Uwe Knüpfer
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US-Vorwahlen: Auszählreim - bald sind es nur noch acht

7/2/1996

 
Die Vorwahlen in den USA erinnern an das Lied von den Zehn Kleinen Negerlein. (Das Wort Negerlein wäre in den USA aus Gründen der Political Correctness geächtet.)

Noch bewerben sich neun Kandidaten um die Ehre, als offizieller Kandidat der Republikanischen Partei im November Präsident Bill Clinton herausfordern zu dürfen. Wähler in den US-Bundesstaaten treffen die Auswahl, in Staat nach Staat. Aus zehn Kandidaten werden neun werden acht werden sieben...: Spätestens im Mai dürften wir wissen, wer das Vorwahlgemetzel überlebt haben wird.

Was die Amerikaner da treiben, ist eine merkwürdige, aber effektive - und für den unbeteiligten Beobachter unterhaltsame - Form von Demokratie.

Kaliforniens Gouverneur Wilson schied schon vor Monaten aus: Er brachte nicht genug Spendengeld zusammen, fiel damit durch den ersten ernsten Test für jeden amerikanischen Politiker. Nun scheint es Phil Gramm zu erwischen. Ihm fehlt es nicht an Sponsoren, wohl aber an Charisma.

Gerade mal 30000 Wähler im US-Bundesstaat Louisiana haben sich an der ersten parteiinternenen Abstimmung des diesjährigen Präsidentschaftswahlkampfs beteiligt. Nur zwei der republikanischen Kandidaten traten hier an, Phil Gramm und der mindestens so konservative Journalist Pat Buchanan. Der Rest boykottierte diesen "Caucus". Louisiana hatte sich vorgedrängelt: Traditionell genießen die Staaten Iowa und New Hampshire das Privileg, den Reigen der Vorwahlen zu eröffnen. Die meisten Kandidaten wollen es dabei belassen, blieben aus Treue zur Tradition dem Rennen in Louisiana fern, vor allem die Favoriten: Senator Bob Dole und Verleger Steve Forbes.

Gramm trötete seit Monaten - allzu laut -, er werde in Louisiana souverän siegen und Dole und Forbes so auf die Fersen rücken. Nun hängte ihn Buchanan mit 62 zu 38 % ab. Buchanan hat kaum Chancen, am Ende auf den Kandidatenschild gehoben zu werden, aber Gramm hat nun ernste Probleme. Er wird an seinen riesenhaften Erwartungen gemessen und erwies sich als Gnom. Wenn ihm nicht in der nächsten Woche in Iowa ein strahlender Erfolg gelingt, sind es nur noch acht.

Porträt Richard Nixon: "ich glaube an den Kampf" - wie der 37. US-Präsident noch heute die Gemüter seiner Landsleute erregt

7/2/1996

 
Amerikas schweigende Mehrheit hat ein Wallfahrtsziel. Es ist ein kleines weißes Holzhaus, versteckt von einem mächtigen Flachbau aus Glas und Beton. In dem kleinen weißen Haus in Yorba Linda wurde Richard Milhous Nixon geboren, neben ihm liegt er begraben. Der mächtige Flachbau ist ein Museum. Das Museum hat nur ein einziges Thema: Nixon. Hier hat er endlich immer recht, unwidersprochen, der 37. Präsident der USA, der umstrittenste dieses Jahrhunderts.

Heute betreten das Museum, still, zögerlich, forschend, auch viele, die Nixon nie gewählt, die einst gegen ihn demonstriert, die ihn beschimpft haben. Sie werfen einen zweiten Blick, einen Blick zurück, auf eine Abzweigung auf ihrem Lebensweg, an der sie vorbeigeeilt sind.

Das Wort von der "schweigenden Mehrheit", Nixon hat es berühmt gemacht. In Nixon wie in keinem anderen US-Präsidenten dieses Jahrhunderts erkannte sie sich wieder, diese Mehrheit hart arbeitender, pünktlich ihre Steuern zahlender, Recht und Ordnung liebender Amerikaner der Weltkrieg II-Generation. Oder, wie der Regisseur Oliver Stone seinen Film-Nixon vor dem Bildnis John F.Kennedys bemerken läßt: "In Dir haben sie gesehen, was sie gerne wären. In mir sahen sie, was sie sind." Stone ist einer der späten Nixon-Ergründer aus der einstmals lauten Minderheit.

Kein US-Politiker dieses Jahrhunderts feierte mehr Comebacks als Nixon, keiner ging durch bitterere Niederlagen. Nixon ließ zeit seines Lebens und läßt noch heute, zwei Jahre nach seinem Tod - niemanden kalt: Man verehrt ihn oder man haßt ihn. Manche, wie Stone, tun beides zugleich.

Können Sie sich vorstellen," hat Nixons Sicherheitsberater und Außenminister Henry Kissinger einen Reporter gefragt, "was dieser Mann gewesen wäre, hätte ihn jemand geliebt?"

Nixon war ein gewiefter Taktiker, ein raffinierter - und skrupelloser - Wahlkämpfer, ein Pionier der Fernsehdemokratie, ein klarer Analytiker, ein energischer Reformpolitiker - unter Nixon kamen die USA zu ihren ersten ernsthaften Umweltschutzgesetzen - ,am Ende reifte er gar zum visionären Staatsmann. Zahlreiche Bücher über Politik, vor allem über Außenpolitik, hat er geschrieben, und immer waren sie lesenswert und lesbar. Noch kurz vor seinem Tod schrieb Nixon "Beyond Peace", eine Mahnschrift an Isolationisten in der eigenen Partei und an den jetzigen US-Präsidenten Bill Clinton, sich in der internationalen Politik nicht hinter Bündnissystemen zu verstecken: "Amerika muß führen."

Clinton hat sich seither, bewirkt durch was auch immer, vom außenpolitischen Wackler zum mutigen Handler entwickelt. Siehe Bosnien.

Nixons mutigster Akt der Außenpolitik war die Annäherung der USA an das kommunistische China. Nur ein erprobter Kommunistenfresser wie Nixon konnte sie innenpolitisch durchsetzten: Jeder andere Politiker wäre, so geht das Bonmot, dafür niedergemacht worden: von Nixon. So wie der junge Kongreßabgeordnete Richard Nixon Ende der vierziger Jahre einen Diplomaten des State Department, Alger Hiss, als Spion Moskaus enttarnte - oder verunglimpfte: Der Streit darüber ruht bis heute nicht. Hiss ging ins Gefängnis, Nixon wurde zum Senator gewählt. 1953 wurde er, gerade vierzigjährig, an der Seite Dwight D. Eisenhowers Vizepräsident der USA. Antikommunismus hatte Hochkunjunktur. Die Zukunft, sie schien Nixon zu gehören.

Die Enttäuschung folgte 1960. Nixon war zuversichtlich, Eisenhower zu beerben. Aber ein junger Senator der Gegenpartei, der playboyhafte John F. Kennedy, schlug ihn mit dem hauchdünnen Vorsprung von 118000  Stimmen; aus 60 Mio abgegebenen Stimmen. Nixon sah es als eine Verschwörung der Osküstenelite von Geld- und Bildungsadel gegen ihn, den Underdog aus Kalifornien. Von Wahlbetrug war die Rede, aber Nixon ging dem nicht nach: "Ich glaube an den Kampf", hat er einmal gesagt - und ein Kämpfer muß einstecken können.

Außer Bill Clinton wuchs kein US-Präsident dieses Jahrhunderts unter armseligeren und schwierigeren Umständen auf als Nixon. Sein Vater war ein erfolglos rackernder Zitruspflanzer. Die Mutter betrieb einen Lebensmittelladen. Die Kinder halfen mit. Zwei Brüder Richard Nixons starben früh an Tuberkulose. Nur so wurde der Weg  zur Universität für Richard frei: Mehr als ein Studium konnten die Eltern nicht finanzieren.

Von seiner Mutter lernte der weder besonders schöne noch besonders starke noch auffällig kluge Richard nie aufzustecken. In seinen eigenen Worten: "Wenn Du einigermaßen intelligent bist und wenn deine Wut tief und stark genug ist," kannst du alles erreichen "während die, die alles haben, auf ihren fetten Hinterteilen sitzen."

Die, "die alles haben", zeigten Nixon ein ums andere mal, wo seine Leisten sind. Aber Nixon rappelte sich immer wieder auf.

Nach der Niederlage gegen Kennedy bewarb er sich 1962 um das Amt des Gouverneurs von Kalifornien. Vergeblich. Er verabschiedete sich von Reportern mit dem legendär-trotzigen, wenn auch wenig visionären  Satz, nun hätten sie "keinen Nixon mehr, den sie herumschubsen können."

1972 sorgten zwei Reporter der Washington Post dafür, daß sich der Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei zu einer Affäre auswuchs, die Nixon zu Fall brachte, zum Watergate-Skandal, zum erzwungenen Rücktritt des Präsidenten zwei Jahre später. Der Auftrag zum Einbruch war aus dem Weißen Haus gekommen. Nixon stolperte über seine Versuche, dies zu vertuschen - und über seine Eitelkeit, die ihn trieb, alle Gespräche im "Oval Office" heimlich auf Tonband mitschneiden zu lassen.

In den Rückzugsgefechten um Watergate opferte Nixon Mitarbeiter und Freunde, ohne erkennbare Skrupel. Das trugen ihm selbst Verehrer lange nach. Spiro Agnew, den Nixon 1973 zum Rücktritt vom Amt des Vizepräsidenten trieb, wechselte danach niemals wieder ein Wort mit dem Weggefährten von einst.

Nixon war sich keiner Schuld bewußt. Tricks - auch schmutzige Tricks - gehörten für ihn stets zum Geschäft. Von "Tricky Dick" schauen US-Politiker bis heute ab, wie man Gegner anschwärzt, fertigmacht und darüber Wahlen gewinnt.

1968 hatte Nixon die Wahl zum Präsidenten mit dem Versprechen gewonnen, den Vietnamkrieg zu beeenden. Angeblich besaß er einen "Geheimplan". Sein Versprechen hielt er erst fünf Jahre später, nach massiver Steigerung der Kriegsanstrengungen, nach Flächenbombardements von Kambodscha und Hanoi, nach dem Tod von mehr als 50000 US-Soldaten und Hunderttausenden von Vietnamesen. Den "ehrenvollen" Frieden, den Kissinger und Nixon schlossen, und dem bald der Sieg des Nordens über Washingtons Marionettenregierung in Südvietnam folgte, hätte Nixon nach Meinung von Historikern in ganz ähnlicher Form auch schon 1969 haben können.

In den Augen von Demonstranten gegen das US-Engagement in Vietnam war Nixon ein Schurke und Mörder, für Amerikas schweigende Mehrheit schien er Ende der sechziger Jahre das letzte Bollwerk gegen den Verfall von Disziplin, Standhaftigkeit und Moral. "So beginnt der Tod von Zivilisationen," kommentierte Nixon die gewaltsamen Sit-Ins langhaariger, kiffender, die sexuelel Revolution verkündender Studenten.

Einer der Demonstranten jener Tage hieß Bill Clinton. Clintons spätere Frau Hillary arbeitete jenem Kongreßausschuß zu, der Nixons Absetzung betrieb. Aber es war Bill Clinton, der - als Präsident - das tiefe Schweigen um Richard Nixon durchbrach, fast zwei Jahrzehnte nach dessen schmählichem Abtritt. Erst Clinton lud Nixon wieder ins Weiße Haus, als Gast: eine versöhnende Geste über den Graben zwischen den Generationen hinweg. Nixon ergriff die Hand dankbar. Nie hatte er nachgelassen, sein Image zu polieren, auf eine Rehabilitierung zu hoffen. Nicht als Gescheiterter wollte er in Erinnerung bleiben, sondern, so steht es, von ihm selbst verfügt, auf seinem Grabstein: als Friedensstifter.

Viele in Clintons Generation der "Baby-Boomer" erschrecken heute vor der gigantischen Scheidungsrate, vor der Zahl von Kindern, die ohne Eltern und ohne klare moralische Vorgaben aufwachsen, vor der brutalen Jugendkriminalität im Lande, vor der grassierenden Kultur der Gewalt und der Beliebigkeit. Und sie fragen sich: Hatte Nixon vielleicht doch recht? Irgendwo?

Nach 1974 war Nixon in Washington eine Unperson. Sein Nachfolger Gerald Ford gewährte ihm eine Amnestie für alle Vergehen, deren Nixon im Zusammenhang mit Watergate hätte bezichtigt werden können. Ford wurde abgewählt.

"Leute sehen mich und denken," sagte Nixon 1986: "Der muß von den Toten auferstanden sein."

Für den Bau seiner Bibliothek in Yorba Linda erhielt er anders als viele Vorgänger und Nachfolger anfangs keine öffentlichen Zuschüsse.

Dafür flossen reichlich Spenden; aus den Taschen der schweigenden Mehrheit.

Vorladung für Clinton: Duell mit der Justiz

6/2/1996

 
Nun muß auch US-Präsident Bill Clinton vor Gericht aussagen. Doch ein Spektakel wie vor zwei Wochen bei der Vernehmung seiner Frau, der First Lady, ist nicht zu erwarten. Clinton ist nicht verpflichtet, persönlich zu erscheinen.

Das Weiße Haus wird alles tun, den Medienrummel klein zu halten. Das Wahljahr hat begonnen, und Clintons Gegner frohlocken über jede Schlagzeile, die das Wort "Whitewater" enthält.

Whitewater hieß ein gescheitertes Immobilienprojekt in Arkansas, bei dem die Clintons nach eigenen Angaben Geld verloren. Ihre Partner bei dem Deal sind - wegen anderer Vorgänge - des Betruges angeklagt. Der Prozeß soll am 4. März beginnen. Auch Clintons Nachfolger als Gouverneur von Arkansas, Jim Guy Tucker, steht vor Gericht.

Hillary Clinton hatte vor einem anderen Gericht zu erscheinen, vor einer Anklagejury. Die soll feststellen, ob die Regierung im Zusammenhang mit Whitewater irgendetwas vertuscht hat. Die Vernehmung der First Lady war nicht öffentlich. Aber ihr Gang hinein in das Gerichtsgebäude in Washington glich einem Spießrutenlauf. Mit Mikrofonen und Kameras als Spießrutenersatz. Hillary Clinton zwang sich die ganze Zeit zu lächeln. Politische Choreographie verlangt es so: Jeden anderen Gesichtsausdruck hätten Fernsehzuschauer als Zeichen verstehen können, daß die Clintons in wirklich ernsten Schwierigkeiten sind.

Dabei sind die Vorgänge um Whitewater erstens kompliziert, zweitens lächerlich im Vergleich zu früheren Skandalen, die Washington erschüttert haben. Aber sie sind detailreich, was Anlaß zu langwierigen Ermittlungen bietet.

Ein anderer Zeuge in jenem Prozeß in Arkansas hat ausgesagt, die Clintons hätten ihn in den achtziger Jahren gedrängt, einen Kredit zu geben, an eine Sparkasse, die wenig später Bankrott erklärte. Die Sparkasse gehörte James und Susan McDougal, den Whitewater-Partnern der Clintons. Clinton hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einen "Haufen Mist" genannt. Das dürfte er nun wiederholen, in gesetzteren Worten.

Die Anwälte der Angeklagten erhoffen sich von der  Vorladung des Präsidenten eine Entlastung ihrer Mandanten. Der Richter nannte den Antrag begründet und vernünftig.

Clinton dürfte seine Aussage in Washington abgeben; entweder vor einer Videokamera oder "live" per Satellitenschaltung hinüber in den 2000 km entfernten Gerichtssaal. Eine Live-Schaltung würde es der Anklage erlauben, Clinton ins Kreuzverhör zu nehmen. Details müssen zwischen den Anwälten beider Seiten ausgehandelt werden. Clinton ließ erklären, er werde "voll kooperieren".

In Person vor dem Gericht in Arkansas zu erscheinen, wird Clinton aber vermeiden wollen. Er kann sich dabei auf keinen geringeren als Thomas Jefferson berufen, den Autor der Unabhängigkeitserklärung der USA.

Jefferson,  Präsident von 1801-1809, weigerte sich, im Prozeß gegen den ehemaligen US-Vizepräsidenten Aaron Burr leibhaftig auszusagen. Er schrieb stattdessen eine schriftliche Stellungnahme und schuf so einen Präzedenzfall. Juristen in den USA streiten seither über das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Justiz.

Die Präsidenten Gerald Ford und Jimmy Carter folgten Jeffersons Vorbild, machten sich aber den technischen Fortschritt zunutze. Sie sandten statt Texten Videobänder ein. Ford sagte 1975 im Prozeß gegen eine Frau aus, die ein Attentat auf ihn versucht hatte. Carter war 1978 Zeuge im Prozeß gegen den mutmaßlichen Investmentbetrüger Robert Vesco. Ronald Reagan wurde nach dem Ende seiner Amtszeit in den Ermittlungen um den Iran-Contra-Skandal vernommen. Auch er schickte ein Videoband.

Zu Jeffersons Zeit waren Skandale noch handfesterer Art. Burr hatte einen politischen Gegner im Duell tödlich verwundet.

Ronald Reagan zum 85.: die Aussicht ist schön - der "große Kommunikator" ist Amerikas prominentester Alzheimer-Patient

6/2/1996

 
Ronald Reagan in kurzen Hosen? Unvorstellbar. Das waren noch Zeiten, als der US-Präsident aussah und sprach, als stellte ihn ein Hollywoodschauspieler dar. In diesem Jahr werden sie ihn wieder besonders schmerzlich vermissen, viele Amerikaner und vor allen Dingen solche, die der republikanischen Partei einen Wahlsieg im November wünschen. "Gebt uns unseren Ronald wieder," werden sie seufzen.

Ronald Reagan, Amerikas 40. Präsident, wird sie nicht erhören. Er feiert seinen 85. Geburtstag am Dienstag abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Amerikas prominentester Alzheimer-Patient ist nahezu taub und so vergeßlich geworden, daß er selbst engste Verwandte oft nicht erkennt.

Er ist nicht mehr "der große Kommunikator".

Seit Kennedy und zuvor Franklin Roosevelt hat es kein US-Präsident so verstanden wie Reagan, Wählern warme Gefühle zu geben. In Kabinettsitzungen schlief er ein, politische Details interessierten ihn nicht. Er hinterließ ein gigantisches Haushaltsdefizit und den größten Finanzskandal der US-Geschichte, die große Sparkassenpleite. Seine Regierung verschob insgeheim Waffen nach Iran und an die Contra-Rebellen in Nicaragua - an Reagan blieb nichts haften. Er war der "Teflon-Präsident".

Eine Fernsehrede, sorgsam inszeniert, ein joviales Augenzwinkern, ein Bonmot - und alles war vergeben. Auch politische Gegner preisen Reagans Charme, seinen Witz und seine Menschlichkeit.

Was er tat, das tat er mit Stil. 1994 offenbarte Ronald Reagan seine Erkrankung - und verabschiedete sich mit einem handgeschriebenen Brief vom amerikanischen Volk: "Ich trete jetzt eine Reise an, die mich in das Abendrot meines Lebens führen wird."

Jammerer mochte er nie.

Reagan verstand es stets, große Ideen auf einen einfachen Punkt zu bringen. Intellektuelle schüttelten überlegen den Kopf, als er die Sowjetunion "das Reich des Bösen" nannte, lächelten süffisant, als er in Berlin forderte, die Mauer müsse fallen. Ja, er ist ein Träumer, aber einer, dessen Träume verblüffend häufig Wahrheit wurden. Er lebte den "American Dream".

Er ist ein Armeleutekind, geboren 1911 in einer Industriestadt in Illinois, in Amerikas Mittelerem Westen. Sein Vater war ein hart trinkender Schuhverkäufer, die Mutter Näherin. Jung-Ronald, genannt "Dutch", galt als schüchternes Kind. Bis Dutch zum erstenmal  eine Bühne bestieg, als Vorleser - und das Publikum applaudierte. "Als ich an jenem Abend die Bühne verlies," schriebt Reagan in seiner 1990 erschienenen Autobiographie, "hatte sich mein Leben verändert."

1932 wurde Reagan Ansager für eine Rundfunkstation, zog bald darauf nach Kalifornien, nach Hollywood. Als Schauspieler drehte er rund 50 Filme. Einer der ganz großen wurde er nie. Man nannte ihn den "Erroll Flynn der B-Filme".

Reagans erste Ehe mit der Schauspielerin Jane Wyman scheiterte früh. 1952 heiratete er Nancy, seine zweite Frau, die Liebe seines Lebens. Keine First Lady beherrschte wie Nancy die hohe Kunst, liebevoll-bewundernd zu ihrem Mann hainaufzublicken.

An Nancys Seite startete Reagan, was seine zweite Karriere werden sollte, die politische. Als Vorsitzender einer Filmschauspielergewerkschaft kämpfte er gegen tatsächliche oder vermeintliche kommunistische Unterwanderer. Der einstige Demokrat und Bewunderer Franklin Roosevelts rückte nach rechts, vollends während seiner Jahre als Sprecher für das Unternehmen General Electric. Reagan wurde zu jenem konservativen Republikaner, als der er der Welt in Erinnerung blieb. Reiche Freunde hielten ihn fortan großzügig aus.

Zweimal wurde er zum Gouverneur von Kalifornien gewählt (1966-1974), zweimal bewarb er sich vergeblich um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei (1968 und 1976). Beim dritten mal war er erfolgreich. 1980 besiegte er Amtsinhaber Jimmy Carter haushoch (51 zu 41 %). 1984, gegen Herausforderer Mondale, brachte es Reagan gar auf 59 % . Im Jahr zuvor hatte er einen Attentatsversuch überlebt, mit Glück und Zähigkeit. 

Die Reagan-éra , das waren Goldgräberjahre für Spekulanten und Kaliforniens Rüstungsindustrie. SDI - der "Krieg der Sterne" - war Reagans Lieblingsprojekt. Die Idee, die USA durch ein satellitengestütztes System von Laserwaffen vor Raketenangriffen zu schützen, schien dem Hirn von Science-Fiction-Autoren entsprungen. Reagan war in sie vernarrt, und an einmal für richtige Erkannten hielt er stets unbeirrbar fest.

Wissenschaftler liebten die Strategic Defense Initiative, weil sie ihnen einen reichen Dollarsegen aus Washington bescherte. Unter Präsident Clinton erst wurde das Projekt auf Eis gelegt.

Am Sozialen ließ Reagan sparen - wenn auch lange nicht so sehr, wie seine politischen Freunde es wünschten und es heute, da sie die Mehrheit im Kongreß haben, durchzusetzen versuchen. Ins Weiße Haus brachten die Reagans nach dem Brot- und Wasser-Stil der Carter-Jahre wieder Glamour und Champagner. Glitzer-Chic nach Art von Beverly Hills.

Für Reagan-Fans waren die Achtziger schlicht "Goldene Jahre". Für seine Gegner waren sie das "Jahrzehnt der Habgier".

Die USA gingen unter Reagan durch eine tiefe Rezession. In Erinnerung blieb, er habe Millionen neuer Jobs geschaffen. Den Gewerkschaften brach er - durch die Aussperrung streikender Fluglotsen - das Genick. Die Realeinkommen der Mittelschichten sanken, Spitzenverdiener durften sich über kräftige Steuersenkungen freuen. Reagan-Freunde und Förderer aus Hollywood wurden mit prestigeträchtigen Botschafterposten belohnt.

Man nahm und nimmt ihm nichts übel. Niemand kam auf die Idee, Reagans Befähigung zum Obersten Kriegsherrn in Frage zu ziehen, nur weil er ungedient war. Er hat Soldatenrollen nur gespielt, und auch als Kriegsherr hielt sich sein Erfolg in Grenzen. 1983 befahl Reagan die Invasion der winzigen Karibikrepublik Grenada - um ein linksgerichtetes Regime zu vertreiben. Im Libanon endete eine Militärintervention in einem blutigen Desaster.

Niemand kreidete Reagan wirkungsvoll an, daß seine Frau auf Personalentscheidungen der Regierung großen Einfluß nahm. Und daß Nancy dabei wiederum auf den Rat von Astrologen hörte. Die Clintons dürften vor Neid ergrünen.

Ihren Alterssitz in Bel Air, dem teuersten Wohnviertel der USA, haben den Reagans reiche Freunde gekauft. Auch daran nahmen die Wähler nicht Anstoß. Fundamentalistische Christen wählten Reagan, obwohl der geschieden war und seine Familie verzankt. Tochter Patti legte aus Protest den Namen ihres Vaters ab und ließ sich, schon um ihre Eltern zu ärgern,  nackt fotografieren. Sohn Michael enthüllte in einem Buch die angebliche Lieblosigkeit im Elternhaus.

All das ist Vergangenheit. Ronald Reagans langsamer Abschied von der Welt  hat die Familie wieder zusammengeführt. Patti Davis sagt, sie sehe heute ihren Vater mit gänzlich anderen Augen.

Nancy Reagan ist nach wie vor die Hüterin ihres Mannes. Jetzt sorgt sie dafür, daß keine Bilder nach außen dringen, die ihn alt und tatterig zeigen. Planend wie immer, hat sie für Ronald und sich, enthüllte sie in einem Interview, auch schon eine letzte Ruhestätte ausgesucht, im Simi Valley bei Los Angeles: "Ich glaube, er wird dort sehr glücklich sein."

Die Aussicht sei schön.

Jogger tragen Pudelmützen

5/2/1996

 
Mr. Fleming ist 65 Jahre alt und obdachlos. Jetzt ist er so etwas wie eine Berühmtheit. Die Medien haben über ihn berichtet.  Medien aus aller Welt, von New York bis Lübeck. Denn Mr. Fleming trotzt der Kälte. Seine Nase läuft, er trägt alle Hemden, Jacken und Mäntel, die er besitzt, aber seinen Unterschlupf, einen ausrangierten Flugzeugcontainer, mag er nicht verlassen. "Danke, mir gehts gut," beschied er besorgten Reportern.

Nicht alle Obdachlosen in den USA zeigen eine stoische Ausdauer wie Mr. Fleming. Die Notunterkünfte melden überbelegung. Eine arktische Kälte überzieht seit einer Woche die Mitte und den Osten der USA. Meteorologen sprechen von einer "phänomenalen Masse kalter Luft". In den Nachrichten wird eine Kältekastastrophe daraus.

Die phänomenale Masse leckte bis in den sonst warmen Süden hinunter. Atlanta meldete Tiefsttemperaturen von minus 14 Grad Celsius. Autofahrer dort, kälteentwöhnt, kamen auf spiegelblanken Straßen  massenhaft ins Rutschen. In Florida fürchten Citruspflanzer um die nächste Ernte. Sie besprühten fast-reife Orangen und Zitronen mit Wasser - auf daß sich eine schützende Eisschicht bilde. Oft machte den Farmern der Wind einen Strich durch die Rechnung.

Der Wind. Als wäre Kälte allein nicht kalt genug, haben Meteorologen den Windchill-Faktor erfunden, den Windkältefaktor. In Washington ist es angenehm sonnig bei Temperaturen von knapp zehn Grad unter Null. Dank des Windchill-Faktors werden aus den zehn Grad bedrohliche zwanzig oder 25, was viel bessere Nachrichten ergibt. Was aber Touristen nicht davon abhält, am Obelisken des Washington-Denkmals dennoch geduldig  Schlange zu stehen, einen klaren, weiten Blick auf die verschneite Stadt werfen zu können.

Jogger tragen Zipfelmützen.

Anders als die US-Hauptstadt meldeten viele Orte im Mittleren Westen in der Tat Rekordtemperaturen. Manche Orte machten so zum ersten mal in ihrer Geschichte Schlagzeilen. Pensacola in Florida meldete minus 8 Grad, Milwaukee minus 32, International Falls in Minnesota, nahe der kanadischen Grenze, minus 43, untertroffen nur vom Nachbarfleck Tower: minus 51 Grad. Daß es nördlich der Grenze noch kälter war, erregt die Weltöffentlichkeit weniger: Kanadier sind Kälte gewöhnt und machen kein Aufhebens drum.

Und zudem leben dort weniger Reporter.

Die Liftbetreiber und Hotelbesitzer in den Wintersportorten der Rocky Mountains sehen auch keinen Grund zu klagen. Rekordmengen von Schnee sind gefallen. Und was für ein Schnee! Lockerer Pulverschnee, meterhoch. Pepi Steigler betreibt in Jackson Hole im Staate Wyoming seit 30 Jahren eine Skischule, und er kann verläßlich bezeugen: "Diese Art von Schnee haben wir seit einem Jahrzehnt nicht mehr gehabt." Pepi strahlt. Meteorologen und Nachrichtensprecher warnen vor Lawinengefahr.

In New Yorks Central Park ist diese Gefahr nicht ganz so groß. Aber 120 Zentimeter Schnee sind heuer dort auch schon gefallen. Durchschnittliche Winter bringen ein Drittel. Anwohner freuene sich: Spaziergänge im Park seien selten so sicher gewesen. Auch die Zahl der Einbrüche in Vorortsiedlungen gingen deutlich zurück: Mehr Menschen als sonst bleiben zuhause, und auf schneebedeckten Seitenstraßen finden Diebe keinen Parkplatz.

In den Meldungen ist von panikartigem Andrang auf  Karibik-Hotels die Rede. Almut Ginsburg, Reise-Agentin in Washington, hat von einem besonderen Drang zu den Stränden noch nichts bemerkt, zu ihrem Bedauern. Das Reisegeschäft sei normal, sagt sie - und klagt über kalte Füße: Die Heizung in ihrem Auto funktioniert nicht richtig, und sie habe zwei Stunden gebraucht von zuhause bis zum Büro. Dabei waren die Straßen geräumt.

"Ach wissen Sie," meint Almut Ginsburg: "Die Leute hier wissen mit diesem Wetter einfach nicht umzugehen."

Nachruf Gene Kelly: getanzte Träume mit Hand und Fuß - er brachte das Ballett auf die Straße

4/2/1996

 
Leichtfüßig und heiter durchs Leben, und dabei immer nach oben: das ist der amerikanische Traum. Gene Kelly hat ihn getanzt. Am Freitag starb er, 83jährig, in seiner Villa in Beverly Hills, an den Folgen eines Schlaganfalls.

Kelly war "Ein Amerikaner in Paris", man sah und hörte ihn "Singin' in the Rain" und "On the Town". 45 Hollywoodfilme hat er gedreht, zahlreiche weitere produziert und choreographiert. Er gewann acht "Oskars". Sein Stil zu tanzen wurde vielfach nachgeahmt.

Er und Fred Astaire beherrschten die goldene éra amerikanischer Leinwandmusicals. Sie repräsentierten zwei Epochen der Traumfabrik. Astaire, ein Star schon in den Dreißigern, spielte Rollen, die dem Leben der Kinogänger weit entrückt waren. Die USA schleppten sich durch die Große Depression. Kino verzuckerte ihr Dasein mit Märchen. "Wenn sie jemanden für die Rolle des Prinz Charming suchten," sagte Kelly in einem Interview, "jemanden, der große Abendgarderobe tragen sollte, nahmen sie Fred. Ich war immer der Blue-Collar-Tänzer, der Bursche mit den aufgerollten Ärmeln und den weißen Socken."

Genau der Richtige für die Nachkiegszeit, als Träume plötzlich Hand und Fuß bekamen.

Ein Arbeiterkind war Kelly tatsächlich, geboren in der Industriestadt Pittsburgh. Sein erstes Geld verdiente er als Maurer, finanzierte sich ein Ökonomie-Studium damit, an der Universität von Pittsburgh. Seine Leidenschaft gehörte dem Baseball. Seine Mutter aber zwang ihn zum Tanzunterricht, seit Genes neuntem Lebensjahr. Die Mutter betrieb eine Tanzschule. Als Teenager halfen Gene und sein Bruder dort aus.

1938 feierte Gene Kelly sein Broadway-Debut, im Cole-Porter-Musical "Leave It to Me". Hollywood entdeckte ihn vier Jahre später. In "Me and My Gal" sang und tanzte er an der Seite von Judy Garland. Dann zog er erst einmal als Soldat in den Krieg.

Der Zweite Weltkrieg beendete die US-Wirtschaftskrise, der Aufstieg der Mittelschichten begann. Millionen von Amerikanern kamen zum eigenen Häuschen, zu Kühlschrank und Auto. Daß ein kleiner Mann zum großen Glück tanzen kann, wurde mit einem mal glaubhaft. Nichts schien unmöglich.

Kelly brachte nicht nur weiße Socken, sondern einen neuen, athletischen Stil auf die Bühne. Er brachte das Ballett auf die Straße. Er wollte stets nicht für eine Kulturelite, sondern für jedermann tanzen, hat er gesagt. Da sein Stil erfolgreich war, gaben Produzenten ihm bald freie Hand. In "Ein Amerikaner in Paris" tanzten Kelly und Leslie Caron siebzehn Minuten lang am Stück, zur Musik von George Gershwin.

Lebensfreudig blieb Gene Kelly bis ins hohe Alter. 1990 hat er zum dritten mal geheiratet. Seine Witwe, die Autorin Patricia Ward, ist 36.

Chiracbesuch in Washington: leere Stuhlreihen

2/2/1996

 
Frankreichs Staatspräsident Chirac lernte amerikanische "Höflichkeit" kennen. Während seines ersten offiziellen Staatsbesuchs in Washington sprach er im Kongreß vor halbleeren Stuhlreihen. Chirac nahm's leicht. Er kennt die USA und hiesige Bräuche.

Eigentlich hätte er im November kommen und mit Aplomb Frankreichs Rückkehr in die Nato-Vollmitgliedschaft verkünden sollen. Wegen des US-Etatstreits wurde die Visite aufgeschoben, Nun fiel sie in eine Zeit, zu der die meisten Senatoren und Abgeordneten Urlaub oder Wahlkampf machen, und richtige Neuigkeiten brachte Chirac auch nicht mehr mit. Daß dennoch rund sechzig Gesetzgeber erschienen, müßte man normalerweise als Gunstbeweis für den Gast verstehen.

Doch normalerweise schicken abwesende Parlamentarier Mitarbeiter ins Plenum, für einen vollen Saal zu sorgen. Viele verzichteten diesmal darauf. Eine Gruppe von Abgeordneten aus Präsident Clintons Demokratischer Partei hatte wegen der französischen Atomtests im Pazifik zum Boykott der Rede aufgerufen: Sie protestierten, indem sie keine Vertreter schickten.

Auf der anderen Seite waren einige Republikaner ganz froh, Chirac nicht zuhören zu müssen, als der erwartungsgemäß die USA dazu aufrief, mehr für die Dritte Welt zu tun und sich international stärker zu engagieren, auch finanziell. Clinton war das aus der Seele gesprochen.

Zu allem überfluß verhielten sich anschließend US-Journalisten während einer gemeinsamen Pressekonferenz von Clinton und Chirac so, wie sie es immer tun. Sie interessierten sich nicht für den Gast und befragten Clinton nach innenpolitischen Themen.

Der US-Präsident tröstete Chirac mit einem glanzvollen Diner im Weißen Haus und ließ es auch an schmeichelnden Worten nicht fehlen. Er pries den französischen Einsatz für und in Bosnien, er begrüßte Chiracs Heranrücken an die Nato und dessen nunmehriges Werben für einen Stopp aller Atomwaffentest.

Den leeren Stühlen im Kongreß zum Trotz: Die Regierungen in Washington und in Paris haben sich selten besser verstanden.

Vorschau auf Primaries: auf nach New Hampshire

1/2/1996

 
Dole oder Clinton: So dürfte die Wahlfrage lauten, im November 1996, wenn die Amerikaner ihren nächsten Präsidenten auf den Schild heben. Noch haben die Vorwahlen der Parteien nicht begonnen, doch das Rennen um die besten Startplätze scheint bereits gelaufen. Oder doch nicht?

Eigentlich nominieren die beiden großen Parteien, die Republikaner und die Demokraten, ihre Präsidentschaftskandidaten auf Parteikongressen im Sommer. Doch im Fernsehzeitalter sind diese Kongresse zu Medienspektakeln geworden, von A bis Z inszeniert, die jeweilige Partei und ihren Kandidaten in möglichst hellem Licht erstrahlen zu lassen. Die Entscheidungen fallen vorher.

Sie fallen in Vorwahlen, in denen die Parteiorganisationen in den 50 US-Bundesstaaten ihre Delegierten für den Parteikongreß  bestimmen. In vielen Staaten sind diese Vorwahlen für jeden Interessierten offen - sie heißen dann "primaries" -, in anderen stimmen Parteimitglieder  in Versammlungen ab. Dann spricht man von "caucus". Primaries sind für die Presse interessanter, weil sie eher Prognosen für den Wahlausgang erlauben.

Traditionell findet der erste Caucus einer Wahlsaison in Iowa statt, die erste Primary in New Hampshire. Beide Staaten wachen eifersüchtig darüber, daß sich daran ja nichts ändert. 1996 haben sich Delaware und Louisiana vorgedrängelt, aber ohne großen Erfolg. Nur wenige Kandidaten treten dort an, die anderen haben ihre Treue zu Iowa und New Hampshire erklärt. Das entwertet die Vorwahlen von Delaware und Louisiana.

Die Konkurrenz der Staaten hat ihren Grund: Die frühen Vorwahlen ziehen Schwärme von Journalisten an, und jeder Staat möchte gern - wenigsten einmal in vier Jahren - nationale Beachtung finden, internationale gar. Für die Vorwahlkampfzeit in New Hampshire haben dort Tausende von Reportern aus aller Welt seit Monaten Hotelzimmer reserviert (Anm. für die Red.: ich auch).

Der Zwergstaat im Nordosten der USA hat kaum mehr Einwohner als Köln und ist schwerlich repräsentativ, aber schon seit Wochen zieht es Politiker immer wieder dorthin, geben sie Millionen für Werbespots aus, die nur in New Hampshire ausgestrahlt werden. Dessen bodenständige Bürger  genießen nämlich den Ruf, Königsmacher zu sein. Oder besser: Königsverhinderer. Wer es hier nicht schafft, den ersten oder zweiten Platz bei den Vorwahlen zu belegen, hat kaum noch Chancen, am Ende der Präsidentschaftskandidat seiner Partei zu werden. Allein schon deshalb, weil die Presse ihn dann nicht mehr beachtet.

1992 machte Pat Buchanan Amtsinhaber George Bush in New Hampshire das Leben schwer, fügte er Bush frühe Wunden zu, von denen der Präsident sich nicht mehr erholte. Bei den Demokraten belegte Bill Clinton, was ihm nach frisch erblühten Sexskandälchen kaum mehr jemand zugetraut hatte, einen beachtlichen zweiten Platz hinter dem inzwischen vergessenen Paul Tsongas. Clintons Kandidatur war wiedergeboren, er galt fortan als das "Comeback Kid".

1996 braucht Clinton der Vorwahl in New Hampshire nicht entgegenzuzittern. Er ist der Präsident, seine Zustimmungsrate ist so hoch wie selten während seiner Amtszeit, seine Wahlkampfkasse ist wohlgefüllt und: Herausforderer fehlen. Clinton ist der erste demokratische Kandidat seit 32 Jahren, gegen den sich in New Hampshire kein ernsthafter Gegner aus der eigenen Partei erhebt.

Auch wenn sich in anderen Staaten noch Gegenkandidaten bewerben sollten: Clinton dürfte ein direkter Durchmarsch zur erneuten Nominierung im August in Chicago sicher sein. Er kann sich in Ruhe bereits jetzt auf den eigentlichen Wahlkampf, auf seinen mutmaßlichen republikanischen Herausforderer konzentrieren.

Der wird wohl Bob Dole heißen. Es sei denn, die Bürger von New Hampshire erteilen dem 72jährigen Mehrheitsführer im Senat einen deutlichen Schuß vor den Bug. Acht Mitkandidaten hoffen genau darauf und arbeiten gezielt daran. Lieblingskind der Presse ist derzeit Zeitungsherausgeber und Multimillionär Steve Forbes.

Forbes Hoffnung teilen Phil Gramm, Lamar Alexander, Bob Dornan, Alan Keyes, Richard Lugar, Morry Taylor und - wieder einmal - Pat Buchanan. Sie alle eint, daß sie in weiteren Wählerkreisen so gut wie unbekannt sind und sich - von Lugar  abgesehen, der sich als Außenpolitiker profiliert hat - in konservativ-populistischen Bekenntnisssen überbieten.

Die republikanische Partei ist seit den Zeiten George Bushs deutlich nach rechts gerückt. Wer 1996 ihr Kandidat werden will, hat sich bei fundamentalistischen Christen und der Waffenlobby lieb Kind zu machen, hat gegen Wohlfahrtssstaat und Bürokratien, für "familiäre Werte" und gegen das Recht aurf Abtreibung zu Felde zu ziehen.

Nach der Primary in New Hampshire (am 20. Februar) zieht der Troß gen Süden, zum "Super-Dienstag", gleichzeitigen Vorwahlen am 12. März in Florida, Mississippi, Oklahoma, Tennessee und Texas. Wenn Dole seine Verfolger bis dahin immer noch nicht abgehängt hat, wird es schwer für ihn.

Steve Forbes und die Jagd auf Bob Dole

1/2/1996

 
Wieder bringt ein Millionär den US-amerikanischen Wahlkampf  durcheinander. Wieder einmal versucht ein Millionär mit Einsatz seines Geldes Präsident zu werden, und seine Konkurrenten nehmen ihn ernst, gezwungenermaßen.

Malcolm Forbes jr. heißt er. Alle Welt nennt ihn Steve. Er ist 48 Jahre alt, Erbe eines Verlages, Journalist und Hobbypolitiker, hat zuvor nie für irgendein Wahlamt kandidiert. Und doch macht er seinen republikanischen Mitbewerbern um die Präsidentschaftskandidatur das Kandidieren schwer, zunehmend schwerer.

Forbes hat sich einfach zwischen sie gedrängelt. Am Anfang, vor vier Monaten, nahm das niemand allzu ernst. Dann heuerte Forbes bewährte Profis als Berater an.

Bevor ein Republikaner im Herbst gegen Präsident Clinton antreten kann, muß er die parteiinternen Vorwahlen gewinnen. Von Bundesstaat zu Bundesstaat zieht seit Wochen schon der Troß der neun Kandidaten, macht sich den - bislang eher uninteressierten - Wählern  bekannt, händeschüttelnd, redend, ortsübliche Deftigkeiten begeistert verzehrend, vor allem: via Werbespots.

Die meisten, die teuersten Werbespots leistet sich Forbes. Die anderen Kandidaten müssen sich an Spielregeln beim Geldausgeben halten, sich mehr aufs Händeschütteln verlegen; sie beziehen Zuschüsse aus der Staatskasse. Forbes nicht. Er gibt sein eigenes Geld aus und tut das aus vollen Händen. Mehr als zehn Mio Dollar soll er schon in seinen Wahlkampf investiert haben, und das sehr wirkungsvoll.

In Iowa liegt Forbes Umfragen zufolge schon auf dem zweiten  Platz, hinter Spitzenreiter Bob Dole, dem 72jährigen Mehrheitsführer im Senat. Vor kurzem noch galt Dole noch als unangefochten, das einzige bekannte Gesicht in einem Feld der Zwerge. Das hat sich gründlich geändert, dank Forbes - und dank Dole selbst.

Doles Fernsehrede nach der Rede Präsident Clintons zur Lage der Nation am 23. Januar gilt als Desaster. Clinton sah klar besser aus. Seither wuchs im Lager der Republikaner die Vermutung zur Gewißheit: Dole kann Clinton nicht schlagen.

Wer in den frühen Vorwahlen vorne liegt, dem sind Presse- und Fernsehberichte sicher, wer hinten liegt, kann seine Kandidatur bald vergessen. Für Doles Kandidatur wäre jede frühe Niederlage lebensgefährlich. Das ist der Preis der Spitzenreiterschaft. Die Schlagzeilen hießen sofort: Dole angeschlagen.

Schon verfolgt den 72jährigen Senator bei seinen Reisen durchs Hinterland eine Geiern gleiche Pressemeute. Jeder Ausrutscher wird peinlichst notiert. Am Mittwoch besuchte Dole eine Brauerei in New Hampshire. Zu spät hatten seine Gehilfen bemerkt, daß die Brauerei ein Bier namens "Old Man Ale" auf Flaschen zieht. Prompt war Doles Alter die Zielscheibe süffiger Sottisen. Der Senator machte gute Miene zur Panne, erklärte, das Bier schmecke "jung und frisch".

Forbes' Wahlkampfschlager ist sein Versprechen, die gestaffelte Einkommensteuer durch eine Einheitssteuer von siebzehn % zu ersetzen, eine "flat tax". Kapitalerträge sollen gänzlich unbesteuert bleiben. Seine Konkurrenten rechnen ihm prompt vor, wieviel er selber davon profitieren würde. Forbes lächelt dazu nur und sonnt sich im Rufe, anders als Dole ein Außenseiter des Politikbetriebes der Hauptstadt zu sein. Das ist in US-Wahlkämpfen meistens ein Trumpf. Forbes: "Die Politiker begreifen's einfach nicht."

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