Teil 2: Bill Clinton und Hope
Hope ist eine Hauptstadt. Es nennt sich die "Wassermelonen-Hauptstadt der Welt." Prachtexemplare von 200 Pfund Gewicht sind keine Seltenheit. Alljährlich im August strömen die Menschen der Region zu Zehntausenden nach Hope, zum Melonen-Festival. In diesem Jahr dürften es noch einige mehr sein, auch Ausländer darunter und viele Fernsehteams. Bill Clinton, der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, wurde hier geboren, in Hope, Arkansas, am 19. August 1946, als William Jefferson Blythe IV.
Bill Blythe, sein Vater, kam bei einem Autounfall um, als das Kind noch nicht geboren war. Clinton ist der Name seines Stiefvaters.
Die noble Welt des Südens, die Welt der Herrenhäuser und Damenkränzchen, die Welt des illustren "Southern Living" - für den jungen Bill Blythe-Clinton existierte sie nicht. Auch die Welt der schnellen Geschäfte, in der Ross Perot groß wurde, dreißig Autominuten weiter südlich - der junge Clinton hatte keine Chance, ihr zu begegnen.
In Clintons Geburtshaus in Hope hat es vor kurzem gebrannt. Eine schwarze Familie lebt dort, den Brandspuren zum Trotz. Auf Möbeln vom Sperrmüll, unter bröckelnden Decken. Daß ein Fremder an die Tür kommt, ist ihnen unangenehm. Nur zögernd antwortet der Vater auf Fragen. Seinen Namen will er nicht nennen. Ob er weiß, daß Bill Clinton hier geboren wurde? Er nickt. Wen er wählen wird bei der Präsidentschaftswahl im November? "Ich wähle nicht. Kein Interesse an Politikern." Ende des Gesprächs.
Am Gemüsestand auf der anderen Straßenseite verkündet ein Schild: "Wir nehmen Lebensmittelmarken."
Hope hat rund zehntausend Einwohner. Wirklich reich ist hier niemand. Perots Texarkana, auf der anderen Seite des Red River, gleicht einer Weltstadt, von hier aus betrachtet. Demnächst wird in Hope eine neue Grundschule eingeweiht, eine Sensation für den Ort.
Arkansas ist ein armer Staat. Aber seit zehn Jahren hat er stetig und und mehr als andere Staaten der USA in Straßen und Bildung investiert. Der Gouverneur des Staates heißt seit zehn Jahren Bill Clinton.
Hope hat eine Zeitung, den Hope Star, Auflage 5000 Exemplare täglich. John Miller ist ihr Chefredakteur. Einen Clinton-Fan kann man ihn nicht nennen. Aber er schreibt seinen Lesern ins Gewissen, sie sollten gefälligst stolz sein auf den Sohn ihrer Stadt, der nun vielleicht sogar Präsident wird. Miller erinnert an Plains, Georgia.
Auch den Ort kannte kein Mensch, bis ein Erdnußfarmer von dort ins Weiße Haus umzog, Jimmy Carter. "Clinton ist unsere Chance," meint Miller, eine Chance, nicht nur zum Melonenfest Touristen und Geld anzulocken, "vielleicht die einzige Chance in unserer Geschichte."
Ob er denn glaubt, daß sich unter Clinton etwas grundlegend ändern kann in der amerikanischen Politik? Miller zeigt auf den Stapel Clinton-Reden und Wahlprogramme, die er durchgeackert hat: "Wenn er nur die Hälfte von dem verwirklicht, was da drin steht, wird er ein wirklich guter Präsident sein."
Clintons Wahlkampagne stand von Beginn an unter der öberschrift: Wir müssen mehr für den vergessenen Mittelstand tun. Als Präsident will er in neue Verkehrssysteme, Kommunikationsnetze und vor allem in Schulen und Bildung investieren, verspricht er. Amerika, sagt Clinton stets, gehe heute verschwenderisch mit den Talenten seiner Bürger um. "Put People first" ist seine Parole - "zuerst die Menschen".
Der Gemeinderat von Hope ist zerstritten darüber, ob das baufällige Clinton-Geburtshaus auf Gemeindekosten renoviert werden soll - oder abgerissen. Vermutlich wird die Entscheidung vertagt, glaubt Miller. Bis nach dem Wahltag am 3. November.
Der Hope Star ist stolze 95 Jahre alt. Wann Hope, der Ort, gegründet wurde, weiß niemand mehr genau. Auch warum er Hope heißt, Hoffnung, - keinen Historiker hat es bisher interessiert. Miller: "Angeblich hat ein Riverboat-Kapitän den Ort nach seiner Tochter benannt."
Eine Straßenkreuzung, eine Tankstelle, ein Supermarkt und eine kleine Einkaufs-Mall: Das ist das Zentrum von Hope. Der Bahnhof gleich neben dem Clinton-Haus war auch in besseren Tagen nicht viel mehr als ein Schuppen.
Als Bill sieben Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm um nach Hot Springs. Zwischen dem Badeort in den Bergen und Hope liegen kaum mehr als hundert Kilometer, aber Welten. Den Washita-Indianern waren die heißen Quellen heilig. Ihren weißen Nachfahren dienten sie von Beginn an als Touristen-Magnet. Es entstanden Luxushotels und vornehme Badeanstalten.
Bills Mutter Virginia fand hier Arbeit als Krankenschwester, sein Stiefvater handelte mit Autos. Die ersten Jahre wohnten die Clintons in einem Haus an der Park Avenue. Deren vornehmer Name adelt die billigen Motels, die hier, außerhalb der feinen Badezone, aufgereiht liegen. Vielen blättert die Farbe vom Reklameschild. Ihre Gäste sind vornehmlich Schwarze.
Margie Todd betreibt eine Getränkehandlung gegenüber dem Haus, in dem hier die Clintons einst wohnten. An den jungen Bill kann sie sich nicht mehr erinnern, wohl an die Mutter: "Eine tüchtige Frau." Ob sie Clinton denn wählen wird? "Werde ihn wohl wählen müssen." Vieles anders machen in Washington könne sicher auch Clinton nicht, aber: "Vielleicht tut er mehr für uns Amerikaner und gibt nicht soviel fürs Ausland aus." Damit wäre Margie Todd schon zufrieden.
Von der Park Avenue zogen in die Clintons später in einen Vorort-Bungalow um, zwischen Friedhof und Bahndamm, aber mit Doppelgarage und Vorgarten. Nicht alle Häuser in der Nachbarschaft sind noch heute so gepflegt wie dieses. Von hier aus ging der junge Clinton zur Oberschule in Hot Springs. Er war ein guter und beliebter Schüler, "fraß" Bücher und interessierte sich früh für Politik. Weil er gut war, bekam er einen Studienplatz in Washington und später ein Rhodes-Stipendium in Oxford.
Einige Häuser in der Gegend stehen leer. An einem hängt vor dem zerbrochenen Fenster ein großes Plakat: "Clinton for President"
Als Bill Clinton elf Jahre alt war, schickte der damalige Präsident der Vereinigten Staaten die Nationalgarde nach Arkansas, 1957. Um die ôffnung der Schulen für schwarze Kinder zu erzwingen. Die Bilder aus jener Zeit prägen noch immer das Vorurteil vieler Yankees im Norden von den verstockten Hinterwäldlern im Süden. Sie stehen in seltsamem Kontrast zu der Glorifizierung des southern style of living, den Ross Perot für viele so gelungen verkörpert.
Bill Clinton will im Gespann mit Albert Gore aus dem Nachbarstaat Tennessee den Amerikanern ein neues Bild vom Süden vermitteln. Eines Südens, im dem Weiß und Schwarz heute friedlicher neben- und manchmal auch miteinander leben als in Kalifornien. Eines Südens, in dem es den vielen Armen im Lande lange nicht so schlecht geht wie in den Metropolen des Nordens. Und eines Südens, in dem Straßen und Schulen oft besser in Schuß sind als in reicheren Staaten.
"Es gibt einen Neuen Süden, der in vielem genauso aussieht wie der Rest des Landes," sagt Clinton: "Und dann sind da einige Dinge in unserer Region, die es verdienen, nachgeahmt zu werden."
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