"Ich kann mich ja gelegentlich mit großer Klarheit ausdrücken." Sagte Volker Rühe nach seinen Gesprächen mit führenden USƒVerteidigungspolitikern, zufrieden lächelnd wie ein satter Kater. Der neue Bundesverteidungsminister demonstrierte bei seinem ersten Besuch in der amerikanischen Hauptstadt neues deutsches Selbstbewußtsein. Und eigenes gleich mit.
Mit dem einflußreichen Senator Nunn sprach Rühe über die künftige Zahl amerikanischer Soldaten in Deutschland. Nunn versuchte ihm die Idee schmackhaft zu machen, GIs künftig ohne ihre Familien über den Atlantik zu schicken. So wie die US-Army es auch in Südkorea praktiziert. Der Vorteil liegt auf der Hand: Es wäre billiger.
Doch Rühe machte klar: Das kommt nicht infrage. Deutschland sei nicht Korea. Den Deutschen sei wichtig, daß die USA sich fest an Europa binden. Daß Soldatenfamilien in Kontakt mit Deutschen kommen. Für uns, so Rühe, "bleibt die Nato die Nummer Eins."
Ja bitte, kommt dann Amerikanern prompt die Idee, dann tragt doch Ihr Deutschen auch bitteschön die Kosten der Stationierung! Rühes Replik, sinngemäß: Ihr seid doch keine eingekauften Söldner.
Nein, so sieht man sich in den USA in der Tat nicht gern. Das Argument saß. Jedenfalls vorerst.
Bestimmt und selbstsicher trat Rühe in Washington auf. Es schadete ihm nicht. Er nutzte den Vorteil, daß er hier von vielen Besuchen in anderen Rollen her bestens bekannt ist. Rühe gilt als Amerika-Freund - und, was nicht unwichtig ist, als enger Vertrauter des Kanzlers.
Präsident Bush ließ es sich nicht nehmen, ihn für ein Halbstundengespräch zu empfangen. Im offiziellen Reiseplan war das nicht vorgesehen. In Rühes Begleitung wurde anschließend Wert auf die Feststellung gelegt, daß der Präsident sich auch mit Außenminister Kinkel nicht länger unterhalten hat. Kinkel war zwei Tage früher hier.
Auch daß Rühe wie Kinkel unterstrich, das neue Eurokorps solle, geht es nach den Deutschen, im Bündnisfall der Nato unterstellt werden, hörte man gern. Überhaupt: Daß Außen- und Verteidigungsminister mit einer Zunge sprechen, ist bei Amerikas Alliierten nicht immer der Fall.
Rühe zog auch gleich noch ein Füllhorn voller Ideen aus der Tasche, wie sich die deutsch-amerikanische Freundschaft weiter vertiefen läßt, jedenfalls auf dem Feld der Streitkräfte. Offiziere gemeinsam auszubilden, schlug er vor, in einer sicherheitspolitischen Arbeitsgruppe gemeinsam nach "Strategien für eine veränderte Welt zu suchen", deutsche Wehrpflichtige als Sprachlehrer in US-Einheiten einzusetzen und GIs Praktika bei deutschen Truppenteilen anzubieten, unter dem Motto: "Meet United Germany". Soviel Kreativität hat hier schon lange kein deutscher Verteidigungsminister mehr bewiesen.˙ Außenminister Baker bescheinigte Rühe denn auch freundlich, das deutsch-amerikanische Verhältnis sei "nie besser gewesen als heute".
Exklusiver kann das Programm eines Kurzbesuchs kaum sein. Klaus Kinkel wurde am Dienstag in Washington von Hand zu Hand gereicht, vom Kapitol zum Pentagon zum Weißen Haus. Der neue Bundesaußenminister kam zum ersten Mal in dieser Funktion in die US-Hauptstadt. Heute folgt ihm Verteidigungsminister Volker Rühe, auch er neu im Amt. Unbekannt sind sie hier beide nicht. Das politische Washington zeigte sich dennoch neugierig auf die neuen Gesichter der deutschen Politik.
Als Angehörige der Nachkriegsgeneration eilt beiden Ministern der Ruf voraus, deutsche Interessen unbeschwerter vertreten zu können als ihre Vorgänger, unbelastet von dem Gefühl, Repräsentanten einer Republik von amerikanischen Gnaden zu sein.
Den Kinkel-Stil genießen die Amerikaner geradezu; nach Ablauf der éra Genscher. Der neue Mann gilt als umgänglich und geradeheraus. So wie es die Amerikaner lieben. Der sphinxhafte Wortreichtum seines Vorgängers verursachte ihnen nicht selten Gefühle, die Sodbrennen ähneln.
Besonders mit US-Außenminister James Baker soll sich Kinkel bestens verstanden haben. In Bakers Augen hat dem deutschen Neuling Respekt verschafft, daß er sich nicht einschüchtern läßt. Schroffen Angriffen Bakers auf Unverständlichkeiten der europäischen Politik begegnete Kinkel schlichtweg gelassen und mit Humor.
(Wie üblich geworden stattete zwar auch Kinkel den Dank an die Amerikaner ab für ihre Unterstützung Deutschlands bei der Wiedervereinigung. Das hinderte ihn aber nicht, genauso frank und frei Kritik an den Deutschen zurückzuweisen, wo er sie für unberechtigt hält.)
Insbesondere die Gründung des - zunächst nur deutsch-französischen - Eurokorps nehmen die Amerikaner gern zum Anlaß, den europäischen Verbündeten bohrende Fragen zu stellen. Für Kinkel kein Anlaß zum Kleinmut. Wer wie die Amerikaner immer darauf gepocht hat, die Europäer sollten gefälligst mehr für ihre eigene Verteidigung tun, klang seine Replik, sollte nicht beleidigt sein, wenn Europa genau das tatsächlich tut. Im übrigen: Wer wisse denn, wie die amerikanische Haltung zur Nato nach den Präsidentschaftswahlen im November aussehen wird?
(Nicht wenige Wahlbürger fragen sich nämlich, wozu noch immer US-Truppen in Europa stehen, wo doch der Kalte Krieg beendet ist. Präsident Bush ist zwar ein klarer Befürworter einer "substantiellen" US-Präsenz in Europa. Doch seine Aussichten, wiedergewählt zu werden, sind derzeit alles eher als rosig. Wie die Außenpolitik eines Präsidenten Clinton oder Perot aussähe, vermag so genau niemand zu sagen. Das gab Kinkels Argument Gewicht, Europa tue gut daran, sich auf alles vorzubereiten.)
Der US-Wahlkampf bleibt auch nicht ohne Einfluß auf das Drehbuch des Jugoslawien-Konflikts. Für Bush könnte ein militärisches Eingreifen in Bosnien-Herzegowina gerade gelegen kommen, um erneut internationale Führungsstärke zu beweisen. Sein Außenminister bemüht sich seit Wochen, den Kontrast zwischen dem amerikanischen Umgang mit der Golf-Krise und dem europäischen Geeiere in Jugoslawien unübersehbar zu machen.
Andererseits birgt eine militärische Intervention die Gefahr, daß amerikanische Boys kurz vor dem Wahltermin in Leichensäcken in die Heimat zurückkehren. Das wiederum bremst die Bereitschaft des US-Präsidenten, der UNO Bodentruppen zur Verfügung zu stellen.
Kinkel warb darum, die Westeuropäische Union (WEU), das Verteidigungsbündnis der Europäer, als willkommene Ergänzung zur Nato zu sehen. Das Eurokorps, versicherte er, werde im Bündnisfall dem Nato-Oberkommando unterstellt. Das hören die Amerikaner gern, allein, es fehlt der rechte Glaube, daß die Franzosen dies genauso sehen.
(Von Rühe erhoffen sich die USA nun genauere Auskunft darüber, wie es mit WEU, Eurokorps, Nato und KSZE weitergehen soll. Das Spinnennetz internationaler Verflechtungen und Organisationen, von Hans-Dietrich Genscher so kunstvoll gewoben - es ist ihnen im Grunde suspekt.)
Als wohltuend pragmatisch dürften die Amerikaner empfunden haben, daß der neue deutsche Außenminister über die Hilfsprogramme für Rußland genauso denkt wie sie; ohne Sentimentalität. Kinkel ließ keinen Zweifel daran, daß die in Aussicht gestellten 24 Mrd Dollar des Weltwährungsfonds nicht "in ein Faß ohne Boden" fließen dürfen. Das ist exakt die Haltung der Bush-Regierung und noch mehr die der Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitol.
Kinkel-Vorgänger Genscher hatte die USA stets für ihre zurückhaltende Art gegenüber Geldgeschenken an den Osten getadelt. Mit dem Ergebnis, daß sie sich schofel vorkommen mußten. Sie waren Kinkel dankbar, daß auch dies jetzt ausgestanden ist.
Erst hat das Angebot niemand so richtig ernst genommen. Doch inzwischen wächst die Sorge in New York, Teile der Vereinten Nationen könnten tatsächlich aus der amerikanischen Millionenstadt abwandern. Allzu märchenhaft klingen die Lockrufe der deutschen Regierung - großzügige Büros am Rhein, Beamtenvillen im Grünen, Sprachkurse, und alles kostenlos. Die Uno ist es gewohnt, knapp gehalten zu werden.
Erst hat Entwicklungshilfeminister Spranger vorgeschlagen, drei Uno-Unterorganisationen aus New York abzuziehen und an den Rhein zu holen, in den Schürmann-Bau neben dem Langen Eugen. Nach dem Wegzug von Parlament und Regierung soll aus Bonn schließlich ein Nord-Süd-Zentrum werden. In der amerikanischen Öffentlichkeit wurde das nicht weiter zur Kenntnis genommen. Wer ist Herr Spranger? Die UN-Beamten lächelten allenfalls überlegen; wenn es ein Nord-Süd-Zentrum auf der Welt gibt, dann ist es New York. Und wenn Teile der Uno tatsächlich abwandern sollten, dann gleich in die Dritte Welt oder in den einstigen Ostblock.
Doch dann verlieh Kanzler Kohl dem deutschen Anliegen Nachdruck. Seither gilt das Angebot als zumindest ernsthaft gemeint. Und die Vereinten Nationen haben erkannt: Daraus läßt sich Nutzen ziehen.
Die drei umworbenen Agenturen - für Entwicklung, Bevölkerung und Frauen - sind bisher nicht im UN-Hauptgebäude untergebracht, sondern in angemieteten Büros nebenan. Die Uno zahlt dafür jährlich 14 Mio Dollar Miete.
Die Vereinten Nationen sind knapp bei Kasse. Vor allem vom Hauptgeldgeber USA werden sie nach wie vor kurz gehalten. Die US-Regierung ist mit Zahlungen in Höhe von rund 1,1 Mrd DM im Rückstand. Dabei werden die Aufgaben der Weltorganisation nicht kleiner, im Gegenteil. Seitdem die Sowjetunion und Jugoslawien in ihre Bestandteile zerfallen, steigt die Zahl der Mitglieder. Auch wächst seit dem Ende des kalten Krieges die Bedeutung der Uno als Vermittlungsinstanz in Konfliktfällen und als Friedensstifter. Es wird eng in den Räumen am East River.
Nicht nur die Bonner Regierung hat das erkannt, sondern auch der Stadtrat von New Rochelle, einem Vorort zwanzig Kilometer draußen im Norden von Manhattan. New Rochelle wirb um Unicef, den Weltkinderfond. Die Miete im Vorort würde nur ein zwanzigstel dessen betragen, was Unicef derzeit bezahlt.
Das ist zwar immer noch teurer, als der versprochene Nulltarif am Rhein, dennoch nehmen die New Yorker Stadtväter die Gefahr aus dem Vorort im Moment noch ernster als die aus Deutschland. Der Umzug nach New Rochelle könnte schnell stattfinden, der an den Rhein erst, wenn überhaupt, in einer vagen Zukunft. Doch weder jetzt noch in Zukunft glaubt New York auf die Uno oder Teile von ihr verzichten zu können.
Es scheint zwar langsam wieder aufwärts zu gehen mit der US-Konjunktur, am New Yorker Arbeitsmarkt ist davon aber nichts zu spüren, im Gegenteil. Nur einer von zehn Jugendlichen, die neu in den Arbeitsmarkt drängen, findet einen Job. Selbst Absolventen der Elite-Universitäten, früher aufgesogen von Anwaltskanzleien, Unternehmen und Banken der Wall Street, versuchen sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Die City kämpft um jeden Arbeitsplatz.
Ob am Ende New Rochelle tatsächlich Sitz von UN-Institutionen wird oder Bonn oder beide oder ob doch alles beim Alten bleibt, also in Manhattan - einer dürfte von dem Streit auf jeden Fall profitieren: die Weltorganisation selbst. So umworben war sie schon lange nicht mehr. Selbst wer nicht ernsthaft wegwill aus New York, tut jetzt gerne so, als ob - damit die Stadt endlich für bessere Büros sorgt und Washington seine Schulden bezahlt.
Es hätte schöner nicht sein können. Der Himmel über dem Weißen Haus war wolkenlos wie die Beziehungen zwischen Bonn und Washington, das Protokoll zog alle Register, Kinder winkten mit Fähnchen; schwarz-rot-gold und Stars and Stripes. Bundespräsident Richard von Weizsäcker besucht die Vereinigten Staaten.
Am Mittwochmorgen begrüßte ihn Präsident Bush mit allem Pomp und Prunk, den das Protokoll für solche Anlässe hergibt. Und einem Sahnehäubchen obendrauf: Eigens für den deutschen Gast waren Soldaten in Uniformen aus dem Unabhängigkeitskrieg angetreten, in roten Röcken, mit weißen Perücken und Dreispitz. Als Erinnerung an den deutschen Beitrag zur Geburt der amerikanischen Nation.
George Bush war bester Laune. Er hatte soeben die Vorwahlen seiner Republikanischen Partei in Pennsylvania gewonnen. Damit hat er die notwendige Mehrheit zur erneuten Nominierung als Präsidentschaftskandidat in der Tasche: "Es ist wundervoll, offiziell über den Berg zu sein."
Der deutsche Gast gab ihm die Gelegenheit, aus den Niederungen des Vorwahlkampfs gleich wieder hinaufzusteigen auf die Bühne der Weltpolitik. Bush nutzte seine Begrüßungsrede zur Belehrung all jener in Amerika - es sind viele -, die nach dem Ende des Kalten Krieges Abschied nehmen wollen von der amerikanischen Führungsrolle in der Welt. Bush erinnerte daran, daß auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele seiner Landsleute meinten, nun sei es genug. Nun sollten die USA sich wieder ganz auf sich selbst besinnen. Sie taten es nicht: "Das war eine weise Entscheidung." Heute sei Deutschland, der einstige Gegner, fuhr der Präsident fort, zu einem "Modell der Demokratie für die ganze Welt geworden."
Um irgendwann in der Zukunft von den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ähnliches sagen zu können, müßten jetzt "Deutschland und Amerika in Partnerschaft in deren demokratische Zukunft investieren."
Bush sagte, er wünsche sich sehr, daß Deutschland nun eine größere Rolle in der Weltpolitik übernehme. Von Geld sprach er nicht, wie auch, an einem solchen Tag. Den amerikanischen Wähler interessiert aber genau das: Wieviele der Kosten, die bisher den amerikanischen Steuerzahler belasten, nimmt ihm künftig der deutsche "Partner in der Führung" ab?
Richard von Weizsäcker wird diese Frage nicht beantworten können. Nicht nur deshalb fällt es den Amerikanern schwer zu begreifen, welche Rolle der Bundespräsident in der deutschen Politik spielt. Daß jemand Bedeutung hat, der zu tagesaktuellen Fragen schweigen muß, ist hier schwer begreiflich zu machen. öber den Auftakt des Staatsbesuchs stand in den Hauptstadtzeitungen denn auch keine Zeile.
Es gab Hummer mit Gurkenmousse und Kaviarsauce, Kalbsfilet und Ananas-Champagnersorbet. Anne Willan fand das beschämend. Den 150 zum Staatsbankett ins Weiße Haus geladenen Gästen schien es hingegen zu schmecken. Präsident Bush gab ein Diner zu Ehren von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, derzeit Staatsgast in Amerika.
Frau Willan ist so etwas wie der weibliche Küchenpapst der amerikanischen Hauptstadt und der Meinung, die Köche der USA hätten Originelleres zu bieten als Hummer und Champagner. Auch die Washington Post machte sich über vermeintliche Haare in des Präsidenten Kaviarsauce her. Was Barbara und George Bush da ihren Gästen vorgesetzt hätten, sei ein typisches Luxusmahl der Schickeria, teuer und geschmacklos, befand das Blatt. Und außerdem das gleiche wie bei den letzten 19 Staatsbanketts.
(Der erste Staatsbesuch eines Präsidenten des ungeteilten Deutschland fand bisher mehr Echo in den bunten Teilen der amerikanischen Blätter als in jenen Spalten, die dort für die Politik reserviert sind. Wie sich aber selbst aus Menükarten ein Scherbengericht bereiten läßt, führte die schon zitierte Zeitung vor. Sie schloß kurzerhand von der Art des US-Präsidenten, seine Gäste zu bewirten, auf seine Politikmethode. Risikoscheu sei die und altbacken.)
Am Donnerstag wurde dem Bundespräsidenten die seltene Ehre zuteil, vor beiden Häusern des Capitols - Senat und Abgeordnetenhaus - sprechen zu dürfen. Richard von Weizsäcker gab eine weitere Probe seiner hohen Kunst, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten und dennoch kaum ein heikles Thema auszulassen.
Er dankte den USA für Jahrzehnte der Solidarität mit Deutschland: "Thank you America!" Vor allem aber warb der Präsident um Verständnis für die heutige Situation Deutschlands. Die politische Vereinigung sei geschafft, aber noch liege "ein langer Weg vor uns." Die "abrupte" Einführung der Marktwirtschaft in der einstigen DDR sei "ein Abenteuer ohne Beispiel." Das Staatsoberhaupt fügte hinzu: "Es wird mehr Zeit und Geld kosten, als man ursprünglich dachte oder zugeben wollte." Wen er mit "man" meinte, ließ der Präsident offen.
Um den ohnehin bröckelnden Glauben der Amerikaner an die immerwährende Solidität der deutschen Wirtschaft und Politik nicht noch weiter zu erschüttern, rief Richard von Weizsäcker seinen Zuhörern anschließend aufmunternd zu: "Aber wir werden nicht scheitern!" Die Begründung lautete sinngemäß: Weil wir nicht scheitern dürfen.
Versicherung Eins folgte Versicherung zwei: Das vereinigte Deutschland werde nicht schaukeln noch wanken zwischen Ost und West. Es sei heute eher noch europäischer als die kleinere Bundesrepublik früherer Jahre. Denn: "Wir Deutschen wissen sehr genau, daß wir bei einer Rückkehr zu nationalen Alleingängen selbst die Hauptleidtragenden wären."
(Die USA betrachten mit durchaus gemischten Gefühlen, wie sich Europa zu einer wirtschaftlichen und politischen Union formiert, mit eigenen Sicherheitsinteressen und Bündnissen. Der Bundespräsident sagte, dies registrierend, er freue sich darüber, mit welchen Argusaugen Amerika darüber wache, daß EG, WEU und KSZE der Nato "keinen Abbruch tun". Denn: "Dies deutet auf ein ungebrochenes amerikanisches Interesse an Europa hin." Dieses Interesse sollten die USA sich doch bitte erhalten!
Nebenbei stärkte von Weizsäcker so seinem Gastgeber Bush den Rücken, der sich - mitten im Wahlkampf - Forderungen entgegenstemmt, die weite Welt links liegen zu assen - zuhause sei genug zu tun. Der Bundespräsident, ohne diplomatische Schnörkel: "Die USA müssen weiterhin die Führungsrolle im Team übernehmen, wenn es darum geht, die zugleich befreiende und chaotische Lage nach Auflösung des Sowjetimperiums zu meistern.")
Im Anschluß an seine Rede nahm von Weizsäcker an der alljährlichen Holocaust-Gedenkfeier jüdischer Organisationen im Capitol teil. Er hätte auch kaum anders gekonnt, ohne sich gleichsam aus dem Parlamentsgebäude herausschleichen zu müssen. Geplant war die Teilnahme ursprünglich nicht. Die Veranstalter sprachen von einem zufälligen Zusammentreffen der Termine von Trauerfeier und Staatsbesuch.
Das mag man glauben oder auch nicht. In Amerikas jüdischen Kreisen ist jedenfalls nicht vergessen, wie Bundeskanzler Helmut Kohl den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu einer pathetischen Versöhnungsgeste auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg drängte. Dort liegen auch SS-Angehörige begraben. Auch daß und mit welchen Randbemerkungen Kohl sich vor kurzem mit ôsterreichs Präsident Waldheim traf, ist hier sauer aufgestoßen. Waldheim haben die jüdischen Organisationen aufgrund seiner umstrittenen Kriegsvergangenheit mit einer Art Bann belegt.
Zufall oder nicht: Die deutsche Seite entschloß sich schnell, an die offizielle Version zu glauben und das beste draus zu machen. Richard von Weizsäcker besichtigte gar noch, ungeplant, den Rohbau des neuen Museums, das künftig an den deutschen Judenmord erinnern wird - mitten in Amerikas Hauptstadt.
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