Zweitens hat Berlin angeblich selbst eine Mitte. Jedenfalls behaupten das Touristen und die, die dort wohnen. Also Schwaben und Kreative. Menschen, die nicht wissen, dass man Brötchen „Schrippen“ nennt.
Die Mitte ist jener Ortsteil Berlins, den echte Berliner prinzipiell nicht betreten. Erstens (siehe oben), weil dort, wo sie leben - also in Schöneberg, Lichterfelde oder Neukölln - sowieso die wahre Mitte ist.
Zweitens, weil in der Gegend zwischen dem Brandenburger Tor, dem Potsdamer, dem Rosenthaler und dem Alexanderplatz Berliner Subventionsempfänger weder leben können noch wollen. Alles viel zu teuer. Currywurstfritten vierfuffzig: Nee, det gloobste nich! Und dann die vielen Schwaben und Politiker und Touristen! Alles fremdbesetzt. Wie die reden! Englisch, Spanisch, Transnistrisch - jedenfalls weder Türkisch noch Deutsch, wie es sich gehörte. Da fühlste Dir fremd.
Dabei ist der Berliner insgeheim natürlich schon ein bisschen stolz, dass seine Stadt jetzt so ungeheuer angesagt ist, bei Schwaben aus der ganzen Welt.
Junge Amis haben Stars und Stripes in den Augen, wenn sie von Berlin erzählen. Wo man für 4,50 Euro satt wird. Wo man beim Flanieren ungestraft ein Wegbier süppeln kann. Das Schönste, jedenfalls für kreative junge Amis mit betuchten Eltern: für den Preis eines fensterlosen New Yorker Wohnklos sind in Berlin ganze Häuser zu mieten! Und überall wird Englisch getalkt. Also jedenfalls in Mitte.
Berlin ist „open“ rund um die Uhr. Ständig und überall fahren Bahnen und Busse. Für peanuts, man! Cafés, die auf sich halten, bieten Breakfast auch weit nach 16 Uhr noch an. Irgendwelche Geschäfte sind immer geöffnet. Uhren und Gedächtnisse werden überflüssig. Welchen Tag wir haben? Wie spät es ist? Egal. Wer will das wissen? Jung und kreativ, alt und dement: so kommt man sich näher. Alles fließt, da, wo die Mitte ist.
Schöne Grüße
(Brief aus Berlin, für ID55/Juli 2013)