Eine umrankte Terrasse mit Blick auf die Altstadt. Vom Grill her duftet es nach Köfte und Hühnchen. Junge Menschen diskutieren angeregt über Politik, trinken Bier, lachen. Nichts an diesem Bild ist normal, geschweige denn selbstverständlich.
Denn die Stadt ist Jerusalem. Eine geteilte Stadt, voller Hass, Angst und Vorurteilen. Am Grill steht Margaret Kirreh. Die jungen Leute sind teils Palästinenser, teils Israelis, teils Deutsche; teils Christen, teils Moslems, teils Juden. Die Israelis waren beim Militär, die Palästinenser haben in der 2. Intifada gekämpft, gegen Israelis. Das Taybeh Bier kommt aus Ramallah im palästinensischen, von Israelis ummauerten Westjordanland.
Im Ortsteil Silwan, wo Ahmad mit seiner Familie wohnt, glauben israelische Archäologen die Fundamente eines Hauses gefunden zu haben, in dem zu biblischen Zeiten David gewohnt haben soll. Der mit der Steinschleuder. Jetzt erhebt sich in Ahmads Nachbarschaft ein prächtiger Museumspark, "City of David" genannt - wo zuvor Wohnhäuser standen, die Palästinensern gehörten.
Ost-Jerusalem ist palästinensisch. Aber die Palästinenser haben nichts zu sagen. Die israelische Stadtverwaltung ist für die ganze Stadt zuständig. Den palästinensischen Teil lässt sie verrotten, klagen Palästinenser - und das bestätigt der Augenschein. Die Palästinenser boykottieren die Stadtratswahlen und verweigerten jede Zusammenarbeit, geben Israelis zurück; sie dürften sich also nicht wundern, wenn ihre Interessen nicht vertreten werden.
Das Haus an der Ein Rogel Street mit der Nummer 22 steht auf der „Grünen Linie". Diese Linie, irgendwann grob mit einem Filzstift auf einer Karte gezogen, trennt Israels Staatsgebiet von Palästinenserland, Westjerusalem von Ostjerusalem. „Bis zur Hausnummer 16 fahren israelische Taxis, weiter trauen sie sich oft nicht," hat Britta Lenz immer wieder beobachtet.
Am sonst unauffälligen Haus mit der Nummer 22 klebt ein Juso-Aufkleber - die Faust mit der Rose. Britta Lenz arbeitet hier, zusammen mit Raana Gräsle und Cheb Kammerer, als – solche Wörter denken sich Deutsche aus – „Friedensfachkräfte“. Sie versuchen, im Auftrag des Fördervereins Willy-Brandt-Zentrum e.V. und letztlich der Jungsozialisten, zusammenzubringen, was nicht zusammen kommen soll.
Nichts an der Grünen Linie ist grün. Oft ist die Grenze allenfalls spürbar. Anderswo zieht sich eine martialische Betonmauer durchs Land und durch Städte, trennt Straßenseiten, Häuser und Gärten, ist nur an Check Points zu passieren. Das kann – für Ausländer und Israelis – ganz schnell gehen. Oder es kann Stunden dauern oder gar nicht möglich sein. Es kommt auf den Pass an, auf die Nachrichtenlage und auch aufs Nummernschild des Autos.
Israel-Palästina ist ein Land voller Widersprüche. Nichts ist eindeutig. Die Mauer und eine tiefe mentale Schlucht, gegraben von Vorurteilen, Ängsten, Enttäuschungen und Provokationen, trennen Menschen, die für den Außenstehenden einander verblüffend ähnlich sind; im Auftritt, im Denken, beim Lachen. Es wird viel gelacht in einem Land, in dem selbst Spielplätze mit Bunkern ausgestattet sind: um Schutz vor palästinensischen Raketen zu bieten.
„Juden und Palästinenser leben nicht nebeneinander“, das ginge vielleicht, „sondern übereinander,“ ortet Michael Bröning die Quelle des nie versiegenden Hasses, der dieses kleine, von der Natur verwöhnte Land verseucht. Bröning arbeitet für die Friedrich-Ebert-Stiftung in den palästinensischen Gebieten und macht dem WBZ das wohl größte Kompliment, das unter befreundeten, aber auch konkurrierenden Organisationen möglich ist: „Es gibt keinen Mangel an schönen Scheindialogen, an Orten, wo Juden und Araber zusammengebracht werden und wo es heißt: Wir lassen die Politik mal außen vor. So was lässt sich prima abrechnen.“ Doch das Willy-Brandt-Zentrum sei anders. Es sei der einzige Ort im Nahen Osten, wo es noch ernsthafte politische Gespräche zwischen beiden Seiten gibt. Zwischen Nachwuchspolitikern beider Seiten.
Wie Maya Peretz, 24, die sozusagen in der Arbeitspartei aufgewachsen ist. Maya studiert an der Hebräischen Universität Internationale Beziehungen und Deutsche Kultur. Sie ist überzeugt, dass es klare, vernünftige Grenzen geben muss zwischen einem israelischen und einem palästinensischen Staat: „Wir müssen lernen, gute Nachbarn zu sein.“ Erst dann könnte die Grenze vielleicht auch wieder überflüssig werden, eines – wohl sehr – fernen Tages.
Nimala Kharoufeh, 29, hingegen hält von Grenzen gar nichts. Sie ist Mitglied des Führungssekretariats der Fatah Jugend in der Westbank. Sie stammt aus einer christlichen Familie und war die erste Frau, die an die Spitze der Studentenschaft an der (palästinensischen) Bethlehem University gewählt worden ist. Die Grenze trennt sie von ihren Eltern. Denn die haben nicht wie sie eine „Jerusalem ID“. Sie ist – „Das ist meine persönliche Meinung.“ – von den Versuchen enttäuscht, im Schatten der Mauer einen palästinensischen Staat aufzubauen. Sie wäre dafür, die Israelis „machen zu lassen“ und zu sehen, was geschieht.
Nimala ist mit dem bewaffneten Kampf gegen israelische Besatzungssoldaten groß geworden und zur Gewaltlosigkeit konvertiert. Sie wurde von der Fatah ins WBZ geschickt, um dort gegen die „Politik der Normalisierung“ anzugehen. Sie hat ihre Meinung radikal geändert. „Wir haben alles probiert: Krieg, Verhandlungen, Grenzziehungen,“ alles ohne Erfolg. Jetzt bleibe nur der gewaltfreie Widerstand. Und das Gespräch, denn: „Es ist leichter, jemanden zu töten, den wir nicht kennen.“
Das WBZ sei „auf einzigartige Weise einzigartig, unvergleichlich“, schwärmt Edan Kaushany, 36, der in einem „Stadt-Kibbuz“ in Tel Aviv lebt. Er leitet das Internationale Komitee der lernenden und arbeitenden Jugend (Noal), den zweitgrößten Jugendverband Israels. Nach der Ermordung Yitzhak Rabins durch einen extremistischen Juden und nach der 2. Intifada seien Gespräche zwischen den verfeindeten Seiten unmöglich geworden: „Von 2004-2007 redete niemand mit niemandem.“ Erst und nur das WBZ habe das gegenseitige Anschweigen gebrochen. „Hier stellen wir uns den härtesten Fragen.“ Das WBZ kombiniere Bildungsarbeit mit dem Aufbau persönlicher Beziehungen. „Ich habe nichts Vergleichbares gesehen.“
Wir treffen Edan in einem Büro in Beit Jala, im Westjordanland, zusammen mit Ali Hlayl, 27, und Amin Neezal, 30. Das WBZ hat hier einen Seminarraum für israelisch-palästinensische Zusammentreffen angemietet, weil Westbank-Palästinenser wie Ali und Amin nicht nach Jerusalem einreisen dürfen. Ali ist Internationaler Sekretär der Independence Youth Union Palestine (IYU). Amin organisiert Seminare zum gewaltfreien Widerstand mit Kindern und Jugendlichen.
Ali ist von Beruf Informatiker, „aber mit Kindern und Jugendlichen ist mehr zu bewegen als mit Computern.“ Willy Brandts Entspannungspolitik - "Wandel durch Annäherung" - gilt ihm als Vorbild für das, was sich zwischen Arabern und Juden ereignen müsste. „Willy Brandt ist bei uns bekannter als Karl Marx.“
Menschen wie Maya und Nimala, Edan, Amin und Ali repräsentieren nicht die Mehrheit in ihren Gesellschaften. Ganz im Gegenteil. „Auf der israelischen Seite bist Du ein Spinner, wenn Du mit Palästinensern redest,“ beschreibt Raana Gräsle die Lage mit schwäbischer Direktheit.
„In Israel kannst Du immer sagen, was Du willst – aber sie versuchen, ihre Leute zur Loyalität zu zwingen,“ ergänzt Cheb Kammerer. Das gehe so: Wer Übergriffe gegen Palästinenser kritisiert, kritisiert die Armee, wer die Armee kritisiert, gefährdet Israels Sicherheit, wer Israels Sicherheit gefährdet, ist gegen Israel.
Auf der anderen Seite ist der Druck nicht geringer. Nimala Kharoufeh hat oft gehört: „Lass das!“ Rede nicht mit Israelis! Rede nicht mit Mördern! Du verrätst Dein Volk! Noch dazu als junge, unverheiratete Frau. Der Fatah-Führung gehören nur Männer an. „Es war so hart,“ sagt Nimala. Lächelnd.
Ja, sie habe ein paar mal daran gedacht aufzugeben. „Es war nicht leicht.“ Aber sie sei sich eben darüber klar geworden, was der „richtige Weg“ ist. „Wir müssen die Stereotypen überwinden, wir müssen die Gewalt beenden.“ Auf beiden Seiten. „Das ist meine Überzeugung.“ Und zu Überzeugungen müsse man stehen. Die Jugendbewegungen in Tunesien und Ägypten gäben ihr viel Kraft.
Nimala will keine Mauern und Grenzen und Passkontrollen. Ihr ist – „Das ist meine persönliche Meinung!“ – auch egal, wer im Gelobten Land regiert. Sie will „nur, was ich von jedem Staat erwarte: dass er meine Würde respektiert und die Freiheit des Worts.“
Kasten:
Der Start: Enttäuschte Hoffnungen und ein "jüdisches Vermächtnis"
1994 reichten sich Yassir Arafat und Yitzhak Rabin die Hand. Frieden im Gelobten Land schien greifbar nahe. Die Jusos, geführt von Andrea Nahles, gründeten 1996 das Willy-Brandt-Zentrum, "als Ort der Begegnung und Kommunikation
zwischen jungen Menschen aus Deutschland, Israel und Palästina". Doch 2001 waren gemeinsame Seminare nicht mehr möglich. Umso wichtiger wurde das WBZ: es konnte vermitteln. 2003 wurde das Haus an der En Rogel St. gemietet, 2008 gekauft, mit Hilfe eines "jüdischen Vermächtnisses". Peter Sondermann, 1938 aus Deutschland in die USA emigriert, hatte der SPD eine große Summe Geldes vererbt, mit der Auflage, es für ein "Friedensprojekt im Sinne Willy Brandts" zu verwenden.
(vorwärts 07/2011)