Manchmal, im Frühling, tritt der Red River über die Ufer und überspült das Weideland ringsum. Ansonsten spielt er nur noch eine mythische Rolle im täglichen Leben im Süden der USA, im Grenzgebiet von Texas und Arkansas. Und er trennt zwei Orte voneinander, an denen etwas besonders sein muß; Hope und Texarkana. Zwei der drei Bewerber um das Amt des Präsidenten der USA sind hier geboren. Ross Perot in Texarkana und Bill Clinton in Hope. Und der dritte Kandidat würde auch gern von hier stammen. Amtsinhaber George Bush hat aber nur eine Wohnadresse in Dallas zu bieten.
"Southern Living" heißt eine auch im Norden gutverkaufte Illustrierte. Bunte Bilder in warmen Farben erzählen die immergleiche Geschichte von einem anderen, schöneren, einem langsameren Lebensstil. Von einem Land, in dem noch Kutschen fahren könnten. Wo die Mütter noch Plätzchen backen und jeder weiß, was gut ist und was böse. Und wo alle auf eine vornehme Art nett zueinander sind.
Es ist schwer, in Texarkana heutzutage eine Kutsche zu finden. Hier fährt man Auto, wie überall in den Vereinigten Staaten. Hier kann man noch Auto fahren, weil die Straßen nicht verstopft sind wie in L.A. oder New York. Hier findet man jederzeit einen Parkplatz und das umsonst. Texarkana hat 60000 Einwohner, eine kurze, aber bewegte Geschichte und einen Sohn, der hier schon berühmt war, lange bevor er sich zum Präsidentschaftskandidaten ausgerufen hat.
Texarkana entstand, als die Eisenbahnen anfingen, sich durch das weite Land nach Westen zu fressen. Hier auf der Grenzlinie zwischen Texas und Arkansas trafen sich Bahnarbeiter, Händler, Glücksritter, Gauner und Huren. Die Stadt war voller Bordelle, Saloons und Theater.
Als Ross Perot jung war und Zeitungen austrug, herrschten in der Innenstadt Anstand, Recht und Ordnung. Die Hurenhäuser waren ausgewandert in die Vororte. So ist es geblieben. Zeitungsbote Perot wählte die Reviere mit den Bordellen. Hier war der Botenlohn höher.
Auch Saloons sucht man heute vergeblich. Den prächtigen Bahnhof fahren seit langem keine Züge mehr an. Zur Zeit residiert in der Schalterhalle das Hauptquartier der örtlichen Kampagne "Ross Perot for President". Zwei nette ältere Damen freuen sich über jeden Besucher, der Interesse an Buttons, Aufklebern und patriotischen Gummipüppchen zeigt. Ein Transparent grüßt: "Welcome Home, Ross". Daneben hängt ein Jugendbild des Milliardärs.
Perots Geburtshaus steht in einer stillen Vorortstraße, umgeben von Rasen und Bäumen. Hier hat Ross gelebt, bis er mit 19 Jahren zur Marineakadamie in Annapolis ging, 1949. Sein Vater war Baumwollhändler. Dessen Lieblingsspruch war: "Sell it - you can’t eat it! - Verkauf’s, essen kannst Du’s nicht!"
Als Perot seine Firma Electronic Data Systems (EDS) verkauft hatte und unvorstellbar reich geworden war, kaufte er das Haus seiner Eltern zurück. Zu diesem Zeitpunkt war es weiß gestrichen, so wie die Häuser nebenan. In Ross’ Jugend aber waren die Ziegel nackt. Nachbar Richard Griffin erzählt, daß Perot alle Ziegel abnehmen und umdrehen ließ, weil die Farbe anders nicht wegzubekommen war.
Richard Griffin erzählt die Geschichte oft in diesen Tagen. "Aus Deutschland sind Sie? Vor kurzem war schon ein deutscher Reporter hier, so ein großer bärtiger." Auch dem japanischen Fernsehen hat Griffin schon ein Interview gegeben. Er ist Rentner, hat sonst nicht viel zu tun und freut sich über die Abwechselung. Das Haus nebenan, 2901 Olive Street, ist zu einer Medien- und Touristenattraktion geworden. Wen er denn wählen wird im November? Für Richard Griffin ist das keine Frage: "Ross Perot natürlich!" Obwohl - so recht zu glauben scheint er es noch nicht, daß das alles wahr ist, daß einer von hier ins Weiße Haus zieht. Staunend schüttelt er den Kopf.
Die Handelskammer von Texarkana hat rasch ein Faltblatt gedruckt, die "Ross Perot Tour Map". Vom Ross Perot Family Home bis zum Texarkana College sind alle einschlägigen Gebäude eingezeichnet. Auch das Perot Theatre mit seinem prachtvollen Vaudeville-Saal aus den zwanziger Jahren. Bis Perot es auf seine Kosten renovieren ließ, hieß es Saenger Theatre, nach der Amusement Company aus New Orleans, die es einst betrieb.
Robert E. "Swede" Lee, Präsident der Handelskammer, ist auf dieselbe Schule gegangen wie der junge Ross, auf die einzige Privatschule am Ort. Er erzählt es nicht ohne Stolz. Jeder Schultag begann mit einem Fahnenappell und dem Singen der Hymne. Dirigent der Zeremonie: Ross Perot, in seiner Eigenschaft als Pfadfinderführer, als Eagle Boy Scout.
Für Lee wie für viele professionelle Polit-Analytiker liegt in der Texarkana- und Boy Scout-Vergangenheit des Kindes Perot die Wurzel zum Verständnis des Milliardärs und Kandidaten Perot. Des Mannes, der auf eigene Faust inhaftierte Angestellte seiner Firma aus einem iranischen Gefängnis holte, der seinen Einfluß und sein Geld einsetzte, um amerikanische Kriegsgefangene aus Vietnam zurückzuholen, der nun angetreten ist, ganz Amerika wieder zurück auf den Pfad der alten Tugenden zu führen.
Noch nie zuvor hat ein parteiunabhängiger Außenseiter in einem Wahljahr so lange so gute Umfrageergebnisse gehabt wie Perot. Aber kann er tatsächlich Präsident werden? Lee fragt zurück: "Warum nicht?" Die Sowjetunion sei untergeganen, die Mauer in Berlin gefallen, warum sollte nicht auch in Amerika ein grundlegender Wandel möglich sein? Andererseits, fügt er gleich hinzu: "Geht es den Menschen in Rußland heute besser?" Wandel könne eben auch immer bedeuten, daß es schlechter wird. Nein, sagt Lee, er wisse noch nicht, wen er im November wählen wird. "Ross Perot ist eine ehrliche Haut," wiegt er den Schädel, auch Clinton sei "a good guy", aber auchGeorge Bush ist für ihn noch lange nicht abgeschrieben: Da weiß man, was man hat.
Aus dem Perot-Rummel ökonomisch das beste zu machen - die Zahl der öbernachtungen in Texarkana ist drastisch gestiegen - ist das eine, die Wahl im November aber ist ganz etwas anderes. In Robert Lees Worten: "Bei uns im Süden wird am Ende der gewählt, dem die Leute am meisten trauen."
Beatty Rogers traut Perot und mißtraut Hillary Clinton. Sie verkauft die Eintrittskarten im Historischen Museum von Texarkana. Dort werden die spärlichen Reste der ruchlosen Vergangenheit des Ortes in sauberen Vitrinen ordentlich verwahrt. Sie ärgert sich, daß Perot neuerdings in den Zeitungen so schlecht wegkommt. Die Schonzeit für den weißen Reiter aus dem Süden ist vorbei. Die US-Presse geht mit Perot jetzt genauso kritisch ins Gericht wie mit jedem anderen Kandidaten.
"Dabei ist er doch so ein anständiger Mann," beklagt sich Beatty Rogers, "einer, der für neue Ideen sorgt." Sie kann es nicht fassen.
Was sie von Clinton hält? Schließlich stammt der auch aus der Gegend. "Clinton? - Der ist gut für Arkansas." Aber seine Frau, Hillary, das sei eine durchtriebene Person. Frau Rogers hebt Kinn und Finger und fügt leise hinzu: "Wenn alles vorbei ist, läßt die sich sicher scheiden. Passen Sie auf!"
Hillary Clinton stammt aus Chicago und verdient als Anwältin ein Mehrfaches von dem, was ihr Mann als Gouverneur von Arkansas nach Hause trägt. Außerdem hat sie sich einst abschätzig über Frauen geäußert, die darin aufgehen, daheim Plätzchen zu backen. Jedenfalls wurde sie so zitiert.
Die eine Seite der Hauptstraße in Texarkana ist texanisch, die andere liegt in Arkansas. Nur das Postamt, auch das ein Prachtbau aus besseren Tagen, ankert mitten auf der Avenue. Kein Zweifel: Die "bessere" Hälfte der Stadt liegt im reichen Texas. Von der ôl- und Geldmetropole Dallas aus betrachtet liegt Arkansas hinterm Wald. Im Museum kann man eine Ansichtskarte kaufen. Sie zeigt das Postamt und davor einen Mann und einen Esel. Unterschrift: "A man in Texas, his ass in Arkansas."
Mike C. Connor stammt aus New York, lebt aber schon lange in Texarkana, Texas. Hier hat er einen Job gefunden. Hier ist das Leben ruhig und bezahlbar. Er nennt sich Assistant Scout Executive. Sein Schreibtisch steht im Perot Scout Service Center. 50000 Dollar hatten die Boy Scouts von Perot einst als Zuschuß zum Bau erbeten, erzählt Connor. Perot hat dann gleich alles bezahlt. Dafür hängt jetzt sein Bild in der Eingangshalle, über einer Glasvitrine.
Perots Aufstieg in die Schlagzeilen hat auch das Image der Scouts wieder aufpoliert, freut sich Connor. Zuletzt war in den Zeitungen arg viel über Homosexualität unter Pfadfindern zu lesen gewesen. Zwar stammten die Beispiele aus dem fernen Kalifonien, aber: "Das hat uns hier doch sehr geschadet."
Ross Perot hat vor kurzem versichert, er sei noch nie im Leben einem Homosexuellen begegnet. Jedenfalls sei ihm das nicht aufgefallen. Fremdzugehen war Perot-Angestellten bei EDS unter Strafe des Rauswurfs verboten.
In der Vitrine liegen die Reliquien eines Pfadfinderlebens; Perots Brustbeutel, Gürtel, Tasche, Feldflasche, seine Schärpe mit Ehrenzeichen - "Be prepared, Sei vorbereitet" -, sein Hut und sein Handbuch, abgegriffen und zerlesen.
Perot erträumt sich für ganz Amerika Verhältnisse, wie sie im Texarkana der fünfziger Jahre herrschten, meint Connor, wo dem Tüchtigen die Welt gehörte, die Familien intakt und Drogen unbekannt waren, wo, wer in Not war, Nächstenliebe erfuhr: "Aber das funktioniert nicht." Connor: "Die Frauen können sich auch hier längst nicht mehr nur um die Familie kümmern. Sie müssen Geld verdienen."
Der Southern Style, so sieht es Connor, sei eine schöne Illusion: "Perot wird das schon noch merken - falls er gewählt wird."
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