Uwe Knüpfer
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Neue Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten

29/12/2000

 
Wie wäre das schön, wenn dereinst in den Geschichtsbüchern stände: Zu Weihnachten 2000 fand Frieden den Weg ins Heilige Land.

Wie illusionär schien diese Hoffnung noch vor wenigen Tagen. Jetzt wirkt sie durchaus realistisch. Vor allem dank Bill Clinton.

Der scheidende Präsident der USA, nur noch bis zum 20. Januar im Amt, hat es sich in den Kopf gesetzt, das Weiße Haus mit einem Vertrag unter dem Arm zu verlassen, den Israelis und Palästinenser unterschrieben haben.

Washingtons Medien treibt längst nur noch die Regierungsbildung des nächsten Präsidenten um, des zweiten George Bush. Das verschafft Clinton den Freiraum, seine Tage fast ununterbrochen im Clinch mit Unterhändlern aus Nahost zu verbringen.

Schon im Sommer hat Clinton Palästinenserführer Arafat und Israels Ministerpräsident Barak geschoben und gedrängt. Viele strittige Fragen waren gelöst. Doch weder Barak noch Arafat fanden den Mut, den letzten, entscheidenden Schritt zu tun.

Seither ist wieder viel Blut geflossen. Mehr als 350 Menschen, überwiegend Palästinenser, fielen dem neuen Kleinkrieg in und um Jerusalem zum Opfer.

Vielleicht hat ihr Tod Politikern auf beiden Seiten deutlich gemacht, was auf dem Spiel steht. Scheitert Clinton, droht die zarte Pflanze des Vertrauens zertrampelt zu werden, die seit Anfang der 90er Jahre gewachsen ist, zwischen Israelis und Palästinensern.

Arafat, sichtlich gealtert und krank, würde wohl nicht mehr erleben, wofür er zeit seines Lebens gekämpft hat: einen souveränen, lebensfähigen Staat der Palästinenser.

Und Barak dürfte wohl bei der Wahl am 6. Februar aus dem Amt gespült werden.

Arafat und Barak läuft die Zeit ebenso davon wie Clinton. Darin ruht die beste Hoffnung auf dauerhaften Frieden, die Jerusalem seit 50 Jahren hatte.

Endlich Stille

23/12/2000

 
Weihnachten war immer mehr als ein christliches Fest. Dass wir es feiern, wenn die Tage beginnen, wieder länger zu werden, das knüpft an Bräuche an, die älter sind als die frohe Botschaft der Weihnachtsgeschichte.

Schon insofern ist es müßig, sich alle Jahre wieder darüber zu erregen, dass im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes in den meisten Häusern ganz anderes steht als die Freude über die Geburt des Jesuskindes.

Weihnachten ist, das zu allererst, ein Fest der Familie. Die Generationen rücken zusammen, wenigstens für ein paar Stunden, und auch dort, wo sie sich ansonsten wenig mitzuteilen haben. Das Sich-zusammenfinden an der Krippe, unterm Tannenbaum, es hat auch eine therapeutische Funktion.

Diese Funktion wird umso wichtiger, je lockerer die Bande wurden, die uns als Familien zusammen halten. Weihnachten kann eine Gelegenheit sein, darüber nachzusinnen, was uns fehlt, wenn wir ohne dauernde Kontakte zu Kindern, Eltern, Großeltern leben.

Die Organisation unserer Arbeitswelt, die Verlockungen unserer Freizeitgesellschaft machen es schwer, lassen es altmodisch wirken, ein Familienleben zu pflegen. Pflegen ist das treffende Wort, denn natürlich bereitet es Mühe, fordert es Opfer ab, Familien zusammen zu halten. Oft mag es scheinen, als lohne die Mühe nicht. Weihnachten bietet die Chance, diesen Anschein in Frage zu stellen.

Denn Weihnachten ist, schon weil die Räder der Wirtschaftswelt stillstehen, die Einkaufsmöglichkeiten begrenzt sind, das Fest der Besinnung.

Dieses eine Mal im Jahr ist es uns vergönnt, alle miteinander nichts tun zu müssen. Und deshalb zu erleben, wie schwer es uns geworden ist, Stille zu ertragen. Innezuhalten. Keine Termine zu haben, keine Verpflichtungen, die uns in Atem halten.

Die Chance, zur Besinnung zu kommen, ist so selten geworden, dass es vielen schwer fällt, sie zu nutzen. Wir leben im Zeitalter der Sofortigkeit - und zahlen dafür einen hohen Preis.

Wer kann noch warten? Auf die Erfüllung eines (lang?) gehegten Wunsches. Auf Kontakt zu Menschen, denen wir etwas mitteilen wollen. Auf die Lösung von Problemen. Auf eine gute Idee.

Zu kaufen, zu verschenken steht alles immer bereit. Telefon, e-mail und Fax sorgen für sofortige Kommunikation - was nicht unbedingt Verständigung bedeutet. Selbst auf einen guten Film im Fernsehen muss niemand mehr warten, dank Videotechnik und TV-on-demand.

Dem Zwang zur Sofortigkeit hat sich auch die Politik unterworfen. Wobei wir Journalisten uns verhalten wie das Rudel Hunde bei der Fuchsjagd: ständig in Eile, immer die Nase im Wind, stets bereit, laut kläffend einer frischen Spur zu folgen - und von ihr abzulassen, sobald sich eine noch frischere findet.

Politiker wiederum glauben, unter dem Zwang ständiger Mikrofon- und Kamerapräsenz auf alles sofort eine Antwort parat haben zu müssen. Auch dann, wenn es eine Antwort - zumindest noch - nicht gibt. Oder gar die Frage unverstanden ist. Wie beim Thema BSE.

Einst haben wir von den Regierenden Bedächtigkeit erwartet, wenn möglich gar Spuren von Weisheit. Heute erwarten wir Sofortigkeit.

Jeder kluge Politiker weiß, dass er zum Thema Rinderwahnsinn viel zu wenig weiß, um sinnvoll handeln zu können. Doch gehandelt werden muss, sofort - denn nicht sofort zu handeln sähe nach Gleichgültigkeit aus. Und diesen Anschein will sich niemand geben.

Dabei gibt es kaum eine ärgere Form der Gleichgültigkeit als besinnnungslose Eile.

Das zu erkennen, wenigstens einmal im Jahr, wenigstens vorübergehend, auch dazu bietet sich das Weihnachtsfest an.

Die Diskussion um das therapeutische Klonen - Es geschieht

21/12/2000

 
Wer möchte schwer kranken Menschen den Weg zu einer möglichen Heilung versperren? Sicherlich niemand. Deshalb ist es so geschickt wie verwerflich, Kranke aufs Podium zu heben, wenn darüber diskutiert wird, ob das Klonen von Menschen verwerflich ist oder nicht.

Genetiker, Ärzte und die Pharmaindustrie sagen uns eine Zukunft ohne Erbkrankheiten voraus. Eine Zukunft, in der kranke Organe durch neue zu ersetzen wären, ohne dass sich dafür ein Spender finden muss. Der Transplantationsmedizin stände ein gewaltiger Boom bevor. Fehlt nur noch das Argument, dieser Boom werde neue Arbeitsplätze bringen.

Das britische Unterhaus will das therapeutische Klonen erlauben. Also die künstliche Befruchtung menschlicher Eizellen zum Zwecke der Herstellung von Organen, die genetisch identisch mit denen eines Kranken sind. Mit dem Klonen, also der Verdoppelung eines Menschen, habe das nichts zu tun, heißt es. Die Linie sei klar. Mitnichten ist sie das.

Die Genetiker entschlüsseln das Buch des Lebens. Die Frage, ob wir das wollen, ist müßig: Es geschieht. Gesetzgeber, die glauben, sie könnten therapeutisches Klonen erlauben, die Reproduktion von Menschen jedoch verhindern, irren.

Zu groß ist die Verlockung zu tun, was möglich erscheint - zumal wenn winkt, wonach der Mensch seit Urzeiten strebt: Unsterblichkeit. Diesem Ziel näher zu rücken, ist doch der eigentliche Zweck des Klonens, ja aller Medizin.

Ein bisschen Klonen, ein bisschen Manipulation der Schöpfung gibt es so wenig, wie frau ein bisschen schwanger sein kann.

Letztlich stehen unsere Gesetzgeber - und wir alle -vor der Frage, wem wir uns im Zweifel anvertrauen wollen: Gott oder der Wissenschaft. In den letzten 500 Jahren haben wir im Abendland uns noch stets mit großer Mehrheit für die Wissenschaft entschieden.

Der Bundespräsident hat Sebnitz besucht - "Die sind schuld"

20/12/2000

 
Wir leben im Land der wohlfeilen Schuldzuweisungen. Deutsche in Ost und West, Linke und Rechte sind vereint in der Bereitschaft, rasch mit dem Finger zu zeigen, auf Andere, auf Andersartige.

Macht es einen Unterschied, ob man auf DIE Ausländer zeigt oder DIE Ossis? Auf die Türken oder die Amerikaner? Auf die 68er oder die Rechten? Die lustvolle, manchmal geifernde Suche nach dem Sündenbock ist, leider, noch immer, ein gesamtdeutsches, ein fürchterliches Spiel.

Jetzt sind die Medien im Visier. Nicht ohne Grund. Fernsehen, Rundfunk, auch seriöse Zeitungen haben sich nicht mit Ruhm bekleckert, als das Gerücht Flügel bekam, in einem kleinen Ort im Osten, Sebnitz hieß er, hätten Neonazis einen kleinen Jungen ertränkt, im Freibad, und brave Bürger hätten reglos zugesehen.

Die Bild-Zeitung war es, die das Feuer entfachte. Aber es hätte nicht gelodert, hätten nicht andere willig nachgelegt. Was dabei zum Vorschein kam, waren betonierte Vorurteile und bornierte Selbstgerechtigkeit. Wer glauben mag, dass ein ganzer Ort mutwillig wegschaut, wenn ein kleiner Junge ertrinkt, der glaubt auch an Hexen.

Vom Hexenglauben ist es nur ein kleiner Schritt zur Bereitschaft, Hexen zu verbrennen. Denn dann, nicht wahr, wenn das Böse ausgerottet ist, mit Stumpf und Stiel, dann wird alles, alles gut?

Eben nicht. Auf keine interessante Frage gibt es eine einfache Antwort. Jeder Mensch ist fähig zu nahezu allem. Was er daraus macht, hängt von vielerlei Faktoren ab. Die Wahrheit liegt immer nur im Einzelnen und nie in der Verallgemeinerung.

Die Medien können sich bei den Bürgern von Sebnitz nicht entschuldigen. Weil es die Medien nicht gibt. Einzelne Reporter und Redakteure hätten sicher Grund, sich zu entschuldigen - und sollten es tun.

Vor Umsatzrekorden im Weihnachtsgeschäft - Nur ein Gedanke

16/12/2000

 
Das Weihnachtsgeschäft läuft glänzend, dem wenig festlichen Wetter zum Trotz. Der Handel jubiliert ob dieser frohen Botschaft, und das soll uns freuen. Lebhafter Handel sichert Arbeitsplätze und Wohlstand.

Besonders gut laufen, so hört man, in dieser Saison DVD-Player, digitale Kameras und Computerspiele.

Kaum zu zählen sind die Weihnachtsmärkte im Revier, ist die Zahl der Stände und Buden. Groß ist offenbar die Sehnsucht der Menschen nach adventlicher Stimmung, nach Glühweinduft und Bratwurst mit Senf.

Merkwürdig nur, dass viele von denen, die es auf die Märkte drängt, zugleich ein Grummeln verspüren, tief in ihrem Innern; vielleicht dort, wo wir die Seele vermuten.

Alle Jahre wieder beklagen wir die Reduzierung der Weihnachtsbotschaft auf den Ruf: Kauft, Leute, kauft!

Zu schenken und beschenkt zu werden, das ist schön. Umso schöner wäre es, fiele der Tropfen nicht so oft auf den heißen Stein. Die größten, teuersten Geschenke erhalten in der Regel jene, die kaum noch wissen, wohin damit. Oder die im Zweifel durchaus in der Lage wären, sich selbst aufs Feinste zu beschenken. Was sie oft genug auch tun.

Wäre es nicht schön, wenn uns Weihnachten ein Anlass wäre, einmal jene zu beglücken, die sich selber wenig leisten können? Nur ein Gedanke.

Wenn Eltern die neue Playstation Zwei nicht ins eigene Kinderzimmer stellten, neben Computer und Playstation Eins, sondern unter den Weihnachtsbaum einer Familie, der es schwer fällt, die Kinder in Designer-Jeans zu hüllen: Wäre das nicht gar weihnachtlich gedacht und gehandelt? Und böte es nicht Anlass zu manch fruchtbarer Diskussion am eigenen Tisch?

Dem Handel wär' es einerlei. Umsatz ist Umsatz - und so ganz sicher dem Herrn ein Wohlgefallen.

Der Deutsche Sportbund wurde 50 Jahre alt

9/12/2000

 
Wo sich sieben Deutsche treffen, entsteht ein Verein. So geht die Sage. Leider stammt sie, was Sagen so an sich haben, aus vergangener Zeit.

Wer Verein hört, denkt oftmals zuerst an Vereinsmeierei. Und wer möchte schon ein Vereinsmeier sein? Cool klingt es nicht zu sagen: Ich bin Kassierer im Verein.

Das ist schade. Vereine sind der Kitt der Gesellschaft. Im Verein zu sein heißt: gemeinsam mit anderen ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, unentgeltlich, in der Freizeit, oft zum Nutzen Anderer.

Oft wird behauptet, wir lebten in einer Wegschaugesellschaft. In einer Gesellschaft, in der sich jeder nur um sich selber kümmert und der Staat um den Rest. So kann, so darf es nicht sein - und zum Glück ist es nicht so.

Der Deutsche Sportbund feierte am Freitag seinen 50. Gründungstag. Er allein umfasst sage und schreibe mehr als 86 000 Vereine. Die allermeiste Arbeit, die dort anfällt, wird von Ehrenamtlichen geleistet. Auf dem Sportplatz, in der Turnhalle, von Müttern und Vätern, nach der Arbeit, freiwillig und gern, und das mitten in Deutschland.

Vor wenigen Tagen hat Bundespräsident Rau, der jetzt auch dem DSB gratulierte, die Bedeutung ehrenamtlicher Arbeit in Vereinen und Verbänden - und, ja, auch in Parteien - hervorgehoben. Dem Präsidenten ist zu danken, dass er so das Augenmerk der Medien auf Taten lenkte, die selten Schlagzeilen erzeugen, weil sie unspektakulär sind. Die altmodisch wirken in einer Gesellschaft, die nach konstanter Unterhaltung lechzt und der Selbstverwirklichung frönt.

Als wenn sich irgend jemand verwirklichen könnte, ohne im Kontakt mit anderen zu stehen. Auch Robinson war letztlich heilfroh, als er auf seiner einsamen Insel Freitag entdeckte.

Wären noch fünf weitere hinzu gekommen und wäre Robinson ein Deutscher gewesen, es wäre ein e.V. entstanden.

Die Politiker und der BSE-Skandal

8/12/2000

 
Der bayerische Landwirtschaftsminister stellt sich schützend vor die gesunden Rinder des Freistaats. Was so normal klingt, wirkt in diesen Tagen des Rinderwahns wie der Mut zum politischen Selbstmord.

Der BSE-Skandal hat sein Gutes. Nicht nur führt er uns Wurstessern drastisch vor Augen, was wir bedenken- und willenlos in uns hineinstopfen ließen. Er offenbart zudem die weite Verbreitung einer Seuche ganz anderer Art: einer Seuche, die unsere Politiker befallen hat. Sie führt zum schleichenden, in manchen Fällen auch abrupten Verlust von Rückgrat und Urteilsfähigkeit.

Jahrelang haben sich Behörden und Politiker geweigert, die Warnungen von Wissenschaftlern ernst zu nehmen. Leider kann, was sträflich versäumt worden ist, nicht per Kraftakt nachgeholt werden, nicht einmal durch ein kanzlerhaftes Basta!

Genau diesen Eindruck versuchen Politiker und Behörden aber zu vermitteln, seit das Kürzel BSE so volkstümlich geworden ist wie Aids.

Warum werden ganze Herden von Rindern notgeschlachtet, nur weil eines aus ihrer Mitte den BSE-Erreger im Körper hatte? Bislang wurde nicht bekannt, dass BSE durch schlichten Körperkontakt übertragbar wäre. Die Rinder müssten einander schon fressen, um sich gegenseitig anzustecken.

Das demonstrative Massenschlachten dient dem einzigen Zweck, Entschlossenheit zu demonstrieren.

Wissenschaftler weisen darauf hin, es sei besser, sogar infizierte Tiere zu Forschungszwecken am Leben zu erhalten.

Von den zuständigen Politikern und Behörden erwarten wir, dass BSE-verseuchtes Fleisch von Mensch und Tier ferngehalten wird. Und dass alles geschieht, um bald möglichst verstehen zu können, woher der Erreger kam und wie er sich verbreitet. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Viel Lärm um die Entfernungspauschale

8/12/2000

 
In Berlin wird derzeit viel über Verkehrspolitik geredet. Leider wird dort keine Verkehrspolitik betrieben. Jedenfalls keine, die diesen Titel verdiente.

Die Bundesregierung will eine Entfernungspauschale einführen. Nicht, weil dies ökonomisch oder ökologisch sinnvoll wäre. Sondern, um der Opposition Luft aus den Segeln zu nehmen.

Vor einigen Wochen machten CDU und CSU gegen die Ökosteuer mobil. Nicht, weil dies ökonomisch oder ökologisch sinnvoll war, sondern weil es populär schien. Die Benzinpreise stiegen scheinbar ins Unermessliche, die Heizölpreise auch. Und die Union suchte nach einem Thema, mit dem sich die Regierung jagen ließe.

Doch Kanzler Schröder bremste die Union aus. Ein Heizkostenzuschuss links, eine Erhöhung der Kilometerpauschale rechts, und das Wahlvolk war besänftigt, die Opposition ihres Themas beraubt. Ein glänzender Schachzug, rein sportlich betrachtet. Doch Politik sollte mehr sein als eine Verlängerung des sportlichen Wettkampfs mit anderen Mitteln. Verkehrspolitik sollte die Bedingungen dafür schaffen, dass wir auch übermorgen noch von A nach B kommen, in berechenbarer Zeit. Und das ist leider nicht gewährleistet.

Der Verkehr von Menschen und Waren in und durch Deutschland wird weiter wachsen; um 20 beziehungsweise gar 64% bis zum Jahr 2015, ernsthaften Prognosen zufolge.

Gefragt ist eine Verkehrspolitik, die freien Verkehrsfluss ermöglicht, wo es notwendig ist, und Verkehr zu vermeiden hilft, wo das möglich ist. Eine Entfernungspauschale einzuführen, die Pendler dazu anreizt, möglichst oft möglichst weite Wege zurückzulegen, ist unsinnig; ökonomisch und ökologisch.

Zudem sinken die Benzinpreise derzeit wieder. Herr Bundeskanzler, was nun?

Der Europäische Gipfel in Nizza: Mut zur Vision

7/12/2000

 
An der Grenze zwischen Deutschland und Polen begann der Zweite Weltkrieg. Kaum eine Grenzlinie in Europa wurde so oft verschoben, mit so viel Gift beladen wie die zwischen Deutschen und Polen. Erst wenn diese Grenze aufgehoben wird, ist Europa geeint.

Und geeint muss es sein. Viel wird derzeit geklagt, die Idee Europa habe ihren Glanz verloren. Das mag stimmen. Doch an Wert hat sie mitnichten verloren.

Wann hat es das jemals gegeben, in Europas blutiger Geschichte: 50 Jahre Frieden, 50 Jahre Wohlstand. Jedenfalls im Westen des Kontinents, rund um jene Grenze herum, die einst ähnlich vergiftet war wie jene zwischen Deutschen und Polen: die zwischen den Erzfeinden, zwischen Franzosen und Deutschen?

Den Frieden und den Wohlstand, den wir Westeuropäer genießen, haben wir jenen Politikern zu verdanken, die den Weitblick und die Weisheit besaßen, den Grundstein zu einem Gebäude zu legen, dessen Richtfest sie - das wussten sie - nicht mehr würden erleben können. Solche Politiker sind auch heute wieder vonnöten.

Nichts von dem, was wir heute als selbstverständlich erachten, versteht sich von selbst: nicht der neckisch-zwanglose Umgang zwischen Deutschen und Franzosen und Briten, nicht die niederländischen Busse am Oberhausener CentrO, nicht die Allgegenwart unseres Italieners an der Ecke, nicht die Freiheit, mit der wir uns zwischen Lissabon und Athen, Kopenhagen und Salerno bewegen, nicht Ballermann 6 und die deutsche Finca auf Mallorca.

Jeder noch so winzige Fortschritt hin zur Europäischen Integration war nur möglich, weil in allen Hauptstädten Westeuropas Politiker regierten - und Beamte verwalteten -, die auch nach schier endlosen nächtlichen Verhandlungen über Milchquoten die Idee Europa nie aus dem Blick verloren. Lange zeit genügte das. Weil ein Bauplan vorgegeben war.

Doch dieser Bauplan trägt nicht mehr. Das Gebäude der Europäischen Union ist schon jetzt zu groß geworden, um noch übersichtlich zu sein. Es gleicht einem gewucherten Verwaltungsgebäude mit zahllosen Kammern und endlosen Fluren, ohne Maß und ohne Gesicht. Wenn Polen der EU beitreten wird und mit oder nach ihm zehn und mehr weitere Staaten, muss ein neues Gebäude her. Kein erweitertes, kein Anbau, nein: ein neues Gebäude.

Europa muss neu gedacht und geplant werden, und zwar jetzt. Zähigkeit und Pragmatismus reichen nicht aus, das Werk der Europäischen Einigung zu vollenden. Im Gegenteil: Wenn die Politiker derJetztzeit sich darauf beschränken, so weiter zu wursteln, wie es zwischen Brüssel und Straßburg jahrzehntelang üblich - und ausreichend - war, ist das Projekt Europa gefährdet.

Statt neuer Quotenregelungen braucht Europa einen Quantensprung.

Brüssels Kompetenzen gehören klar definiert und begrenzt. Das Europäische Parlament muss an Einfluss gewinnen. EU-Europa muss für seine Bürger begreifbar, verstehbar und zähmbar werden.

Aller Europa-Skepsis zum Trotz: Die allermeisten Menschen in Europa wollen die Integration nicht rückgängig machen - ebenso wenig wie die allermeisten Sachsen und Thüringer sich das Minenfeld der innerdeutschen Grenze zurückwünschen, allem Gegrummel zum Trotz.

Kanzler Schröder hat sich und seine Amtskollegen zum Beginn des Gipfels in Nizza aufgerufen, Mut zu beweisen. Dem ist wenig hinzuzufügen - außer: Es lohnt sich.

Politiker, die stets nur auf Wahltermine schielen, werden rasch vergessen. Schröder, Chirac und Co. haben die Chance, als Architekten Europas unvergessen zu bleiben.

Größeren Lohn hat Politik nicht zu bieten.
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