Am Ufer des Mississippi steht eine Pyramide. Du siehst sie von weitem, kommst Du von Westen nach Memphis. Die Pyramide von Memphis ist gläsern, sie glitzert in der Sonne. Sie ist kein Pharaonengrab, sondern der Versuch, einer ruinierten Innenstadt neuen Glanz zu geben. Ein eher verzweifelter Versuch. Memphis, die Metropole des Südens, die Stadt am "amerikanischen Nil", Memphis hat den Blues. Aber außerdem hat sie Elvis.
Elvis ist tot. Aber der "King" ist unsterblich. Lebendig ist die Geschichte und mehr noch die Legende von dem schüchternen Jungen aus Tupelo, Mississippi, der aufstieg zum Giganten des Rock’n’Roll, der dem Mississippi treu blieb und der starb in Memphis, Tennessee, am 16. August 1977, vor 15 Jahren.
Pyramiden sollten égyptens Pharaonen zu Unsterblichkeit verhelfen. Graceland ist Elvis Presleys Pyramide, ist sein Mausoleum. Für die Millionen von Elvis-Jüngern in aller Welt und besonders in den USA ist Graceland ein Mekka, ein Lourdes, ein Wallfahrtsort. Für Elvis’ Erben ist das ein Glück, nämlich ein gutes Geschäft.
Graceland, so nannte Elvis sein Wohnhaus, seine Traumburg, auf einem sanften grünen Hügel mitten in Memphis, zwischen Flughafen und Elvis-Presley-Boulevard.
Die Schalterhalle im Flughafen von Memphis ist nichts gegen die Schalterhalle von Graceland. Die Atmosphäre hier ist türkis-grün und unterkühlt, das Licht gedämpft. Die Vorhalle zu einem Heiligtum.
Vor den direkten Kontakt mit den Elvis-Reliquien - seinem Flügel, seinem Bett, seinem Billardtisch - hat "Elvis Presley Enterprises", jenes Unternehmen, das die Legende vermarktet, die Qual der Wahl gesetzt, sprich den Ticket-Kauf.
Alljährlich fragen sich Hunderttausende: Mache ich die Graceland Mansion Tour - eine Fahrt im Shuttle-Bus zum Wohnhaus samt Besichtigung desselben - für 7,95 Dollar, werfe ich einen Blick auf Elvis’ Wagenpark (The Elvis Presley Automobile Museum, Eintritt 4,50 Dollar) oder entscheide ich mich für die Lisa Marie & Hound Dog II JetStar Planes Tour für 4 Dollar 25? Elvis besaß zwei Flugzeuge, das größere ausgestattet als Apartment, mit Konferenzraum und Luxus-Bett. Alles zu besichtigen.
Wer sich nicht entscheiden kann, dem wird das Platinum-Ticket geboten - "alle Attraktionen" im Paket, für 15.95 Dollar. Wer dennoch Bedenkzeit braucht, kann an Ort und Stelle übernachten; im Heartbreak Hotel oder im Memory Lane Inn. Im Zimmerpreis eingeschlossen: ein Videokanal, der rund um die Uhr nichts anderes bringt als, natürlich, Filme mit Elvis.
Die Massen, die sich an normalen Wochenenden durch Graceland schieben, vorbei an den Andenkenläden mit Elvis-Täßchen, Elvis-Pillendosen, Graceland-Minihäusern aus Plastik, könnten genau so auch vor dem Schiefen Turm in Pisa stehen oder vor dem Weißen Haus in Washington. Nicht nur Gläubige besichtigen Kathedralen. Auch Graceland ist für alle da, eine Familienattraktion für alle Generationen, von der Oma bis zum Baby, ein nationales Denkmal.
Memphis tut der Elvis-Rummel gut. Die Stadt mit Vergangenheit ist noch immer auf der Suche nach ihrer wirtschaftlichen Zukunft.
Im 19. Jahrhundert war Memphis für einige aufregende Jahrzehnte die am schnellsten wachsende Stadt der USA. Raddampfer verbanden den Wilden Westen mit dem Golf von Mexiko, mit New Orleans, mit der Welt. Alle machten sie in Memphis fest. Hier war der zentrale Umschlagplatz für Menschen und Waren, Durchgangsstation für ein Land in Bewegung. Dann kam der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten, kamen drei furchtbare Gelbfieberepidemien, und der Boom war zuende.
Das Memphis der Jahrhundertwende war erneut ein Treffpunkt, vor allem für Spieler, Huren, Zuhälter und für Ganoven aller Art. Saloonbesitzer, nicht mehr die reichen Planzer- und Sklavenhalterfamilien, stellten die wirtschaftliche Oberschicht. Memphis erwarb sich den zweifelhaften Titel "Murder Town der USA".
Wer heute einen echten Spieler sehen will, einen Dandy aus der Zeit der Raddampfer und Saloons, muß per Hängebahn auf eine öde Mississippi-Insel gondeln, nach Mud Island. Einbetoniert in ein Museum lebt hier die "Belle of the Blues" weiter, bevölkert von Figuren aus Wachs.
Seit den dreißiger Jahren wurde gründlich aufgeräumt in Memphis. Heute sieht die Innenstadt aus wie nach einem Flächenbombardement; die Trümmer sind beseitigt, der Neuaufbau aber stockt. Wo einst Kneipen standen, Läden waren und Wohnungen, gähnen Parkplätze. Wie ein einsamer Stummelzahl ragt das Hotel Peabody aus der urbanen ôde heraus, in jeder Hinsicht.
Das Peabody ist mehr als ein Hotel, es ist eine Institution. Es kultiviert vergangene Pracht, vergangenen Stolz und jene beiläufige Verschrobenheit, die den Süden der USA in seinem Selbstverständnis vom Norden unterscheidet.
Pünktlich jeden Vormittag um elf setzt in der stuck- und lüsterdekorierten Hotelhalle fröhliche Marschmusik ein. Die Gäste wuchten sich hoch aus ihren Polstersesseln und blicken in gehobener Stimmung hinüber zum Aufzug. Eine Lautsprecherstimme verkündet: "Ladies and Gentleman! The March of the Peabody Ducks!"
Die Aufzugstür öffnet sich, Applaus setzt ein, es erscheinen ein Erpel und eine Handvoll Enten. Durch ein Menschenspalier und unter Blitzlichtgewitter watscheln sie hinüber zum Springbrunnen in der Mitte der Halle.
Am Nachmittag um fünf wiederholt sich das Ritual in umgekehrter Richtung.
Zwei Blocks, besser zwei Parkplätze hinter dem Peabody verläuft die Beale Street. In den golden-verruchten Jahren nach der Jahrhundertwende war die Beale Street die heimliche Hauptstraße von Memphis, Zentrum des Lasters und des Suffs. Und der Musik. Die Beale Street gilt als Geburtsstätte des Blues. Was der Grund ist, daß es hier an Samstagabenden zugeht wie in der Drosselgass’ zu Rüdesheim.
In PeeWee’s Saloon verhalf William Christopher Handy der melancholischen Singsang-Musik der schwarzen Baumwollarbeiter aus den weiten Feldern am Mississippi zu weltweitem Echo. Der Welt war der Blues gegeben. Auch er lebt nun fort, obschon es längst keine schwarzen Sklaven mehr gibt und Maschinen die Baumwolle pflücken. W.C. Handy bläst noch immer die Trompete, reckt sie in den endlosen Himmel über Memphis - als Statue aus Metall am Rande der Beale Street.
Auch an Rufus Thomas erinnert ein Denkmal, den "Ambassador of Soul". Wuchtig und würdig steht er auf seinem Sockel, Ahnungslose könnten ihn für einen Außenminister oder Schriftsteller halten. Wäre da nicht die Inschrift, die ihn ausweist als "The King of Rhythm and Blues" und außerdem und vor allem als "the funkiest chicken of the South" - das verrückteste Huhn des Südens.
Einige Häuser an der Beale-Street haben die Aufräumphase nach dem Zweiten Weltkrieg überstanden, wenn auch manchmal nur als Fassade. So können Touristenschwärme an Wochenenden in PeeWee’s Saloon oder Silky o’Sullivans’s World Famous Irish Bar der vergangenen Anrüchigkeit nachschnuppern. Hier finden sie gute Blues-Musik live und an den langen Theken Dosenbier.
Auch das Kaufhaus A-Schwab’s gibt es noch. Das Motto des Familienbetriebes, gegründet 1876, war: "If you don’t find it at A. Schwab’s, you’d better off without it!" - Wenn Du’s bei A. Schwab nicht findest, kommst Du besser ohne aus! Im Schaufenster vergilben alte Ansichtskarten.
Das Polizeirevier, nur wenige Schritte weiter, einst eine Art Davidswache der Beale Street, ist heute mangels Beschäftigung nebenher Museum. Wer will, kann testen, wie hart die Original-Pritsche in der Gefängniszelle ist. Zeitungsausschnitte und alte Akten zeugen von den nicht immer ruhm-, aber immer beschäftigungsreichen Tagen der Polizei von Memphis. Von einem Steckbrief grinst Machine Gun Kelly herunter auf die Besucher in Shorts und Freizeithemden. Auch Machine Gun Kelly weilt schon lange nicht mehr unter uns, sein schlechter Ruf aber, der hat ihn überlebt.
Die jüngsten Zeitungssartikel in den Vitrinen des Polizeimuseums stammen aus dem Jahr 1968. Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King, Prediger der Gewaltlosigkeit, in einem Motel in Memphis erschossen. Auch das ist inzwischen Geschichte. Ein Denkmal ehrt das Andenken an den schwarzen Bürgerrechtsführer, ein Museum seine Bewegung.
Schwarze und Weiße leben in Memphis heute friedlicher zusammen als in mancher Großstadt des Nordens. Die sozialen Gegensätze sind hier weniger krass als in Metropolen wie New York oder Los Angeles. Ausgestellten Reichtum gibt es - außer im Museum - kaum. Und wer arm ist - ob weiß oder schwarz - ist es hier auf eine fast wohllebige Weise. Häuser und alte Autos sind billig. Richtig kalt wird es nie, und irgendein Job findet sich immer.
Robin stammt aus Kalifornien, ist in Belgien zur Schule gegangen. Er hat, mit Ende zwanzig, einiges gesehen von der Welt und den Vereinigten Staaten. Er ist gebildet und klug, sieht zudem gut aus. Jetzt lebt er mit Frau und Kind in Memphis, verdient sein Geld als Hoteldiener. Warum gerade in Memphis? "Weil das Leben hier ruhig ist und friedlich und bezahlbar."
Und dann sei da noch dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit, das es nur im Süden gibt, sagt Robin. Niemand bleibt hier lange anonym, keiner wird vergessen; hier findet jeder seine Pyramide.
Reginald Frazier (29) fuhr einen stolzen Cadillac Cimarron. Bis ihn die Lust überkam und er eine Prostituierte ansprach, mitten in Washington. Jetzt steht Fraziers Cadillac auf Polizeigelände, beschlagnahmt, vielleicht für immer, und Fraziers Name steht in der Zeitung. Die Ordnungshüter in Amerikas Hauptstadt haben ein neues Mittel im Kampf gegen die Straßenprostitution gefunden.
Seit letzter Woche ist in Washington ein städtisches Gesetz in Kraft, das der Polizei erlaubt, die Fahrzeuge von Freiern zu beschlagnahmen. Werden die Verhafteten rechtskräftig verurteilt, bleibt der Wagen öffentliches Eigentum.
Die Polizei machte prompt von ihrer neuen Waffe Gebrauch, spektakulär. Eine Polizistin verkleidete sich als Prostituierte und stellte sich als Köder aus, an Washingtons Vermont Avenue. Mehrere männliche Autofahrer bissen an, hielten und wurden sich, wie sie glaubten, mit der vermeintlich käuflichen Dame einig. Willig ließen sie sich zu einem nahegelegenen Parkplatz dirigieren. Dort warteten auf die Autofahrer jedoch statt Sinnenfreuden Beamte in Zivil, Handschellen und ein Horde Fotografen.
In Washingtons ôffentlichkeit ist die neue Polizeitaktik heftig umstritten, auch wenn man über das zugrundeliegende Thema in diesem prüden Land nicht gerne offen spricht. Der Streit um den Strich offenbart nicht nur einen Konflikt zwischen Anstand und Laster, sondern auch zwischen zwei amerikanischenLebensstilen.
Die Mehrzahl der in Washington tätigen Beamten, Lobbyisten, Anwälte, Politiker arbeitet nur in der Hauptstadt, wohnt aber in den Suburbs, den Schlafstädten, die Washington wie ein dicker grüner Gürtel umschließen. Aus ihrer Sicht ist Washington ein Sumpf aus Verkehrschaos, Verbrechen und Unmoral, ihr Vorort eine sichere, saubere Burg.
Eine Minderheit von Washingtonians hingegen ist stolz darauf, in D.C., dem Dictrict of Columbia, dem engbegrenzten eigentlichen Hauptstadtbereich, zu leben. Viele haben Unmengen von Geld in die Restaurierung historischer Häuser investiert. Wird die Gegend zum Strich, sinkt der Wert ihrer Häuser in den Keller.
Die erwischten Freier kamen fast ausnahmslos aus den Suburbs. Anwohner klatschten Beifall, als die Polizei sie abführte. Michael Cover, Berufsangabe Lobbyist, voller Genugtuung: "Wenn ich das gleiche in deren Vorortvierteln machen würden, wären das die ersten, die die Polizei anriefen."
Fahnen, Krisensitzungen, Patriot-Raketen, ein Präsident der starken Worte - Amerika erlebte scheinbar eine Neuauflage jener Ereignisse, die vor achtzehn Monaten zum Golfkrieg führten. Doch anders als damals blieb nicht ein Triumphgefühl zurück, sondern ein schaler Geschmack. Die meisten Amerikaner haben den Eindruck: Es ging nicht um die "neue Weltordnung", es ging schlichtweg um Wahlkampf. Der Truppenaufmarsch gegen den Irak wurde unterdessen wieder abgeblasen.
Seit Ende letzten Jahres schon beschäftigt die US-Politik nur eine Frage wirklich: Wer wird im November die Wahl zum Präsidenten gewinnen? Außenpolitische Themen spielten dabei bisher keine Rolle. "Wenn sein Kühlschrank halb leer ist, interessiert sich kein Amerikaner für Außenpolitik," erklärte ein Experte, warum allein drei Themen bisher den Dauerwahlkampf regieren: Jobs, Jobs und noch einmal Jobs.
Eher verschämt reiste Präsident George Bush nach Japan, Rio und München, trat dort nicht als Weltenlenker auf, sondern als Handelsreisender für amerikanische Autos und sonstige Exportartikel. Es nutzte ihm wenig. Konstanten Umfrageergebnissen zufolge trauen ihm die Wähler ökonomisch weniger Kraft zum Wandel zu als seinem Herausforderer Clinton.
Nur auf einem Feld führt Bush vor Clinton im Urteil der Befragten: Das ist die Außenpolitik.
So haben die Wahlkampfplaner des Präsidenten ihm einen Kurswechsel empfohlen: mit dem Pfund zu wuchern, das er hat. Mit seiner Erfahrung als Außenpolitiker, mit seinem Image als Sieger im Kalten Krieg und Bändiger Saddams.
Es geht im November nicht nur um "Change", um Wandel, heißt Bushs neue Botschaft, sondern auch um "Trust", um Vertrauen. Nur er habe das Stehvermögen und die Erfahrung, internationale Krisen zu meistern und Herausforderern der Neuen Weltordung wie Saddam Hussein die Stirn zu bieten. Nur er, sagt Bush. Nicht Clinton - fügen die Schergen des Präsidenten hinzu.
Bill Clinton, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, versucht unterdessen, außenpolitisch Tritt zu fassen. Aber eher still und vorsichtig. Er fühle keine Verpflichtung, Bush zu jedem Thema zu widersprechen, sagt er. Schon, um Saddam nicht zu erlauben, amerikanische Uneinigkeiten auszunutzen.
Dennoch: Auf zwei Feldern demonstrierte Clinton, daß er anders handeln würde als der amtierende Präsident: Er würde Flüchtlinge aus Haiti aufnehmen (Bush schickt sie zurück), und er würde ein militärisches Eingreifen der UN in Jugoslawien "nicht ausschließen". Warum nicht die Stellungen serbischer Freischärler in den Bergen um Sarajewo bombardieren, fragte Clinton.
"Unbesonnen" schalt das umgehend derPräsidentensprecher, Marlin Fitzwater. Da könne man sehen, daß Clinton, der Mann aus Hope, Arkansas, von wirklich komplizierten Themen eben nichts verstehe.
Das Clinton-Camp reagierte mit einer breiten Attacke. Der ehemalige Präsident Carter wurde ins Bild gerückt und zeigte sich erschreckt, daß Bush daran denke, mitten im gefährlichen Fahrwasser seinen bewährten Außenminister Baker abzuberufen - nur damit der wieder für ihn den Wahlkampf organisieren kann. Und Clintons Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, Gore, fragte spitz: "Wenn Mr. Bush und Vizepräsident Dan Quayle solche Wunderknaben in Sachen Außenpolitik sind, wie ist es dann möglich, daß Saddam Hussein der ganzen Welt die Nase dreht?"
Clinton selber beließ es bei dem Hinweis, daß nicht wenige europäische Politiker und auch Bushs eigener Verteidigungsminister zu Jugoslawien schon ähnliches gesagt haben wie er. Im übrigen, machte er klar, werde er sich auf außenpolitische "Streitereien" nicht einlassen: "Bei all dem Gerede über Außenpolitik sollte man wissen: Unser Einfluß im Ausland ist begrenzt, solange wir im eigenen Land nicht wieder stark sind."
Sprich, Clinton will sich weiter als der Mann empfehlen, der Amerikas Kühlschränke besser füllen kann als Bush.
Die Stadt Pittsburgh in Pennsylvania ist seit zehn Wochen Schauplatz eines einzigartigen, allerdings unfreiwilligen Experimentes. Die Frage lautet: Kommt der Mensch ohne Zeitung aus? Die Antwort heißt: Nein.
Normalerweise erscheinen in Pittsburgh zwei Tageszeitungen, die Post-Gazette am Morgen und die Pittsburgh Press am Nachmittag. Das schien so selbstverständlich wie die Tatsache, daß der Strom aus der Steckdose kommt. Bis am 17. Mai jene Menschen in den Streik traten, deren Unverzichtbarkeit erst auffällt, wenn sie ihren Job nicht mehr tun: die Zeitungsauslieferer.
Der Verlag will zwei Drittel aller Stellen im Vertrieb streichen und auf nebenamtliche Zeitungsboten völlig verzichten. Seither demonstrieren die Boten und deren Gewerkschaft ihre Macht. Alle Rotationen stehen still. Zu Beginn dieser Woche ließ die Verlagsleitung klammheimlich Zeitungen in Kanada drucken, mietete Lastwagen, engagierte ortsfremde Fahrer und durchbrach die Streikfront. Aber nur für wenige Stunden. Mehrere tausend Menschen blockierten umgehend das Verlagsgebäude, die Lkw-Fahrer wurden bedroht, Wagen demoliert. Die Verlagsleitung brach ihren Ausbruchsversuch rasch wieder ab.
Unterdessen entdecken nicht nur Leser, was ihnen fehlt. Kim Wright bekniete Gewerkschaft und Verlag, bloß ja den Konflikt vor dem 20. September beizulegen. Dann ist ihr Hochzeitstag. Miss Wright zu stadtfremden Reportern: "Ich will mein Foto in der Zeitung sehen!"
Andere sehnen sich nach ihrem geliebten Kreuzworträtsel oder den Fortsetzungscomics. Oder sie finden keine Wohnung oder keine Putzfrau, weil niemand annoncieren kann. Der Stadtrat nutzte die zeitungslose Zeit, ganz rasch eine Sonder-Telefongebühr für Notrufe zu erfinden. Niemand regte sich auf, denn die Zeitungen regten sich nicht auf - sie konnten sich nicht aufregen.
Pittsburghs berühmtes Baseball-Team, zur Zeit Tabellenführer in der ersten Liga, laufen die Zuschauer weg. Um 50 Prozent weniger Tickets verkaufen die "Pirates" an den Tageskassen, seit kein Reporter mehr alle Freuden und Schmerzen der Spieler und alle Genieblitze des Trainers vorab in Zeilenform gießt.
Auch Pittsburghs Theater, wer hätte das gedacht, vermißt schmerzlich die Kritiker der Feuilletons. Insbesondere seit einer von ihnen dem Theraterdirektor verriet, was er über dessen neueste Bühnenproduktion hätte schreiben wollen: Man sollte es zweimal sehen, so gut sei das Stück. Stattdessen sehen es sich viele Pittsburgher nun gar nicht an.
Ja, selbst zu Beerdigungen geht kaum noch jemand hin. Obwohl eine örtliche Radiostation täglich eine halbe Stunde lang verlesen läßt, wer wann gestorben ist und wo er beerdigt wird. Offenbar möchte man so etwas doch lieber schriftlich haben. Shackelford’s & Maxwell’s jedenfalls, eine Blumenhandlung mit vierzehn Filialen in Friedhofsnähe, mußte ihre Verkäuferinnen auf Kurzarbeit setzen.
Doch was ist mit den örtlichen Radiosendern? Deren Redakteure und Moderatoren müßten doch jetzt jubilieren, da sie das Monopol haben, die öffentliche Meinung zu prägen. Doch mitnichten. Bill Green vom Sender WTAE erhielt plötzlich kaum noch Anrufe von Hörern. Kaum jemand wollte noch mit ihm im éther über aufregende Tagesereignisse diskutieren. Bald schwante ihm warum: "Die Leute wissen gar nicht, worüber ich rede."
Nur eines vermißt offenbar niemand: die Nachrichten aus Washington und aller Welt.
Oder hätte ich das besser unerwähnt gelassen?
Der irakische Diktator hat eingelenkt. Die entschiedene Drohung der USA, zu den Waffen zu greifen, hat gewirkt. Saddam Hussein hat George Bush abgenommen, daß der amerikanische Präsident meint, was er sagt. Der Iraker hat die Lektion des Golfkriegs offenbar begriffen. Die UN-Inspektoren dürfen nun hinein ins irakische Landwirtschaftsministerium.
Doch was werden sie dort finden? Jetzt, 25 Tage, nachdem der Verdacht aufgekommen ist, dort könnten Unterlagen über Waffen lagern?
Kaum zu glauben, daß Saddam die Zeit nicht genutzt hat, alles beiseitezuschaffen, woran die Inspektoren der Vereinten Nationen interessiert sein könnten. Der Nutzen der Aktion ist fraglich. Der Streit um den Einlaß in das Gebäude war zuletzt ein Streit um Prinzipien. Es ging um das Prestige der UN und ihrer Leute, es ging um Saddam Hussein und um George Bush.
Gewonnen, vorerst zumindest, haben die UN und Bush. Doch Sadddam hat einmal mehr nicht so deutlich verloren, daß es sein politisches Ende wäre. Genau das ist es, was vielen Amerikanern den Geschmack an diesem kleinen Triumph vergällt. Niemand hindert Saddam daran, weiter mit der Welt zu pokern.
Deshalb fällt es George Bush schwer, aus seinem Erfolg vom Wochenende daheim politischen Nutzen zu ziehen. Im Gegenteil: Viele Wähler in den USA hat das Gerangel um die UN-Inspektoren erst wieder daran erinnert, daß Saddam, der "neue Hitler", noch immer an der Macht ist, dem Golfkrieg zum Trotz.
Die Versuchung für George Bush ist groß, die nächste Gelegenheit zu nutzen, den Sieg zu vollenden. Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe stehen bereit, weitere sind, so heißt es, auf den Weg zum Golf von Arabien gebracht. Manche Berater des Präsidenten sind überzeugt: Erst wenn Saddam persönlich daran glauben mußte, ist Bushs Wiederwahl im November gesichert.
Andere warnen. Schon einmal ist es trotz massiver Bombenangriffe auf Bagdad nicht gelungen, Saddam selber zu treffen. Umso wahrscheinlicher ist es, daß Unschuldige zu Tode kommen. Außerdem: Allzusehr röche eine Militäraktion gegen den Irak nach einem inner-amerikanischen Wahlkampfmanöver. Ob der Wähler so etwas honoriert, sei fraglich, sagen diese warnenden Stimmen.
Saddam Hussein hat diesmal auf die Stimme der Vernunft gehört. Er ist der Gewaltanwendung aus dem Weg gegangen. Hoffentlich tut Bush das auch.
Während seiner jüngsten Reise in den Nahen Osten verwechselte der US-Außenminister gelegentlich Zahlen und Fakten, ja einmal sogar die Namen von zwei Journalisten, die er lange kennt. So jedenfalls berichten Presseleute, die dabei waren. Nicht ohne hinzuzufügen, so etwas hätten sie bei Baker nie zuvor erlebt.
James Baker III., 61, Texaner von Geburt, gilt im politischen Washington als ein Eisberg in der Brandung täglicher Aufgeregtheiten. Als einer, der den öberblick behält, wo andere straucheln und schwimmen. Als kühl und kaltblütig, beharrlich und gefährlich.
Seit dreieinhalb Jahren ist Baker jetzt Außenminister. In dieser Zeit hat die Welt ihr Gesicht verändert. Doch Baker war nicht der Held dieses Wandels. Er wirkte mehr wie ein Manager am Rande. Er schmiedete die Allianz gegen den Irak, stand dem Golfkrieg aber skeptisch gegenüber. Sieges-Lorbeer fiel für ihn dabei nicht ab.
Doch seit dem Wahlsieg der Labour Party in Israel scheint James Baker vor einem großen perönlichen Triumph zu stehen: dem erfolgreichen Abschluß der Nahost-Friedenskonferenz, die er ins Werk gesetzt hat. Jetzt muß James Baker eine Entscheidung treffen, bei der er eigentlich nur Fehler machen kann.
Verläßt er das State Department, gilt der Erfolg der Friedensgespräche zwischen Isarael und seinen arabischen Nachbarn als gefährdet. Baker hat Israelis und Palästinenser nur an einen Tisch bekommen, weil er nie nachließ, unermüdlich reiste und ein Geflecht von persönlichen Beziehungen schuf. Dessen Mittelpunkt heißt: Baker. Nur wenige enge Vertraute des Außenministers sind wie er über alle Einzelheiten der vielen vertraulichen Gespräche Bakers mit Politikern im Nahen Osten informiert. Kein Nachfolger könnte bruchlos in Bakers Rolle schlüpfen.
Bleibt er aber im State Department, um seine, wie er es wohl selbst sieht, historische Mission zu Ende zu führen, enttäuscht er einen alten Freund.
Alle Hoffnungen George Bushs, im November als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt zu werden, tragen derzeit ebenfalls den Namen Baker.
Seit dem Frühjahr wollen Gerüchte nicht sterben, Baker werde erneut für Bush die Kohlen aus dem Feuer holen - so wie 1988. Damals gab er den Posten des Finanzministers auf, um Bush zum Wahlsieg zu verhelfen. Unter Baker bekam der Bush-Wahlkampof eine Linie, Bush ein neues, energischeres Image und Michael Dukakis, der Gegner, einen Tiefschlag, von dem er sich nicht mehr erholte. Baker sorgte dafür, daß der Demokrat aus Massachusetts aussah wie einer, der Kriminelle laufen läßt, nichts für patriotische Gefühle übrig hat und vor allem: sich nicht richtig wehrt.
Bush siegte, Baker wurde Außenminister.
1992 fehlt dem Bush-Wahlkampf erneut eine klare Linie, eine mitreißende Botschaft. Bush ist mindestens so unpopulär wie vor vier Jahren, sein Gegener diesmal aber ernster zu nehmen. Bill Clinton läßt keinen Tiefschlag unerwidert.
Würde James Baker aus den luftigen Höhen des Außenministeriums hinabsteigen in die Kasematten des Weißen Hauses - zumindest die symbolische Wirkung könnte durchschlagend sein. Andererseits: In Washington geht der Spruch um, es sei viel leichter, Palästinenser und Israelis an einen Tisch zu bringen, als die vielen Berater des Präsidenten. Im Weißen Haus gebe es mehr Fraktionen als im Nahen Osten.
Wechselt Baker aber nicht, und verliert Bush womöglich die Wahl: Es könnte das Ende einer 35jährigen Männerfreundschaft sein. Kein Wunder, daß Baker in dieser Situation gelegentlich Namen und Zahlen verwechselt.
Mario Cuomo ist der unbestrittene Liebling der amerikanischen Ostküstenpresse. Ginge es nach ihr, dürfte niemand anders Präsident der Vereinigten Staaten werden als Cuomo, der Gouverneur des Staates New York.
Cuomo ist intellektuell brillant, er ist scharfzüngig, und er ist unentschlossen. Monatelang beschäftigte er 1991 die Medien mit der Frage: Tritt er an, bewirbt er sich um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten? Oder doch nicht? Auch Cuomo schien es so genau nicht zu wissen. Am Ende sagte er nein. Allzu aussichtslos erschien damals der Kampf gegen George Bush.
Seine Fans wollten es nicht wahrhaben. In den Vorwahlen schrieben viele Cuomos Namen dennoch auf den Stimmzettel.
Wahre Weltstädter halten einen wie Clinton für einen Tölpel vom Lande, ungeschliffen, ahnungslos. Auch Cuomo schien lange dieser Meinung zuzuneigen. Nachdem feststand, daß Clinton Präsidentschaftskandidat wird, hieß die nächste spannende Frage: Wird Cuomo ihn unterstützen? Oder macht er ihn ein?
Am Ende hat Clinton ihn sogar dazu gebracht, auf dem Parteitag in New York am Mittwoch die offizielle Nominierungsrede zu halten, traditionell die zweitwichtigste Rede auf einer Convention; nach der Rede des Kandidaten selber, am Donnerstag abend. Clinton hat Cuomo zuvor mehrfach öffentlich als Musterbeispiel dafür gepriesen, wie man es aus einfachen Einwandererverhältnissen zu etwas bringen kann. Er hat ihm gar in Aussicht gestellt, ihn als Präsident zum Mitglied des obersten Gerichtshofs zu ernennen.
Cuomo-Vertraute erklären den Eintritt des Gouverneurs ins Clinton-Lager so: Es sei gar nicht mehr so unwahrscheinlich, daß Clinton Präsident wird. In diesem Fall hätte Cuomo eine historische Rede gehalten.
George Bush meint es ernst. Er muß es ernst meinen.
Die USA sind auf einen erneuten Militärschlag gegen den Irak vorbereitet. Es wird kein kleiner Schlag sein. Präsident Bush hat sich über mögliche Ziele eines Bombardements unterrichten lassen. Er und seine Berater gehen davon aus, daß der Schlag sich "lohnen" muß, sollte er denn kommen. Es wird nicht dabei bleiben, nur jene Einrichtungen zu vernichten, die nach Anordnung der Vereinten Nationen ohnehin zerstört werden müssen.
Aus amerikanischer Sicht wäre nichts so schlimm wie ein Bombardement des Irak, das politisch folgenlos bleibt. Ein Bombardement, bei dem womöglich Zivilisten umkommen, anschließend das Katz- und Maus-Spiel Saddam Husseins mit den UN-Inspektoren erneut beginnt. Diesmal hieße das heimliche Kriegsziel: Entfernung Saddams.
Am Golf herrscht Waffenstillstand, kein Friede. Die Rechtsposition der USA ist: Erfüllt der Irak die Auflagen der UN nicht, bricht er den Waffenstillstand, und der Kriegszustand ist wieder hergestellt. Neue, grundlegende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates wären nicht notwendig. Diese Position ist einleuchtend.
UN-Inspektoren sind mit Gewalt und Drohungen daran gehindert worden, das irakische Landwirtschaftsministerium zu betreten. Sie hatten begründeten Anlaß zu der Annahme, daß dort Dokumente über die geheime Waffenproduktion des Irak verborgen sind. Daß sie nicht ins Gebäude hineingelassen wurden, verstärkt diesen Verdacht.
Doch es geht um mehr als um ein paar Dokumente und um Einlaß in ein Ministerium. Es geht um den Erfolg des Golfkriegs, um das neue Prestige der Vereinten Nationen. Und für George Bush geht es um seine womöglich letzte Chance, im November als US-Präsident wiedergewählt zu werden.
Setzt Saddam sich durch, ist seine Position im Irak gefestigt. Das Ziel der UN, den Irak zu entwaffnen, wäre verfehlt. Die Vereinten Nationen und ihre Inspektoren hätten sich als zahnlose Tiger erwiesen.
Droht George Bush mit einem Bomben- und Raketenangriff, ohne es ernst zu meinen, zerbröselt seine Statur als Führer der freien Welt im Wüstensand. Zuhause wird ihm ohnehin übelgenommen, daß Saddam mehr als ein Jahr nach dem teuren und blutigen Krieg am Golf noch immer im Sattel sitzt, womöglich fester als zuvor. Nur zu drohen, kann Bush sich nicht leisten.
Zu hoffen ist, daß Saddam das diesmal begreift.
Eine eher beiläufige Bemerkung des US-Präsidenten schlug Wellen. Bill Clinton, meldeten die Nachrichtenagenturen, schließe eine Neubelebung des Rüstungswettlaufs nicht aus. Es komme darauf an, was aus den demokratischen Reformen in Rußland werde.
Was war geschehen? Der US-Präsident hatte sich mit Politikern der Opposition im Kongreß getroffen. Eine Stunde lang sprach er mit Führern der republikanischen Partei über außenpolitische Krisenherde. Er versicherte, er habe alle Gefahren fest im Blick. Dann posierte man gemeinsam für die Pressefotografen. Ein Reporter warf dem Präsidenten die Frage zu, ob die Krise in Rußland Clintons Sparpläne über den Haufen werfen könnten. Clinton: „Wir werden sehen.“ Er fügte noch hinzu, ohne tiefe Schnitte in den Rüstungsetat könne er das US-Haushaltsdefizit nicht wirksam bekämpfen.
Der parlamentarische Kampf um Clintons ökonomisches Programm - Einsparungen, Steuererhöhungen, Investitionen in die Infrastruktur - steht vor seinem Höhepunkt. Das Weiße Haus peitscht Clintons Plan durch die Gesetzgebungsmühle - in der Hoffnung, ihn auf diese Weise möglichst unverändert beschlossen zu sehen. Die oppositionellen Republikaner wiederum versuchen, den Präsidenten mit einer Doppelstrategie zu bremsen.
Zum einen werfen sie Clinton vor, nicht radikal genug zu sparen und völlig überflüssigerweise neue Steuern zu verlangen. Zum anderen warnen sie, seine Abrüstungsvorschläge könnten die USA am Ende wehrlos dastehen lassen; in einer Welt voller Feinde und Verrückter.
Die Republikaner zeigen besorgt - von den Militärs im Pentagon hinterrücks fleißig munitioniert - auf den Irak, auf Bosnien, auf Haiti, vor allem auf die Probleme der Reformer um Boris Jelzin in Moskau und warnen, Clintons Plan könnte den Verteidigungsetat „aushöhlen“. Genau das, berichteten sie Reportern nach jener „Photo-Opportunity„, hätten sie dem Präsidenten auch ins Gesicht gesagt. Und der habe „die Lippen geschürzt, das Haupt gewiegt - er ist ein guter Zuhörer - und geantwortet: Möglicherweise müssen wir das überdenken.“ So Robert Michel, Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus.
Doch bevor die Rüstungs-„Falken“ aus diesen überlieferten Präsidentenworten und -gesten Honig saugen konnten für ihren Kampf um jeden Dollar, beeilte sich Clinton-Sprecher Stephanopoulos festzustellen, die Etatvorschläge des Weißen Hauses seien maßvoll und würden nicht geändert. Der Präsident habe nichts anderes sagen wollen als: Man werde den Verteidigungsetat stets neuen Gefahren anzupassen haben.
Was in Washington Teil des Haushaltsgerangels war, schlug im Ausland ein wie eine Bombe. Agenturmeldungen ließen mancherorts den Eindruck entstehen, die Clinton-Regierung habe ihre Außen- und Verteidigungspolitik über Nacht revidiert. Dem Weißen Haus schien das gar nicht unlieb zu sein.
Denn alle, die Abrüstung inzwischen für einen natürlichen Vorgang halten, schienen plötzlich aufgewacht. Clinton muß im eigenen Land um Verständnis und Unterstützung dafür werben, daß er drauf und dran ist, sich nicht nur um den Aufschwung in Amerika zu bemühen, sondern auch um den in Rußland. Anfang April will er sich mit Jelzin in Vancouver treffen. Anschließend soll ein Gipfeltreffen der wichtigsten Industrienationen (G7) stattfinden. Clinton wird im Kongreß Geld locker machen müssen für Rußland. Das ist ein schwieriges Geschäft. Es verlangt mancherlei trickreiche Wendung.
Es war „ein bemerkenswerter Tag„ für das FBI. Jedenfalls sagte das der amtierende US-Justizminister, Stunden nach der Verhaftung eines Verdächtigen im Zusammenhang mit der Bombenexplosion in New Yorks World Trade Center. Das FBI schien eher unfroh über dieses rasche Lob.
„Ganz klar,“ versuchte James Fox, Chef des New Yorker FBI-Büros, die Begeisterung von Politikern und Presse zu dämpfen: „Diese Ermittlungen sind nicht beendet.“ Viele Ungereimtheiten umgeben die Verhaftung von Mohamed A. Salameh, eines 26jährigen Jordaniers.
Bei der Explosion am Freitag letzter Woche kamen fünf Menschen ums Leben, mehr als tausend wurden verletzt. Die Bürotürme in Manhattans Finanzdistrikt sind bis auf weiteres unbenutzbar.
Salameh, wohnhaft in New Jersey, nahe bei Manhattan, Inhaber eines in New York ausgestellten Führerscheins, hat einen Lieferwagen gemietet, der im World Trade Center stand, als die Bombe explodierte. So viel steht fest. Aber nicht, ob er den Wagen auch gefahren hat. Und wenn ja, wer seine Helfershelfer waren.
Die Ermittler haben (Schwierigkeiten, durch die Trümmer im Keller des Wolkenkratzers an exakt die Stelle durchzudringen, wo die Explosion stattfand. Aber sie haben, in mühsamer Kleinarbeit,) das Nummernschild eines Kleinlastwagens rekonstruiert, in dem die Bombe untergebracht gewesen sein könnte. Der Wagen war gemietet und als gestohlen gemeldet. Die Spur führte zu einer Verleifirma in New Jersey und von hier aus zu Salameh.
Der Jordanier, laut FBI den Behörden „kein Unbekannter“, hat das Auto am Dienstag vor dem Anschlag gemietet und eine Kaution von 400 Dollar hinterlegt. Stunden nach der Explosion meldete er den Wagen der Verleihfimra als gestohlen und verlangte die Kaution zurück. Der Autoverleiher wollte zunächst eine Bestätigung der Polizei sehen. Die holte sich Salameh dann offenbar tatsächlich auch, bei einem örtlichen Polizeirevier. Anfang dieser Woche nahm er erneut Kontakt zur Verleihfirma auf, um an sein Geld zu kommen.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Spurenleser im World Trade Center schon auf den gelben Ford gestoßen, den Salameh gemietet hatte - aber ohne in ihren täglichen Pressekonferenzen davon etwas zu erwähnen.
Am Donnerstag morgen warteten FBI-Agenten auf den Jordanier. Sie waren als Angestellte der Verleihfirma getarnt. Salameh kam auch, ließ sich 200 Dollar auszahlen und wurde verhaftet. Bei der Vernehmung schien er des Englischen nicht mächtig zu sein und fragte immer nur: „Why?“ - „Warum?“.
Hätte Salameh an diesem Morgen die Zeitung „Newsday“ gelesen, wäre er den Behörden womöglich durch die Lappen gegangen. „Newsday“ berichtete nämlich, das FBI sei einem in New Jersey gemieteten Kleinlaster auf der Spur. Das FBI, offenkundig verärgert, sprach von einem „Leck“.
Die Agenten hätten Salameh offenbar gern länger unter Beobachtung gehalten. Denn es erscheint unwahrscheinlich, daß er allein gehandelt hat. Salameh gilt als islamischer Fundamentalist. Ein Prediger, zu dessen Gemeinde er zählt, Scheich Omar Abdel Rahman, ein égypter, betätigt sich als Eiferer gegen alle Ungläubigen, insbesondere gegen “Zionisten, Imperalisten und Kolonialisten.“ Rahman wird verdächtigt, mit der Ermordung des früheren ägyptischen Präsidenten Sadat zu tun gehabt zu haben.
(Auch im Zusammenhang mit dem Attentat auf den jüdischen Prediger Kahane 1990 hat das FBI gegen Rahman ermittelt. Der Attentäter war ebenfalls ein Jünger dieses fundamentalistischen Eiferers. Der israelische Geheimdienst wirft den USA seit längerem vor, arabische Terroristen fänden in der Anonymität amerikanischer Großstädte sicheren Unterschlupf und könnten von US-Boden aus vergleichwseise unbehelligt agieren. Mit Terroranschlägen auf amerikanischem Territorium haben sich islamische Gruppen aber bisher zurückgehalten.)
Eine Telefonnummer, die bei Salameh gefunden wurde, führte die Behörden zur Wohnung eines weiteren islamischen Fundamentalisten namens Josie Hadas. In dessen Wohnung fand das FBI Werkzeug und Drähte, die zur Herstellung einer Bombe benutzt worden sein könnten. (Ein Polizeihund, auf die Suche nach Strengstoff dressiert, schlug an, als er seine Nase in einen Wandschrank in der Hadas-Wohnung hielt.)
Durch die vorzeitige Publizität und die schnelle Verhaftung könnten die weiteren Ermittlungen erschwert worden sein. Hadas jedenfalls wurde bisher nicht gefunden. Doch New Yorks Bürgermeister Dinkins war überfroh, so unverhofft rasch einen Verdächtigen vorweisen zu können.
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April 2020
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