Nach seiner Wahlniederlage beschrieben Mitarbeiter den Präsidenten als deprimiert. Mehrfach klagte George Bush, die öbergangszeit bis zur Amtseinführung seines Nachfolgers Clinton sei viel zu lang. Doch in dieser Woche telefonierte der US-Präsident wieder mit Staatsmännern in aller Welt, er übernahm die Führung in einer Hilfsaktion für Somalia, er schickte golfkriegerprobte Marines erneut in den Kampf - als wolle er beweisen, daß auch „lahme Enten“ fliegen können.
Lahme Enten - lame ducks - nennen die Amerikaner auf ihre respektlos-direkte Art Amtsinhaber, deren Tage gezählt sind. Die Aufmerksamkeit der US-Presse gehört dem, dem die Zukunft gehört. Bush war eigentlich schon abgeschrieben, und er wußte es. Mit bitterem Humor beklagte er sich noch vor wenigen Tagen über „diese großartigen, verantwortungsvollen Aufgaben, die mir geblieben sind - die Hunde spazieren zu führen und einen Truthahn entgegenzunehmen.“ Den Truthahn spendiert die amerikanische Geflügellobby alljährlich dem Bewohner des Weißen Hauses, um die Nation zu ermahnen, am Thanksgiving-Feiertag auch ja die richtige Sorte Fleisch zu essen.
Nun sind Truthähne und Hunde vergessen, George Bush ist wieder in seinem Element. Wie vor zwei Jahren im Vorfeld des Golfkrieges sammelte der Präsident telefonisch Verbündete, wieder für eine Militäraktion, wieder auf einem anderen Kontinent, aber diesmal in rein humanitärer Absicht. Er ließ eine Anprache an das amerikanische Volk ankündigen und gleich drei „größere Reden“ über Außenpolitik und Politik im allgemeinen.
George Bush ist offenkundig nicht bereit, sich lautlos von der politischen Bühne zurückzuziehen. Es ist, als wolle der Präsident der undankbaren Nation ein letztes mal zeigen, was sie an ihm hatte und weiterhin hätte haben können: einen entschlossenenen, kraftvollen Führer mit Blick für die Nöte der Menschen. Einen, der weiß, wie man pfeifen muß, damit die Puppen tanzen - von Europa bis Afrika. Er drohte Europa wirkungsvoll mit einem Handelskrieg, er will das Nordamerikanische Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada noch feierlich unterschreiben, und er reagierte auf den Druck des UN-Generalsekretärs, etwas für Somalia zu tun, indem er die Initiative an sich riß. „Es ist wichtig, die Leute daran zu erinnern, was wir denken, welche Methoden sich bewährt haben,“ sagte ein Bush-Mitarbeiter in aller Bescheidenheit.
Im eigenen Land wird Bush dafür nicht nur Beifall gezollt. Nachfolger Clinton allerdings enthält sich kritischer Worte - obwohl es ihn doch kaum ruhig lassen kann, was für ein unausgebrütetes Ei ihm sein Vorgänger mit dem Militärengagement in Somalia ins Nest legt. Clintons geplante Jubelfeier zur Amtseinführung gäbe ein schlechtes Bild ab, wenn gleichzeitig tote US-Soldaten in Leinen-Säcken aus Somalia zurückkehren sollten.
Ein Pentagon-Sprecher hat Bushs Hoffnung, die US-Soldten könnten ihre Mission schon vor der Amtsübergabe erledigt haben, geradeheraus als „lächerlich“ bezeichnet. Die New York Times hält dem Noch-Präsidenten vor, aus der Hüfte zu schießen. Niemand wisse so genau, welche Gefahren in Somalia auf die US-Soldaten lauern, was genau ihr Auftrag sein wird und wann er vollendet sein kann. Die schnelle Entsendung von Marines sei möglicherweise nichts anderes als „protziges“ Imponiergehabe, wo Behutsamkeit und Nachdenken angebracht wäre - wildes Flügelschlagen einer „lahmen Ente“, und das in einem Porzellanladen.
Zwei jugendliche Helden aus dem Süden wollen das Weiße Haus erobern - Das "Ticket" Clinton/Gore8/7/1992
Bisher wissen die meisten Amerikaner von Bill Clinton nicht viel mehr, als daß er Saxophon spielt, gerne ißt, eine schöne, aber gefährlich kluge Frau hat und nicht richtig inhalieren kann. Diese Karikatur war das Produkt des Vorwahlkampfes innerhalb der demokratischen Partei. Der lief - wie üblich - nach dem Muster ab: Alle Bewerber bewerfen sich gegenseitig mit Dreck, die Presse wirft fröhlich mit, Sieger ist, wem das Lachen trotzdem nicht vergeht.
Am Montag eröffnen die Demokraten mit ihrem Parteitag in New York den eigentlichen Wahlkampf, und dann soll alles anders werden. Statt mit Schlamm werden die mehr als 2000 Delegierten im Madison Square Garden Clinton und seinen Vize-Kandidaten Albert Gore mit Konfetti bewerfen. New York und die Nation sollen erleben: die vollendete Verwandlung Clintons vom Schmuddelkind zum jugendlichen Helden.
Während sich Präsident Bush und der unabhängige, aber reiche Vielleicht-Kandidat Perot persönlich beharkten, profilierte sich Clinton während der letzten Wochen still als der einzige Kandidat mit einem politischen Programm. Nebenher bewies er Mumm. Etwa indem er auf einem Gewerkschaftskongreß des öffentlichen Dienstes ankündigte, er werde als Präsident 100000 Bürokraten-Stellen streichen. Und jetzt entschied er sich für "Al" Gore als zweiten Mann auf dem demokratischen Ticket. Auch das brachte ihm Applaus ein.
öblicherweise erwählt sich ein Präsidentschaftskandidat einen Vize, der jene Wähler erreichen könnte, die ihm selber nicht zulaufen. Ein Kandidat aus dem Süden holt sich seinen Stellvertreter aus dem Norden, ein älterer Kandidat wählt einen jungen Vize. Ein schwacher Kandidat sorgt dafür, daß der Stern des zweiten Mannes nicht am Ende heller strahlt als sein eigener.
Clinton setzte sich souverän über diese gesammelten Parteitagsweisheiten hinweg. Gore ist wie er Mitte 40, Vertreter der Baby-Boom-Generation. Beide kommen aus dem Süden; Clinton aus Arkansas, Gore aus dem benachbarten Tennessee. Gore ist ehrgeizig und gilt als kompetent auf Feldern, von denen Clinton nicht allzu viel versteht: Außen- und Sicherheitspolitik, Umweltschutz. Er war der Vertreter des Senats beim Umweltgipfel in Rio. Verglichen mit Bush-Vize Quayle ist Gore ein politsches Schwergewicht.
(1988 wollte Al Gore selber Präsident werden. Er unterlag in den Vorwahlen. Für 1992 trat er nur deshalb nicht an, heißt es, weil Amtsinhaber Bush zu Beginn des Vorwahlkampfes noch unschlagbar schien.)
(öber Wochen interessierten sich die amerikanischen Medien nur am Rande für den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei. Der Held der Stunde hieß Ross Perot. Doch inzwischen klingt das Perot-Fieber ab. In den Meinungsumfragen hat Clinton inzwischen mit Bush und Perot gleichgezogen.
In seinem Heimatstaat Arkansas gilt er als politisches Wunderkind. Als einer, der Wahlen glänzend gewinnen, Menschen von sich überzeugen und solide regieren kann. Als Clinton mit nur 32 Jahren hier erstmals Gouverneur wurde, war er der jüngste Regierungschef der USA. Inwischen ist er - mit 45 Jahren - der am längsten amtierende.)
Noch vor kurzem spekulierten nicht wenige Kommentatoren, der Parteitag könnte Clinton für zu leicht befinden und kurzfristig ganz jemand anderen aufs Schild heben, Perot zum Beispiel. Inzwischen pilgert Parteigröße nach Parteigröße zu Clinton und sichert Unterstützung zu. Einer gelungenen Inszenierung von Partei-Eintracht im Madison Square Garden scheint nichts mehr im Wege zu stehen.
Vor vier Jahren feierten die Delegierten das Gespann Dukakis/Bentsen. Dukakis ging dann allerdings im Wahlkampf gegen George Bush mit Pauken und Trompeten unter. Den Tiefschlägen der republikanischen Profis war er nicht gewachsen.
Doch Clinton hat schon bewiesen, daß er Stehvermögen hat. Nacheinander wurde er als Ehebrecher, Marihuana-Raucher und Vietnamkriegs-Drückeberger "entlarvt". Er hat es politisch überlebt.
Ein Clinton-Berater verglich das bisherige Desinteresse vieler Amerikaner an seinem Chef mit dem Verhalten eines Reifenkäufers: "Erst wenn die Reifen wirklich gewechselt werden müssen, interessiert man sich ernsthaft für die Modelle, die am Markt sind."
Und warum sollten sich die Wähler dann ausgerechnet für den "Reifen" Clinton entscheiden? Die Antwort: "Weil der als einziger am Ende nicht platt ist."
Ein bißchen Schadenfreude schwang schon mit, wenn auch nur zwischen den Zeilen. Die amerikanischen Medien berichteten ausführlich für die gestörte Großdemonstartion gegen Ausländerfeindlichkeit in Berlin. Sie taten das in der Regel objektiv und voller Sympathie für den guten Willen, der hinter dieser Veranstaltung steckte. Aber sie gaben auch die Beweggründe der Störer wider.
Die ausländerfeindlichen Krawalle und deren drumherum haben hier in den letzten Monaten die Berichterstattung aus und über Deutschland beherrscht. Neben dem Tod von Willy Brandt war dies das einzige deutsche Thema, das in den USA Emotionen frei werden ließ. Keine erfreulichen Emotionen.
Es waren weniger die Bilder aus Rostock und anderswo, die Bilder von randalierenden Skinheads, grölenden Neonazis. Es war mehr noch die Hilflosigkeit, das - wie es von hier aus schien - duckmäuserische Verhalten der deutschen Politik. Daß sie nicht aufstand gegen den Haß, sondern ihm nachzugeben schien - durch Schließung der Grenzen.
Wirkliches Erschrecken hat in der amerikanischen Öffentlichkeit die Vereinbarung zwischen Deutschland und Rumänien über den Rücktransport von Sinti und Roma ausgelöst. Daß eine ganze Volksgruppe abgelehnt, ja gehaßt wird, weil sie anders ist, verstößt gegen alle Ideale der amerikanischen Verfassung.
Nun wissen kluge Amerikaner, daß viele unter ihnen selbst manchmal dagegen verstoßen. Niemand hier wollte die Krawalle überbewerten. Nur: In den USA ist es die Regel, daß Protest Gegenprotest hervorbringt. Wo die Mächte des Finsteren wirken, sind die Mächte des Guten nicht weit. Doch wo waren die Mächte des Guten, fragten sich viele Amerikaner verstört, als Deutschland gegen die Zigeuner vorging? Warum sagte die Opposition nicht donnernd Nein, wo blieben die Demonstrationen? Ihr Bild eines freiheitlich-demokratichen Deutschland, eines Deutschland, das innerlich eigentlich fast genauso ist wie Amerika, hatte plötzlich einen Haarriß bekommen.
Die Großdemonstration vom Sonntag war Kitt auf diesen Riß. Es wurde dankbar registriert, daß noch weit mehr Menschen auf die Straßen gingen, als die Veranstalter gehofft hatten. Es wurde auch berichtet, daß es nur wenige waren, die gestört haben. Und eben auch, daß Kanzler Kohl sich zuvor monatelang geweigert habe, an einer solchen Bekundung des guten Willens teilzunehmen. Und daß er sich nicht zu von Weizsäcker stellte, als der mit Eiern und Steinen beworfen wurde.
Die letzten Weltwirtschaftsgipfel sind den Amerikanern in unguter Erinnerung. Zu hoch waren die Erwartungen, zu kläglich die Resultate. Die Lösung der GATT-Frage - der Streit um die Einzelheiten eines neuen Welthandelsabkommens - wurden zweimal auf die lange Bank geschoben. Des US-Präsidenten Appell an andere Länder, doch bitte ihre Zinsen zu senken, um die Konjunktur weltweit in Schwung zu bringen, stieß auf taube Ohren. Und auch für Gorbatschow und seine Sowjetunion sprang außer warmen Worten nichts heraus.
Diesmal sind die Erwartungen an den Gipfel in den USA gering. Umso verlockender ist es für George Bush, das Treffen in München als Erfolg enden zu lssen. Aus Sicht der US-Regierung wäre das erreicht, wenn dreierlei geschähe:
- Wenn die sechs anderen Regierungschefs sich bereit zeigen, mehr als bisher für die Ankurbelung der Welt-Konjunktur zu tun.
- Wenn die GATT-Verhandlungen durch eine Einigung wenigstens in der Agrarfrage neuen Schwung erhalten.
- Wenn es Boris Jelzin bei seiner ersten Fast-Teilnahme an einem G7-Treffen anders ergeht als Vorgänger Gorbatschow. Wenn also zumindest eine erste Tranche des 24-Mrd-Dollar-Hilfsprogramms für Rußland auf den Weg nach Moskau gebracht werden kann.
(Die US-Regierung erhofft sich für ihre heimische Wirtschaft in Osteuropa und Asien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus neue Märkte. Jelzin ist es bei seinem Besuch in Washington gelungen, die Amerikaner zu überzeugen, daß es ihm ernst ist mit Marktwirtschaft und Demokratie. Gorbatschow hat immer nur schöne Versprechungen gemacht, heißt es am Potomac, Jelzin handelt. Das hat die Bereitschaft gefördert, ihm mit Geld zu helfen, auch wenn Rußland noch nicht alle Bedingungen des Weltwährungsfonds erfüllt. In der Nacht auf Freitag stimmte der Senat mit großer Mehrheit einem Hilfsprogramm für Osteuropa im Prinzip zu.
George Bush hat es im Wahlkampfjahr bitter nötig, wenigstens international wieder als bewährter Führer dazustehen. Nichts würde ihm zuhause mehr helfen, als wenn von München wider Erwarten ein spürbarer Ruck für die Weltwirtschaft ausginge. Auch die US-Wähler erhoffen sich von Auslandstrips ihres Präsidenten nur dreierlei, in Bushs eigenen Worten: Jobs, Jobs, Jobs.
"Ich kann mich ja gelegentlich mit großer Klarheit ausdrücken." Sagte Volker Rühe nach seinen Gesprächen mit führenden USƒVerteidigungspolitikern, zufrieden lächelnd wie ein satter Kater. Der neue Bundesverteidungsminister demonstrierte bei seinem ersten Besuch in der amerikanischen Hauptstadt neues deutsches Selbstbewußtsein. Und eigenes gleich mit.
Mit dem einflußreichen Senator Nunn sprach Rühe über die künftige Zahl amerikanischer Soldaten in Deutschland. Nunn versuchte ihm die Idee schmackhaft zu machen, GIs künftig ohne ihre Familien über den Atlantik zu schicken. So wie die US-Army es auch in Südkorea praktiziert. Der Vorteil liegt auf der Hand: Es wäre billiger.
Doch Rühe machte klar: Das kommt nicht infrage. Deutschland sei nicht Korea. Den Deutschen sei wichtig, daß die USA sich fest an Europa binden. Daß Soldatenfamilien in Kontakt mit Deutschen kommen. Für uns, so Rühe, "bleibt die Nato die Nummer Eins."
Ja bitte, kommt dann Amerikanern prompt die Idee, dann tragt doch Ihr Deutschen auch bitteschön die Kosten der Stationierung! Rühes Replik, sinngemäß: Ihr seid doch keine eingekauften Söldner.
Nein, so sieht man sich in den USA in der Tat nicht gern. Das Argument saß. Jedenfalls vorerst.
Bestimmt und selbstsicher trat Rühe in Washington auf. Es schadete ihm nicht. Er nutzte den Vorteil, daß er hier von vielen Besuchen in anderen Rollen her bestens bekannt ist. Rühe gilt als Amerika-Freund - und, was nicht unwichtig ist, als enger Vertrauter des Kanzlers.
Präsident Bush ließ es sich nicht nehmen, ihn für ein Halbstundengespräch zu empfangen. Im offiziellen Reiseplan war das nicht vorgesehen. In Rühes Begleitung wurde anschließend Wert auf die Feststellung gelegt, daß der Präsident sich auch mit Außenminister Kinkel nicht länger unterhalten hat. Kinkel war zwei Tage früher hier.
Auch daß Rühe wie Kinkel unterstrich, das neue Eurokorps solle, geht es nach den Deutschen, im Bündnisfall der Nato unterstellt werden, hörte man gern. Überhaupt: Daß Außen- und Verteidigungsminister mit einer Zunge sprechen, ist bei Amerikas Alliierten nicht immer der Fall.
Rühe zog auch gleich noch ein Füllhorn voller Ideen aus der Tasche, wie sich die deutsch-amerikanische Freundschaft weiter vertiefen läßt, jedenfalls auf dem Feld der Streitkräfte. Offiziere gemeinsam auszubilden, schlug er vor, in einer sicherheitspolitischen Arbeitsgruppe gemeinsam nach "Strategien für eine veränderte Welt zu suchen", deutsche Wehrpflichtige als Sprachlehrer in US-Einheiten einzusetzen und GIs Praktika bei deutschen Truppenteilen anzubieten, unter dem Motto: "Meet United Germany". Soviel Kreativität hat hier schon lange kein deutscher Verteidigungsminister mehr bewiesen.˙ Außenminister Baker bescheinigte Rühe denn auch freundlich, das deutsch-amerikanische Verhältnis sei "nie besser gewesen als heute".
"Ich war so stolz, meinem Land zu dienen," erzählte Jacqueline Ortiz einem Senatskomitee, "aber nicht, ein Sex-Sklave zu sein." Die 29jährige war als Mechanikerin der US-Army während des Golf-Kriegs in Saudi-Arabien. Seither kann sie schlecht schlafen, muß sich häufig übergeben. Schuld daran ist nicht der Feind, sondern ein Vorgesetzter. Jacqueline Ortiz sagt, sie sei von ihrem Sergeanten anal vergewaltigt worden, im hellen Tageslicht.
Dies ist nur die neueste einer Vielzahl von Enthüllungen über den Umgang der Armee mit Sex und überhaupt mit weiblichen Soldaten. Lange war das Thema tabu.
Frau Ortiz erstattete sofort Bericht, stieß aber bei den Offizieren ihrer Einheit auf taube Ohren. Die Army tat ihre Klage mit einer Verwarnung ab - für beide, den Sergeant und sie.
Einer Untersuchung des Pentagon zufolge ist jede dritte Frau in der Armee während ihrer Dienstzeit mindestens einmal von männlichen Kameraden belästigt, befingert oder vergewaltigt worden. Diana Davis, heute Leiterin einer Vereinigung von weiblichen Armee-Veteranen, berichtete dem Senatskomitee, auch sie selbst sei Opfer einer Vergewaltigung geworden. Auch in diesem Fall war der Täter der unmittelbare Vorgesetzte. Auch Mrs. Davis erstattete Bericht. Doch ihr Kompaniechef riet ihr, schlicht "die ganze Sache zu vergessen." Sie würde sonst die Karriere eines hoffnungsvollen jungen Sergeanten zerstören. Diana Davis hielt sich bisher an den Rat. Jetzt nicht mehr.
Der Armeekodex gebietet: öber Sex macht man Witze, aber er findet nicht statt. Und wenn, dann spricht man nicht darüber. Soldaten, die in Verdacht geraten, homosexuell veranlagt zu sein, werden ausgespäht und, sofern der Verdacht sich bestätigt, erbarmungslos entlassen. Homosexualität, so ist das Credo der Truppe, untergräbt die Disziplin. Auch Präsident Bush teilt diese Haltung.
Die Vorschrift stammt aus einer Zeit, in der alle Soldaten Männer waren. Sie US-Armee steht aber schon seit langem Frauen offen. Sie tun heute Dienst in praktisch allen Einheiten, auch mit der Waffe. 1,2 Mio Amerikanerinnen tragen oder trugen Uniform. Doch das hat die Armeeführung bisher nicht darüber nachdenken lassen, ob heterosexuelles Verlangen der Disziplin vielleicht genauso abträglich sein könnte wie homosexuelles. Oder wie eine moderne Armee damit umgehen kann, daß ihre Angehörigen fleischliche Verlangen haben.
Laut darüber nachgedacht wird erst, seit durchsickerte, was sich im September 1991 im Hilton-Hotel Las Vegas ereignete. Die Tailhook Association, eine Verbindung von aktiven und pensionierten Marine-Piloten, feierte dort ihre jährliche Zusammenkunft. Drei Tage lang ging es sehr laut, sehr feucht, sehr fröhlich zu. Nur den weiblichen Soldaten verging das Lachen, gründlich.
Leutnant Paula Coughlin, eine Helikopterpilotin, dachte sich nichts Böses, als sie den Aufzug im dritten Stock des Hotels verließ. öberall in den Gängen standen, tranken und lachten Offiziere. Was dann begann, schildert Paula Coughlin als einen alptraumhaften Spießrutenlauf. Sie wurde von vorn und von hinten begrapscht, längs durch den Flur weitergereicht, von Gruppe zu Gruppe. Sie biß um sich und schrie um Hilfe. Vergeblich. Ihre Kameraden reagierten mit Grinsen.
"Ich hatte Angst wie nie im Leben," berichtete Leutnant Coughlin jetzt, nach monatelangem Schweigen: "Ich dachte, ich werde das Opfer einer Massenvergewaltigung."
Soweit kam es nicht. Aber ähnliches wie Leutnant Coughlin erlebten mindestens noch 25 weitere Frauen. Eine Untersuchung der Vorfälle kam nur schleppend in Gang. Die Navy-Führung gab sich alle Mühe, den Tailhook-Vorfall im Dunkeln zu lassen. Am Ende vergeblich. Die Frauen durchbrachen das Schweigegebot, Paula Coughlin als erste.
Am letzten Wochenende mußte der Marineminister, Lawrence Garrett III., seinen Abschied nehmen. Präsident Bush empfing Leutnant Coughlin zu einem persönlichen Gespräch. Gegen mehr als 70 Navy-Piloten wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.
Die Navy versicherte, sie wolle den Umgangston und die chauvinistischen Sitten und Gebräuche in Kasernen und auf Schiffen ändern. Eilig wurde, jedenfalls versuchsweise, der Kampf gegen sexuelle Belästigung in die Ausbildungsordnung aufgenommen. Motto der Kampagne: "Nicht in unserer Marine!"
Schon Paula Coughlins Vater war Offizier. "Ich habe mich abgerackert, um dazuzugehören," sagte sie: "Ich wollte der bestmögliche Marineoffizier sein und beweisen, daß ich alles kann, was der Job von mir verlangt. Stattdessen wurde ich behandelt wie ein Stück Dreck - nicht wie einer von ihnen."
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