s lang geht.
Seit zwanzig Jahren rechnet Les Aspin den Militärs im Pentagon vor, wie sie Geld sparen könnten. Nun gibt ihm Bill Clinton die Chance, seine Anregungen selber umzusetzen. Aspin soll US-Verteidigungsminister werden.
Der heute 54jährige Demokrat aus Wisconsin wurde 1970 erstmals zum Kongreßabgeordneten gewählt. Er hatte sich als ausgesprochener Gegner des Vietnamkriegs profiliert. Aber er ist kein Gegner militärischer Einsätze an sich. In seiner langen Parlamentskarriere arbeitete sich Aspin zum allseits respektierten Vorsitzenden des Verteidiungsausschusses hoch. Kaum jemand kennt wie er die Verästelungen und Verwinkelungen des Pentagon-Etats.
Aspin ist Politiker aus Leidenschaft. Freunde sagen, sein einziges Hobby sei: Politik. In Washington ist er bekannt dafür, auch an Sonntagen Presseerklärungen herauszugeben. Im Wahlkampf machte er Bill Clinton sicherheitspolitisch „fit“. Aspin ist geschieden.
Anders als die gegenwärtige Pentagon-Führung sprach er sich frühzeitig für einen US-Militäreinsatz auf dem Balkan aus. Er hat detaillierte Pläne für den Umbau der Streitkräfte zu einer taktisch flexibler einsetzbaren Truppe. Aspin hat das SDI-Programm des früheren Präsidenten Reagan („Krieg der Sterne“) stets abgelehnt, aber er zählte zu den Befürwortern des Golfkriegs. Als demokratischer „Schatten-Verteidigungsminister“ rechnete er vor, wie sich im Pentagon-Etat 48 Mrd Dollar mehr einsparen lassen, als die bisherige Regierung es für möglich hielt.
Den Generälen, heißt es, gefällt an Aspin nur dessen Vorname nicht. Der klingt wie „less“ - und das heißt „weniger“.
Anthony Lakes Rückkehr in das Weiße Haus, diesmal als Sicherheitsberater des Präsidenten, ist für den heute 53jährigen ein persönlicher Triumph. Nach einer Musterkarriere, die ihn über die Eliteuniversitäten Harvard, Cambridge in England und Princeton in den diplomatischen Dienst führte, wurde Lake 1969 persönlicher Referent des damaligen Sicherheitsberater Henry Kissinger. An Kissinger Seite nahm er an dessen ersten geheimen Treffen mit der nordvietnamesischen Regierung teil, die schließlich zu den Pariser Friedensverhandlungen und zum Ende des Krieges führen sollten.
Kissinger und Präsident Nixon begleiteten die Friedensverhandlungen mit Demonstrationen militärischer Stärke. Sie weiteten den Krieg in Fernost zunächst noch aus. Als die USA 1970 Kambodscha massiv bombardierten, trat Lake aus Protest von seinem Posten zurück und unterstützte den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Muskie. Mit Wissen Kissingers hörte das FBI daraufhin neun Monate lang Lakes privates Telefon ab.
Unter Präsident Carter gelang Lake ein erstes Comeback. Er wurde Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Dort arbeitete er eng mit dem damaligen stellvertretenden Außenminister Warren Christopher zusammen.
In den achtziger Jahren lehrte Lake Politik und Geschichte an einer Hochschule in Massachusetts. Nebenher bewirtschaftete er zusammen mit seiner Frau eine Rinderfarm. Clintons Angebot, in Kissingers Fußstapfen zu treten, nahm Lake an, weil, wie er sagte, „der Rindfleischpreis am Boden ist.“
Ein überführter Drogendealer kommt hinter Gitter, auch wenn er noch so einflußreich ist. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht bleibt: 25 US-Soldaten und rund 500 Bürger Panamas starben, um Panamas einstigen Diktator Noriega vor ein US-amerikanisches Gericht zu bringen.
1989 überfielen US-Truppen den Kleinstaat in Mittelamerika, um Noriegas habhaft zu werden. Präsident Bush warf ihm vor, Drogen aus Süd- nach Nordamerika zu leiten und daran kräftig zu verdienen. Das Gericht in Miami bestätigte diese Vorwürfe. Im April wurde Noriega für schuldig befunden, letzten Freitag wurde das Strafmaß verhängt: 40 Jahre Gefängnis. Mindestens noch acht Jahre davon muß Noriega absitzen, bis er um Straferlaß bitten kann.
Noriega hat Bush vorgeworfen, ihn aus privater Rachsucht aus Panama entführt zu haben. Er hat die USA beschuldigt, mit Panama umzugehen wie mit einer Kolonie. Das hat ihm nicht geholfen, zu recht. Denn selbst wenn es so ist, wird Noriegas eigene Schuld nicht geringer. Er verdient die Strafe, die ihn traf.
Nur: Einer wie er dürfte nie an die Macht gekommen sein, weder in Panama noch sonstwo. Daß er an die Macht gekommen ist, hat viel mit der US-Politik gegenüber Mittelamerika zu tun. Washington war es allzulange lieber, in den dortigen Präsidentenpalästen willfährige Gangster sitzen zu sehen als störrische Sozialisten. Der "Staatsmann" Noriega war eine Kreatur Washingtons und des Kalten Krieges, eine von vielen.
Das Urteil über Noriega war auch ein Urteil über die verfehlte Politik der USA gegenüber ihren südlichen Nachbarn. Es sollte George Bush mehr als "Genugtuung" bereiten. Nämlich auch Anlaß zum Nachdenken.
Am 1. Januar 1993 werden sich viele Amerikaner erstaunt die Augen reiben, wenn sie hören: Der Europäische Binnenmarkt ist Wirklichkeit. Europa machte reichlich Schlagzeilen während der letzten Monate, aber es waren Schlagzeilen, die von Stillstand berichteten, von Enttäuschungen, von Rückschlägen.
(Eher bemitleidenswert schien Europa denn ein ernstlicher Konkurrent: Auf dem Balkan tobt ein Bürgerkrieg, in Deutschland marschieren wieder Nazis, die Dänen lehnten den Vertrag von Maastricht ab, die Franzosen beinahe - da wirken die USA geradezu wie ein Hort des Optimismus und der Sicherheit. Mit anderen Worten: Es bot sich das altgewohnte Bild.)
Noch vor einem halben Jahr hatte das ganz anders ausgesehen: Da zweifelten die Amerikaner an sich selber, sahen ihre Führungsrolle mit dem Kalten Krieg beendet, da blickten sie voller Sorge auf ein Europa, daß sich anschickte, Muskeln zu zeigen.
Doch für die US-Wirtschaft ist der Binnenmarkt im Grunde eine größere Herausforderung als ein politisch geeintes Europa. Politisch mag Europa vorerst ein tönerner Riese bleiben, doch ökonomisch geraten die USA ins Hintertreffen, und viele hier wissen es.
Ab Januar werden die USA nicht mehr der größte Markt der Welt sein. Sie verlieren damit eine wesentliche Säule für ihren Anspruch, Führungsmacht zu sein, für ihr Selbstwertgefühl. Sie bleiben die größte Militärmacht, aber was bedeutet das in einer Welt, in der nicht mehr täglich Raketen gezählt werden, sondern Exporterfolge und Jobs? Diese besorgte Frage beflügelt den neugewählten Präsidenten Clinton zur Reform von Banken-, Gesundheits- und Bildungssystem - oft nach europäischem Muster.
Und Noch-Präsident George Bush hat als amerikanische Antwort auf den EG-Binnenmarkt mit Kanada und Mexiko das Nordamerikanische Freihandelsabkommen geschlossen: NAFTA. Der nordamerikanische Binnenmarkt wäre noch größer als der europäische:
- In den USA, Kanada und Mexiko leben derzeit rund 363 Mio Menschen, mehr als in den Grenzen der EG,
- die Bruttoinlandsprodukte addiert machen eine ähnliche, geringfügig größere Summe aus als in Europa,
- die umfaßte Landmasse ist allemal gewaltiger; dafür sorgt allein schon Kanada. Um hier mitzuhalten, müßte sich Rußland mit seinen sibirischen Weiten der EG und dem Binnenmarkt anschließen dürfen.
Doch das will in Westeuropa vorerst kaum jemand. Aus vergleichbaren Gründen heraus, aus denen in den USA viele vor offenen Marktgrenzen hin zu Mexiko warnen.
Zwar scheint Mexiko derzeit politisch und wirtschaftlich stabiler als Rußland, aber noch sieht seine Wirtschaftsstruktur mehr nach Dritter Welt aus als nach Industriegesellschaft. Die US-Gewerkschaften fürchten die Konkurrenz unterbezahlter mexikanischer Arbeiter. NAFTA-Befürworter halten dagegen, daß Mexikaner weiterhin in die USA strömen werden, wenn der nordamerikanische Lebensstandard nicht zu ihnen kommt - ein Argument, das besonders in deutschen Ohren vertraut klingt.
Doch während die innerdeutsche Wirtschafts- und Sozialunion mit der DDR von heute auf morgen Wirklichkeit wurde und der 1. Januar 1993 für den Europäischen Binnenmarkt Stichtag ist, steht NAFTA noch in den Sternen. Noch sind die Verträge nicht ratifiziert. Clinton will sie „nachbessern“. Aber selbst wenn sie, was allgemein erwartet wird, in Kraft treten, sorgen Übergangsfristen von fünfzehn Jahren dafür, daß Europa über die Jahrtausendwende hinaus der größte Markt der Welt bleiben wird.
In der Theorie verspricht NAFTA den ungehinderten Strom von Arbeitnehmern, Waren, Kapital und Dienstleistungen über die Grenzen hinweg. In Wahrheit dürfte der Vertrag ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Anwälte sein. Das Kleingedruckte steckt voller Schutzklauseln für Industrien hüben und drüben.
Noch haben auch nur wenige US-Amerikaner wahrgenommen, welche Opfer ihnen NAFTA abverlangt. Amerikaner gelten gemeinhin als Fortschrittsenthusiasten. Doch wo sie Traditionen haben, pflegen sie diese liebevoll und hartnäckig. Entfernungen zwischen Städten werden in Meilen gemessen, Benzin wird nicht literweise verkauft, sondern per Gallone (3,78 Liter), ein halbes Kilo Steakfleisch wiegt knapp achtzehn Unzen. In Kanada und Mexiko aber gilt das Dezimalsystem. Mancher Politiker in Washington fürchtet sich schon heute vor dem Sturm der Entrüstung, der einsetzen wird, wenn die Amerikaner erst merken, daß NAFTA ihnen Meile, Unze und Gallone nehmen wird.
Teil 2: Bill Clinton und Hope
Hope ist eine Hauptstadt. Es nennt sich die "Wassermelonen-Hauptstadt der Welt." Prachtexemplare von 200 Pfund Gewicht sind keine Seltenheit. Alljährlich im August strömen die Menschen der Region zu Zehntausenden nach Hope, zum Melonen-Festival. In diesem Jahr dürften es noch einige mehr sein, auch Ausländer darunter und viele Fernsehteams. Bill Clinton, der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, wurde hier geboren, in Hope, Arkansas, am 19. August 1946, als William Jefferson Blythe IV.
Bill Blythe, sein Vater, kam bei einem Autounfall um, als das Kind noch nicht geboren war. Clinton ist der Name seines Stiefvaters.
Die noble Welt des Südens, die Welt der Herrenhäuser und Damenkränzchen, die Welt des illustren "Southern Living" - für den jungen Bill Blythe-Clinton existierte sie nicht. Auch die Welt der schnellen Geschäfte, in der Ross Perot groß wurde, dreißig Autominuten weiter südlich - der junge Clinton hatte keine Chance, ihr zu begegnen.
In Clintons Geburtshaus in Hope hat es vor kurzem gebrannt. Eine schwarze Familie lebt dort, den Brandspuren zum Trotz. Auf Möbeln vom Sperrmüll, unter bröckelnden Decken. Daß ein Fremder an die Tür kommt, ist ihnen unangenehm. Nur zögernd antwortet der Vater auf Fragen. Seinen Namen will er nicht nennen. Ob er weiß, daß Bill Clinton hier geboren wurde? Er nickt. Wen er wählen wird bei der Präsidentschaftswahl im November? "Ich wähle nicht. Kein Interesse an Politikern." Ende des Gesprächs.
Am Gemüsestand auf der anderen Straßenseite verkündet ein Schild: "Wir nehmen Lebensmittelmarken."
Hope hat rund zehntausend Einwohner. Wirklich reich ist hier niemand. Perots Texarkana, auf der anderen Seite des Red River, gleicht einer Weltstadt, von hier aus betrachtet. Demnächst wird in Hope eine neue Grundschule eingeweiht, eine Sensation für den Ort.
Arkansas ist ein armer Staat. Aber seit zehn Jahren hat er stetig und und mehr als andere Staaten der USA in Straßen und Bildung investiert. Der Gouverneur des Staates heißt seit zehn Jahren Bill Clinton.
Hope hat eine Zeitung, den Hope Star, Auflage 5000 Exemplare täglich. John Miller ist ihr Chefredakteur. Einen Clinton-Fan kann man ihn nicht nennen. Aber er schreibt seinen Lesern ins Gewissen, sie sollten gefälligst stolz sein auf den Sohn ihrer Stadt, der nun vielleicht sogar Präsident wird. Miller erinnert an Plains, Georgia.
Auch den Ort kannte kein Mensch, bis ein Erdnußfarmer von dort ins Weiße Haus umzog, Jimmy Carter. "Clinton ist unsere Chance," meint Miller, eine Chance, nicht nur zum Melonenfest Touristen und Geld anzulocken, "vielleicht die einzige Chance in unserer Geschichte."
Ob er denn glaubt, daß sich unter Clinton etwas grundlegend ändern kann in der amerikanischen Politik? Miller zeigt auf den Stapel Clinton-Reden und Wahlprogramme, die er durchgeackert hat: "Wenn er nur die Hälfte von dem verwirklicht, was da drin steht, wird er ein wirklich guter Präsident sein."
Clintons Wahlkampagne stand von Beginn an unter der öberschrift: Wir müssen mehr für den vergessenen Mittelstand tun. Als Präsident will er in neue Verkehrssysteme, Kommunikationsnetze und vor allem in Schulen und Bildung investieren, verspricht er. Amerika, sagt Clinton stets, gehe heute verschwenderisch mit den Talenten seiner Bürger um. "Put People first" ist seine Parole - "zuerst die Menschen".
Der Gemeinderat von Hope ist zerstritten darüber, ob das baufällige Clinton-Geburtshaus auf Gemeindekosten renoviert werden soll - oder abgerissen. Vermutlich wird die Entscheidung vertagt, glaubt Miller. Bis nach dem Wahltag am 3. November.
Der Hope Star ist stolze 95 Jahre alt. Wann Hope, der Ort, gegründet wurde, weiß niemand mehr genau. Auch warum er Hope heißt, Hoffnung, - keinen Historiker hat es bisher interessiert. Miller: "Angeblich hat ein Riverboat-Kapitän den Ort nach seiner Tochter benannt."
Eine Straßenkreuzung, eine Tankstelle, ein Supermarkt und eine kleine Einkaufs-Mall: Das ist das Zentrum von Hope. Der Bahnhof gleich neben dem Clinton-Haus war auch in besseren Tagen nicht viel mehr als ein Schuppen.
Als Bill sieben Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm um nach Hot Springs. Zwischen dem Badeort in den Bergen und Hope liegen kaum mehr als hundert Kilometer, aber Welten. Den Washita-Indianern waren die heißen Quellen heilig. Ihren weißen Nachfahren dienten sie von Beginn an als Touristen-Magnet. Es entstanden Luxushotels und vornehme Badeanstalten.
Bills Mutter Virginia fand hier Arbeit als Krankenschwester, sein Stiefvater handelte mit Autos. Die ersten Jahre wohnten die Clintons in einem Haus an der Park Avenue. Deren vornehmer Name adelt die billigen Motels, die hier, außerhalb der feinen Badezone, aufgereiht liegen. Vielen blättert die Farbe vom Reklameschild. Ihre Gäste sind vornehmlich Schwarze.
Margie Todd betreibt eine Getränkehandlung gegenüber dem Haus, in dem hier die Clintons einst wohnten. An den jungen Bill kann sie sich nicht mehr erinnern, wohl an die Mutter: "Eine tüchtige Frau." Ob sie Clinton denn wählen wird? "Werde ihn wohl wählen müssen." Vieles anders machen in Washington könne sicher auch Clinton nicht, aber: "Vielleicht tut er mehr für uns Amerikaner und gibt nicht soviel fürs Ausland aus." Damit wäre Margie Todd schon zufrieden.
Von der Park Avenue zogen in die Clintons später in einen Vorort-Bungalow um, zwischen Friedhof und Bahndamm, aber mit Doppelgarage und Vorgarten. Nicht alle Häuser in der Nachbarschaft sind noch heute so gepflegt wie dieses. Von hier aus ging der junge Clinton zur Oberschule in Hot Springs. Er war ein guter und beliebter Schüler, "fraß" Bücher und interessierte sich früh für Politik. Weil er gut war, bekam er einen Studienplatz in Washington und später ein Rhodes-Stipendium in Oxford.
Einige Häuser in der Gegend stehen leer. An einem hängt vor dem zerbrochenen Fenster ein großes Plakat: "Clinton for President"
Als Bill Clinton elf Jahre alt war, schickte der damalige Präsident der Vereinigten Staaten die Nationalgarde nach Arkansas, 1957. Um die ôffnung der Schulen für schwarze Kinder zu erzwingen. Die Bilder aus jener Zeit prägen noch immer das Vorurteil vieler Yankees im Norden von den verstockten Hinterwäldlern im Süden. Sie stehen in seltsamem Kontrast zu der Glorifizierung des southern style of living, den Ross Perot für viele so gelungen verkörpert.
Bill Clinton will im Gespann mit Albert Gore aus dem Nachbarstaat Tennessee den Amerikanern ein neues Bild vom Süden vermitteln. Eines Südens, im dem Weiß und Schwarz heute friedlicher neben- und manchmal auch miteinander leben als in Kalifornien. Eines Südens, in dem es den vielen Armen im Lande lange nicht so schlecht geht wie in den Metropolen des Nordens. Und eines Südens, in dem Straßen und Schulen oft besser in Schuß sind als in reicheren Staaten.
"Es gibt einen Neuen Süden, der in vielem genauso aussieht wie der Rest des Landes," sagt Clinton: "Und dann sind da einige Dinge in unserer Region, die es verdienen, nachgeahmt zu werden."
Manchmal, im Frühling, tritt der Red River über die Ufer und überspült das Weideland ringsum. Ansonsten spielt er nur noch eine mythische Rolle im täglichen Leben im Süden der USA, im Grenzgebiet von Texas und Arkansas. Und er trennt zwei Orte voneinander, an denen etwas besonders sein muß; Hope und Texarkana. Zwei der drei Bewerber um das Amt des Präsidenten der USA sind hier geboren. Ross Perot in Texarkana und Bill Clinton in Hope. Und der dritte Kandidat würde auch gern von hier stammen. Amtsinhaber George Bush hat aber nur eine Wohnadresse in Dallas zu bieten.
"Southern Living" heißt eine auch im Norden gutverkaufte Illustrierte. Bunte Bilder in warmen Farben erzählen die immergleiche Geschichte von einem anderen, schöneren, einem langsameren Lebensstil. Von einem Land, in dem noch Kutschen fahren könnten. Wo die Mütter noch Plätzchen backen und jeder weiß, was gut ist und was böse. Und wo alle auf eine vornehme Art nett zueinander sind.
Es ist schwer, in Texarkana heutzutage eine Kutsche zu finden. Hier fährt man Auto, wie überall in den Vereinigten Staaten. Hier kann man noch Auto fahren, weil die Straßen nicht verstopft sind wie in L.A. oder New York. Hier findet man jederzeit einen Parkplatz und das umsonst. Texarkana hat 60000 Einwohner, eine kurze, aber bewegte Geschichte und einen Sohn, der hier schon berühmt war, lange bevor er sich zum Präsidentschaftskandidaten ausgerufen hat.
Texarkana entstand, als die Eisenbahnen anfingen, sich durch das weite Land nach Westen zu fressen. Hier auf der Grenzlinie zwischen Texas und Arkansas trafen sich Bahnarbeiter, Händler, Glücksritter, Gauner und Huren. Die Stadt war voller Bordelle, Saloons und Theater.
Als Ross Perot jung war und Zeitungen austrug, herrschten in der Innenstadt Anstand, Recht und Ordnung. Die Hurenhäuser waren ausgewandert in die Vororte. So ist es geblieben. Zeitungsbote Perot wählte die Reviere mit den Bordellen. Hier war der Botenlohn höher.
Auch Saloons sucht man heute vergeblich. Den prächtigen Bahnhof fahren seit langem keine Züge mehr an. Zur Zeit residiert in der Schalterhalle das Hauptquartier der örtlichen Kampagne "Ross Perot for President". Zwei nette ältere Damen freuen sich über jeden Besucher, der Interesse an Buttons, Aufklebern und patriotischen Gummipüppchen zeigt. Ein Transparent grüßt: "Welcome Home, Ross". Daneben hängt ein Jugendbild des Milliardärs.
Perots Geburtshaus steht in einer stillen Vorortstraße, umgeben von Rasen und Bäumen. Hier hat Ross gelebt, bis er mit 19 Jahren zur Marineakadamie in Annapolis ging, 1949. Sein Vater war Baumwollhändler. Dessen Lieblingsspruch war: "Sell it - you can’t eat it! - Verkauf’s, essen kannst Du’s nicht!"
Als Perot seine Firma Electronic Data Systems (EDS) verkauft hatte und unvorstellbar reich geworden war, kaufte er das Haus seiner Eltern zurück. Zu diesem Zeitpunkt war es weiß gestrichen, so wie die Häuser nebenan. In Ross’ Jugend aber waren die Ziegel nackt. Nachbar Richard Griffin erzählt, daß Perot alle Ziegel abnehmen und umdrehen ließ, weil die Farbe anders nicht wegzubekommen war.
Richard Griffin erzählt die Geschichte oft in diesen Tagen. "Aus Deutschland sind Sie? Vor kurzem war schon ein deutscher Reporter hier, so ein großer bärtiger." Auch dem japanischen Fernsehen hat Griffin schon ein Interview gegeben. Er ist Rentner, hat sonst nicht viel zu tun und freut sich über die Abwechselung. Das Haus nebenan, 2901 Olive Street, ist zu einer Medien- und Touristenattraktion geworden. Wen er denn wählen wird im November? Für Richard Griffin ist das keine Frage: "Ross Perot natürlich!" Obwohl - so recht zu glauben scheint er es noch nicht, daß das alles wahr ist, daß einer von hier ins Weiße Haus zieht. Staunend schüttelt er den Kopf.
Die Handelskammer von Texarkana hat rasch ein Faltblatt gedruckt, die "Ross Perot Tour Map". Vom Ross Perot Family Home bis zum Texarkana College sind alle einschlägigen Gebäude eingezeichnet. Auch das Perot Theatre mit seinem prachtvollen Vaudeville-Saal aus den zwanziger Jahren. Bis Perot es auf seine Kosten renovieren ließ, hieß es Saenger Theatre, nach der Amusement Company aus New Orleans, die es einst betrieb.
Robert E. "Swede" Lee, Präsident der Handelskammer, ist auf dieselbe Schule gegangen wie der junge Ross, auf die einzige Privatschule am Ort. Er erzählt es nicht ohne Stolz. Jeder Schultag begann mit einem Fahnenappell und dem Singen der Hymne. Dirigent der Zeremonie: Ross Perot, in seiner Eigenschaft als Pfadfinderführer, als Eagle Boy Scout.
Für Lee wie für viele professionelle Polit-Analytiker liegt in der Texarkana- und Boy Scout-Vergangenheit des Kindes Perot die Wurzel zum Verständnis des Milliardärs und Kandidaten Perot. Des Mannes, der auf eigene Faust inhaftierte Angestellte seiner Firma aus einem iranischen Gefängnis holte, der seinen Einfluß und sein Geld einsetzte, um amerikanische Kriegsgefangene aus Vietnam zurückzuholen, der nun angetreten ist, ganz Amerika wieder zurück auf den Pfad der alten Tugenden zu führen.
Noch nie zuvor hat ein parteiunabhängiger Außenseiter in einem Wahljahr so lange so gute Umfrageergebnisse gehabt wie Perot. Aber kann er tatsächlich Präsident werden? Lee fragt zurück: "Warum nicht?" Die Sowjetunion sei untergeganen, die Mauer in Berlin gefallen, warum sollte nicht auch in Amerika ein grundlegender Wandel möglich sein? Andererseits, fügt er gleich hinzu: "Geht es den Menschen in Rußland heute besser?" Wandel könne eben auch immer bedeuten, daß es schlechter wird. Nein, sagt Lee, er wisse noch nicht, wen er im November wählen wird. "Ross Perot ist eine ehrliche Haut," wiegt er den Schädel, auch Clinton sei "a good guy", aber auchGeorge Bush ist für ihn noch lange nicht abgeschrieben: Da weiß man, was man hat.
Aus dem Perot-Rummel ökonomisch das beste zu machen - die Zahl der öbernachtungen in Texarkana ist drastisch gestiegen - ist das eine, die Wahl im November aber ist ganz etwas anderes. In Robert Lees Worten: "Bei uns im Süden wird am Ende der gewählt, dem die Leute am meisten trauen."
Beatty Rogers traut Perot und mißtraut Hillary Clinton. Sie verkauft die Eintrittskarten im Historischen Museum von Texarkana. Dort werden die spärlichen Reste der ruchlosen Vergangenheit des Ortes in sauberen Vitrinen ordentlich verwahrt. Sie ärgert sich, daß Perot neuerdings in den Zeitungen so schlecht wegkommt. Die Schonzeit für den weißen Reiter aus dem Süden ist vorbei. Die US-Presse geht mit Perot jetzt genauso kritisch ins Gericht wie mit jedem anderen Kandidaten.
"Dabei ist er doch so ein anständiger Mann," beklagt sich Beatty Rogers, "einer, der für neue Ideen sorgt." Sie kann es nicht fassen.
Was sie von Clinton hält? Schließlich stammt der auch aus der Gegend. "Clinton? - Der ist gut für Arkansas." Aber seine Frau, Hillary, das sei eine durchtriebene Person. Frau Rogers hebt Kinn und Finger und fügt leise hinzu: "Wenn alles vorbei ist, läßt die sich sicher scheiden. Passen Sie auf!"
Hillary Clinton stammt aus Chicago und verdient als Anwältin ein Mehrfaches von dem, was ihr Mann als Gouverneur von Arkansas nach Hause trägt. Außerdem hat sie sich einst abschätzig über Frauen geäußert, die darin aufgehen, daheim Plätzchen zu backen. Jedenfalls wurde sie so zitiert.
Die eine Seite der Hauptstraße in Texarkana ist texanisch, die andere liegt in Arkansas. Nur das Postamt, auch das ein Prachtbau aus besseren Tagen, ankert mitten auf der Avenue. Kein Zweifel: Die "bessere" Hälfte der Stadt liegt im reichen Texas. Von der ôl- und Geldmetropole Dallas aus betrachtet liegt Arkansas hinterm Wald. Im Museum kann man eine Ansichtskarte kaufen. Sie zeigt das Postamt und davor einen Mann und einen Esel. Unterschrift: "A man in Texas, his ass in Arkansas."
Mike C. Connor stammt aus New York, lebt aber schon lange in Texarkana, Texas. Hier hat er einen Job gefunden. Hier ist das Leben ruhig und bezahlbar. Er nennt sich Assistant Scout Executive. Sein Schreibtisch steht im Perot Scout Service Center. 50000 Dollar hatten die Boy Scouts von Perot einst als Zuschuß zum Bau erbeten, erzählt Connor. Perot hat dann gleich alles bezahlt. Dafür hängt jetzt sein Bild in der Eingangshalle, über einer Glasvitrine.
Perots Aufstieg in die Schlagzeilen hat auch das Image der Scouts wieder aufpoliert, freut sich Connor. Zuletzt war in den Zeitungen arg viel über Homosexualität unter Pfadfindern zu lesen gewesen. Zwar stammten die Beispiele aus dem fernen Kalifonien, aber: "Das hat uns hier doch sehr geschadet."
Ross Perot hat vor kurzem versichert, er sei noch nie im Leben einem Homosexuellen begegnet. Jedenfalls sei ihm das nicht aufgefallen. Fremdzugehen war Perot-Angestellten bei EDS unter Strafe des Rauswurfs verboten.
In der Vitrine liegen die Reliquien eines Pfadfinderlebens; Perots Brustbeutel, Gürtel, Tasche, Feldflasche, seine Schärpe mit Ehrenzeichen - "Be prepared, Sei vorbereitet" -, sein Hut und sein Handbuch, abgegriffen und zerlesen.
Perot erträumt sich für ganz Amerika Verhältnisse, wie sie im Texarkana der fünfziger Jahre herrschten, meint Connor, wo dem Tüchtigen die Welt gehörte, die Familien intakt und Drogen unbekannt waren, wo, wer in Not war, Nächstenliebe erfuhr: "Aber das funktioniert nicht." Connor: "Die Frauen können sich auch hier längst nicht mehr nur um die Familie kümmern. Sie müssen Geld verdienen."
Der Southern Style, so sieht es Connor, sei eine schöne Illusion: "Perot wird das schon noch merken - falls er gewählt wird."
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