Der irakische Diktator hat eingelenkt. Die entschiedene Drohung der USA, zu den Waffen zu greifen, hat gewirkt. Saddam Hussein hat George Bush abgenommen, daß der amerikanische Präsident meint, was er sagt. Der Iraker hat die Lektion des Golfkriegs offenbar begriffen. Die UN-Inspektoren dürfen nun hinein ins irakische Landwirtschaftsministerium.
Doch was werden sie dort finden? Jetzt, 25 Tage, nachdem der Verdacht aufgekommen ist, dort könnten Unterlagen über Waffen lagern?
Kaum zu glauben, daß Saddam die Zeit nicht genutzt hat, alles beiseitezuschaffen, woran die Inspektoren der Vereinten Nationen interessiert sein könnten. Der Nutzen der Aktion ist fraglich. Der Streit um den Einlaß in das Gebäude war zuletzt ein Streit um Prinzipien. Es ging um das Prestige der UN und ihrer Leute, es ging um Saddam Hussein und um George Bush.
Gewonnen, vorerst zumindest, haben die UN und Bush. Doch Sadddam hat einmal mehr nicht so deutlich verloren, daß es sein politisches Ende wäre. Genau das ist es, was vielen Amerikanern den Geschmack an diesem kleinen Triumph vergällt. Niemand hindert Saddam daran, weiter mit der Welt zu pokern.
Deshalb fällt es George Bush schwer, aus seinem Erfolg vom Wochenende daheim politischen Nutzen zu ziehen. Im Gegenteil: Viele Wähler in den USA hat das Gerangel um die UN-Inspektoren erst wieder daran erinnert, daß Saddam, der "neue Hitler", noch immer an der Macht ist, dem Golfkrieg zum Trotz.
Die Versuchung für George Bush ist groß, die nächste Gelegenheit zu nutzen, den Sieg zu vollenden. Flugzeugträger und andere Kriegsschiffe stehen bereit, weitere sind, so heißt es, auf den Weg zum Golf von Arabien gebracht. Manche Berater des Präsidenten sind überzeugt: Erst wenn Saddam persönlich daran glauben mußte, ist Bushs Wiederwahl im November gesichert.
Andere warnen. Schon einmal ist es trotz massiver Bombenangriffe auf Bagdad nicht gelungen, Saddam selber zu treffen. Umso wahrscheinlicher ist es, daß Unschuldige zu Tode kommen. Außerdem: Allzusehr röche eine Militäraktion gegen den Irak nach einem inner-amerikanischen Wahlkampfmanöver. Ob der Wähler so etwas honoriert, sei fraglich, sagen diese warnenden Stimmen.
Saddam Hussein hat diesmal auf die Stimme der Vernunft gehört. Er ist der Gewaltanwendung aus dem Weg gegangen. Hoffentlich tut Bush das auch.
„Wir haben den Finger am Abzug,“ hatte Präsidentensprecher Marlin Fitzwater gewarnt, Richtung Saddam Hussein: Die USA und ihre Verbündeten seien jederzeit zu einem Militärschlag gegen den Irak bereit. Am Mittwochabend mitteleuropäischer Zeit zogen die Alliierten den Abzug durch, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Beginn des Golfkriegs, eine Woche vor dem Präsidentenwechsel in Washington.
Kaum waren rund hundert Bomber der Alliierten in der Luft, versicherte der irakische Botschafter bei der Uno, seine Regierung sei nun bereit, den zentralen Forderungen des Sicherheitsrates zu entsprechen. Doch schon am Montag hatte US-Präsident Bush entschieden, im Einverständnis mit seinem Nachfolger Clinton und nach Absprache mit der britischen und französischen Regierung, Saddam brauche eine neue Lektion. Zuvor war ein Ultimatum der Verbündeten ohne Reaktion Iraks verstrichen. Eigentlich sollte der Angriff am Dienstag stattfinden. Nur wegen schlechtem Wetter über dem Irak wurde der Zeitpunkt verschoben, sagte Fitzwater.
Seit Wochen hatten die USA auf Versuche des Irak hingewiesen, UN-Auflagen zu unterlaufen:
- Der Irak verschiebe Raketenwerfer, womöglich in der Absicht, alliierte Patrouillenflugzeuge abzuschießen.
- Mehrfach betraten irakische Soldaten Gelände im Südirak, das die Vereinten Nationen für die Zukunft Kuweit zuerkannt haben; Geheimdienstberichten zufolge transportierten sie Waffen und Material ab.
- Auch die UN-Inspektionsteams hatten erneut Probleme, im Irak ihrer Arbeit nachzugehen. Darüber wäre es schon im Sommer fast zu einer militärischen Konfrontation gekommen, hätte Saddam nicht nachgegeben.
- Am 27. Dezember, verlautete aus dem Clinton-Hauptquartier in Little Rock, sei ein USƒMilitärflugzeug über dem Irak mit einer Rakete beschossen worden. Die Rakete habe ihr Ziel verfehlt, hieß es zur Erklärung, daß der Angriff erst spät ans Tageslicht kam. Erst bei der Auswertung von Videomaterial sei man auf die Raketenspur gestoßen.
Derartige Berichte sollten den Rechtsstandpunkt der Allierten untermauern, wonach ein Militärschlag gegen Saddam Hussein auch ohne erneuten UN-Beschluß möglich ist - weil der Irak die Waffenstillstandsvereinbarungen notorisch unterläuft.
Bush packt im Weißen Haus seine Koffer, aber er wollte es dem irakischen Diktator nicht erlauben, diesen Vorgang mit Triumphgeheul zu begleiten. In Washington hat sich seit langem die Erkenntnis breit gemacht, daß der Sieg im Golfkrieg vor zwei Jahren auf tönernen Füßen steht, solange Saddam an der Macht bleibt. Das sieht Clinton offenkundig genauso wie Bush.
Schon im Sommer 1992 bereitete das Pentagon Pläne für einen Militärschlag vor, der weit über eine Demonstration alliierter Stärke hinausgehen könnte. Ziel, hieß es damals aus Quellen im Außenministerium, müsse sein, Iraks Diktator so entscheidend zu schwächen, daß in Bagdad ein Regierungswechsel möglich wird.
Die Militärs gaben sich überzeugt, diesmal nachholen zu können, was ihnen im Golfkrieg nicht gelungen ist: Kommandozentralen und Raketenstellungen des Irak gezielt und wirksam auszuschalten. Dank ihrer Lufthoheit über Irak haben die Alliierten diesmal präzisere Informationen über mögliche Ziele für ihre Cruise Missiles, „Tomahawks“ und die „smart bombs“ der „Stealth“-Bomber als vor zwei Jahren. Der Angriff am Mittwoch sollte das demonstrieren und die Sicherheit der alliierten Patrouillenflüge wiederherstellen.
Mehr allerdings war schon deshalb nicht möglich, weil die arabischen Golfkriegsverbündeten Türkei und égypten zu einer Beteiliung an einem neuen Krieg nicht bereit waren. Deshalb mußte sich der Angriff auch auf Ziele im Südirak beschränken. Bush-Sprecher Fitzwater warnte Saddam nach vollendetem Angriff allerdings, weitere Schläge seien jederzeit möglich. Die USA haben zusätzliche Soladaten Richtung Kuweit in Marsch gesetzt.
Das Pentagon hatte über die Bewegungen des Flugzeugträgers Kitty Hawk, der im Golf kreuzt, eine Nachrichtensperre verhängt. Lange Zeit, nachdem die Flugzeuge gestartet waren, gab es aus offiziellen Quellen in Washington keinerlei Kommentar. Die Weltöffentlichkeit durfte, wie Saddam, rätseln, was die Ziele der Maschinen waren. Erst als die Mission beendet war, kam die Bestätigung.
Politisches Ziel der Aktion war: Verunsicherung Saddams, psychologische Schwächung seiner Position im eigenen Land, Stärkung der irakischen Opposition, Stärkung auch der Autorität der UN und der USA und ihres abschiednehmenden Präsidenten.
Bill Clinton hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er die Irak-Politik seines Vorgänger billigt. Clintons Sprecher Stephanopoulos machte am Mitttwoch aber auch klar, daß die Verantwortung für den Angriff allein beim amtierenden Präsidenten lag.
Clinton muß daran interessiert sein, die Dauerkrise am Golf möglichst rasch beendet zu sehen, schon um die dort stationierten US-Truppen endlich abziehen zu können. Der Weg über einen Deal mit Saddam dorthin scheint ihm verwehrt. Denn dann sähe es in den USA so aus, als hätte Clinton Bushs Sieg verschenkt, und der neue Präsident wäre mit einem Zeichen der Weichlichkeit in seine Amtszeit gestartet. So etwas ist in den USA nicht populär.
Bush hinterläßt Clinton ohnehin mehr außenpolitische Brandherde, als dem lieb sein kann. Clinton ist angetreten, sich zu allererst um die Innenpolitik zu kümmern. Stattdessen wird er, kaum daß er am 20. Januar den Amtseid wird abgelegt haben, sich nicht nur mit Saddam beschäftigen müssen, sondern auch mit Bosnien, mit der Frage, wie es in Somalia weitergehen soll und was aus den stockenden Nahost-Friedensgesprächen wird.
Es ist ruhig geworden um General Norman Schwarzkopf. Der Held des Golfkriegs ist Rentner und tritt nur noch selten im Fernsehen auf. Dabei hat er sich als ausgefuchster Kenner dieses Mediums erwiesen. In den USA wird jetzt nach und nach bekannt, wie seine Triumphmeldungen aus dem alliierten Hauptquartier zustandekamen.
Der Siegesrausch, der Amerika nach dem Golfkrieg durchwehte, ist längst verflogen. Geblieben sind Katergefühle. Saddam Hussein ist noch immer an der Macht; laut CIA sitzt er fester im Sattel als noch vor einem Jahr. Längst auch ist durchgesickert, daß der angebliche Präzisionskrieg in Wahrheit ganz so sauber und elegant nicht aussah, wie es die Fernsehbilder Glauben machen sollten.
Jetzt mußte das Pentagon gar eingestehen, daß die High-Tech-Bomben der Alliierten keineswegs alle irakischen Abschußrampen für Scud-Raketen ausgemerzt haben. Möglicherweise haben sie nicht eine einzige getroffen. Obwohl doch die Nachrichten während des Krieges voll waren von Treffermeldungen. Ein Pentagon-Sprecher erklärte das am Donnerstag mit der Qualität der Filmaufnahmen. Es sei eben schwierig, in der Dunkelheit von einem Düsenjäger aus gefilmte Objekte eindeutig zu identifizieren. Das klang vor Jahresfrist ganz anders.
Mit Scud-Angriffen auf Israel erschreckte der Irak die Welt. Schon das war verblüffend. Schließlich hatten doch die USA und ihre Verbündeten ihren eigenen Erfolgsmeldungen zufolge bereits in den allerersten Angriffswellen sämtliche Startbahnen und Abschußrampen des Irak zerstört.
Saddam Hussein hat eben auch mobile Scud-Rampen, hieß es, aber wir finden auch die. Am 30. Januar 1991 gab Oberbefehlshaber Schwarzkopf, wie nun schon gewohnt, in seinem saudi-arabischen Hauptquartier eine Pressekonferenz. Er kündigte einen Film an, der, "wie ich denke für sich selber spricht." Fersehzuschauer in aller Welt konnten sodann von ihrem Sessel aus mit den Augen eines F15-Piloten verfolgen, wie sieben schmale, dunkle Objekte in der Wüste ins Blickfeld kamen - ein Sprecher: "Das sind mobile Abschußrampen...schon geladen mit Scud-Raketen" - dann explodierten Feuerbälle, einer nach dem anderen - weil’s so schön war, gleich noch mal in Zeitlupe - der Sprecher: "...damit Sie sehen können, wie die Bomben wirken."
Professor Mark Crispin Miller von der John-Hopkins-Universität nennt die Schwarzkopf-Nummer vom 30. Januar "schiere Phantasie". In seinem demnächst erscheinenden Buch "Die Operation Wüstensturm und der Triumph der Illusion" schildert Miller ausführlich, wie die gezeigten Bilder entstanden.
Die Aufnahmen waren authentisch. Nur waren die länglichen schwarzen Objekte mitnichten Abschußrampen, sondern Lkws. Vermutlich schmuggelten sie Treibstoff über die jordanisch-irakische Grenze. Den F15-Piloten war das klar, schreibt Miller.
Aber warum hat niemand widersprochen, als General Schwarzkopf zwei Tage später mit den Videofilmen dieser Piloten den angeblichen Triumph amerikanischer Waffen über die Hinterlist der Iraker feierte? Miller zitiert einen Offizier: "Wenn man vor einem Drei-Sterne-General steht, seinem Vorgesetzten, und der sagt zu einem: Verdammt! Das sind Scuds!, dann hat man eine gewisse Neigung zu sagen: Yes, Sir!"
Der US-Geheimdienst sorgte dafür, daß die dunklen Flecken auf den Bildern nicht allzu sehr nach Treibstofftransportern rochen. Sorgsam gechönt kam der Film ins Allierte Hauptquartier zurück, um der Presse präsentiert zu werden. Kein Fernsehsender der freien Welt ließ sich das Schmankerl entgehen.
Miller: "Ein Sieg gutgezielter Propaganda."
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