Uwe Knüpfer
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Parteilichkeit und Journalismus

19/4/2013

 
Was eint Karl Marx, Ferdinand Lassalle, Wilhelm Liebknecht und Willy Brandt? Sie waren Journalisten.

Als 1832 die erste Massendemonstration auf deutschem Boden stattfand, waren die Organisatoren: Journalisten. Das „Hambacher Fest“ war zu allererst ein Protest gegen Zensur und für die Freiheit der Presse.

Politisches Engagement und Journalismus vertragen sich nicht? Das Gegenteil ist richtig.

Journalismus, der sich selber ernst nimmt, ist immer politisch. Er ist immer eine Dienstleistung an der Demokratie. Journalisten sind Agenten der Aufklärung. Sie mögen bei Verlagen oder Rundfunkanstalten beschäftigt sein – ihr eigentlicher Chef ist der Souverän, das Volk. Journalismus ist eine durch und durch demokratische Betätigung.

Deshalb wird sie in Diktaturen konsequenterweise verboten oder sonstwie unmöglich gemacht. Zu den allerersten Maßnahmen zur Abschaffung der Demokratie durch die Nazis gehörte 1933 das Verbot „feindlicher“, weil kritischer Zeitungen, und die anschließende „Gleichschaltung“ des Rests.

Und umgekehrt: Schon bevor die deutsche Arbeiterbewegung zur Partei geronn, war sie journalistisch aktiv, gründeten sich aus ihr heraus ungezählte „Volkszeitungen“. Den frühen Sozialdemokraten war klar: Wissen ist Macht. Wer Wissen demokratisiert, also frei verbreitet, demokratisiert die Macht.

Wer die Macht hat, behält sie gern. Vor dieser Versuchung waren auch Sozialdemokraten nicht gefeit, so bald sie erste Erfolge feierten. Zwischen den Redaktionen sozialdemokratischer Zeitungen und Parteigremien flogen schon früh manche Funken. In der Regel tat es Journalisten gut, wenn der Eigentümer ihrer Zeitung nicht der Parteivorstand war. Mitgliedern solcher Vorstände verlangt es eine gewisse Größe ab, Kritik zu ertragen, vor allem in der „eigenen Presse“. Wo es an solcher Größe mangelt, ist es gut, wenn der Vorstand kein Durchgriffsrecht in die Redaktionen hat. Das musste gelernt werden.

Die westdeutsche Sozialdemokratie identifizierte sich - was sie ehrt -  in den 1970er Jahren mit der journalistischen Forderung nach einer auch „inneren Pressefreiheit“. Also nach Sicherung der exklusiven Beziehung zwischen Journalist und Souverän. Sie hatte gelernt.

Demokraten müssen akzeptieren, dass sie in der Minderheit sein können. Der Kompromiss ist die edelste Frucht der Demokratie. Sozial-Demokraten wollten und wollen das gleiche Stimmrecht für alle und Freiheit für alle demokratischen Parteien – und ausdrücklich nicht den Sieg einer Klasse über andere. Schon gar nicht: irgendeine Diktatur, auch nicht die des Proletariats.

Sozialdemokraten haben die Weimarer Demokratie erkämpft und – zuletzt als einzige – verteidigt. Sozialdemokraten haben entscheidend das deutsche Grundgesetz mitformuliert – in dem der schöne, schlichte Satz steht: „Zensur findet nicht statt.“ Den Herren Siebenpfeiffer und Co., die 1832 nach Hambach einluden, hätte das gefallen.

Lenin und seinen Gefolgsleuten nicht. Sie hatten und haben ein anderes Verhältnis zur Macht. Sie wollen nicht teilen. „Kompromisslern“ gilt ihre Verachtung. Folgerichtig kann eine leninistisch ausgerichtete Partei unabhängigen Journalismus nicht ertragen. In der DDR waren Journalisten keine Agenten der Aufklärung, sondern Agenten eines zentral organisierten, durch und durch auf Kontrolle ausgerichteten Machtapparates. Sie hatten als Journalisten getarnte Propagandisten zu sein.

Wer heute Zweifel hegt, ob Journalisten einer Partei angehören dürfen, hat sich vom leninistischen Parteienverständnis infizieren lassen - oder nicht befreit. Journalisten sollen berichten, „was war“, aber sie sind dabei nie „objektiv“. Das ist unmöglich. Sie können immer nur einen Teil der Wahrheit sehen. Sie bringen immer ihre eigenen Erfahrungen mit. Es ist gut, wenn ihre Leser, ihre Zuhörer oder Zuschauer das wissen.

Wer sich ein klares Bild machen will, tut gut daran, einen festen Standpunkt zu haben. Das gilt für Rezipienten journalistischer Leistungen, zunächst aber auch für den Journalisten selbst.

Dazu muss man keiner Partei angehören. Es schadet aber auch nicht. Wer einer demokratischen Partei beitritt, gibt seine eigene Meinung nicht beim Vorstand ab. Wenn er sich allerdings entschließt, selbst aktiv Parteipolitik zu betreiben, womöglich für eine Funktion oder ein Amt zu kandidieren, hört er auf, Journalist zu sein.

Das war schon zu Zeiten von Marx, Lassalle, Liebknecht und Brandt so und nicht anders.
(Neues Deutschland April 2013)


Die Presse ist krank

9/12/2011

 
Gesucht: mutige Verleger - helfen könnte eine Bundesstiftung Neue Presse

Nur neun von 100 Deutschen glauben, dass Journalisten die Wahrheit sagen (Quelle: Allensbach) .  "Im Angstmachen", schreibt der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer, "sind die deutschen Medien wirklich spitze."  Die Presse hat ein Problem - und damit die Demokratie.

Journalisten sind professionelle Aufklärer. Auch wenn sie nicht immer die Wahrheit finden, so sollten sie doch immer auf der Suche nach ihr sein. Um das sicherzustellen, haben Journalisten früher eiserne Regeln gelernt: immer Distanz wahren, immer eine zweite Quelle besorgen, immer auch die "andere Seite" hören, Wichtiges von Belanglosem, Nachrichten von Meinungen trennen, Abstand zu Gerüchten halten.

Anonyme Briefe wurden in seriösen Redaktionen sofort weggeworfen. Heute sind die Internetseiten auch angesehener Blätter voll von Verdächtigungen, Unterstellungen, Schmähungen; meist vorgetragenen im Schutze lächerlicher Pseudonyme:  "adeD", "Abbamaehrlich",  "Dr.Super".

Der Journalismus als Beruf ist eine Frucht der Aufklärung. Eine bürgerliche Öffentlichkeit verlangte nach verlässlichen Informationen. Sie war bereit, dafür zu zahlen. Denn nur so war die Unabhängigkeit des Mediums sicherzustellen. Auf der Basis dieses Geschäftsmodells entstanden Zeitungen und Verlage. Wenn sie ihr Geschäft  nachhaltig solide betrieben, glichen sie Gelddruckmaschinen.

Demokratie verlangt nach dem mündigen Bürger. Mündig ist nur, wer in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden.  Journalisten helfen ihm dabei. - indem sie recherchieren, vorsortieren, einordnen und kommentieren.  Das ist ihr Job.

Das war ihr Job. Wer in einer online-Redaktion gehalten ist, mindestens alle 30 Minuten eine neue, möglichst sensationell klingende Nachricht abzusetzen, hat keine Zeit für gründliche Recherche.  Außerdem könnte Gründlichkeit seine aufregend klingende  Geschichte in heiße Luft auflösen.

Nicht nur Magazin-Verlage bieten Anzeigenkunden redaktionelle Umrahmungen ihrer Werbung an.  Für schnelle Gewinne prostituieren sie sich. Sie verscherbeln das kostbarste Gut jeder Redaktion: Glaubwürdigkeit.

Boulevardmedien gibt es, seitdem Menschen sich für Tratsch interessieren, also immer schon. Seriöser Journalismus grenzt sich davon ab. Wo der Boulevard erregen will, da setzen Journalisten auf Ernüchterung. Der Boulevard wirft sich ran, Journalismus hält Abstand. Der Boulevard zielt auf den Bauch oder tiefer, Journalismus fordert das Hirn.

Im Jahr 2011 nennt sich  die BILD-Zeitung unwidersprochen Deutschlands Leit-Medium. Die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten überbieten sich im Kampf um Quoten.  Da "Nackter Po" immer besser läuft als "Neue Rentenpläne", ist klar, wohin das führen musste: zu Quassel-Shows, Soaps und Tralala anstelle ernsthaft unterhaltender Information. Selbst die New York Times schließt Auslandsbüros und brüstet sich mit Lifestyle-Stories über Essen und Mode.

Wenn ernsthafter Journalismus nur noch schrumpfende Teilöffentlichkeiten erreicht, wird der mündige Bürger immer seltener. Häufiger tritt auf: der schnell erregte Wutbürger. Der Ansehensverlust des Journalisten korrespondiert mit wachsender Parteien- und Demokratieverdrossenheit. In der eingangs zitierten Allensbach-Umfrage gaben gerade mal drei von hundert Befragten an, sie würden Politikern vertrauen.

Dabei war es - dank Internet  - niemals leichter und preiswerter als heute, Informationen zu beschaffen, zu prüfen, aufzubereiten und weiterzuverbreiten. In China, Ägypten, Tunesien entstehen dank Internet und engagierter, mutiger  Journalisten demokratische Öffentlichkeiten. Da sollte es doch im freiheitlich-demokratischen Deutschland möglich sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die unabhängigen, ernsthaften Journalisten ein Auskommen sichern, auch im Lokalen.

Ansätze dazu gibt es, frische Ideen auch: lokale Online-Zeitungen, Stipendien für investigative Journalisten, Stiftungen, die Zeitungen finanzieren. Woran es noch mangelt, ist ein neuer Typ von Verleger: Unternehmer, die es verstehen, in Erfüllung eines publizistischen Auftrags Geld zu verdienen.

Helfen könnte eine Bundesstiftung Freie Presse, die guten lokalen Journalismus nachhaltig fördert. Wenn sich nur ein Bruchteil der Einnahmen der GEZ (Gebühreneinzugszentrale) dorthin umleiten ließe, ginge es Presse und Demokratie in Deutschland bald wieder besser. (vorwärts Dezember 2011)

  

Der Bundespräsident hat Sebnitz besucht - "Die sind schuld"

20/12/2000

 
Wir leben im Land der wohlfeilen Schuldzuweisungen. Deutsche in Ost und West, Linke und Rechte sind vereint in der Bereitschaft, rasch mit dem Finger zu zeigen, auf Andere, auf Andersartige.

Macht es einen Unterschied, ob man auf DIE Ausländer zeigt oder DIE Ossis? Auf die Türken oder die Amerikaner? Auf die 68er oder die Rechten? Die lustvolle, manchmal geifernde Suche nach dem Sündenbock ist, leider, noch immer, ein gesamtdeutsches, ein fürchterliches Spiel.

Jetzt sind die Medien im Visier. Nicht ohne Grund. Fernsehen, Rundfunk, auch seriöse Zeitungen haben sich nicht mit Ruhm bekleckert, als das Gerücht Flügel bekam, in einem kleinen Ort im Osten, Sebnitz hieß er, hätten Neonazis einen kleinen Jungen ertränkt, im Freibad, und brave Bürger hätten reglos zugesehen.

Die Bild-Zeitung war es, die das Feuer entfachte. Aber es hätte nicht gelodert, hätten nicht andere willig nachgelegt. Was dabei zum Vorschein kam, waren betonierte Vorurteile und bornierte Selbstgerechtigkeit. Wer glauben mag, dass ein ganzer Ort mutwillig wegschaut, wenn ein kleiner Junge ertrinkt, der glaubt auch an Hexen.

Vom Hexenglauben ist es nur ein kleiner Schritt zur Bereitschaft, Hexen zu verbrennen. Denn dann, nicht wahr, wenn das Böse ausgerottet ist, mit Stumpf und Stiel, dann wird alles, alles gut?

Eben nicht. Auf keine interessante Frage gibt es eine einfache Antwort. Jeder Mensch ist fähig zu nahezu allem. Was er daraus macht, hängt von vielerlei Faktoren ab. Die Wahrheit liegt immer nur im Einzelnen und nie in der Verallgemeinerung.

Die Medien können sich bei den Bürgern von Sebnitz nicht entschuldigen. Weil es die Medien nicht gibt. Einzelne Reporter und Redakteure hätten sicher Grund, sich zu entschuldigen - und sollten es tun.
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