Uwe Knüpfer
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Bosnienverhandlungen in Dayton: Ruhe vor dem Ziel?

8/11/1995

 
Die Informationen tröpfeln nur spärlich. Doch die Friedensverhandlungen um Bosnien scheinen Fortschritte zu machen. Jedenfalls hat keiner der Beteiligten bisher die Wright-Patterson Air Force Base bei Dayton im US-Bundesstaat Ohio unter Protest verlassen.

Das wäre auch so einfach gar nicht möglich. Die Amerikaner haben Serbiens Präsidenten Milosevic, seinen bosnischen Kollegen Izetbegovic, den Außenminister Kroatiens und all die anderen Verhandler sorgfältig abgeschirmt. Reporter lugen vergeblich durch Zäune. Ein Fernsehjournalist, der beobachtet wurde, wie er sich öffentlich das Wasser abschlug, wurde kurzzeitig verhaftet.

Offizielle Verlautbarungen gibt nur der Sprecher des US-Außenministeriums, Burns, bekannt, in Washington. Und der gibt sich wortkarg. Manchmal ist gerade mal zu erfahren, als daß der bosnische Außenminister sich ein Footballspiel angesehen hat oder daß Milosevic und Izetbegovic zusammen bummeln waren. Immerhin: Das kann man als ein positives Zeichen werten.

Die Amerikaner haben den Parteien ein elfseitiges Papier vorgelegt, den Entwurf einer Verfassung Bosniens enthaltend. Inbegriffen ist ein Passus, wonach niemand für ein Wahlamt kandidieren dürfte, der vor dem Gerichtshof in den Haag angeklagt ist. Das würde die politischen Karrieren der Serbenführer Karadzic und Mladic beenden. Manche Gerüchte besagen: Milosevic sei über diese Zumutung aufgebracht. Andere besagen: Eigentlich wäre sie ihm gar nicht unlieb. Sein Verhältnis insbesondere zu Karadzic ist schließlich alles andere als herzlich.

US-Außenminister Christopher hat den Passus eine Bedingung dafür genannt, daß die USA sich an einer Friedenstruppe für Bosnien beteiligen. Das Weiße Haus wiederum hat Christopher zurückgepfiffen: Man will sich seinen Verhandlungsspielraum nicht selber unnötig einengen. Serben, Kroaten und bosnische Moslems untereinander streiten sich dem Vernehmen nach vor allem um Grenzziehungen.

Der Präsident Montenegros, Mitglied der serbischen Delegation in Dayton, hat mit seinem Premierminister telefoniert, und der wiederum hat Reportern in Washington gesagt, die Verhandlungen könnten schon am Wochenende erfolgreich zuende gehen.

So viel Optimismus wiederum ist den Amerikanern suspekt. Die wollen sich auf ein Ende der Verhandlungen nicht nageln lassen. Aber immerhin will Christopher noch in dieser Woche wieder nach Ohio fliegen, um persönlich mitzuhelfen. Und auch ein Eingreifen Bill Clintons, des Präsidenten persönlich, wird in Erwägung gezogen. Schon allein der schönen Fernsehbilder wegen, die sich ergeben, sollte Bosnien in Dayton Frieden finden.

Powell zuckt zurück - doppelter Dämpfer für die Republikaner

8/11/1995

 
Der Zauderer hat sich entschieden. Colin Powell kandidiert 1996 nicht um das Amt des US-Präsidenten. Bill Clintons Chancen auf Wiederwahl verbesserten sich.

Die oppositionellen Republikaner verloren nicht nur ihren aussichtsreichsten Kandidaten: Auch bei Wahlen quer durch die USA schnitten sie schlechter ab als erhofft.

Ungezählte Berichte über "Amerikas ersten schwarzen Präsidenten?" wurden vergeblich geschrieben. Powell, der frühere Chef des US-Generalstabs, hat dem Druck vieler Freunde, Berater und der Medien nicht nachgegeben. Er hat dem  Spiel "Warten auf Powell" ein Ende gemacht.

Der Druck war groß, viele spielten mit. Gleich mehrere Komitees "Powell for President" hatten schon Büros gemietet, Helfer angeheuert. Spender standen Scheck bei Fuß. Gemäßigten Republikanern schien Powell die einzige Chance, Clinton 1996 zu schlagen und gleichzeitig den Rechtsruck ihrer eigenen Partei aufzuhalten.

Powell ist ein Mann der Mitte, innen- wie außenpolitisch decken sich seine Ansichten zumeist mit denen Bill Clintons. Rechte Republikaner machte deshalb der Wirbel um Powell nervös.

Mehr denn je geben in der Partei Ronald Reagans und George Bushs fundamentalistische Christen, außenpolitische Isolationisten und eifernde Kämpfer wider den Wohlfahrtsstaat den Ton an. Diesen Kräften war Powells mögliche Kandidatur ein Dorn im Auge.

Powell (58) ist Amerikas berühmtester Frührentner. Seit er 1993 die Uniform ablegte, ist er Multimillionär geworden. Seine Autobiographie "My American Journey" führt seit Wochen die Bestsellerlisten an - nicht zuletzt wegen des Presserummels um seinen möglichen Einzug ins Weiße Haus. Eine Vortragstour durch die USA glich einem Triumphzug. Umfragen signalisierten, Powell würde Clinton mit Abstand schlagen, würde heute gewählt.

Aber solche Umfragen sind von mäßigem Wert. Powell hat nie einen Wahlkampf geführt. Er ist ein Karriere-Militär, ein Bürokrat. Er fühle "kein Feuer im Bauch", sagte er am Mittwoch in einer überraschend angesetzten Pressekonferenz nahe seinem Wohnhaus in einem Vorort von Washington. (Seine Autobiographie beginnt mit dem Satz: "Gewöhnlich verlasse ich mich auf meine Instinkte.")

Daß er Präsident sein könnte, auch gern sein würde, daran hatte er in den letzten Wochen keinen Zweifel gelassen. Was er fürchtete, war der US-übliche schmutzige Wahlkampf. Schon hatten Powell-Gegner in der republikanischen Partei gestreut, Powells Frau Alma sei depressiv, nehme seit zehn Jahren Medikamente.

Alma Powell war ohnehin entschieden gegen eine zweite, eine politische Karriere ihres Mannes. Sie fürchtete Attentäter - um so mehr seit dem Mord an Yitzhak Rabin -, und sie hing an dem komfortablen, ruhigen Familienleben. Lange genug war sie ihrem Mann von Dienstort zu Dienstort gefolgt.

(Powells Eltern sind aus Jamaica in die USA eingewandert. Er wuchs in der Bronx auf, einer Armeleutegegend in New York. Die Armee, hat er oft gesagt, wurde ihm zur zweiten Familie.

Als Buchautor und "Held des Golfkriegs" wurde Powell nichts als gefeiert. Als Kandidat wäre seine Rolle in Vietnam, wären seine Entscheidungen im Golfkrieg, seine Opposition gegen jedes US-Engagement in Bosnien kritisch überprüft worden. Das Wall Street Journal hat ihm vorgeworfen, "Saddam Husseins Retter" gewesen zu sein. Auch Powells Privatleben wäre nicht länger tabu gewesen.

Schon als Militär war Powell als Zauderer bekannt - was in auffälligem Gegensatz zur verbreiteten Hoffnung stand, Powell wäre ein entschlußstärkerer Präsident als Clinton.)

Clinton hat offiziell zu dem Rummel um Powell nie Stellung genommen. Ganz privat mag er am Mittwoch gefeiert haben. Die verbleibenden Herausforderer auf Seiten der republikanischen Partei schneiden in Umfragen allesamt schlechter ab als er.

Zudem erteilten auch die Wähler den Republikanern in dieser Woche einen Dämpfer. In Wahlen quer durch die USA siegten mal Republikaner, mal Demokraten. Der republikanische Erdrutschsieg vom Vorjahr wiederholte sich nicht.

(Im November 1994 verlor Clintons Demokratische Partei ihre langjährigen Mehrheiten im US-Kongreß, und sie verlor auch in vielen traditionell demokratisch regierten Einzelstaaten. Es begann die "republikanische Revolution".

Doch die Revolution ist ins Stocken geraten. Vielen Wählern gehen die Pläne der Republikaner zu weit. Insbesondere Rentner empören sich über geplante Einschnitte in ihre Gesundheitsversorgung. Die Republikaner wollen bei den staatlichen Zuschüssen zu Krankenversicherungen radikal sparen. Ihr Ziel: ein ausgeglichener Staatshaushalt im Jahr 2002, kombiniert mit Steuersenkungen.

Auch gegen geplante Schnitte ins - ohnehin löcherige - soziale Netz hat sich inzwischen Widerstand formiert. Ebenso gegen geplante Lockerungen von Umweltschutzbestimmungen. US-Vizepräsident Al Gore schimpft den republikanisch beherrschten Kongreß "rechtsradikal, extremistisch, familienfeindlich". Eine wachsende Zahl von Wählern sieht das offenbar inzwischen ähnlich.

In den Zwischenwahlen am Dienstag verteidigten die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordentenhaus von Virginia. In Maine gewannen sie zwei Sitze hinzu, in New Jersey drei. Der demokratische Gouverneur von Kentucky wurde wiedergewählt. Kentucky schien seit den Wahlen vor einem Jahr durch und durch republikanisch.

In den meisten Wahlen siegten Amtsinhaber. Mit anderen Worten: Es waren ganz normale Wahlen. Persönlichkeiten spielten eine große Rolle. Noch sind die mehrfach totgesagten Demokraten nicht beerdigt. Und der Gegner, den sie am meisten fürchteten, genießt weiter seinen Vorruhestand.)

Rückblick: 50 Jahre CARE - Markenzeichen der Hilfsbereitschaft

6/11/1995

 
Der Name wurde beim Bügeln gefunden. Alice Clark fragte ihren Mann, Lincoln Clark, über dessen neuestes Projekt aus. Clark hatte schon nach dem Ersten Weltkrieg beim Versenden von Hilfspaketen aus den USA nach Europa geholfen, und nun, im Winter 1945, war er einer der Väter einer neuen Hilfsorganisation, die in den nächsten Jahrzehnten mehr als eine Milliarde Menschen in 121 Ländern der Erde mit Essen, Kleidung, Rat und Tat beistehen würde. In diesem November feiert sie ihren 50. Geburtstag: CARE.

Lincoln Clark erzählte seiner bügelnden Frau, wie schwierig es war, 22 US-amerikanische Hilfsorganisationen unter eine Haube zu bringen. Wie schwierig es sein würde, im zerbombten, auseinandergerissenen Europa Pakete auszuliefern - eine funktionierende Post existierte gerade in den Ländern nicht mehr, die am dringendsten Hilfe benötigten. Und daß es dennoch gelungen war, eine Kooperative der Hilfsorgansisationen zu gründen, daß eine Bank drauf und dran war, dem Neuling als Starthilfe einen Kredit von drei Mio Dollar zu gewähren und daß nun tatsächlich bald Amerikaner ausgebombten, hungernden Europäern Pakete schicken könnten. Das war die Idee.

Sie war aus unbeschreiblicher Not geboren. Der Zweite Weltkrieg hatte in Europa mehr als dreißig Millionen Tote hinterlassen. Schätzungsweise 13 Mio Menschen hatten ihre Heimat verloren. Die Landwirtschaft lag darnieder. In den USA machten Berichte über hungernde europäische Kinder große Schlagzeilen. Amerikaner lasen erschüttert, daß Polen, Ungarn, Deutsche im Schnitt täglich nur 800 Kalorien aufnahmen. Die USA ihrerseits hatten den Jubel über das Ende des Krieges hinter sich, die meisten Soldaten waren heimgekehrt, die Wirtschaft brummte, die Mägen waren voll. Nie fühlte sich die Nation als ganzes so gut, konnte sie so mit sich zufrieden sein.

Viele Amerikaner hatte Verwandte oder Freunde in Europa. Der Krieg hatte den Kontakt zumeist unterbrochen. Die Bereitschaft zu helfen war groß. Aber wie? Der Bürgermeister von New York schlug vor, alle Amerikaner sollten zugunsten hungernder Europäer eine Mahlzeit pro Woche auslassen. Vorschläge wie dieser waren populär. Aber wie sollten die Lebensmittel aus Amerika nach Europa kommen? Die Regierung in Washington mußte sich ohnehin schon bittere Vorwürfe anhören, weil sie nicht imstande war, Briefe und Pakete an Adressen in Europa weiterzuleiten. Regierung und Militärführung hatten andere Probleme.

So fand der Gedanke rasch Freunde, eine private Organisation solle für die Verteilung von Hilfspaketen sorgen. Schon Ende 1944 hatten Clark und sein Kollege Arthur Ringland vorgeschlagen, wie nach dem Ersten Weltkrieg, nun allerdings in größerem Umfang, private Hilfspakete zu schicken. Doch bis zum Herbst 1945 wurde darüber vorwiegend geredet und gestritten. Im November 1945 war es endlich soweit; eine Pressekonferenz in New York sollte die neue Organisation bekanntmachen.

Aber sie hatte noch keinen Namen. In der Aufregung hatte an dieses Detail niemand gedacht. So sammelte nun Alice Clark - beim Bügeln - die Worte, um die es ging, versuchte, aus den Anfangsbuchstaben einen Begriff zu formen, der alles enthielt und auf den Punkt brachte: daß es um Hilfe aus Amerika für Europa ging und daß ein Zusammenschluß von Hilfsorganisationen (eine "cooperative") dahinterstand. Es fehlte ein passender Konsonant. "P" wie Pakete tat es nicht. Alice fiel "Remittances" ein - überweisungen, Sendungen.

So entstand CARE: die Cooperative for American Remittances to Europe. Care heißt Sorge, Fürsorge, als Verb: sich um jemanden kümmern. Selten traf ein Kürzel so die Sache.

Später wurde "Europe" durch "Everywhere" - überall - ersetzt und das bürokratische Remittances durch das schlichtere "Relief" - Hilfe. Aber da war CARE längst zu einem Markenzeichen der Hilfsbereitschaft geworden.

Trudy McVicker, heute Amerikanerin, empfing das erste CARE-Paket als elfjähriges Mädchen in Bayern, im Winter 1946. "Keine Mahlzeit wird mir je wieder so gut schmecken wie jene Lebensmittel aus dem CARE-Paket," sagt sie - und, daß eines fast noch wichtiger war als sattzuwerden: die Erfahrung, daß sich jemand kümmerte: "Menschen, die noch vor kurzem im Krieg mit Deutschland waren, sahen über alle Vorbehalte hinweg und halfen, statt sich an unserem Elend zu weiden. Es war mir eine unschätzbare Lehre."

Briefe, Dankesschreiben solchen Inhalts hat CARE seither zehntausendfach erhalten, aus aller Welt. Unvergessen ist der Besuch Konrad Adenauers im CARE-Hauptquartier 1957. Und auch, daß dankbare Deutsche die ersten waren, die eine eigene CARE-Organisation außerhalb der USA auf die Beine stellten.

Als CARE startete, mit einer Pressekonferenz am 27. November 1945, war der Erfolg alles andere als sicher. Die Organisation war klein, die Aufgabe gewaltig. Ein Schnellstart war gefragt. Die US-Army hatte für die geplante Invasion in Japan 2,8 Mio Nahrungsmittelpakete eingelagert, sogenannte "10-in-1"-Pakete;  mit jeweils einer Tagesration für zehn Soldaten. Nach Japans Kapitulation war die Invasion abgesagt worden, die "10-in-1"-Pakete wurden nicht mehr gebraucht. Die US-Regierung stellte sie CARE zur Verfügung.

Nun wurden Spender gesucht. US-Bürger, die sozusagen die Patenschaft für einzelnen Pakete übernahmen und Adressaten in Europa benannten. CARE gab die Garantie, daß die Pakete ihre Empfänger auch erreichen würden. Sonst hieß es: Geld zurück. Diese Zusage einzuhalten, erwies sich als verteufelt schwierig, jedenfalls in der Anfangszeit.

An Spendern fehlte es nicht. US-Präsident Harry Truman persönlich kaufte die ersten hundert Pakete. Die Witwe seines Vorgängers, Eleanor Roosevelt, der Boxer Joe Louis, die Schauspielerin Marlene Dietrich und viele, viele Prominente mehr machten Werbung für CARE. Das US-Außenministerium verhandelte mit europäischen Staaten, um die Auslieferung der Pakete zu sichern, ohne daß sie geöffnet oder mit Sonderporto belegt würden. Am 11. Mai 1946 erreichten die ersten Pakete Le Havre in Frankreich. Im Juli schon unterhielt CARE Büros und Lagerhallen in elf europäischen Ländern: in Frankreich, Norwegen, Finnland, Italien, Holland, Polen, der Tschechoslowakei, Österreich, Griechenland, Belgien sowie in der amerikanischen, britischen und - zuletzt - der französischen Besatzungszone in Deutschland.

Die Mitarbeiter von CARE waren zum Teil Veteranen amerikanischer Hilfsorganisationen, zum Teil Quäker, Gewerkschafter, Journalisten. Einige waren ehemalige Soldaten und Agenten des US-Geheimdienstes OSS (Office of Strategic Services). Aus dem OSS ging nach dem Krieg die CIA hervor.

Die Geheimdienstverbindung erschwerte es CARE, im bald einsetzenden Kalten Krieg Pakete auch nach Osteuropa und in die sowjetisch besetzten Länder Mitteleuropas zu liefern. Moskau verteufelte CARE-Pakete als ideologische Handgranaten, als Instrumente des US-Imperialismus.

In Berlin pochten die Sowjets darauf, daß die Lebensmittelverteilung Sache der Siegermächte sei. Die CARE-Niederlassung in Rumänien mußte schon 1947 wieder geschlossen werden, 1948 die in Bulgarien, die in Ungarn 1949.  Der Eiserne Vorhang senkte sich. Nur in Jugoslawien blieben CARE-Pakete willkommen, in Polen gelegentlich . DDR-Bürger erreichten sie getarnt als Geschenke von westdeutschen Verwandten. Care-Pakete spielten eine Schlüsselrolle bei der Überwindung der Blockade Westberlins durch die Sowjets 1948.

In den fünfziger Jahren wurden CARE-Pakete auch aus US-Sicht zu Trägern einer ideologischen Botschaft. Eine Anzeige in US-Zeitungen pries die Pakete als "Amerikas Bekannte Geheimwaffe" : "Indem Sie CARE unterstützen, werden Sie ... zu einem Diplomaten für Amerika."

Unter CARE-Mitarbeitern war und blieb die Verknüpfung von humanitärer Hilfe mit politischen Botschaften heftig umstritten. Mitarbeiter-Vetos verhinderten so manche gezielt antikommunistische Kampagne, heißt es in einer Denkschrift von CARE.

Der Anfang war schwer. Pakete wurden gestohlen und "schwarz" verhökert - besonders in Deutschland - , von Behörden konfisziert, Adressaten erwiesen sich als unauffindbar. Aber die Erfolge waren wichtiger. So manch ein Amerikaner erfuhr durch die unterschriebene Empfangsquittung eines CARE-Pakets, daß Verwandte oder Freunde in Europa den Krieg überlebt hatten und wo sie sich jetzt aufhielten.

Nachdem die "10-in-1"-Pakete verbraucht waren, kaufte CARE en gros Lebensmittel auf, stellte Pakete selbst zusammen. Vor allem enthielten sie Fleischkonserven, Margarine, Honig, Rosinen. Kakao, Mehl, Reis, Milchpulver, Zucker und Seife.

1946 wurden eine Mio Pakete ausgeliefert, 1947 schon 2,6 Mio. Bis 1963 schickten  Amerikaner zehn Mio CARE-Pakete allein an deutsche Empfänger. Als einer von ihnen gab sich später, als Bundeskanzler, Helmut Kohl zu erkennen. Kleidung war in seinem Paket, sagte er in einem amerikanischen TV-Interview - und fügte schmunzelnd hinzu: "Die Sachen waren mir zu groß."

als kasten dazu: CARE am Scheideweg - Amerika sieht weg

Anfang 1995 entdeckte CARE ein neues Land, dem es zu helfen gilt: die USA. Seit Februar schickt CARE an Familien in Boston Pakete mit Büchern und Tonbandkassetten. Um Kinder und ihre Eltern zum Lesen und Vorlesen zu ermuntern. Viele amerikanische Unterschichtkinder haben noch kein Buch gesehen, wenn sie in die Schule kommen - und können kaum lesen, wenn sie die Schule wieder verlassen.

Das Programm in Boston soll - ganz nebenbei - skeptischen Amerikanern CAREs Nützlichkeit beweisen. Hilfe fürs Ausland ist derzeit unpopulär in den USA.  Spendendollars sitzen nicht mehr locker. Und die republikanische Kongreßmehrheit in Washington streicht Etattitel radikal weg, aus denen Programme im Ausland finanziert werden. Die Hälfte des jährlichen 400 Mio-Dollar-Etats von CARE USA stammt aus öffentlichen Mitteln.

Die globale Führungsrolle der USA sei heute, heißt es in einer CARE-Mitteilung zum 50jährigen Jubiläum der Organisation, "von einer wachsenden isolationistischen Stimmung gefährdet." Wenn Amerikaner sich nicht rühren, mahnt CARE-Präsident Peter Bell, "steht die Welt oft machtlos Leid, Konflikt und Chaos gegenüber." Solange Menschen hungern, gibt es keinen Frieden, heißt CAREs Credo.

éhnliches sagt auch US-Präsident Clinton, sagt dessen Amtsvorgänger George Bush. Es verhallt. Beider Regierungen werden von CARE zum 50. geehrt, am 8. November - wie alle US-Regierungen seit Franklin Roosevelt. Die Ehrung für die Präsidenten dient der Eigenwerbung von CARE. CARE kann es brauchen.

US-Reaktionen auf den Mord an Rabin: Erinnerungen an den Mord an Kennedy erwachen

5/11/1995

 
Die amerikanische Fahne über dem Weißen Haus wurde auf Halbmast gesetzt. US-Präsident Clinton unterdrückte Tränen, sprach von seiner Bewunderung, ja Liebe für den ermordeten israelischen Premierminister Yitzhak Rabin. Amerikas jüdische Gemeinde zeigte sich tief betroffen und verstört.

Clinton hielt, zwei Stunden nach dem Attentat, eine kurze Rede im Garten hinter dem Weißen Haus, nah dem Ort, an dem sich Rabin und PLO-Chef Arafat vor zwei Jahren erstmals die Hände reichten, von Clinton sanft dazu gedrängt. Der US-Präsident nannte Rabin einen Märtyrer, zudem "meinen Partner und meinen Freund." Er mahnte, Friede müsse und werde Rabins bleibendes Vermächtnis sein. Clinton fügte hinzu: "Ich bewunderte ihn, und ich liebte ihn sehr."

Viele Beobachter gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, der Mord werde die Friedenskräfte in Nahost stärken, nicht schwächen. Neben dem amtierenden machten sich drei ehemalige US-Präsidenten auf den Weg zu Rabins Beisetzung: George Bush, Jimmy Carter und Gerald Ford. Sie alle hatten mit Rabin zu tun.

Der Ermordete war aus US-Sicht oft ein schwieriger Partner. Er liebte klare Worte, biegsam war er nicht. Teile des politischen Establishments in Washington pflegten lange Zeit intensivere Beziehungen zur oppositionellen Likud-Partei, zu Rabins politischen Gegnern. Dasselbe gilt für die stattliche jüdische Gemeinde in den USA. Vor wenigen Wochen erst warf Rabin jüdischen Verbänden in den USA vor, den Friedensprozeß in Nahost nicht unzweideutig zu unterstützen. Auch in den USA gibt es viele Juden, die Rabin einen "Verräter" schalten.

Besonders Rabin-kritisch war die Zionist Organization of America. Deren Präsident Mort Klein erklärte nach dem Attentat: "Wir verurteilen diese Tat mit jeder Faser unserer Existenz." Klein wies vorsorglich Versuche zurück, dem Likud-Block Mitverantwortung für das Attentat zuzuschreiben. Das wäre das gleiche, sagte er, als hätte man den Republikanern Mitschuld am Attentat auf John F. Kennedy gegeben.

Auch Jimmy Carter erinnerte an den Mord an Präsident Kennedy. Vergleichbar seien Trauer und Verstörung. Vielerorts zündeten Amerikaner Kerzen an. "Schock", "tiefe Trauer", "Tragik" waren vielgebrauchte Worte. Und: "Held".

George Bush: "Rabin war ein wirklicher Held, erst im Krieg und mehr noch im Frieden."

Verhandlungen über Bosnien in Dayton, Ohio: das Konklave von Dayton

2/11/1995

 
Slobodan Milosevic fühlt sich wie ein Mönch in einem Kloster. Nun, das ist ein Fortschritt. Rue, Besinnung, Einkehr und Buße können den Führern der bosnischen Kriegsparteien nicht schaden.

Wenn Europäer Friedenskonferenzen organisieren, wählen sie zumeist Säle mit Lüstern, Orte, die zum Tanze laden. Wien, Versailles, Paris. Dayton ist von anderem Kaliber. Schon die Stadt selber ist schwerlich ein Erholungsort. Aber die Vertreter Serbiens, Bosniens und Kroatiens werden selbst von Dayton so gut wie nicht sehen. Sie sind eingesperrt - Pardon: Gäste - auf einem 3300 Hektar weiten Militärgelände außerhalb der Stadt. Die Wright-Patterson Air Force Base ist eine Stadt für sich - und in sich eine treffliche Demonstration militärischer Stärke. Wenn Slobodan Milosevic, Alija Izetbegovic und Franco Tudjman sich hier umsehen, dürften sie einen Vorgeschmack davon bekommen, was es heißt, demnächst womöglich die Nato im Lande zu haben.

Auf einer Air Force Base herrschen strenge Regeln, es regiert der Luxus der Nützlichkeit: Effizienz ist das Maß aller Dinge. Finten, Ausflüchte und Dummejungenspäße werden nicht geschätzt.

Es dürfte den Balkanführern auch guttun, für ein paar Tage in einer Welt zu sein, der die bosnischen Querelen herzlich fremd sind. Die Lokalzeitung von Dayton bemüht sich in diesen Tagen geradezu rührend, ihren Lesern zu erklären, welch historisches Drama nun vor ihrer Haustür einem Höhepunkt - vielleicht seinem Ende - entgegensieht. Das fällt nicht immer leicht. Da werden Izetbegovic und Tudjman schon mal verwechselt und auch, wer denn nun im Zweiten Weltkrieg zu den Nazis hielt. Die Serben? Oder doch die Kroaten? Vielleicht  braucht es ja diese Art von Distanz, um einen frischen Blick auf den Balkan zu werfen.

Immerhin haben sich Milosevic und Izetbegovic in Dayton schon die Hand geschüttelt. Was nicht wenig ist, wenn man bedenkt, daß in Bosnien seit ihrem letzten Händedruck Schätzungen zufolge eine Viertelmillion Menschen abgeschlachtet worden sind.

Der Händedruck war minutiös choreographiert. Die Amerikaner überlassen nichts dem Zufall. US-Unterhändler Richard Holbrooke spielt einmal mehr den Vermittler, und nur die Amerikaner geben Presseerklärungen ab. Reporter können die Air Force Base nicht betreten. Milosevic, Izetbegovis und der kroatische Außenminister, der seinen Präsidenten Tudjman für die meiste Zeit vertritt, haben keine Chance, über die Bande der Medien zu spielen.

Wenn Kardinäle einen neuen Papst wählen, schließen sie sich ein - zum Konklave -, bis ein Ergebnis vorliegt und dem Vatikan eine Wolke weißens Rauchs entsteigt. Reporter warten nun auf den weißen Rauch aus dem Konklave von Dayton.

Die Kardinäle versammeln sich unter den grandiosen Gemälden der Sixtinischen Kapelle. Michelangelo kam nicht bis Dayton. Selbst noch die nüchterne Neonbeleuchtung in den Verhandlungsräumen, die Flecken auf den Teppichböden  erfüllen eine Funktion: Hier gibt es nichts zu feiern, hier kommt man zur Sache. Wer sich spreizen will, macht sich nur lächerlich. Bosniens Außenminister geht davon aus, daß die Wohnräume der Delegationen sorgfältig "verwanzt" worden sind. Sprich: daß die Amerikaner immer mithören. Wahrscheinlich stimmt es. Aber schon die Annahme ist nützlich.

Allzulange haben sich die Führer der Serben, Kroaten und der bosnischen Moslems in ihrer Rolle als Kriegshelden und umschmeichelte Staatsgäste gefallen. Dayton bietet ihnen dafür keine Bühne. Wenn sie die Bühne wechseln wollen - im Erfolgsfall lockt eine Konferenz in Paris, dort sicher wieder unter Lüstern - müssen sie zur Sache kommen und sich sputen.

Die Amerikaner haben eine gute Wahl getroffen - wie nur sie es vermögen. Congratulation!

An der Klippe

1/11/1995

 
Eine hauchdünne Mehrheit der Bürger von Quebec hat sich für Kanada entschieden, gegen das Abenteuer der Selbständigwerdung. Ein Land sah über die Klippe und zuckte zurück, in allerletzter Sekunde. Am Abgrund aber steht es immer noch. 

Das Aufatmen war groß, nicht nur in Kanada. An der Klippe stand auch das Schicksal der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta, die Vision eines Nordamerika ohne Grenzen, ja grundsätzlicher noch: die globale Vision eines Zusammenlebens ohne Grenzen. Zwei Philosophien standen sich gegenüber, die Europäern nicht unvertraut sind: die von der Geborgenheit im eigenen Haus, innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe - polemisch: im vertrauten Mief - und die Hoffnung auf ein Miteinander der Kulturen in einer weiten, toleranten Gesellschaft. Kurz: Hütte gegen Wolkenkratzer.

Vor fünfzehn Jahren stimmten die Quebecker schon einmal ab. Sie votierten für Kanada, auch damals,  aber mit deutlicher Mehrheit. Damals versprachen Politiker in Kanadas Hauptstadt Ottawa, Konsequenzen zu ziehen: das Haus zu renovieren. Sie versuchten es, aber ohne Erfolg. Kanada war und ist ein Kontinent mit einer zentralistischen Regierung; es trägt am Erbe des Kolonialismus. Vielerorts fordern die Regionen mehr Unabhängigkeit von Ottawa. Nur nirgendwo so laut, so stur wie in Quebec.

Die Quebecker Separatisten haben es verstanden, ihren Traum von einem Frankreich auf amerikanischer Erde an eine Generation der Jungen weiterzureichen. Er ist am Montag nicht gestorben. Der Rücktritt des Premierministers von Quebec am Tag nach der Niederlage besiegelte nicht das Ende der Kampagne für "Le Quebec Libre". Jacques Parizeau reicht die Fackel nur weiter.

Wieder versprechen Politiker in Ottawa nun tiefgreifenden Wandel. Kanada werde besser werden, so daß niemand es verlassen muß. Diesmal müssen die Politiker liefern, was sie versprechen, sonst scheint es um Kanada geschehen.

Kanada braucht im Grunde eine neue Verfassung. Aber sie kommt nicht zustande ohne die Zustimmung aller Provinzen. Quebec wird von Separatisten regiert. Die wollen kein Apartement in einem neuen, wohnlicheren Haus. Sie wollen ein eigenes Land - ihr eigenes Chateau - und sehen sich dem großen Ziel näher denn je. Sie können und werden jeden Bauplan sabotieren, der aus Ottawa kommt. In den anderen Provinzen hält sich zudem die Lust in Grenzen, den Querköpfen aus Quebec mehr Platz im gemeinsamen Haus einzuräumen als allen anderen. Die Politiker in Ottawa sind fürwahr nicht zu beneiden.

Doch da ist etwas, das ihnen Mut machen sollte: Sie haben es mit Kanada zu tun und Kanadiern. über eine Frage von Sein oder Nichtsein stritt dieses Land mit großer Leidenschaft, aber eben nur mit Worten. Welch eine Wahlbeteiligung! Erwacht ist über die bittere Kampagne um das Referendum in Quebec ein bisher ungekanntes demokratisches Staatsgefühl, eine so nicht erwartete Liebe zu Kanada - Kanadas Werten -, gerade unter vielen jungen Menschen. Kaum zu glauben, daß eine Gesellschaft wie diese sehend in den Abgrund springt.
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