Uwe Knüpfer
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Wohin, Europa? Die EU muss sozialer und demokratischer werden

30/1/2012

 
EFSF, ESM, EZB: Die europäische Idee droht, hinter Kürzeln und immer neuen "Rettungsschirmen" verloren zu gehen. Gleichzeitig liegt in der Krise die Chance, Europas Motor von Grund auf zu erneuern.

Nationale Regierungen, voran Frankreich und Deutschland, diktieren derzeit Europas Tagesordnung, eilen von "Gipfel" zu "Gipfel" - und versinken doch immer tiefer im Schuldenmorast.  Die Großen regieren über die Kleineren hinweg und in sie hinein - gegen Geist und Text der Europäischen Verträge.

Die EU-Kommisssion hat sich im Zeichen von Liberalisierung, Globalisierung und Wettbewerb zum Handlanger internationaler Finanzakrobaten gemacht. Um Banken zu retten, haben Europas Staaten sich hoch verschuldet. Nicht nur Griechenland droht nun der Absturz in Elend und Armut.

Es ist an der Zeit, wildgewordene Märkte zu bändigen und fruchtbaren Wettbewerb durch heilsame Solidarität zu ergänzen. Es ist an der Zeit, Spekulation zu besteuern und Banken besser zu regulieren.

Europa braucht weniger Technokraten und mehr Demokraten. Über Länder- und Parteigrenzen hinweg sind sich nachdenkliche Menschen einig: Europa muss begreifbarer und es muss sozialer und demokratischer werden, jetzt - oder die größte geschichtliche Leistung mindestens des 20. Jahrhunderts droht vor unseren Augen zu zerfallen.

Europa braucht eine verständliche Begriffswelt und erkennbare Gesichter. Und: Die EU muss sich eigene Einnahmequellen erschließen. "Zentralisiere ihre Brieftaschen, dann kannst du ihre Herzen gewinnen," hat schon James Madison gewusst, einer der Väter der Verfassung der USA. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer - vulgo: Spekulantensteuer - ist der erste Schritt. Doch wem kommt sie zugute? Darüber dürfen nicht Merkel und Sarkozy verfügen. Das muss, wie es sich in Demokratien gehört, Sache der Volksvertretung sein.  

Das Europäische Parlament muss werden, was es sein soll: die gewählte Vertretung der Bürger Europas, Auftraggeber und Kontrolleur einer europäischen Regierung.

Seit dem 17. Januar 2012 hat dieses Parlament  einen neuen Präsidenten. Einen Präsidenten, dem Freund und Gegner zutrauen, Regierungen und Beamten Paroli zu bieten: den Sozialdemokraten Martin Schulz aus Würselen. Ein Anfang ist gemacht. (vorwärts Februar 2012)

Die Presse ist krank

9/12/2011

 
Gesucht: mutige Verleger - helfen könnte eine Bundesstiftung Neue Presse

Nur neun von 100 Deutschen glauben, dass Journalisten die Wahrheit sagen (Quelle: Allensbach) .  "Im Angstmachen", schreibt der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer, "sind die deutschen Medien wirklich spitze."  Die Presse hat ein Problem - und damit die Demokratie.

Journalisten sind professionelle Aufklärer. Auch wenn sie nicht immer die Wahrheit finden, so sollten sie doch immer auf der Suche nach ihr sein. Um das sicherzustellen, haben Journalisten früher eiserne Regeln gelernt: immer Distanz wahren, immer eine zweite Quelle besorgen, immer auch die "andere Seite" hören, Wichtiges von Belanglosem, Nachrichten von Meinungen trennen, Abstand zu Gerüchten halten.

Anonyme Briefe wurden in seriösen Redaktionen sofort weggeworfen. Heute sind die Internetseiten auch angesehener Blätter voll von Verdächtigungen, Unterstellungen, Schmähungen; meist vorgetragenen im Schutze lächerlicher Pseudonyme:  "adeD", "Abbamaehrlich",  "Dr.Super".

Der Journalismus als Beruf ist eine Frucht der Aufklärung. Eine bürgerliche Öffentlichkeit verlangte nach verlässlichen Informationen. Sie war bereit, dafür zu zahlen. Denn nur so war die Unabhängigkeit des Mediums sicherzustellen. Auf der Basis dieses Geschäftsmodells entstanden Zeitungen und Verlage. Wenn sie ihr Geschäft  nachhaltig solide betrieben, glichen sie Gelddruckmaschinen.

Demokratie verlangt nach dem mündigen Bürger. Mündig ist nur, wer in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden.  Journalisten helfen ihm dabei. - indem sie recherchieren, vorsortieren, einordnen und kommentieren.  Das ist ihr Job.

Das war ihr Job. Wer in einer online-Redaktion gehalten ist, mindestens alle 30 Minuten eine neue, möglichst sensationell klingende Nachricht abzusetzen, hat keine Zeit für gründliche Recherche.  Außerdem könnte Gründlichkeit seine aufregend klingende  Geschichte in heiße Luft auflösen.

Nicht nur Magazin-Verlage bieten Anzeigenkunden redaktionelle Umrahmungen ihrer Werbung an.  Für schnelle Gewinne prostituieren sie sich. Sie verscherbeln das kostbarste Gut jeder Redaktion: Glaubwürdigkeit.

Boulevardmedien gibt es, seitdem Menschen sich für Tratsch interessieren, also immer schon. Seriöser Journalismus grenzt sich davon ab. Wo der Boulevard erregen will, da setzen Journalisten auf Ernüchterung. Der Boulevard wirft sich ran, Journalismus hält Abstand. Der Boulevard zielt auf den Bauch oder tiefer, Journalismus fordert das Hirn.

Im Jahr 2011 nennt sich  die BILD-Zeitung unwidersprochen Deutschlands Leit-Medium. Die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten überbieten sich im Kampf um Quoten.  Da "Nackter Po" immer besser läuft als "Neue Rentenpläne", ist klar, wohin das führen musste: zu Quassel-Shows, Soaps und Tralala anstelle ernsthaft unterhaltender Information. Selbst die New York Times schließt Auslandsbüros und brüstet sich mit Lifestyle-Stories über Essen und Mode.

Wenn ernsthafter Journalismus nur noch schrumpfende Teilöffentlichkeiten erreicht, wird der mündige Bürger immer seltener. Häufiger tritt auf: der schnell erregte Wutbürger. Der Ansehensverlust des Journalisten korrespondiert mit wachsender Parteien- und Demokratieverdrossenheit. In der eingangs zitierten Allensbach-Umfrage gaben gerade mal drei von hundert Befragten an, sie würden Politikern vertrauen.

Dabei war es - dank Internet  - niemals leichter und preiswerter als heute, Informationen zu beschaffen, zu prüfen, aufzubereiten und weiterzuverbreiten. In China, Ägypten, Tunesien entstehen dank Internet und engagierter, mutiger  Journalisten demokratische Öffentlichkeiten. Da sollte es doch im freiheitlich-demokratischen Deutschland möglich sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die unabhängigen, ernsthaften Journalisten ein Auskommen sichern, auch im Lokalen.

Ansätze dazu gibt es, frische Ideen auch: lokale Online-Zeitungen, Stipendien für investigative Journalisten, Stiftungen, die Zeitungen finanzieren. Woran es noch mangelt, ist ein neuer Typ von Verleger: Unternehmer, die es verstehen, in Erfüllung eines publizistischen Auftrags Geld zu verdienen.

Helfen könnte eine Bundesstiftung Freie Presse, die guten lokalen Journalismus nachhaltig fördert. Wenn sich nur ein Bruchteil der Einnahmen der GEZ (Gebühreneinzugszentrale) dorthin umleiten ließe, ginge es Presse und Demokratie in Deutschland bald wieder besser. (vorwärts Dezember 2011)

  

"Es liegt an uns selbst" - Peer Steinbrück, Heinrich August Winkler und Europa

22/9/2011

 
Ein doppeltes Plädoyer für eine neue, mutige Europapolitik: Peer Steinbrück diskutierte im  Französischen Dom am Berliner Gendarmenmarkt mit dem Historiker Heinrich August Winkler. Ihre Begegnung geriet zu einer Sternstunde des historisch-politischen Diskurses.

Offiziell stellte Winkler sein neues  Buch zur Geschichte des Westens vor. Tatsächlich wurde daraus eine Manifestation für einen Souveränitätsverzicht der Nationalstaaten. "Der alte Westen steht am Scheideweg," stellte Steinbrück fest: zwischen Renationalisierung oder "vorausschreitender Integration" Europas.

Winklers auf drei Bände angelegtes Werk über die Geschichte des Westens kreist um das  "normative Projekt" einer politischen und gesellschaftlichen Ordnung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, ausgestattet mit unveräußerlichen Rechten. So, wie es  1776 in der Unabhängigkeitserklärung der USA erstmals zum staatlichen Programm erhoben wurde, im "neuen Westen". Drei Jahre später war der "alte Westen" infiziert. Die Erklärung allgemeiner Menschenrechte leitete nicht nur die Französische Revolution ein, sondern auch die allmähliche und windungsreiche Verwandlung großer Teile Europas.

Der jetzt vorgestellte Band 2 des Werkes - "Die Zeit der Weltkriege. 1914-1945" - handelt von schweren Rückschlägen bei der Verwirklichung des Projekts. Winkler geht der Frage nach, weshalb ausgerechnet in einem wohlhabenden, sozialen, bildungsreichen Staat im Herzen Europas ein Gegenprojekt seine Vernichtungskraft entfalten konnte, kreisend nicht um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit , sondern um "Ordnung, Zucht, Innerlichkeit." Steinbrück ergänzte das um "Reichsmythos, Führerkult, der neue Mensch".

Letztlich hat sich der Westen über Faschismus und Nationalsozialismus erhoben. 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch Beschluss  der Vereinten Nationen zum weltpolitischen Programm.  Winkler ist zuversichtlich, dass  die "subversive Kraft des normativen Projektes" seither nicht nachgelassen habe - siehe China - , auch wenn es in den USA derzeit schwächele. Europa habe die Chance, das Projekt neu zu  befeuern. Dazu sei es allerdings notwendig, "die Diskussion um die Finalität des Einigungsprozesses wieder aufzunehmen."

An dieser Stelle gab es spontanen, kräftigen Applaus. Steinbrück zeigte sich verblüfft und fragte ins Publikum, ob es sicher sei, was eine Änderung der europäischen Verträge bedeute: "Deutschland muss Souveränitätsrechte abgeben." Dieses Publikum zumindest schien damit einverstanden zu sein.

Zuvor hatte Steinbrück warnend darauf hingewiesen, dass eine pro-europäische Politik "ressentimenthafte Reflexe" auslöse, die zu Sprüchen führe wie: "Die Akropolis nehmen wir nicht, weil sie kaputt ist."

Als Politiker habe er erlebt, dass Aufforderungen wie "Strengen Sie sich an!" selten belohnt werden. Wer hingegen verspreche: "Wir entlasten Sie von allen Steuern", dem strahlten "erotisch-verklärte Gesichter" entgegen. Steinbrück erinnerte auch daran, dass der letzte Versuch, Europa eine Verfassung zu geben, an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert ist.

Winkler veranlasste das zu einem Exkurs über die Vorzüge einer parlamentarischen Demokratie. Er erinnerte daran, dass der SPD-Vorstand beschlossen habe, Referenden auf Bundesebene einführen zu wollen, auf der Grundlage niedriger Quoren. Er warne davor und hoffe, dass daraus nichts werde. Steinbrück trocken: "Ich gehöre dem Parteivorstand nicht mehr an."

Fast 300 Bürger hatten je zwölf Euro gezahlt, um mitzuerleben, wie ein Großer der historischen Wissenschaft auf eine (vorerst Ex-)Größe der deutschen Politik traf.

Das konzentriert lauschende Publikum erlebte, was eher selten vorkommt, eine Begegnung zwischen Wissenschaft und Politik auf Augenhöhe  - ohne dass der Wissenschaftler sich in die Niederungen des politischen Jargons begeben musste.

Dort fühlt Steinbrück sich ohnehin nicht wohl, wie er immer wieder gern zu erkennen gibt. Auch diesmal konnte er sich einer Spitze gegen den einfühlsamen Moderator des Gesprächs, Klaus Wiegrefe vom Spiegel, nicht enthalten.

"Das ist eine typische Journalistenfrage," blaffte Steinbrück zurück, als Wiegrefe zum Abschluss wissen wollte, wie es in zehn Jahren um das normative Projekt des Westens bestellt sein werde. Eine Antwort lieferte er dann aber doch: "Es liegt an uns selber!"

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