Uwe Knüpfer
  • Home
  • Archiv
  • Bücher
  • Zur Person
  • Impressum
  • Kontakt

Ja, Europa! Beerdigt den Nationalismus!

25/8/2011

 
Ach, Europa! stöhnen Literaten, Leitartikler und Politiker. Dänemark führt wieder Grenzkontrollen ein. Aus Schlagzeilen erdröhnt der Ruf: „Wir wollen unsere alte D-Mark wiederhaben!“ Dabei trifft Europa keine Schuld am Zusammenbruch der überdehnten Finanzmärkte. Nicht „Ach, Europa!“ rufen wir, sondern: „Ja, Europa! Mehr davon!“
Die EU gleicht einem Heranwachsenden in der Pubertät. Alle Organe sind vorhanden, aber kaum erprobt. Sie bewegt sich ungelenk. Sie ist laut, aber harmlos. Nett, aber anstrengend. Und manchmal muss man sich schämen.
Doch anders als ein Teenager kann die Europäische Union nicht aus eigener Kraft der Pubertät entwachsen. Nichts entwickelt sich in ihr ohne Zutun ihrer Eltern. Das sind ihre 27 Mitgliedsstaaten. Alle haben sehr unterschiedliche Erziehungsideale. Das tut dem Kind nicht gut.
Europas Problem ist, dass ihre Eltern nicht beiseite treten wollen. Das Kind braucht Platz, muss Verantwortung übernehmen. Längst müsste es eine einheitliche europäische Außenpolitik geben, eine europäische Wirtschafts,- Sozial- und Finanzpolitik, eine wirksame europäische Banken- und Börsenaufsicht, eine europäische Armee. Und natürlich ein demokratisch gewähltes Europäisches Parlament, das Europas Regierung (bislang Kommission gerufen) einsetzt und kontrolliert. Wirklich ernst zu nehmen wird es erst sein, das EU-Parlament, wenn auch hier gilt: one man, one vote. Der Souverän der Demokratie ist das Volk. Es setzt sich aus Bürgern zusammen, nicht aus Staaten. Bürger, also Menschen, haben Hirn, Seele und Herz. Völker nicht.
Wenn Europa jetzt in einer Krise steckt, dann nicht, weil „Brüssel“ zu mächtig geworden wäre, sondern weil die Nationalstaaten nicht von der Weltbühne abtreten wollen. Als die EGKS – die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl – gegründet wurde, aus der die EWG, dann die EG, schließlich die EU hervorgegangen sind, waren Europa und mit ihm weite Teile der Welt an der Nationalstaatsidee fast zugrunde gegangen. Aber dennoch hielt man es damals für natürlich oder mindestens zwingend, dass sich die Menschen als Nationen zu organisieren hätten. In manchen Köpfen, und durchaus nicht nur in ansonsten hohlen, hält sich diese Idee bis heute hartnäckig. Manche schwätzen gar von der Wiederkehr des Nationalen. Das ist dumm, falsch und gefährlich.
Die Nationalstaatsidee war einmal die Schwester des Freiheitsgedankens – in einer Zeit, als Provinzpotentaten Europa mit zehntausenden von Schlagbäumen zugestellt hatten, jeder auf angestammte Rechte pochend. Das ist mehr als 200 Jahre her. Die Nationalstaatsidee hat ihre Dienste längst getan und wurde seither schrecklich missbraucht: als scheinbare Rechtfertigung für Vertreibungen, Kriege und Völkermorde.
Seit 66 Jahren herrscht in EU-Europa nun Frieden. Dieser ungeheuer glückliche Zustand wird nur dann von Dauer sein, wenn das europäische Projekt endlich erwachsen wird. Wenn die Nationalstaaten aufgehen in den Vereinigten Staaten von Europa. Die deutschen Sozialdemokraten fordern das seit 1925.(vorwärts Septemb

Risse im Tuch - Krawalle in englischen Städten

10/8/2011

 

Risse im Tuch - Krawalle in englischen Städten

10/8/2011

 
In London und Birmingham werden Häuser in Brand gesteckt und Geschäfte geplündert. Die jugendlichen Krawallmacher rotten sich via Twitter zusammen. Kaum weniger erschreckend als die Krawalle selbst ist es, dass offenbar niemand rechtzeitig wissen wollte, was sich da zusammenbraute. Das zeigt: die Zivilgesellschaft hat Risse. Die britische Demokratie steht auf einem morschen Fundament. Nur die britische?

 

Ganz gleich, warum Jugendliche massenhaft kriminell werden, ob sie arbeits- und perspektivlos oder schlicht gelangweilt sind und Fun – Spaß – haben wollen: ganz offensichtlich fühlen sich diese jungen Menschen nicht als Teil der sie umgebenden  Gesellschaft. Und die Gesellschaft schert sich nicht drum. Weder in Gestalt von Eltern oder Geschwistern oder Freunden, noch institutionell als Schule, Jugendamt, Medien und Politik.

Mitten in London und Birmingham, so scheint es, sind schwarze Löcher in der Gesellschaft entstanden. Das lässt sich deshalb auch von Berlin aus so diagnostizieren, weil Ähnliches in Ansätzen auch in deutschen Großstädten zu beobachten ist. Im Schutze der metropolitanen Anonymität entstehen Schattenzonen, in denen Menschen leben, die von der Gesellschaft nichts, vom Staat allenfalls „Hartz IV“ erwarten – und von denen auch die sie umgebende Gesellschaft nichts mehr erwartet – außer dass sie sich ruhig verhalten und nicht randalieren. Dafür wirft sie ihnen Geld hin und schickt den einen oder anderen Sozialarbeiter los. Es sind Menschen, die keine Autorität akzeptieren. Warum nicht? Weil sie zu selten oder nie Autoritäten erlebt haben, an denen sie sich aufrichten und anlehnen konnten.

Für Heranwachsende sollten Eltern, Erzieher, Lehrer, auch Nachbarn, Vereinsvorsitzende, Pfarrer, Ausbilder und Arbeitgeber solche Autoritäten sein - lange vor der ersten Begegnung mit der Polizei.

Wie reagiert ein Staat auf solche Krawalle wie die in englischen Städten? Natürlich muss er zunächst für Sicherheit sorgen, die öffentliche Ordnung wiederherstellen. Aber dann? Auf diese Frage gibt es nur drei mögliche Antworten: die repressive, die feige und die demokratische.

Die repressive, man könnte sie aktuell auch die chinesisch-russische nennen, das heißt: die Polizeipräsenz erhöhen, das Internet stärker kontrollieren, innerstädtische Grenzen ziehen und auf Abschreckung durch hartes Durchgreifen und drastische Strafen setzen.

Die feige: sich ein bisschen erregen, die Polizeipräsenz zumindest zeitweise erhöhen, mit härteren Strafen drohen, wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag geben  - gleichsam als Expeditionen ins schwarze Loch der Gesellschaft - und hoffen, dass sich „alles“ bald wieder beruhigen werde.

Die demokratische: Dem Erschrecken und der Wiederherstellung von ziviler Ruhe würde die gründliche Reparatur der Zivilgesellschaft folgen, sprich der Grundlagen jeder funktionierenden Demokratie: des sozialen Gefüges, der politischen Institutionen und der organisierten Öffentlichkeit.

Eine demokratische Gesellschaft gleicht einem dichten Gewebe. In ihrem Mittelpunkt steht der Staatsbürger; jeder einzelne, ohne Ansehen von Herkunft, Einkommen, Geschlecht etcetera. Jeder einzelne muss eine Chance haben sich zu entfalten, muss sich ernst- und angenommen und – ja – auch geliebt fühlen können. Eine demokratische Gesellschaft lebt von funktionierenden Institutionen auf jeder Ebene. Das fängt in den Familien an und setzt sich in Gemeinden, Stadtteilen, Vereinen, Kirchen und Verbänden fort. Sie bedarf der aufklärenden und debattierenden Öffentlichkeit. Es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen der boulevardeske Verwahrlosung der britischen Presse und der mentalen Verwahrlosung britischer Jugendlicher.

Es ist mehr als interessant zu beobachten, welche Antwort britische Politiker auf die Krawalle geben werden: die repressive, die feige oder eine demokratisch-mutige. England ist zwar eine Insel, aber Teil Europas. Was dort geschieht, geht auch uns in Deutschland sehr direkt etwas an.

Wir hier haben die Chance, nach Rissen und Löchern im Gewebe unserer Zivilgesellschaft zu suchen. Sie zu flicken, wo es geht. Oder neu zu weben, wo es notwendig ist – bevor auch in Berlin oder Frankfurt oder Hamburg eines Tages zu unser aller Überraschung Häuser brennen werden.  

(vorwärts.de 10. August 2011)

Die Saat ist aufgegangen - Anschläge in Oslo und Utoya

25/7/2011

 
Ist Anders Breivik ein Verrückter? Natürlich, denn wer bei Trost ist, legt keine Bomben und macht nicht "Jagd auf Marxisten". Aber der Attentäter von Oslo und Utoya lebt offenbar in einer Gedankenwelt, in der er mitnichten allein ist.

 

Breiviks 1500 Seiten dickes "Manifest" ist weitgehend ein Plagiat. Das legen die bisher vorliegenden Übersetzungen nahe. Der Mörder von Oslo und Utoya hat fleißig bei Rechtspopulisten abgeschrieben. Das sind Menschen, die ein politisches Geschäft daraus machen, fremdenfeindliche Ängste zu befeuern, rassistische Vorurteile zu bedienen und den Islam als  Schreckgespenst zu diffamieren.

 Diese Leute verkleiden sich nicht als Ballermänner aus Internet-Spielen. Sie tragen dunkle Anzüge und kandidieren bei Wahlen. Und sie feierten zuletzt erschreckende Erfolge. In Dänemark, in Ungarn, in Österreich, in Finnland und sogar in den liberalen Niederlanden. In Norwegen kamen sie auf gut 20 Prozent.

Diese Leute werden den Vorwurf, sie hätten den blonden, blauäugigen Breivik zu seinen Verbrechen angestiftet, empört zurückweisen. Sie haben jetzt jedes Interesse daran, den Attentäter als verrückten Außenseiter darzustellen. Denn sie wollen Stimmung machen und Stimmen gewinnen, aber Verantwortung wollen sie nicht übernehmen, wenn die Saat des Hasses, den sie säen, aufgegangen ist.

Aber genau so ist es. Breivik mag geistig beschränkt und verwirrt sein, aber er hatte Grund zu der Annahme, er sei nicht allein. Er sieht sich ganz offenkundig als Teil einer internationalen Bewegung, als "Kreuzritter" im Kampf gegen den "Multikulturalismus". Er hat sich seine Ziele offenbar ganz bewusst ausgesucht. Er wollte Sozialdemokraten töten und Menschen, die ihm nicht norwegisch oder blond genug aussehen.

Sozialdemokraten stehen, in Norwegen wie in Deutschland, für eine offene Gesellschaft. Für eine Gesellschaft, in der jeder Mensch die Chance hat, aus seine Fähigkeiten das beste zu machen. Ganz gleich, woher er kommt, wie er aussieht, welchen Geschlechts er ist und was er glaubt.

Rechtspopulisten wollen das Gegenteil. Sie grenzen aus und teilen zu. Sozialdemokraten wecken Hoffnung, Rechtspopulisten schüren Angst.

Auf der Insel Utoya versammeln sich im Sommer junge norwegische Sozialdemokraten und ihre Gäste. Friedlich und frei. Wer es darauf anlegt, die norwegische Sozialdemokratie ins Herz zu treffen, für den ist das Sommerlager auf Utoya ein logisches Ziel. Anders Breivik wusste, was er tat. Und die so reden, wie er handelte, wissen es auch. Die Unschuldsmiene, die sie jetzt aufsetzen werden, ist eine Maske.

Was Breivik nicht wusste und vermutlich nicht begreifen wird: er hat zwar viele Menschen getötet und gewaltiges Leid über Familien und Freunde der Ermordeten gebracht, aber das Herz, das er treffen wollte, wird weiter schlagen. Menschen kann man erschießen, Ideen nicht. Liebe ist stärker als Hass.

vorwärts.de 25.07.2011

Nach dem Jahr zwischen den Jahrhunderten: Auf ein Neues!

30/11/-0001

 
Für Freunde der Mathematik beginnt erst am Montag, was der Rest der Welt schon vor einem Jahr begeistert begrüßt hat: das neue Jahrhundert.

Mathematisch gesehen war das jetzt zu Ende gehende Jahr das letzte des 20. Jahrhunderts. Im Alltag setzte sich diese Einsicht nicht durch. Vielleicht war die Freude der Menschheit auf Neues einfach zu groß.

Und schließlich: war nicht Aufbruch überall?

Deutschlands noch immer recht neue Regierung schien sich endlich gefangen zu haben - dank kräftiger Schützenhilfe der Opposition. Der CDU-Spendenskandal, der Sturz Helmut Kohls vom Sockel des allseits bewunderten Staatsmanns: die Union als Denver Clan. Darob gefiel Gerhard Schröder sich und anderen in der Kanzlerrolle immer besser.

Aufbruch auch draußen. Der Balkan war endlich halbwegs befriedet, der Krieg ums Kosovo fast schon vergessen. EU-Europa schien auf dem Weg zu innerer Harmonie und neuer Größe im Zeichen des Euro.

In Russland stand der zu Silvester ins Amt gehobene Präsident Putin für einen frischen Start seines Landes in Richtung Markt und westlicher Werte. Auch die USA rüsteten sich, einen neuen Präsidenten zu wählen. Im Nahen Osten schien endlich ein dauerhafter Frieden zwischen Israel und allen seinen Nachbarn greifbar zu sein.

Nicht zuletzt: täglich mehrfach verkündeten Nachrichtensprecher den scheinbar unaufhaltsamen Anstieg der Börsenkurse. Analysten verkündeten die Geltung angeblich neuer Gesetze der Ökonomie.

Dann begann 2000 das Jahr der milden Enttäuschungen und herben Rückschläge.

Die new economy sah plötzlich ziemlich alt aus.

Die Nahost-Friedensgespräche von Camp David gingen im Sommer ohne Ergebnis zu Ende. Am Jordan wurde wieder gebombt und geschossen. Das passte zur Katastrophe von Kaprun, zum Absturz der Concorde, zum Tod in der Kursk.

Putins Ernennung wurde zwar vom Wahlvolk bestätigt, doch unter dubiosen Umständen. Moskau schien eher hinter den Ural zu rücken denn weiter gen Westen.

Der Euro, noch immer nicht greifbar, verlor stetig an Wert, gemessen am Dollar. Darüber freute sich zwar Europas exportabhängige Wirtschaft, aber auch das große Lager der Euroskeptiker, nicht nur auf den britischen Inseln.

Auch mit den Reformen der Europäischen Union ging es nur knirschend voran. Der Gipfel von Nizza am Ende des Jahres führte, das war das Beste an ihm, drastisch vor Augen, dass Europa jetzt dringend benötigt, was Bundespräsident Herzog einstens Deutschland verordnet hat: einen kräftigen Ruck.

Immerhin: der Balkan blieb ruhig.

Die Krise der Union bescherte der SPD ein Ende ihrer Wahlniederlagen in den Ländern und, vor allem, den Machterhalt an Rhein und Ruhr. Doch die Berliner Koalition, statt den guten Wind zu nutzen, manövrierte sich stockend durch Rentenreform, Ökosteuerkrise und BSE-Skandal; ohne Eleganz und ohne Vision.

Andererseits: sie kam damit durch. Mehr hat das Volk wohl nicht erwartet. Zumal die Union keine strahlenden Alternativen zu bieten verstand, weder inhaltlich noch personell.

Selbst die US-Amerikaner verblüfften durch Pannen. Sie wirkten außerstande, einen neuen Präsidenten zu wählen. Das gelang nur mit Hilfe der Gerichte, mehr schlecht als recht.

So scheinen die Mathematiker eben doch Recht behalten zu haben.

2000 war nicht das Jahr des großen Neubeginns. Vielleicht sollten wir es schnell - nein, nicht vergessen -, aber ablegen, als Versuch im Unreinen, und versuchen, es besser zu machen, im wahrhaft ersten Jahr des dritten Jahrtausends.
    Loading
    Getty

    Archiv

    April 2020
    April 2019
    Februar 2019
    Mai 2018
    März 2015
    Januar 2015
    Oktober 2013
    Juli 2013
    April 2013
    Juni 2012
    Januar 2012
    Dezember 2011
    September 2011
    August 2011
    Juli 2011
    Mai 2008
    Dezember 2000
    November 2000
    Februar 1996
    Januar 1996
    Dezember 1995
    November 1995
    Oktober 1995
    Dezember 1992
    Oktober 1992
    September 1992
    August 1992
    Juli 1992
    Juni 1992
    Mai 1992
    April 1992
    Januar 1990

    Kategorien

    Alle
    Außenpolitik
    Bildung
    Bonn
    Ernährung
    Europa
    Fdp
    Frankreich
    Glossen
    Integration
    Irak
    Kommentare
    Kultur
    Leitartikel
    Medien
    Nachrufe
    Nahost
    Nato
    Rechte
    Religion
    Reportagen
    Rezensionen
    Ruhr
    Soziales
    Spd
    Sport
    Terror
    Umwelt
    Usa
    Verkehr
    Vorwärts
    Vorwärts
    Wirtschaft
    Zeit Artikel

    Downloads

    Die kompletten Jahrgänge 
    1992, 1993, 1994, 1995 sind als unformatierte txt. Dateien (Fließtext) erhältlich.

    Disclaimer

    Viele der hier verfügbaren Texte sind nicht end-redigiert. Sie können Fehler enthalten, die in der Druckfassung korrigiert worden sind. Das trifft insbesondere auf die Beiträge aus den Jahren 1992-2000 zu (USA-Berichterstattung). Das Copyright zu allen hier verfügbaren Texten und Fotos liegt beim Autor beziehungsweise bei den Fotografen. Wer Fotos oder Texte, im Ganzen oder teilweise, kopieren oder sonstwie publizistisch verwenden will, bedarf dazu der ausdrücklichen Einwilligung des Autors beziehungsweise des Fotografen.

Powered by Create your own unique website with customizable templates.