Delegierte sind nicht schutzlos in New York. Für zehn Dollar können sie eine kugelsichere Weste mieten. Gleich neben dem Madison Square Garden, der Arena mitten in Manhattan. New York ist eine aufregende Stadt, zum Glück. Denn der Parteitag der Demokraten ist es eigentlich nicht. Carra George (71) aus Montana sagt trotzdem: "Ich habe mir nichts so sehr gewünscht wie zu diesem Parteitag zu kommen, nichts."
Der Parteitag hat nur einen Zweck: Bill Clinton als Präsidentschaftskandidaten offiziell zu küren, und das möglichst spektakulär und in Eintracht. Zu diesem Zweck haben sich im Madison Square Garden mehr als 4000 Delegierte versammelt, einige Tausend VIPs (very important persons, sehr wichtige Menschen) und, Steigerung von VIP, FOBs. Das sind "friends of Bill", Freunde von Bill. Ach, und mehr als 13000 Presseleute.
Normalerweise streiten sich die Demokraten bei ihren Familientreffen. Dafür sind sie beim Wahlvolk berüchtigt und bei der Presse beliebt. Den konkurrierenden Republikanern gelten sie als eine Zusammenrottung von kreischenden Interessengruppen; von Abtreibungsfreunden, Pazifisten, Liberalen und Lesben. In dieser Woche verblüffen die Demokraten Amerika damit, wie einig sie sind, wie optimistisch und wie amerikanisch.
Zu Wort kommt nur, wer sich einschwören läßt auf das Lied von der Eintracht. Die Wahlplattform ist diesmal keine endlose Summierung von Resolutionen, sondern ein Papier mit kurzen Sätzen, die ökonomischen und politischen Wandel versprechen. Viel ist darin von Familie die Rede.
Der kalifornische Ex-Gouverneur Jerry Brown und seine Anhänger bekommen Pickel, wenn sie das lesen. Ihnen ist nicht genug Substanz in dem Programm. Brown ist die einzige Parteigröße, die sich noch nicht offiziell zu Clinton bekannt hat. Solange er das nicht tut, lassen ihn Clintons Leute, nicht ans Rednerpult; erbarmungslos.
Die Demokraten wollen Wähler zurückgewinnen, die zuletzt für Reagan stimmten und Bush. öberhaupt: Sie wollen gewinnen. Endlich einmal wieder. Zuletzt ist ihnen das 1976 gelungen, mit Jimmy Carter. Jetzt glauben sie erneut Grund zur Hoffnung zu haben. "Honey, knips das Licht aus, die Party ist zuende!" rief die Gouverneurin von Texas, Ann Richards, ihrem Landsmann George Bush zu, unter dem Jubel der Delegierten.
Die USA seien nichts anderes als der größte Versuch der Weltgeschichte, Menschen ihre Verzweifelung zu nehmen, beschwor der Gouverneur von New Jersey, Bill Bradley, die Erinnerung an den amerikanischen Traum. Nach zwölf Jahren republikanischer Regierung seien allzu viele im Lande ohne Traum und verzweifelt, weil ohne Chance, ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Zugang zu vernünftigen Schulen.
(Die vielleicht bewegendste, auf jeden Fall aber nachdenklichste Rede hielt bisher die Schwarze Barbara Jordan. Vom Rollstuhl aus verurteilte sie weißen wie schwarzen Rassismus zugleich, sagte, auch die Demokraten müßten umlernen. Und sie sprach von Opfern, die jeder werde bringen müssen, um das gewaltige Haushaltsdefizit der USA abzubauen, jeder. Und davon, daß die Demokraten die Nation davon überzeugen und dazu überreden müßten, ihnen erneut zu vertrauen: "Das ist nicht einfach," sagte sie: "Aber wenn wir es schaffen, werden wir vielleicht erneut ein Rendezvous mit dem Schicksal erleben.")
Jede Rede ist ein durchkomponierter Auftritt, umrahmt von Videoprojektionen, von Musik, von Hurra. Weil tagsüber kaum jemand fernsieht, fängt der Parteitag logischerweise immer erst am frühen Abend an. Ziel: live in die Hauptabendprogramme zu kommen. Und das mit Bildern und Botschaften, die sitzen.
Als Ron Brown, der Parteivorsitzende, George Bushs Wahlparole von 1988 wiederholte: "Read my lips", lest meine Lippen, erschien dieser Spruch zugleich riesengroß auf der Videowand hinter seinem Rücken. Und dann gleich der Zusatz: "No second term", keine zweite Amtszeit! Unter Bush hieß der Zusatz: Keine neuen Steuern. Als Präsident hat er dann doch die Steuern erhöht. Das ist unvergessen im Volke. "Read my lips!" wiederholte Brown, und Tausende im Garden skandierten: "No second term!"
Jetzt müssen sich die Demokraten nur noch mit ihrem Präsidentschaftskandidaten anfreunden, mit der Person Bill Clinton. Als Jungstar der Partei durfte er vor vier Jahren den damaligen Kandidaten vorstellen, Michael Dukakis. Er tat das, 32 endlose Minuten lang. Applaus kam erst auf, als Clinton versprach: "Ich komme zum Schluß..."
Nach dieser Rede galt der Gouverneur von Arkansas nicht mehr als kommender Star der Partei, sondern als verglühte Sternschnuppe. Jetzt ist er wieder da.
Und so ist das aufregend Spannende am New Yorker Parteitag der Demokraten nicht nur das Straßenleben der Millionenstadt, sondern auch die Frage: Verglüht er wieder? Oder reißt Clinton diesmal das Publikum im Saal und in den Fernsehsesseln mit? Für viele heißt das auch: Hat er im November eine Chance, ins Weiße Haus gewählt zu werden?
Die Regie ist optimistisch. öber den Köpfen der delegierten hängen, in riesigen Netzen, schon einige zehntausend bunte Luftballons. Sie sollen niederschweben auf den Kandidaten und die Delegierten, am Ende der Woche, am Ende des Parteitags, wenn Clinton seinen Auftritt hatte und der Applaus nicht enden will.
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