Exklusiver kann das Programm eines Kurzbesuchs kaum sein. Klaus Kinkel wurde am Dienstag in Washington von Hand zu Hand gereicht, vom Kapitol zum Pentagon zum Weißen Haus. Der neue Bundesaußenminister kam zum ersten Mal in dieser Funktion in die US-Hauptstadt. Heute folgt ihm Verteidigungsminister Volker Rühe, auch er neu im Amt. Unbekannt sind sie hier beide nicht. Das politische Washington zeigte sich dennoch neugierig auf die neuen Gesichter der deutschen Politik.
Als Angehörige der Nachkriegsgeneration eilt beiden Ministern der Ruf voraus, deutsche Interessen unbeschwerter vertreten zu können als ihre Vorgänger, unbelastet von dem Gefühl, Repräsentanten einer Republik von amerikanischen Gnaden zu sein.
Den Kinkel-Stil genießen die Amerikaner geradezu; nach Ablauf der éra Genscher. Der neue Mann gilt als umgänglich und geradeheraus. So wie es die Amerikaner lieben. Der sphinxhafte Wortreichtum seines Vorgängers verursachte ihnen nicht selten Gefühle, die Sodbrennen ähneln.
Besonders mit US-Außenminister James Baker soll sich Kinkel bestens verstanden haben. In Bakers Augen hat dem deutschen Neuling Respekt verschafft, daß er sich nicht einschüchtern läßt. Schroffen Angriffen Bakers auf Unverständlichkeiten der europäischen Politik begegnete Kinkel schlichtweg gelassen und mit Humor.
(Wie üblich geworden stattete zwar auch Kinkel den Dank an die Amerikaner ab für ihre Unterstützung Deutschlands bei der Wiedervereinigung. Das hinderte ihn aber nicht, genauso frank und frei Kritik an den Deutschen zurückzuweisen, wo er sie für unberechtigt hält.)
Insbesondere die Gründung des - zunächst nur deutsch-französischen - Eurokorps nehmen die Amerikaner gern zum Anlaß, den europäischen Verbündeten bohrende Fragen zu stellen. Für Kinkel kein Anlaß zum Kleinmut. Wer wie die Amerikaner immer darauf gepocht hat, die Europäer sollten gefälligst mehr für ihre eigene Verteidigung tun, klang seine Replik, sollte nicht beleidigt sein, wenn Europa genau das tatsächlich tut. Im übrigen: Wer wisse denn, wie die amerikanische Haltung zur Nato nach den Präsidentschaftswahlen im November aussehen wird?
(Nicht wenige Wahlbürger fragen sich nämlich, wozu noch immer US-Truppen in Europa stehen, wo doch der Kalte Krieg beendet ist. Präsident Bush ist zwar ein klarer Befürworter einer "substantiellen" US-Präsenz in Europa. Doch seine Aussichten, wiedergewählt zu werden, sind derzeit alles eher als rosig. Wie die Außenpolitik eines Präsidenten Clinton oder Perot aussähe, vermag so genau niemand zu sagen. Das gab Kinkels Argument Gewicht, Europa tue gut daran, sich auf alles vorzubereiten.)
Der US-Wahlkampf bleibt auch nicht ohne Einfluß auf das Drehbuch des Jugoslawien-Konflikts. Für Bush könnte ein militärisches Eingreifen in Bosnien-Herzegowina gerade gelegen kommen, um erneut internationale Führungsstärke zu beweisen. Sein Außenminister bemüht sich seit Wochen, den Kontrast zwischen dem amerikanischen Umgang mit der Golf-Krise und dem europäischen Geeiere in Jugoslawien unübersehbar zu machen.
Andererseits birgt eine militärische Intervention die Gefahr, daß amerikanische Boys kurz vor dem Wahltermin in Leichensäcken in die Heimat zurückkehren. Das wiederum bremst die Bereitschaft des US-Präsidenten, der UNO Bodentruppen zur Verfügung zu stellen.
Kinkel warb darum, die Westeuropäische Union (WEU), das Verteidigungsbündnis der Europäer, als willkommene Ergänzung zur Nato zu sehen. Das Eurokorps, versicherte er, werde im Bündnisfall dem Nato-Oberkommando unterstellt. Das hören die Amerikaner gern, allein, es fehlt der rechte Glaube, daß die Franzosen dies genauso sehen.
(Von Rühe erhoffen sich die USA nun genauere Auskunft darüber, wie es mit WEU, Eurokorps, Nato und KSZE weitergehen soll. Das Spinnennetz internationaler Verflechtungen und Organisationen, von Hans-Dietrich Genscher so kunstvoll gewoben - es ist ihnen im Grunde suspekt.)
Als wohltuend pragmatisch dürften die Amerikaner empfunden haben, daß der neue deutsche Außenminister über die Hilfsprogramme für Rußland genauso denkt wie sie; ohne Sentimentalität. Kinkel ließ keinen Zweifel daran, daß die in Aussicht gestellten 24 Mrd Dollar des Weltwährungsfonds nicht "in ein Faß ohne Boden" fließen dürfen. Das ist exakt die Haltung der Bush-Regierung und noch mehr die der Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitol.
Kinkel-Vorgänger Genscher hatte die USA stets für ihre zurückhaltende Art gegenüber Geldgeschenken an den Osten getadelt. Mit dem Ergebnis, daß sie sich schofel vorkommen mußten. Sie waren Kinkel dankbar, daß auch dies jetzt ausgestanden ist.
Er sah aus, wie sich viele den idealen Schwiegersohn denken. Adretter Anzug, Krawatte, ordentlich gekämmtes Haar: ein braver junger Mann. Tagelang stand er vor dem säulengeschmückten Obersten Gerichtshof der USA, gleich hinter dem Kapitol in Washington. Er stand da und war unüberhörbar. Ein Mikrofon und eine gewaltige Lautsprecherbox trugen seine Stimme weit über die Prachtstraße und durch die Parkanlage gegenüber. Eine erregte Stimme, eine zornige Stimme. "Jedes Jahr werden in den USA eineinhalb Millionen Kinder ermordet," sagte die Stimme und schilderte drastisch, wie ein Fötus aussieht, der im dritten Monat abgetrieben wird. Kein Richter, kein Spaziergänger, kein Autofahrer konnte dieser Stimme entkommen.
Seit Monaten demonstrierten sie in den USA, beide Seiten, für und wider das Recht auf Abtreibung. Die einen sind "pro life", für das Leben, die anderen "pro choice", für das Recht der Frau, selbst zu entscheiden. Sie demonstrierten vor Gerichten, vor Kliniken vor Supermärkten. (Die pro life-Seite, offensichtlich besser bei Kasse, ließ hochprofessionell gemachte Werbespots über die Bildschirme der Nation flimmern: bunte Bilder von glücklichen Kindern. Alle, erklärte ein Sprecher aus dem Off, waren ungewollt. Die sanfte Stimme des Sprechers fügte hinzu: "Manchmal sind die besten Entscheidungen im Leben ungeplant.")
Seit langem hat keine Nachricht aus Deutschland in den USA so viel Interesse gefunden wie die zum Û218. Kein Wunder: Amerika ist selbst tief gespalten über dem Streit, ob Abtreibung Mord ist oder allein Sache der Frau. 1973 hatte der oberste Gerichtshof entschieden: Sie ist Sache der Frau, jedenfalls in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft. Das Urteil "Roe versus Wade" war ein Meilenstein in der US-Rechtsgeschichte. Es machte kurzerhand Schluß mit einzelstaatlichen Gesetzen, die Abtreibungen bei Strafe verboten.
Jetzt hatte dasselbe Gericht erneut zu entscheiden. Der Staat Pennsylvania wollte Abtreibungen erschweren, durch Einführung eines Beratungszwangs, von Fristen und Meldepflichten. Der Oberste Gerichtshof war gefragt: Darf Pennsylvania das? Wenn ja, befürchteten Frauen- und Bürgerrechtler, könnte in manchen Staaten der USA bald wieder Jagd gemacht werden auf Frauen, die abgetrieben haben.
Das pro life-Lager dagegen hielt das alte Urteil von 1973 für himmelschreiendes Unrecht. Auch viele Bürger, die Abtreibung keineswegs wieder unter Straße stellen wollen, halten es für sündhaft leichtfertig, daß seit 1973 vielerorts keinerlei gesetzliche Hürden vor einer Schwangerschaftsunterbrechung aufgebaut sind.
(Gesetzliche Hürden nicht, faktische aber schon. Einer Studie des Alan Guttmacher Instituts zufolge finden Frauen in 93 vH aller ländlichen Regierungsbezirke der USA (Counties) keinen Arzt, der Abtreibungen vornimmt. Derselben Studie zufolge ist das auch in vielen Städten seit Anfang der achtziger Jahre erheblich schwerer geworden.)
Die Abtreibungsgesetzgebung ist Sache der Einzelstaaten. Der Oberste Gerichtshof, vergleichbar dem deutschen Bundesverfassungsgericht, setzt nur die Rechtsnormen. (Doch nicht selten boten seine Urteile die Handhabe, den geschichtlichen Gang der Dinge zu beschleunigen. Unter Berufung auf Verfassungsnormen setzte einst die Nationalgarde durch, daß schwarze Kinder in Schulen gehen können, die bis dato Weißen vorbehalten waren.)
Das pro life-Lager setzte darauf, daß sich die Zusammensetzung des Gerichts seit 1973 völlig geändert hat. Unter den Präsidenten Reagan und Bush wurden nur konservative Richter berufen. Richter, von denen sich Eiferer wie der junge Mann mit der großen Lautsprecherbox ein gottesfürchtiges Urteil erhofften.
Doch die Richter haben der Versuchung widerstanden. Statt das Rad der Geschichte zurückzudrehen, beließen sie es dabei, sachte gegenzusteuern. Salomonisch entschieden sie: Ja, der Staat hat ein Interesse daran, werdendes Leben zu schützen. Aber nein, er darf nicht einfach Abtreibung für ungesetzlich erklären. Pennylvania darf Fristen setzen und Beratungen vorschreiben, aber das heißt noch lange nicht, daß andere Staaten weiter gehen dürfen. Im Prinzip, entschied das Gericht, hat das Urteil von 1973 Bestand.
Das Gerichts versuchte sichtlich, den Riß zu kitten, der das Land in der Abtreibungsfrage entzweit. Umfragen zeigen: Der Streit pro life/pro choice geht quer durchs Land, quer durch die Parteien, ja nicht selten quer durch die Familien. Auch in ländlichen, stark religiös geprägten Landstrichen ist nicht selten eine Mehrheit, jedenfalls eine Mehrheit der Frauen, entschieden dagegen, Abtreibung erneut unter Strafe zu stellen.
Der republikanische Präsident Bush hat sich erst im Weißen Haus zum Abtreibungsgegner gemausert - und viele konservative Parteigänger argwöhnen, dies sei nicht seine wahre Meinung. Eine starke Minderheit in Bushs Partei ist entschieden pro choice und macht es den Republikanern schwer, Abtreibung zum wohlfeilen Wahlkampfthema zu machen.
Aber auch die Demokraten, traditionell pro choice, haben Probleme. Pennsylvania, in dessen ländlichen Teilen die Bibel das noch immer meistgelesene Buch ist, hat einen demokratischen Gouverneur. Robert Casey ist Katholik und Vater von acht Kindern. Seine Unterschrift unter das neue Pennsylvania-Abtreibungsrecht war Anlaß des Urteils. "Jemand mußte es tun," meinte Casey und rechtfertigte sich: "Die demokratische Partei war immer die Partei der Machtlosen. Ich glaube, niemand ist stummer und machtloser als ein ungeborenes Kind."
Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich jogge bis heute nicht. Manchmal gehe ich laufen, aber das ist ein anderes Thema.
Auch die Aerobic-Welle, das Working-Out und jede der letzten 679 endgültig revolutionären Diäten sind an meinen Hüften spurlos vorübergegangen. Ich war auch nicht unter den ersten, die Kaschmirpullover trugen oder Porsche-Brillen oder Seidenkrawatten, als die wieder in Mode kamen. Bis heute besitze ich weder ein Autotelefon noch einen Filofax.
Ich habe mich damit abgefunden, daß ich ein Trendmuffel bin. Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt: Wie kann so jemand denn Journalist sein? Bevor sich das auch meine Vorgesetzten fragen, hier die gute Nachricht: Neuerdings bin ich modemäßig ganz weit vorn.
Nach Amerika versetzt, dem Land der freien Auswahl zwischen Cola, Diet-Cola, Cherry-Cola und Cola-Classic, kam ich mir bisher in hiesigen Restaurants verlassen vor, jedenfalls von allen herben Getränken. Bis ich entdeckte: Da gibt es ja noch etwas, ganz unten verborgen auf der Speisekarte, heimlich gebraut im hintersten Winkel der Küche, ein konspiratives Getränk für Außenseiter: Eistee, ungesüßt.
Wie der auf die Speisekarte kam, war mir bis gestern ein Rätsel, wo in den USA doch sogar Würstchen süß sind. Doch dann las ich in der New York Times: Der Eistee war einmal modern, so um 1912 herum. So kam er auf die Speisekarte. Da hat er überwintert, auch als die Mode längst vergessen war. Und jetzt, jetzt ist er "hip".
Die Schicken, Schlanken und Schönen verlangt es nach nichts anderem mehr. Eistee erfrischt, ist "light", macht nicht dick, wirkt irgendwie verrückt, also europäisch, also elegant - Eistee, thatØs it!
Coca-Cola und Pepsi lesen auch und wollen jetzt Eistee in Dosen produzieren. Allerdings, so fand die Getränkeindustrie heraus, eines paßt den meisten Konsumenten nicht: daß Eistee so ganz und gar nicht süß schmeckt. Klammheimlich geben sie ein bißchen Sirup dazu. Oder auch ein bißchen mehr. Schon gibt es Eistee mit Pfirsich- oder Zimt-Aroma. (Igitt!) Auch an Papaya und Mango wird gedacht.
Ich befürchte, die neue Modewelle überrollt mich. Dann sitze ich im Restaurant und weiß wieder nicht, was ich trinken soll, weil auch der Eistee schmeckt wie Cola. Vielleicht steige ich dann um auf heißen Tee.
Vielleicht auch nicht. Denn die New York Times hat ihren Lesern schon verraten, wie der zubereitet wird. Ganz einfach: Man muß nur eine Dose Eistee nehmen und erhitzen.
Es ist ruhig geworden um General Norman Schwarzkopf. Der Held des Golfkriegs ist Rentner und tritt nur noch selten im Fernsehen auf. Dabei hat er sich als ausgefuchster Kenner dieses Mediums erwiesen. In den USA wird jetzt nach und nach bekannt, wie seine Triumphmeldungen aus dem alliierten Hauptquartier zustandekamen.
Der Siegesrausch, der Amerika nach dem Golfkrieg durchwehte, ist längst verflogen. Geblieben sind Katergefühle. Saddam Hussein ist noch immer an der Macht; laut CIA sitzt er fester im Sattel als noch vor einem Jahr. Längst auch ist durchgesickert, daß der angebliche Präzisionskrieg in Wahrheit ganz so sauber und elegant nicht aussah, wie es die Fernsehbilder Glauben machen sollten.
Jetzt mußte das Pentagon gar eingestehen, daß die High-Tech-Bomben der Alliierten keineswegs alle irakischen Abschußrampen für Scud-Raketen ausgemerzt haben. Möglicherweise haben sie nicht eine einzige getroffen. Obwohl doch die Nachrichten während des Krieges voll waren von Treffermeldungen. Ein Pentagon-Sprecher erklärte das am Donnerstag mit der Qualität der Filmaufnahmen. Es sei eben schwierig, in der Dunkelheit von einem Düsenjäger aus gefilmte Objekte eindeutig zu identifizieren. Das klang vor Jahresfrist ganz anders.
Mit Scud-Angriffen auf Israel erschreckte der Irak die Welt. Schon das war verblüffend. Schließlich hatten doch die USA und ihre Verbündeten ihren eigenen Erfolgsmeldungen zufolge bereits in den allerersten Angriffswellen sämtliche Startbahnen und Abschußrampen des Irak zerstört.
Saddam Hussein hat eben auch mobile Scud-Rampen, hieß es, aber wir finden auch die. Am 30. Januar 1991 gab Oberbefehlshaber Schwarzkopf, wie nun schon gewohnt, in seinem saudi-arabischen Hauptquartier eine Pressekonferenz. Er kündigte einen Film an, der, "wie ich denke für sich selber spricht." Fersehzuschauer in aller Welt konnten sodann von ihrem Sessel aus mit den Augen eines F15-Piloten verfolgen, wie sieben schmale, dunkle Objekte in der Wüste ins Blickfeld kamen - ein Sprecher: "Das sind mobile Abschußrampen...schon geladen mit Scud-Raketen" - dann explodierten Feuerbälle, einer nach dem anderen - weil’s so schön war, gleich noch mal in Zeitlupe - der Sprecher: "...damit Sie sehen können, wie die Bomben wirken."
Professor Mark Crispin Miller von der John-Hopkins-Universität nennt die Schwarzkopf-Nummer vom 30. Januar "schiere Phantasie". In seinem demnächst erscheinenden Buch "Die Operation Wüstensturm und der Triumph der Illusion" schildert Miller ausführlich, wie die gezeigten Bilder entstanden.
Die Aufnahmen waren authentisch. Nur waren die länglichen schwarzen Objekte mitnichten Abschußrampen, sondern Lkws. Vermutlich schmuggelten sie Treibstoff über die jordanisch-irakische Grenze. Den F15-Piloten war das klar, schreibt Miller.
Aber warum hat niemand widersprochen, als General Schwarzkopf zwei Tage später mit den Videofilmen dieser Piloten den angeblichen Triumph amerikanischer Waffen über die Hinterlist der Iraker feierte? Miller zitiert einen Offizier: "Wenn man vor einem Drei-Sterne-General steht, seinem Vorgesetzten, und der sagt zu einem: Verdammt! Das sind Scuds!, dann hat man eine gewisse Neigung zu sagen: Yes, Sir!"
Der US-Geheimdienst sorgte dafür, daß die dunklen Flecken auf den Bildern nicht allzu sehr nach Treibstofftransportern rochen. Sorgsam gechönt kam der Film ins Allierte Hauptquartier zurück, um der Presse präsentiert zu werden. Kein Fernsehsender der freien Welt ließ sich das Schmankerl entgehen.
Miller: "Ein Sieg gutgezielter Propaganda."
"Rose Cipollone strahlt sicher, wenn sie jetzt von oben heruntersieht," versicherte ihr Anwalt. Frau Cipollone ist 1984 an Lungenkrebs gestorben, 58jährig. Jetzt entschied der Oberste Gerichtshof der USA, daß ihre Nachkommen die Tabakindustrie auf Schadenersatz verklagen dürfen. Den US-Zigarettenherstellern könnte es nun ergehen wie einst der Asbestindustrie: durch Klagen in die Pleite getrieben zu werden.
Die US-Tabakindustrie ist seit langem in der Defensive. Rauchen hat ein schlechtes Image. Manche Firmen stellen nur noch ein, wer versichern kann, während der letzten zwölf Monate keine Zigarette angefaßt zu haben. Der Staat Maryland hat gerade eben das Rauchen in und um Schulen generell verboten.
Die Zahl der Raucher sinkt seit Jahren stetig. 1991 wurden landesweit 510 Mrd Glimmstengel verqualmt, 1981 waren es noch fast 640 Mrd. Gleichzeitig stieg die Zahl der Amerikaner, die an Lungenkrebs starben, dramatisch an. Der Grund: Die Kettenraucher der 50er bis 70er Jahre bekommen die Folgen ihres Lasters mit Verspätung zu spüren.
Wie Rose Cipollone. 42 Jahre lang hat sie heftig geraucht. Sie hat damit auch nicht aufgehört, nachdem seit Ende der sechziger Jahre auf allen Packungen Warnungen stehen mußten: Rauchen kann Krebs verursachen.
Unter Hinweis auf diese Warnungen hat die Tabakindustrie bisher alle Schadenersatzklagen abschmettern können. Sie wurden in der Regel gar nicht erst zugelassen. Nicht einen einzigen Cent hat die Industrie bisher an die Hinterbliebenen von Lungen- und Mundkrebsopfern auszahlen müssen. Vor Gericht eilt ihr der Ruf der Unbesiegbarkeit voraus. Das könnte sich nun ändern.
Der oberste Gerichtshof entschied: Von nun an sind Klagen zulässig, die auf dem Verdacht basieren, daß die Tabakindustrie Informationen über die Schädlichkeit ihrer Produkte zurückgehalten hat. Oder darauf, daß sie in ihrer Werbung lügt und betrügt. Rose Cipollone hat argumentiert, sie habe weitergeraucht in dem Glauben, ihre Sorte sei besonders "mild". So stand es in der Werbung.
Ein Sprecher der Zigarettenfirma Philip Morris gab sich nach dem Urteil gelassen. Mit Lug und Trug habe sein Unternehmen nichts im Sinn, versicherte er. Auch die Börse zeigte keine Zeichen von Beunruhigung.
Dabei hatte mit diesem Urteil niemand gerechnet. Der Oberste Gerichtshof gilt in seiner heutigen Zusammensetzung als ausgesprochen industriefreundlich.
Die Zuversicht der Tabakindustrie beruht darauf, wie schwer es sein dürfte, ihr im Einzelfall Betrugsabsichten nachzuweisen. Außerdem nehmen Gerichte Klägern ungern ab, sie seien nicht ausreichend über die Gefahren des Rauchens im Bilde gewesen.
Aber es gibt auch Richter wie Lee Sarokin in New Jersey. In einem aufsehenerregenden Fall, der jetzt neue Chancen hat, vor Gericht zu kommen, verdächtigte der Richter die Tabakindustrie der Verschleierung und der Desinformation. Er ordnete die Herausgabe interner Dokumente an.
Eine Berufsgruppe wittert in jedem Fall Morgenduft: die der Anwälte. Ihnen stehen lukrative Fälle ins Haus. Der Kampf geschädigter Raucher gegen die Zigarettenhersteller sei immer wie der Kampf David gegen Goliath gewesen, ließ sich einer von ihnen frohlockend vernehmen, nur: "Vor diesem Urteil hatte David keine Schleuder. Jetzt haben wir eine."
"Die hätten auch den Papst verurteilt," glaubt Michael Strippoli, Frührentner aus Queens, einem Stadtteil von New York. Strippoli war unter den Demonstranten, die am Dienstag gegen die Verurteilung des Mafia-Bosses John Gotti zu lebenslanger Haft auf die Straße gingen. Für sie ist das harte Urteil - vorzeitiger Straßerlaß ist ausgeschlossen - Ausdruck angelsächsischer Willkürjustiz.
Nach Polizeischätzungen hatten sich bis zu tausend aufgebrachte Menschen vor dem Gerichtsgebäude in Brooklyn versammelt. Mehrere Autos gingen zu Bruch, acht Polizisten wurden verletzt, sieben Menschen verhaftet.
Nach öberzeugung des Gerichts hat Gotti 1985 den damaligen Boss der mächtigen Gambino-Familie umbringen lassen, Paul Castellano. Seither ist Gotti Chef des Clans. Der Polizei war es gelungen, ihn heimlich abzuhören und einen seiner engsten Gefolgsleute als Kronzeugen zu gewinnen. Salvatore Gravano, genannt Sammy Bull, durchbrach das Schweigegebot der Mafia und packte aus.
New Yorks Mafiafahndern lag viel daran, gerade Gotti hinter Gitter zu bringen. Dreimal schon hatten sie ihn vor Gericht gezogen, jedesmal kam Gotti wieder frei. Den "Teflon-Don" taufte ihn die Boulevard-Presse, ein Ruf der Unverwundbarkeit eilte ihm voraus. Zumal Gotti stets, auch am Tag seiner Verurteilung, auftritt wie eine Mischung aus Showstar, Politiker und Wirtschaftsführer, elegant gekleidet, mit modischer Krawatte und strahlendem Lächeln. Bilderblättchen und lokale Fernsehsender bauten ihn zu einer Art von modernem Robin Hood auf.
Staatsanwalt Andrew Maloney gibt denn auch zum Teil der Presse die Schuld an den Demonstrationen. Nicht jeder, der protestierte, wirkte bezahlt. Obwohl zweifellos viele, die auf die Straße gingen, in irgendeiner Weise am weitverzweigten Wurzelwerk der New Yorker Mafia hängen. Die meisten weigerten sich, Reportern ihre Namen zu nennen. öber Gotti wußten sie nur: "Zu mir und meiner Familie war er immer sehr nett."
Viele kamen in gecharterten Bussen. Der Staatsanwalt vermutet, daß Gotti-Sohn John Jr. die Proteste organisiert hat.
Die Verteidigung setzt auf eine Berufungsverhandlung. Sie will beweisen, daß Gotti unfair behandelt wurde. Geschworene sollen unter Druck gesetzt worden sein. Für Gottis Anhänger und Teile der New Yorker Presse ist die rauhe Methode, mit der die Justiz der Mafia jetzt zu Leibe Lückt, ein Angriff auf den speziellen italienischen Way of Life, eine Verletzung des Toleranzgebotes. "Auch wir Italiener sind eine Minderheit," meint Michael Strippoli.
Ein anderer Demonstrant, Kenny Saricka (18), gefragt, weshalb er für einen Mörder auf die Straße geht, erwiderte: "So ist die Mafia eben. Die bringen keine Unschuldigen um. Die bringen sich gegenseitig um. Das ist die Art, wie Gotti lebt. Das ist sein Lifestyle."
Bush wird übel beim Gedanken an Perot - Die Schonzeit für den Milliardär aus Texas ist vorüber23/6/1992
Wochenlang konnte H. Ross Perot sagen, was er wollte. Er konnte auch schweigen, wozu er wollte - dem Milliardär aus Texas flogen die Herzen der Wähler zu: Endlich ein Mann, der geradeaus denkt, der Ædenen in Washington’ Zunder gibt, der die großen Probleme des Landes so löst, wie er seinen Reichtum erworben hat, zupackend nämlich und mit Fortune. Dachten sie. Doch allmählich wächst die Skepsis. Einer aktuellen Umfrage zufolge hat sich die Zahl der Amerikaner, die ein negatives Bild von Perot haben, seit März verdoppelt.
Noch immer führt Perot allerdings vor Präsident Bush und dem demokratischen Gouverneur Clinton. Noch immer stehen die selbsternannten Perot-Aktivisten vor den Supermärkten, um Unterschriften zu sammeln. (Nur wenn seine Fans es schaffen, ihn in allen 50 US-Staaten auf die Wahlzettel zu bringen - dafür sind jeweils Tausende, manchmal Zehntausende von Unterschriften nötig - will Perot tatsächlich in den Wahlkampf ziehen, auf eigene Kosten. Das hat er im Frühjahr leicht heraus versprochen.)
Noch ist Perot gar kein Kandidat, aber er tritt längst so auf wie einer. Auch wenn er kein Programm hat. Perot glaubt, die Wähler wollten nicht Papiere lesen, sondern Personen sehen. Genau das ist es, was ihm nun Probleme bereitet.
Denn in Ermangelung konkreter Aussagen zu konkreten Themen hat sich die Presse auf die Erforschung der Frage verlegt: Was für ein Mensch ist dieser Ross Perot?
Wie ein Puzzle setzt sich seither vor den Augen der irritierten ôffentlichkeit das Bild eines Mannes zusammen, der an Ruck-Zuck-Lösungen glaubt und vor allem daran, daß er selbst so ziemlich alles besser machen kann als so ziemlich jeder andere. Eines Mannes auch mit einer Neigung zu Verschwörungstheorien.
(Eingemischt in politische Händel hat sich Perot, der vermeintliche Außenseiter, seit langem gern. Im Weißen Haus war er seit Nixons Zeiten gern gesehen. Wenn die Regierung Geld brauchte für zweifelhafte Geschäfte mit dunklen Figuren - nichts lag näher als ein Anruf bei Perot. Ob es galt, Dokumente über verschollene US-Soldaten anzukaufen, ob es galt, einen Handel mit Entführern einzustielen, Perot half gerne aus.)
Nichts treibt den Selfmademan aus Texas seit zwanzig Jahren so um, wie der Glaube, in Vietnam würden noch immer amerikanische Soldaten festgehalten. Seit der damalige Vizepräsident George Bush ihm 1986 bedeutete, das Weiße Haus glaube nicht an Perots Theorien, hält Perot Bush für einen Versager. "Diese Welt ist voller Löwen, Tiger und Kaninchen," will er damals zu Bush gesagt haben, "und Sie sind ein Kaninchen!"
Viele vermuten in dieser Begegnung den eigentlichen Grund für Perots Einzug in den Wahlkampf: Bush zu zeigen, was Sache ist.
Die Washington Post enthüllte am Wochenende, daß Perot kurz nach diesem Gespräch Detektive auf Bush und dessen Söhne angesetzt hat; in der Hoffnung, finanzielle Verstrickungen zu enttarnen, die Bush 1988 den Wahlsieg hätten kosten können. (Offenbar hat Perot damals vergeblich versucht, die Ergebnisse dieser Schnüffelaktionen in der Presse unterzubringen.
Perot neigt auch dazu, Journalisten zu bedrohen, die ihn allzu bohrend befragen oder Artikel schreiben, die nicht dem Bild entsprechen, das sich der Milliardär gerne von sich selber macht. Mehrere Fälle sind belegt.)
Monatelang hat das Weiße Haus den Perotismus im Lande ignoriert, in der Hoffnung, es handele sich um eine flüchtige Erscheinung. Doch jetzt ist das Bush-Lager zum Angriff übergegangen.
"Man stelle sich vor, dieser Mann hat das FBI und die CIA unter sich. Wer wird dann als nächster ausgeforscht?," fragte sich und die Nation am Montag der Vizepräsident Dan Quayle. Bush-Sprecher Marlin Fitzwater fand die Enthüllungen über Perot "schockierend und erschreckend", Ausdruck eines "bizarren Verhaltens". Und der Präsident selber ließ sich zu der Bemerkung herab, ihm werde "übel", wenn es wahr ist, daß Perot sogar seine, Bushs, Söhne ausspionieren ließ.
Perots Mitarbeiter geben sich alle Mühe, die Enthüllungen herunterzuspielen. Das Ganze sei eine Taktik des Bush-Stabes, sagen sie. Angstmache sei deren einziges Wahlkampfrezept. Dem Wähler einzureden, der andere Kandidat habe einen zweifelhaften Charakter. 1988 ist der damalige demokratische Präsidentschaftskandidat Dukakis im Schlammwahlkampf untergegangen. Und auch Bill Clinton hatte in den Vorwahlen mit der angeblichen "Charakterfrage" zu kämpfen.
Wie Perot mit den Enthüllungen seiner Vergangenheit umgeht, werde darüber entscheiden, ob er im November, wenn es zu den Wahlurnen geht, tatsächlich eine Chance hat, sagen die Experten.
Perot selber versucht es mit Humor: "Morgen werden sie jemanden präsentieren, der behauptet, ich hätte mich mit Außerirdischen getroffen."
Devin Govaere hat die Batman-Kostüme und und -puppen ihrer Söhne im Frühjahr zum Flohmarkt getragen. Das war ein teures Vergnügen. Jetzt muß Mrs. Govaere alles neu kaufen. "Batmans Rückkehr" ist drauf und dran, in den USA der große Filmhit dieses Sommers zu werden. Und keine Sorge: Die Regale in den Spielzeugläden sind prall gefüllt mit brandneuen Kostümen, Autos und Figuren.
Vielleicht ist der Batman-Film von 1989 nicht in die Filmgeschichte eingegangen, in die Verkaufsgeschichte aber allemal. Nicht der Film war das größte Geschäft, sondern das Film-Design. Schwarz wurde zur Modefarbe der Saison in allen Kinderzimmern der Welt. Sofern die Kids auf dem laufenden waren und ihre Eltern bei Kasse.
Zu schön war der Erfolg, um ihn nicht zu wiederholen. Am letzten Wochenende startete "Batman Returns", gleichzeitig in mehr als 2600 amerikanischen Kinos, was eine Rekordzahl ist. Und prompt spielte er auf Anhieb 46,5 Mio Dollar ein, nur an diesem einen Wochenende. Auch das ist ein neuer Rekord. Bisher stand er bei 42,7 Mio Dollar, gehalten von Batman I, 1989.
Diesmal haben sich die Produzenten nach allgemeinem Kritikerurteil auch mit dem Film große Mühe gegeben. Obewohl der ja eigentlich nur Beiwerk ist. Die Produktionskosten werden mit 55 Mio Dollar angegeben. Darin kann aber kaum enthalten sein, was es gekostet haben muß, all die großen Zeitungen und Fernsehanstalten des Landes erneut pünktlich in Batman-Euphorie zu versetzen.
Michael Keaton spielt wieder den Fledermausmann, Ort der Handlung ist wieder Gotham City. Handlung? Sie ist Nebensache. Es geht nicht ja gar nicht darum, was passiert. Es geht darum, was zu sehen ist. Und das ist neben Batman diesmal vor allem Michelle Pfeiffer.
Sie spielt Catwoman, möglicherweise nur, um der geplanten Batmanie eine neue Zielgruppe zu erschließen. Catwoman ist sexy, sie ist unabhängig, sie ist unberechenbar, und sie ist stark. Sie ist feministisch, schreiben manche Kritiker und sind begeistert. Starke Frauen sind gefragt, derzeit in den USA. Besonders wenn sie aussehen wie Michelle Pfeiffer in ihrem hautengen schwarzen Katzenkostüm.
Jack Nicholson spielt diesmal nicht mit, dürfte aber trotzdem verdienen. Unwidersprochenen Meldungen zufolge hat der Hollywoodstar sich 1989 einen Anteil an allen Umsätzen mit Batman-Assecoires gesichert. 50 Mio Dollar könnte ihm das zuspielen, wenn die Rechnung der Batman-Produzenten aufgeht und die Kinder der Welt mit neuen Umhängen, neuen Figuren (Catwoman!) und der neuen Batman-Rakete (8.99 Dollar pro Stück) ausgerüstet werden.
Der Bösewicht im Film heißt diesmal nicht "Der Joker", sondern "Der Pinguin". Danny de Vito hat sich dafür verunstalten lassen, mit langer spitzer Vogelnase, Schwimmhäuten wischen den Fingern und Kugelbauch. Warum ist er so böse, wie er ist? Der Film gibt auch darauf eine Antwort, entliehen aus dem Handbuch Psychoanalyse leicht gemacht. "Ich war das erste Kind meiner Eltern," blickt der Pinguin auf seine traurige Jugend zurück, "aber sie haben mich behandelt, als wäre ich das zweite."
Das ist eine Art von Humor, die dem Intellekt von Filmkritikern offensichtlich schmeichelt. Jedenfalls loben sie durch die Bank die Dialog-Komik des Streifens, die Art, wie der Film sich selber nicht ernst nimmt. Und natürlich das Design, die Bühnenbilder. Die Stilrichtung heißt: Deutscher Expressionismus; düster, bizarr, bedrohlich, aber glänzend.
Die Zeitung USA Today hat nicht Profis den Film beurteilen lassen, sondern Zehnjährige. Und siehe da: Die sind zwar angetan, aber durchweg kritischer als die Herren vom Feuilleton. Rena: "Das Bühnenbild war O.K., aber meistens war es dunkel." Danny: "Der Film ist besser als der erste, nur Michael Keaton müßte eine größere Rolle spielen. Meistens waren ja Catwoman und der Pinguin im Bild." Sarah: "Es war sooo langweilig. Ich habe mich gefragt: Warum können die nicht alle sterben, und der Film ist zuende?"
Dan Quayle macht derzeit viel von sich reden. Der US-Vizepräsident profiliert sich seit Wochen als Anwalt guter alter amerikanischer Werte, als Don Quichote im Kampf gegen den Zeitgeist. Quayles politische Gegner waren schon drauf und dran, ihn ernst zu nehmen. Doch dann rutschte der Vizepräsident aus; auf einer Kartoffel, sozusagen.
Nichts hat den Amerikanern an ihrem Präsidenten George Bush weniger gefallen, als daß er Quayle zu seinem Vize machte. Was Bush dazu veranlaßt hat, konnte oder wollte bis heute niemand so recht erklären. Quayle (41), Sproß einer Verlegerdynastie, gilt als politischer Luftikus. (Seine drei Jahre im Weißen Haus hat er dem Hörensagen nach überwiegend dazu genutzt, seine beachtlichen Fertigkeiten im Golfspiel zu verbessern.)
(Amerika war deshalb verblüfft, als Anfang dieses Jahres ausgerechnet die kritische Washington Post eine siebenteilige Quayle-Serie ins Blatt hob, Mitautor: Watergate-Enthüller Bob Woodward, Tenor: Quayle ist durchaus ernst zu nehmen. Die staunende Öffentlichkeit erfuhr, der Vizepräsident mache sich Gedanken. Und zwischen den Zeilen las sie heraus: Dieser Mann möchte Bush beerben.)
George Bush ist kein Mann der scharfen Töne. Die Treuesten der Treuen im Lager der Republikaner warten seit langem darauf, daß jemand aus dem Weißen Haus heraus all jene Kräfte niedermacht - mindestens verbal -, die aus rechter Sicht dem Land das Mark aussaugen. Als da sind: Homosexuelle, Abtreibungsbefürworter, Umweltschützer, liberale Intellektuelle. Quayle tut ihnen jetzt den Gefallen.
Nach den Plünderungen in Los Angeles, ausgelöst durch einen schwer verständlichen Freispruch für weiße Polizisten, die einen schwarzen Autofahrer blutig geprügelt hatten, schob der Vizepräsident die Schuld an allem dem Verfall der Werte zu. Es fehle dem Lande an Familiensinn, sagte er und kritisierte Fernsehserien wie "Murphy Brown". Deren Heldin hatte in der gerade gesendeten Folge ein Kind zur Welt gebracht, in der Absicht, es ohne Vater großzuziehen.
Zwar brach prompt Spott und Hohn über Quayle herein, wie gewohnt, aber: Er war in den Schlagzeilen. Mehr noch: Auch die liberale Presse räumte ein, daß er ein ernstes Thema angesprochen hat. Die meisten Jugendlichen, die arbeitslos auf Amerikas Straßen lungern, haben kein intaktes Elternhaus.
Quayle zog nach. Kein Tag vergeht seither ohne eine Rede des Vizepräsidenten, mal vor Abtreibungsgegnern, mal vor Kriegsveteranen, mal vor engagierten Christen. Nicht selten verabschieden ihn die Zuhörer mit stehenden Ovationen. Die Verachtung der "kulturellen Elite", ruft Quayle ihnen zu, nehme er gerne in Kauf, ja, er trage sie wie ein Ehrenabzeichen: "Bildungsbürger halten es für einen peinlichen Fauxpas, über schlichte moralische Prinzipien zu reden." Er, Quayle, dagegen spreche aus, was der Durchschnittsamerikaner denkt und fühlt.
Nur leider liest Quayle das, was er öffentlich sagt, in der Regel von Zetteln ab. So auch zu Beginn dieser Woche in einer Grundschule in Trenton, New Jersey. Beobachtet von einem Troß von Journalisten brachte der Vizepräsident Schülern das Buchstabieren bei. Der zwölfjährige William Figueroa sollte das Wort Kartoffel - potato - an die Tafel schreiben. Das tat er auch, korrekt. Nur Quayle war nicht zufrieden. Auf seinem Zettel war potato mit einem "e" am Ende geschrieben: potatoe. Der Vizepräsident drängte den Schüler, das "e" hinzuzufügen. Was der brav machte.
Quayles Stab versuchte, die peinliche Episode geheimzuhalten. Die Schulleitung verbot den Schülern, der Presse Interviews zu geben. Vergeblich. Schüler William versicherte: "Ich wußte, daß er unrecht hat, wirklich. Aber er ist der Vizepräsident. Soll ich mit ihm argumentieren, vor all den Leuten?"˙ Wie ein Lauffeuer machte die Anekdote die Runde. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bill Clinton rätselte in einem Fernsehinterview, wer wohl zu der "kulturellen Elite" gehören mag, deren lockeres Treiben Quayle so schwer im Magen liegt. Clinton genüßlich: "Vermutlich jeder, der potato richtig schreiben kann."
1986 hat die US-Regierung dem Khomeini-Regime in Teheran Waffen verkauft, um Anti-Kommunisten in Nicaragua heimlich zu unterstützen. Stichwort: die Iran-Contra-Affäre. Man hielt das für den größten Skandal der Ronald-Reagan-Jahre. Doch nun plötzlich sieht es so aus, als sei dessen Enttarnung weithin gewollt gewesen - um Ronald Reagan schlimmeres, nämlich eine Amtsenthebung zu ersparen. Am Freitag mußte der frühere US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger als Angeklagter vor Gericht erscheinen.
Ginge es nach dem Willen der Regierung, wäre die Geschichte längst vergessen. Schließlich wurden schon vor Jahren Mitarbeiter des Weißen Hauses aufgrund von "Irangate" rechtskräftig verurteilt, allen voran der Offizier Oliver ("Ollie") North. Er wurde für schuldig befunden, 1986 Geld aus Waffenverkäufen an den Iran nach Nicaragua geschmuggelt zu haben, zugunsten der Contra-Guerillas, die dort gegen die linksradikale Sandinisten-Regierung kämpften. Der Kongreß hatte der Regierung den Geldhahn dafür zugedreht.
Was damals Schlagzeilen machte, könnte sich nun dank unermüdlichen Bohrens eines Staatsanwalts als gigantisches Ablenkungsmanöver erweisen. Der Verdacht: Die süffige Geschichte von North und den Contras wurde bewußt genutzt, um die Aufmerksamkeit von anderen, früheren Waffenlieferungen an die Mullahs abzulenken.
Weinberger war immer gegen jede Art von Geschäften mit dem Khomeini-Regim. Das ist belegt. Deshalb hält er es auch für einen Akt später Rache, jetzt vor den Kadi zitiert zu werden. Die Anklage gegen ihn ist nicht von Pappe. Es geht um Meineid in zwei Fällen. Sollte Weinberger für schuldig befunden werden, droht ihm eine mehrjährige Gefängnisstrafe.
Die Anklage wirft dem heute 74jährigen keineswegs vor, aktiv an den Geschäften beteiligt gewesen zu sein. Aber sie ist der öberzeugung, Weinberger habe Dokumente bewußt zurückgehalten, aus denen hervorgeht, wie die Regierung Reagan die ôffentlichkeit getäuscht hat.
Es wurden nämlich schon 1985 amerikanische Raketen an den Iran verkauft, heimlich, auf dem Umweg über Israel. Nicht um antikommunistische Rebellen in Mittelamerika bei Laune zu halten, sondern um Geiseln im Libanon freizubekommen. Diese Geschäfte liefen nicht nur der offiziellen Politik Ronald Reagans völlig zuwider, sie verstießen auch gegen amerikanische Gesetze. Sie fanden aber, das förderten Untersuchungen der Iran-Contra-Affäre allmählich zutage, auf Anweisung des Präsidenten statt.
Reagans Berater, so vermutet die Anklagebehörde jetzt, fürchteten 1986, Reagan könne ein Impeachment drohen, eine Anklage, wie sie Richard Nixon 1974 wegen "Watergate" zum Rücktritt zwang. Deshalb, das ist der Kern der neuen Beschuldigungen, kam ihnen die Enttarnung der Ollie-North-Aktionen in Mittelamerika gerade recht. Die ôffentlichkeit war beschäftigt. Und die falsche Behauptung, Reagan habe von den Iran-Deals erst 1986 erfahren, half dem Präsidenten bis zum friedlichen Ende seiner Amtszeit über die Runden.˙ Weinberger hat mehrfach, auch unter Eid, ausgesagt, er wisse nichts von einem solchen Vertuschungsmanöver, und er habe alle Akten aus jener Zeit offenbart, auch habe er kein Tagebuch geführt.˙ Doch in der Kongreßbibliothek fanden sich 1700 handschriftliche Notizen Weinbergers, Tagebuchblätter. Bisher hatte außer Weinberger niemand Zugang zu diesen Notizen. Erst vor kurzem gestattete er der Anklage auf deren Druck, einen Teil davon durchzusehen.
Nun ist der zuständige Staatsanwalt davon überzeugt, Weinberger erwischt zu haben. Des Ex-Ministers eigene Notizen, so die Anklage, widerlegen Weinbergers Schwüre.
Dem Vernehmen nach hat die Anklage versucht, Weinberger den Prozeß zu ersparen. Wenn er bereit gewesen wäre, das ganze Ausmaß der Vertuschung zu offenbaren, einschließlich der Schuld des früheren Präsidenten. Weinberger soll das zurückgewiesen haben. Er und Reagan waren zwar verschiedener Meinung darüber, ob man mit Terroristen Geschäfte machen darf - aber sie sind dennoch alte Freunde.
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