Stolz und Sorge mischen sich in den Reaktionen der Amerikaner auf die Bosnien-Politik ihres neuen Präsidenten Clinton. Stolz, weil wieder einmal die USA beherzt vorangehen, wo die Europäer zaudern und zögern. Sorgen äußern vor allem Militärs und außenpolitische Experten.
„In den Balkan, auf Zehenspitzen“ titelte die New York Times einen warnenden Bericht. „Balkan“ stand gleichbedeutend für „Sumpf“ und unkalkulierbares Abenteuer.
Einer Gallup-Umfrage zufolge finden es aber 67 vH der Amerikaner durchaus richtig, daß Clinton Lebensmittel per Fallschirm über bosnischen Bergtälern abwerfen läßt. Berichte über strahlende Bosnier, die US-Reportern radebrechend und mit Tränen in den Augen versichern: „Clinton is good!“ erwärmen die amerikanische Volksseele.
Die US-Medien berichten zwar breit auch über Zweifel, ob denn die Abwürfe tatsächlich dort landen, wo sie ankommen sollen, aber was heißt das, wenn gleichzeitig diejenigen, denen die Hilfe gilt, sagen - in den Worten eines Hühnerzüchters aus Gorazde -: „Er (Clinton) kann uns nicht alles geben. Aber er hat uns schon Hoffnung gegeben.“
Außerdem berichten USƒPiloten aus Frankfurt, wie präzise sie die Flüge durchgeführt haben. So addiert sich zum Stolz auf die moralische Richtigkeit der Aktion zusätzlich noch der Stolz auf die Tüchtigkeit der eigenen Soldaten. Das ist eine Mischung, die in Amerika immer gefällt.
Zumal Clinton gleichzeitig den diplomatischen Druck auf die Kriegsparteien verstärkt; vor allem über den Schulterschluß mit Moskau. Selbst Henry Kissinger, Richard Nixons legendärer Sicherheitsberater und Außenminister, bescheinigte der Regierung, eine „ausgesprochen geschickte“ Balkan-Politik zu betreiben. Aber Kissinger warnte auch, die Erinnerung an den Vietnamkrieg wachrufend: „Ich möchte nicht noch eimal eine idealistisch gesinnte Regierung in einen vergleichbaren Morast hieinrutschen sehen.“
Diese Gefahr scheint Kissinger und anderen vor allem dann gegeben, wenn die USA sich tatsächlich mit Soldaten an einer Friedenstruppe beteiligen, die dafür sorgen soll, daß ein Vertrag - wenn er denn zustandekommt - auch eingehalten wird. Die USA, meint Kissinger, sollten das besser den Europäern überlassen und sich nur aus der Luft an eventuellen Kampfhandlungen beteiligen.
Denn daß es im früheren Jugoslawien auch nach einem Friedensschluß nicht friedlich zugehen wird, steht für alle Experten fest. Aber viele und offenbar auch Clinton sehen in der multinationalen Truppe eine Chance, zu einer neuen Qualität internationaler Kooperation zu gelangen.
Denn gedacht ist daran, daß die Uno der Nato die Aufgabe überträgt, diese Friedenstruppe zusammenzustellen, und zwar unter Beteiligung der Russen. Was der Nato auf dem Umweg über den Balkan zu einem neuen Selbstverständnis verhelfen würde. Außerdem wäre es ein Schritt auf dem Weg zu einem neuen System kollektiver Sicherheit, das die Kräfte des einstigen Warschauer Paktes einschließt.
Diese Perspektive vor allem ist es, die Moskau bewegen könnte, sich in Bosnien an die Seite der USA zu stellen.
Doch Kissinger, der ausgefuchste Machtpolitiker, warnt davor, über solch vagen Hoffnungen die konkreten Gefahren zu übersehen. Für ihn ist das „nationale Interesse“ der USA an einer Stationierung von US-Truppen auf dem Balkan bisher nicht erkennbar. Zbigniew Brzezinski, ein anderer Ex-Sicherheitsberater (unter Präsident Carter) sieht das anders. In seinen Augen kranken die bisherigen Visionen von einer „Neuen Weltordnung“ an einem Mangel an Moralität und damit an Anziehungskraft.
Die Weltgemeinschaft, und die USA voran, müßten deutlich machen, meint Brzezinski in einem Aufsatz im „World Monitor“, daß es ihnen nicht nur um die Freiheit des Kapitalverkehrs geht, sondern auch um Werte, um Menschenrechte. Wie könnte man das besser demonstrieren, als wenn die Uno Werten zuliebe in Bosnien interveniert?
Vielleicht hat Bill Clinton an Berlin gedacht, als er Fallschirmabwürfe von Hilfsgütern über entlegenen Teilen Bosniens ankündigte. Per Luftbrücke ließ der damalige US-Präsident Harry Truman 1948 die Westberliner mit Lebensmitteln versorgen. Anderenfalls wäre wohl auch der Westsektor der Stadt in die Hände der Sowjets gefallen. Trumans Entscheidung machte Geschichte.
Die Luftbrücke brachte reale Hilfe und war zugleich ein Symbol für Durchhaltewillen und Moral des Westens. Die geplanten Fallschirmabwürfe über Bosnien haben den gleichen Zweck, versichert die Clinton-Regierung.
Im Weißen Haus war man offenkundig überrascht, daß diese Sichtweise nicht überall geteilt wird. Als Clinton am Wochenende die Hilfsflüge ankündigte, hieß es, schon am Montag sei mit einer formalen Entscheidung zu rechnen, und es würden nicht die Amerikaner alleine sein, die fliegen. Dann hagelte es Bedenken. Von einer Beteiligung der Briten oder Franzosen ist inzwischen keine Rede mehr. Vielleicht machen ja die Deutschen mit. Am Freitag kann sich US-Außenminister Christopher mit seinem Kollegen Kinkel darüber unterhalten. Sie treffen sich beim Nato-Rat in Brüssel.
Die Militärplaner im Pentagon fürchten seit langem, von Politikern in den Bürgerkriegssumpf auf dem Balkan hineingetrieben zu werden. Sie bestehen darauf, daß die C-130-Transportflugzeuge in gut dreitausend Meter Höhe fliegen, wenn sie ihre Container fallen lassen. Zielgenau sind Abwürfe aber nur, wenn die Maschinen sehr niedrig fliegen; in etwa hundert Meter Höhe.
Doch dann wären sie ein leichtes Ziel für Heckenschützen aller Art. Seien es Serben, die in den Flügen eine Parteinahme für den Gegner sehen, seien es Moslems oder Kroaten, die Interesse daran haben, den Serben Angriffe auf amerikanische Flugzeuge in die Schuhe zu schieben. Die Moslems drängen Washington seit langem, militärisch Partei zu ergreifen.
Die Clinton-Regierung ist nun seit Tagen damit beschäftigt, den Verbündeten, den UN, den Bürgerkriegsparteien und vor allem den eigenen Generälen zu versichern, sie sei nicht darauf aus, eine Provokation zu provozieren. Clinton selber beteuerte, die geplante Aktion sei „rein humanitär“ und „in keiner Weise“ ein Schritt in Richtung aktive US-Kriegsbeteiligung.
Im Wahlkampf jedoch hat Clinton anders geklungen. Mehrfach verlangte er die militärische Sicherung des Flugverbotes. Vielerorts wurde deshalb mit dem Amtswechsel in Washington die Erwartung verbunden, daß die Amerikaner nun auf dem Balkan dazwischenschlagen würden. Doch dann benannte Clinton stattdessen einen eigenen Friedensunterhändler und unterstützte den Vance/Owen-Plan. Nun hat der Präsident Mühe zu erklären, daß die Aktion Fallschirmabwurf keine Rückkehr zu seiner Vor-der-Wahl-Balkanpolitik darstellt.
UN-Generalsekretär Boutros-Ghali und den britischen Premierminister Major hat er in langen Vier-Augen-Gesprächen davon offenkundig überzeugen können. Boutros-Ghali legte nach seinem Gespräch mit Clinton besonderen Wert auf die Feststellung, daß die Flüge unter UN-Aufsicht stattfinden und somit nur eine Verlängerung der Luftbrücke nach Sarajewo darstellen.
Vor allem dürfte den Generalsekretär beruhigt haben, daß Washington von der Idee Abstand genommen hat, die Transporter zu ihrem Schutz von Kampfflugzeugen begleiten zu lassen. Das hätte allzusehr danach ausgesehen, als warteten die USA nur auf eine Provokation.
Offiziell heißt es in Washington nun, die Begleitung sei militärisch unsinnig. Weil die C-130-Flugzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 621 km/h fliegen, die viel schnelleren Kampfflugzeuge also jeweils entweder um Meilen voraus oder hintab wären, wenn eine C-130 vom Boden aus beschossen würde. „Es gibt keinen Weg, den Schützen auszumachen, Ziel zu nehmen und zurückzuschlagen,“ versicherte ein Ex-Air-Force-General, den das Pentagon an die Interview-Front geschickt hat.
Washington hätte gern, daß sich die Russen an der Luftbrücke beteiligen. Bisher hat deren Bosnien-Beauftragter Churkin aber nur grundsätzlich der Aktion zugestimmt und versprochen, die Serben nach Möglichkeit stillzuhalten. Jedenfalls sagte Churkin das der Washington Post.
Eine russische Beteiligung an den Hilfsflügen wäre aus Sicht des Weißen Hauses das klarste denkbare Signal, daß die Aktion Fallschirm kein Schritt zur Eskalation des Krieges ist, sondern eine für Frieden und Moral. Die Bürgerkriegsparteien könnten dann womöglich endlich erkennen, hofft Clinton, daß der einzige Weg zur Beendigung des Krieges über den Verhandlungstisch führt.
Schließlich hat ja auch die Berliner Luftbrücke keinen Krieg ausgelöst, sondern die Sowjets einlenken lassen.
Cyrus Vance und Warren Christopher sind gute alte Bekannte. Zur Zeit der Carter-Regierung war Vance Außenminister und Christopher sein Stellvertreter. Jetzt ist Christopher Außenminister und Vance Bittsteller.
Im Gespann mit dem britischen Lord Owen bekniet Vance derzeit die neue US-Regierung und die amerikanische Öffentlichkeit, sich hinter jenen Friedensplan für Bosnien zu stellen, den die beiden als Unterhändler der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft ausgehandelt haben. Sie stoßen auf respektvolle Skepsis.
Christopher hat seinem alten Chef Anfang der Woche in New York die kalte Schulter gezeigt. Seither versucht Vance sein Glück auf dem Umweg über die Fernsehkanäle, über den direkten Appell an Amerikas Wähler.
Er will, daß die USA dem Friedensplan, der Bosnien in zehn weitgehend autonome Provinzen zerschneidet, durch ihre Zustimmung Gewicht geben. Owen geht sogar so weit, den USA vorsorglich die Schuld zu geben, falls sich auch diese Friedenshoffnung wieder zerstäuben sollte. Der Führer der bosnischen Moslems, Alija Izetbegovic, stimme dem Plan nur deshalb nicht zu, weil er sich Hoffnungen auf amerikanische Hilfe mache, sagte Owen: „Izetbegovic setzt sich nicht an den Tisch, solange die Moslems glauben, daß militärische Hilfe auf dem Weg ist; seien es Waffenlieferungen oder eine Intervention von außen.“
Über beides wird in Washington in der Tat seit langem diskutiert, und die bosnischen Moslems wissen es.
Schließlich hat Bill Clinton im Wahlkampf verlangt, den Serben gegenüber Härte zu zeigen. Während die Bush-Regierung eine Bombardierung serbischer Stellungen zwar erwogen, aber verworfen hat, steht Clinton nun unter dem Druck, seinen starken Worten auch Bomber folgen zu lassen.
Clinton hat Bush auch in der Verurteilung des von Serben verübten Völkermords übertroffen. Nun wird er prompt gefragt, wie sein Außenministerium dem Serbenführer Karadzic ein US-Visum ausstellen konnte - wo der doch in den USA als Kriegsverbrecher gilt. Statt auf der Anklagebank sitzt Karadzic am Verhandlungstisch. (Mehr noch: Der Vance/Owen-Plan gesteht den bosnischen Serben große Teile jener Landgewinne zu, die sie nur dank militärischer Gewalt und brutaler Vertreibung erzielen konnten.)
Für Clinton ist die Situation heikel. Er leidet ohnehin unter dem Vorwurf, nach der Wahl von einigen forschen Versprechungen abgerückt zu sein. Nun bemüht er sich, dem kein weiteres Beispiel folgen zu lassen. Andererseits arbeitet er an einem ehrgeizigen innenpolitischen Aktionsprogramm. Neue außenpolitische Abenteuer kann er nicht brauchen.
Eigentlich käme ihm also der neue Friedensplan ganz gerufen, weil der Plan - ob und wie auch immer er Wirklichkeit wird - zumindest eines bringt: Zeitgewinn. Leider nur hat es schon allzuviele Friedenspläne für den Balkan gegeben. Es dürfte schwer sein, in den USA jemanden zu finden, der auf den Vance-Owen-Plan auch nur einen müden Dollar setzt. Geschweige denn Menschenleben. Genau das aber verlangen Vance und Owen von der Clinton-Regierung. Damit die Moslems sehen, daß Clinton es ernst meint und mit Waffenlieferungen oder US-Bombern wirklich nicht zu rechnen ist, verlangen die Unterhändler, daß die USA Soldaten zur Verfügung stellen; als Teil der UN-Friedenstruppe.
Diese Idee nun aber ist in den USA vollends unpopulär. Kein Wunder, daß von der alten Freundschaft zwischen Vance und Christopher derzeit wenig zu spüren ist.
Doch was ist die Alternative? US-Militäraktionen aus der Luft würden die UN-Friedenstruppen auf dem Boden gefährden. Zudem sind die Europäer derzeit strikt dagegen. Auf dem Kapitol wächst die Zahl der Abgeordneten und Senatoren, die das Waffenembargo gegenüber Bosnien aufheben wollen. Damit die Moslems sich besser selbst verteidigen können. Es wäre ein Ausweg, bei dem Clinton sein Gesicht wahren und sich zugleich aus dem Balkan heraushalten könnte.
Besonnenere Politiker warnen davor. Sie fürchten, dies würde Waffenlieferungen der Russen an die Serben nach sich ziehen. Nicht ein Ende des Krieges wäre die Folge, sondern eine Verlängerung und womöglich eine Ausweitung.
Clinton hat die Wahl, in welchen Apfel er beißen will. Doch es sieht so aus, als seien alle Äpfel sauer.
Die Olympischen Sommerspiele 1996 finden in Atlanta statt. Oder nicht? Vielleicht finden sie auch in Coca-Colaville statt oder in Kelloggstown oder in GeneralMotorsCity, wer weiß. Je nachdem, welche Firma den Zuschlag erhält und Atlantas Namen kaufen kann. Vorausgesetzt, die Stadt ringt sich dazu durch, den revolutionären Vorschlägen ihres Marketing-Chefs Joel Babbitt zu folgen. Geld lockt, und Atlanta, wie fast alle Städte der USA, kann es dringend brauchen.
Die Stadt hat in Babbitt einen erfolgreichen Werbemanager angeheuert, der nun auf gewohnt kreative Weise neue Einnahmequellen auftun soll. Steuern und Gebühren zahlen die meisten Bürger nur höchst widerwillig, und in wirtschaftlich trüben Zeiten rollt der Steuerdollar besonders träge. Schulen, Straßen, Brücken aber wollen weiter unterhalten sein, und der Sozialetat wächst. Also hat sich Babbitt gefragt: Wie kann man Menschen und Firmen dazu bringen, freiwillig Geld ins Stadtsäckel zu stecken? Die Antwort fand er in der Welt des Sports und des Kulturbetriebs.
Sportarenen heißen in den USA längst nach großen Firmen. Sportler tragen Brust und Rücken für Nike, Adidas und gutes Geld zu Markte. Unternehmen schmücken sich gern mit der Aura großer Kunst - indem sie Ausstellungen sponsorn und dafür ihr Firmenlogo irgendwo dezent am Museum hängt. Was Museen und Fußballvereinen recht ist, sollte den gebeutelten Städten nur billig sei, meint Mr. Babbitt.
So hat er Atlantas Stadtvätern vorgeschlagen, die Namen von Straßen und städtischen Parks an Firmen zu verkaufen. Babbitt: „Es bringt uns keinen Cent ein, daß der Piedmont Park, der größte Park von Atlanta, Piedmont Park heißt. Ich glaube nicht, daß irgendjemand zu leiden hätte, wenn wir den Namen in Georgia-Pacific-Park umändern und wir eine Million Dollar pro Jahr dafür bekommen würden. Aber ich weiß, daß diese Millionen von Dollars einer Menge Lehrern und Obdachlosen helfen werden.“ Die Georgia-Pacific Corporation ist ein Holzverarbeitungsunternehmen.
Als ersten Schritt zur kommunalen Totalvermarktung hat die Stadt einen Vertrag mit einem großen Kreditkartenunternehmen abgeschlossen. Für drei Mio Dollar darf sich VISA jetzt die „offiziell bevorzugte Kreditkarte von Atlanta“ nennen. Das viele schöne Geld vor Augen hat ein Stadtverordneter prompt vorgeschlagen, doch konsequent weiterzugehen und auch den Namen der Stadt selber zu verkaufen: „Wir werden einfach Coca-Colaville.“ Der Brausehersteller hat schließlich seinen Sitz in Atlanta.
Soweit will Babbitt, bisher jedenfalls, gar nicht gehen. Dafür schwebt ihm vor, städtische Müllfahrzeuge für zahlungswillige Firmen Reklame fahren zu lassen. Noch ist unklar, ob sich auch dafür Interessenten finden.
Jedenfalls geht es seit Monaten hoch her im Gemeindesaal und in den Leserbriefspalten der örtlichen Zeitungen. Kritiker halten Babbitts Ideen schlicht für geschmacklos und unpatriotisch. Die Namen von Straßen und Plätzen seien schließlich ein Stück kommunaler Identität, sie vermittelten Heimatgefühl. Alles Schmus, halten Babbitt-Fans dagegen.
Joey Reiman, ein Werbe-Fachmann aus New York: „Nehmen sie den Columbus Circle“ - einen bekannten Platz in Manhattan - „Er ist nach einem Mörder benannt.“ Kolumbus habe, meint Reiman in werbetechnisch freier Zuspitzung der historischen Tatsachen, amerikanische Ureinwohner ermordet. Was also, fragt Reimann, wäre schlecht daran, den Namen des Amerika-Entdeckers durch ein Firmenlogo zu ersetzen - und mit dem Erlös den Stadtteil drumherum zu sanieren? Mr. Reiman jedenfalls glaubt, sein Kollege Babbitt sei sozusagen auf Öl gestoßen. Der Verkauf von Straßennamen ist in seinen Augen die städtische Finanzquelle der Zukunft.
Der Sprecher des US-Städtebundes, Frank Shafroth, möchte das auch gern glauben, ist aber skeptisch. Schließlich habe Atlanta etwas Besonderes zu verkaufen, meint Shafroth - eben weil dort 1996 die Olympischen Spiele stattfinden und die Kameras der Welt auf die Stadt gerichtet sein werden. Aber wer sei schon bereit, für abgelegene Straßenzüge in Brigdeport oder East St. Louis Dollarmillionen auf den Tisch zu legen? Ins Deutsche übertragen: Der Münchner Stachus verkauft sich halt besser als die Westtangente in Wanne-Eickel.
"Betrug", "Er sollte sich schämen", "Ich dachte, er hätte mehr Mumm" - Die Heerscharen von Perot-Aktivisten überall in den USA vernahmen am Donnerstag per TV die Nachricht vom Rückzug ihres Idols aus dem Wahlkampf um das Weiße Haus und waren geschockt. Nun sind wie üblich nur noch zwei Bewerber im Rennen. Präsident Bush und sein Herausforderer Clinton umwarben flugs die Enttäuschten.
Im Februar hatte der Milliardär Ross Perot in einer Fernsehtalkshow beiläufig versprochen: "Wenn die Wähler meinen Namen in allen 50 Staaten der USA auf den Wahlzettel bringen, trete ich an." Einen "Weltklassewahlkampf" werde er dann hinlegen, und wenn ihn das hundert Mio Dollar oder mehr kosten würde. In den Tagen und Wochen darauf klingelten die Telefone im Perot-Hauptquartier in Dallas ununterbrochen.
öberall im Lande bildeten sich Perot-Komitees. Millionen von Unterschriften wurden gesammelt. Die etablierten Parteien - Republikaner und Demokraten - begannen zu zittern, die Experten zu staunen. Es dauerte nicht lange, und Perot führte in den Umfragen vor Bush und weit vor Clinton.
Jetzt ist der Zauber vorüber. Genauso plötzlich, wie er begonnen hat. Eine nüchterne Pressekonferenz in Dallas, und aus ist der Traum. Der Traum, ein gestandener Geschäftsmann, einer, der Klartext redet, könnte "denen in Washington" zeigen, wie man Probleme wirklich löst. Dabei hatten die Perotisten gerade richtig losgelegt, Buttons geprägt, T-Shirts bedruckt.
Perot schickte seine Mitarbeiter an die Fernsehfront, die Enttäuschten zu trösten. Viele wollten es nicht glauben und hoffen, Perot noch umstimmen zu können. Andere kündigten trotzig an, auch ohne Perot weitermachen zu wollen - um als Wählerblock den anderen Kandidaten Zugeständnisse abzuringen. Doch die meisten waren schlicht sauer und wütend.
Matthew Lifflander, Leiter des "People for Perot"-Büros in New York: "Ich fühle mich betrogen. Das ist einfach nicht fair. Was er getan hat, macht die ohnehin schon Enttäuschten noch enttäuschter." Jane Sawner aus New Rochelle sah dunkle Kräfte am Werk: "Das zeigt nur, man kommt gegen die da oben nicht an." Andere Perot-Anhänger vermuten einen noch unbekannten Grund hinter dem Rückzug ihres Idols. Drohungen vielleicht oder ein geheimes Geschäft.
Der Fernsehmoderator Tom Brokaw zitierte die alte Weisheit: "Wer US-Präsident werden will, muß bereit sein, zur Hauptverkehrszeit mitten auf der meistbefahrenen Kreuzung öffentlich ein Bad zu nehmen." Und er fügte hinzu: "Vielleicht wollte Perot nicht, daß die Wähler seinen kleinen, winzigen Körper zu Gesicht bekommen." Die US-Presse hatte während der letzten Wochen begonnen, die Vergangenheit des Milliardärs minutiös zu durchleuchten.
Perot hat nur gesagt, er könne nicht gewinnen. Jetzt, da die Demokraten auf ihrem Parteitag in New York zu neuem Leben erwacht seien.
Die Demokraten versuchten, daraus Honig zu saugen. Bill Clinton nannte die Perot-Aktivisten während seiner Rede, mit der er die Nominierung seiner Partei zum Präsidentschaftskandidaten offiziell annahm, "patriots for change", Patrioten, die Wandel im Sinn haben, und rief ihnen zu: "Kommt zu uns! Gemeinsam werden wir Amerika zu neuem Leben erwecken."
Präsident Bush unterbrach einen Angelurlaub, gab eine Pressekonferenz und zeigte sich seinerseits zuversichtlich, daß die meisten Perot-Anhänger sich am Ende bei ihm und seinen Republikaner "zuhause fühlen" werden. Jedenfalls die konservativen unter ihnen.
Clinton dagegen warb um alle Perot-Anhänger, nicht nur um die progressiven oder liberalen. Es müsse Schluß sein mit der Teilung und Spaltung des Landes, mit Schuldzuweisungen an jeweils andere, "an sie, die Liberalen, an sie, die Obdachlosen, an sie, die Armen, an sie, die Schwulen", war seine Botschaft an das Wahlvolk: "Es gibt nur ein Wir, Wir in Amerika."
Die Demokraten zogen zum Schluß ihrer Zusammenkunft in New York alle Register moderner Medienarbeit, um die Nation zu überzeugen: Bill Clinton ist kein "Slick Willie". Seine Mutter, Bilder seiner Jugend in einem Nest namens Hope, Bekenntnisse seines einst drogensüchtigen Halbbruders - alles mußte herhalten, um zu zeigen: Dieser Bill Clinton ist ein richtiger Mensch aus Fleisch und Blut, kein Politiker aus der Retorte, er ist einer, der sich kümmert. Ein Gospel-Chor sang: "Yes, there is Hope" - Ja, es gibt Hoffnung. Die Kandidaten tanzten auf der Bühne mit ihren Frauen, die Delegierten schunkelten, 60000 Luftballons schwebten vom Himmel der Halle.
Vor vier Jahren hatte Bill Clinton auf dem demokratischen Nominierungsparteitag für den damaligen Kandidaten Dukakis eine 32minütige, allgemein als langweilig empfundene Rede gehalten. Applaus kam erst auf, als der Redner versprach, er komme zum Schluß. Diesmal begann Clinton mit der Bemerkung, er sei nur nach New York gekommen, um die Rede von damals zu vollenden. Danach sprach er fast eine Stunde lang. Nur: Diesmal war ihm der Applaus sicher.
Ersten Umfragen zufolge hat Clinton erreicht, was das Ziel der viertägigen Polit-Oper im Madison Square Garden war: sich erneut bekannt zu machen, sich den Wählern als Kandidat der Versöhnung und des Wandels zu präsentieren. In einer CNN-Umfrage machte er in der Wählergunst einen gewaltigen Sprung nach vorne: von knapp 30 auf 56 vH. Nur 33 vh der Befragten gaben an, sie würden Bush wählen, wäre jetzt Wahltag. Nach einer anderen Umfrage (der Fernsehanstalt ABC) ist der Abstand noch größer: Clinton 58 vH, Bush 29 vH.
Vor vier Jahren führte Kandidat Dukakis zu diesem Zeitpunkt mit 17 Prozentpunkten vor Bush. Im November hieß der Sieger Bush.
Erst am 3. November wählen die Amerikaner einen neuen Präsidenten. Ein Glück für George Bush.
Vor einem Jahr feierten die USA ihren Sieg im Golfkrieg mit Paraden auf den Straßen. Sieger Bush schwebte in den Umfragen ganz oben. Die konkurrierenden Demokraten lagen am Boden. Keiner ihrer Spitzenleute traute sich, als Präsidentschaftskandidat ins Rennen zu ziehen.
Doch in Arkansas, dem armen Staat zwischen Red River und Mississippi, machte sich ein junger Mann auf den Weg ins Weiße Haus, Bill Clinton. Kaum jemand glaubte, daß der jetzt 45jährige dort jemals ankommen würde. Jetzt, nach dem demokratischen Nominierungsparteitag in New York, hat sich das geändert. In Umfragen hat Clinton Bush weit abgehängt.
Das hat er zum einen der US-Wirtschaftsflaute zu verdanken, zum anderen drei Personen: George Bush, Ross Perot und sich selbst, Bill Clinton.
Bush hat den US-Wählern bisher keinen Grund nennen können, warum sie ihn wiederwählen sollten. Ross Perot, der unabhängige Milliardär aus Dallas, hat erst in Millionen von Menschen Hoffnung auf politischen Wandel geweckt - und sich dann klammheimlich aus dem Staub gemacht, kaum daß er merkte, was für eine brenzlige Sache so ein Wahlkampf doch ist.
Clinton dagegen nennt sich das "Comeback-Kid". Mehrfach schien seine Kampagne am Ende. Nie gab er auf. Jetzt ist er oben.
Er hat aus den früheren Fehlern der Demokraten gelernt und kupfert hemmungslos ab, womit die Republikaner einst ihre Konkurrenz das Fürchten lehrten: Clintons Botschaft ist optimistisch, er beschwört Amerikas Werte, hält die Familie hoch.
Daneben hat er ein klares Programm, das sich deutlich von dem der Republikaner unterscheidet, aber auch von dem, was die Demokraten früher boten. Er verspricht eine nationale Gesundheitsversicherung, Wahlfreiheit für schwangere Frauen, aber auch Haushaltsdisziplin, weniger Bürokratie, mehr Verantwortung für den Einzelnen. Und vor allem: Jobs.
George Bush hat noch knapp vier Monate Zeit, sein eigenes Image wieder aufzupolieren - oder das neue seines Gegners Clinton zu zerstören. Sonst wird er seine Koffer packen müssen.
George Bush ist ein Gentleman der alten Schule. So beschreiben ihn Freunde, so sieht er sich selbst, so wirkt er im persönlichen Umgang. In die Geschichte wird er eingehen als der Präsident, der die USA am öftesten ins Duell geführt hat. Und als der einzige, der kriegerische Aktionen noch in den allerletzten Tagen seiner Amtszeit eingeleitet hat.
(Schon öfter waren Präsidentenwechsel in den USA von Kriegsereignissen überschattet. Truman wurde Präsident, als der zweite Weltkrieg in seinen letzten, entscheidenden Zügen lag. Seinem Nachfolger Eisenhower hinterließ Truman den Korea-Krieg. Lyndon Johnson „vererbte“ Nachfolger Nixon das Schlamassel von Vietnam. Doch nie zuvor wurden die Fanfarenstöße der Inauguration von mutwillig herbeigeführtem Geschützfeuer übertönt, so wie jetzt, wo in Irak gebombt, in Washington gefeiert wird.)
Das neue Schießen am Golf wäre nicht nötig gewesen, hätte George Bush als Feldherr des Golfkriegs vor zwei Jahren das erklärte Kriegsziel gehabt, Saddam aus dem Amt zu vertreiben. Das Ziel wurde nachgereicht, als der Waffenstillstand schon beschlosssen war. Jetzt sind die USA und ihre Alliierten um Reparatur bemüht.
Das ist typisch für George Bush. Er war ein Präsident starker Ankündigungen, vieler Taten und - leider - widersprüchlicher Botschaften. Er zeigte eine harte Hand gegenüber Noriega in Panama, wie schließlich gegenüber Saddam, und er bewies in Somalia, daß Krieger ihre Faust auch öffnen können, um humanitäre Hilfe zu bringen. Vor allem: Er bewies Besonnenheit, als der Ostblock und dann die Sowjetunion zusammenbrachen.
Andererseits zeigte sich Bush immer wieder merkwürdig inkonsequent. Er ließ Saddams Wiedererstarken nach dem Golfkrieg zu. Er ließ guten Worten gegenüber den Reformern in der Ex-Sowjetunion kaum Geld folgen. Er verurteilte den Genozid auf dem Balkan und sah tatenlos zu. Er sprach von einer Neuen Weltordnung und blieb deren Beschreibung doch schuldig.
Die gleiche Konsequenzlosigkeit findet sich in seiner Innenpolitik. Bush ließ es auch dort an Initiativen nicht fehlen. Seine Regierung produzierte Ideen und Gesetzentwürfe in Serie. Nur: allzuoft, um sie anschließend mutwillig oder aus Lustlosigkeit im Getriebe der Gesetzgebungsmühle spurlos verschwinden zu lassen. Oder um sie - wie es mutigen Umweltgesetzen wie dem Clean Air Act erging - anschließend durch Einschränkungen und Auflagen wieder zu entwerten.
Schon als Kind wurde George Herbert Walker Bush von einem Chauffeur zur (Elite-) Schule gefahren. Er war und blieb, trotz Weltkriegs- und Geschäftserfahrung, der in vielerlei Hinsicht typische Sprößling des Geldadels der amerikanischen Ostküste. Ein Gentleman.
Anders als sein Nachfolger Clinton hat Bush das Kleinklein der Politik, das Buhlen um Zustimmung, die Zwänge der Medien und des Wahlkampfs, nie gemocht und nie ernst genommen. Für einen Gentleman ist an Politik nur interessant, was Staatskunst ist. Sich mit dem Schraubschlüssel über das politische Getriebe zu beugen, um „Amerika wieder in Bewegung zu bringen“, das war George Bush zuwider. Deshalb hat ihm eine Mehrheit der Wähler den Laufpaß gegeben. Denn in den USA sitzt das Gefühl tief, im Lande sei nun so manches dringend der Überholung bedürftig.
Ein Gentleman sieht die Bühne internationaler Politik als einen Club von Staatsmännern. Ein Gentleman glaubt an die Kraft persönlicher Kontakte zwischen wichtigen Männern. Das funktioniert in Vereinen demokratischer Staaten, wie Nato oder KSZE. Es führt in die Irre im Umgang mit vordemokratischen Regierungssystemen.
Nur ein Beispiel dafür ist Bushs wachsweiche Haltung gegenüber den Machthabern in Peking. Er war der erste Botschafter seines Landes in der Volksrepublik China. Das Verständnis für Potentaten wie Deng Xiaoping hat Bush seither nie verlassen, auch nicht nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Die Diktatoren in Peking und anderswo hat das ganz sicher nicht entmutigt, Terrorakte gegen ihre eigenen Völker zu begehen.
Auch in seiner Politik gegenüber dem Irak setzte Bush lange, wohl zu lange darauf, mit Saddam dealen zu können wie mit texanischen Ölmagnaten. Jene Pinzipienfestigkeit, auf der die Strahlkraft amerikanischer Außenpolitik gegenüber einst dem Faschismus, dann dem Kommunismus beruhte, geriet darüber allmählich außer Sicht. Am Ende der Riegierungszeit von George Bush, dem letzten US-Präsidenten aus der Generation der Weltkriegssoldaten, ist oft nur schwer zu erkennen, wofür die USA weltweit eintreten, wofür sie gegen Hitler-Deutschland und Japan gekämpft haben. Daß sie für mehr stehen als für eigene Macht- und Geschäftsinteressen.
Bush war Präsident in einer Zeit, als wieder einmal eher Mechaniker und Kreuzritter gefragt waren denn Gentlemen; in den USA selbst und weltweit: Um hier zu reparieren und dort der neuen Weltordnung ein Gerüst fester Prinzipien zu geben. In den Worten eines amerikanischen Beobachters: George Bush war „der richtige Präsident zur falschen Zeit.“
Im Vorwahlkampf hatten Gerüchte über außereheliche Affären Clintons die Runde gemacht. Auch während des Parteitages waren vor der Halle Pamphlete zu finden, in denen Frauen behaupteten, ein Verhältnis mit Clinton gehabt zu haben. Mehr als das hatte die Nation dem Gouverneur von Arkansas übelgenommen, wie er mit dem Vorwurf umgegangen ist, er habe schon mal Marihuana geraucht. Ja, habe er, hatte Clinton im Fernsehen eingeräumt, aber nicht in den USA, wo das verboten ist, sondern als Student in England. Außerdem habe er "nicht inhaliert".
Seither nennen ihn die Republikaner nur noch "Slick Willy", den glatten Willy.
Der Schuldenberg, die Arbeitslosigkeit, der Zustand der Schulen, das desolate Gesundheitssystem: Das Staatsschiff bewege sich auf einen Felsen zu, fuhr Cuomo fort: "Die Besatzung weiß es. Die Passagiere wissen es. Nur der Kapitän des Schiffes scheint es nicht zu wissen." Er erinnerte an die Triumphparaden nach dem Sieg im Golfkrieg. Gern würde er an einem weiteren Triumphmarsch teilnehmen - "durch Städte und Dörfer, wo alle Menschen sicher sind, wo Kinder Kinder sein können und Zugang zu Colleges haben." Cuomo fügte hinzu: "Treten Sie ab, Mr. Bush, Sie haben Ihre Parade gehabt!"
Spätestens jetzt schienen die Delegierten überzeugt, daß sie mit Bill Clinton, slick oder nicht, eine reelle Chance haben, im November zu siegen. Maxine Waters, die geachtete schwarze Kongreß-Abgeordnete aus Los Angeles, setzte noch eins drauf. Sie machte klar, daß Clinton nicht nur die Hoffnung der Ostküsten-Liberalen a la Kennedy und Cuomo ist, sondern auch die Hoffnung der Schwarzen: "Bill Clinton vesteht, was vorgeht in Amerika. Mit ihm können wir Amerika wieder aufbauen. Es ist Bill Clintons Zeit, ihm schlägt die Stunde der Geschichte."
Jesse Jackson war bereits am Tag zuvor zu Wort gekommen. Der schwarze Reverend hatte seine Gemeinde wie gewohnt mitgerissen. Für einen schwarzen Jugendlichen in South Central Los Angeles sei es ein Schritt nach oben, ein Glück, ins Gefängnis zu kommen: "Dort ist es kühl im Sommer, warm im Winter, dort bekommt er zu essen, dort findet er Arbeit." Auch Jackson, obwohl von Clinton nicht umworben, stellte sich hinter den Kandidaten.
Nacheinander gaben die Delegationen der Einzelstaaten ihre Stimme ab, am späten Mittwochabend - "Der große Staat von Illinois, der Heimatstaat von Abraham Lincoln, ... hat 155 Stimmen für den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaaten von Amerika, Bill Clinton!" Und so fort, von Alabama bis Wyoming. 2145 Stimmen machen die Mehrheit aus.
Den Demokraten aus Ohio fiel die Ehre zu, die magische Linie zu passieren. "178 Stimmen für Bill Clinton", da waren es insgesamt 2244. Damit war es offiziell. Musik setzte ein, Aluminium-Lametta schneite vom Himmel der Halle, und die Menschen riefen: "Wir wollen Bill! Wir wollen Bill!"
Die Demokraten sind begierig. zu siegen. Sie sind begierig, endlich einmal wieder den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zu stellen. Und die Zeiten, sie scheinen danach.
Seit zwölf Jahren regieren im Weißen Haus die Republikaner. Acht Jahren Ronald Reagan folgten vier Jahre Geroge Bush. Im November möchte Bush für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Die Mission sei noch nicht erledigt, sagt er. Welche Mission?
Die amerikanischen Wähler neigen dazu, von den Republiknern mehr Härte gegenüber Kommunisten und Verbrechern zu erwarten, auch mehr Sachverstand, wenn es um Gelddinge geht. Die Republikaner sind traditionell die Partei der Brieftasche. Die Demokraten sind die Partei fürs Herz.
Als die amerikanischen Wähler den Demokraten Jimmy Carter abwählten, 1980, und ihn durch Ronald Reagan ersetzten, hatten sie die Nase voll von einer Politik des schlechten Gewissens, von einem Präsidenten, der die Finger beharrlich in alle Wunden der Nation legte. Und der nicht imstande war, den Ayatollahs im Iran amerikanische Geiseln zu entreißen. Unter Reagan fühlte die Nation sich wieder groß.
Und es sollte ihr besser gehen, versprach der einstige Hollywood-Schauspieler. Schuld an Rezession und Elend im Lande seien die überbordenden Sozialprogramme der Demokraten, sei der Wohlfahrtsstaat. Die "Reaganomics" brachten Steuersenkungen für Unternehmer und Reiche, Kürzungen staatlicher Infrastrukturprogramme, knappe Kassen vor allem für die Städte, aber herrliche Zeiten für die US-Rüstungsindustrie. Und sie brachten Aufschwung und Arbeitsplätze.
Seit vier Jahren aber strauchelt die US-Wirtschaft durch ein tiefes Tal der Rezession. Die vielen neuen Arbeitsplätze der Reagan-Jahre, es waren zumeist schlecht bezahlte Jobs in Restaurants, im Kleingewerbe. Die industrielle Basis der Vereinigten Staaten zerbröselte. Eine neue ist noch nicht gefunden.
Nur die Rüstungs- und Elektronikindustrie blühte. Auch damit es es vorüber, seit der Kalte Krieg zuende ist.
Viele amerikanische Wähler haben das Gefühl: Außenpolitisch haben die Republikaner ihre Mission erfüllt, innenpolitisch haben ihre Rezepte versagt. Sie scheinen bereit, etwas Neues zu versuchen.
Eine Zeitlang schien dieses Neue aus Texas zu kommen, aus der Welt des Business. Es trug den Namen Ross Perot. Doch so erfolgreich der Milliardär aus Dallas im Geschäftsleben ist, im politischen Unterholz holte er sich rasch blaue Flecken. Sein Stern sank. Am Donnerstag zog er sich aus dem Rennen zurück. Zurück bleiben Zehntausende enttäuschter Perot-Aktivisten, ohne Kandidat, ohne Aufgabe.
Doch wer sonst kann die Nation aus dem Jammertal führen? Die Demokraten, diese ewig lamentierenden Nörgler, diese spendierfreudigen Weltverbesserer?
In New York auf ihrem Parteitag stellten sie sich gewandelt dar. Nicht als Partei des Contra, sondern des Pro. Pro-Business, pro choice, pro change. Wirtschaftsreundlich, für das Recht der Frauen, selbst zu entscheiden, ob sie abtreiben müssen. Für Wandel,für eine nationale Gesundheitsversicherung. Und geschlossen, hinter einem attraktiven Kandidaten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA Japan und Deutschland wieder aufgebaut, dieser Satz fehlt einer keiner Rede Clintons, jetzt, nach dem Ende des Kalten Krieges, sei es an der Zeit, daß die USA ihr eigenes Land wieder aufbauen.
Clinton verweist gern auf das deutsche Beispiel, um zu zeigen: Die Grundlage von politischem Einfluß in einer gewandelten Welt ist eine gesunde Wirtschaft. In einem Zeitalter der Abschreckung waren Kanonenboote die Trumpfkarten der Weltpolitik. In einem Zeitalter der Zusammenarbeit werde es Wirtschaftskraft sein, sagt Clinton. Es werde schwerer sein für die USA, ihre Führungsrolle zu behaupten. Statt Reaganomics setzt er auf eine Politik der sozialen Marktwirtschaft. Eine gesunde Wirtschaft setze sozialen Frieden voraus, gute Krankenhäuser und Schulen nicht nur für Reiche.
Zusammen mit Al Gore verkörpert Bill Clinton eine "neue Generation mit Führungskraft", die klare Gundsätze mit gemäßigtem Verhalten vereinbart. Clinton und Gore waren nicht die Kandidaten der Gewerkschaften. Auch nicht der Basisgruppen, die ihren Guru Jerry Brown verehren. Aber auch die Gewerkschaften und die vielen Minderheiten, die sich unter dem Dach der Demokraten versammeln, werden am Ende eher ihnen ihre Stimme geben als Perot oder Bush.
Die Wähler haben von Tricks und Schmuddelwahlkämpfen die Nase voll. Sie sehnen sich nach Visionen. Die ideale Zeit für einen jugendlichen Helden.
„Wir haben den Finger am Abzug,“ hatte Präsidentensprecher Marlin Fitzwater gewarnt, Richtung Saddam Hussein: Die USA und ihre Verbündeten seien jederzeit zu einem Militärschlag gegen den Irak bereit. Am Mittwochabend mitteleuropäischer Zeit zogen die Alliierten den Abzug durch, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Beginn des Golfkriegs, eine Woche vor dem Präsidentenwechsel in Washington.
Kaum waren rund hundert Bomber der Alliierten in der Luft, versicherte der irakische Botschafter bei der Uno, seine Regierung sei nun bereit, den zentralen Forderungen des Sicherheitsrates zu entsprechen. Doch schon am Montag hatte US-Präsident Bush entschieden, im Einverständnis mit seinem Nachfolger Clinton und nach Absprache mit der britischen und französischen Regierung, Saddam brauche eine neue Lektion. Zuvor war ein Ultimatum der Verbündeten ohne Reaktion Iraks verstrichen. Eigentlich sollte der Angriff am Dienstag stattfinden. Nur wegen schlechtem Wetter über dem Irak wurde der Zeitpunkt verschoben, sagte Fitzwater.
Seit Wochen hatten die USA auf Versuche des Irak hingewiesen, UN-Auflagen zu unterlaufen:
- Der Irak verschiebe Raketenwerfer, womöglich in der Absicht, alliierte Patrouillenflugzeuge abzuschießen.
- Mehrfach betraten irakische Soldaten Gelände im Südirak, das die Vereinten Nationen für die Zukunft Kuweit zuerkannt haben; Geheimdienstberichten zufolge transportierten sie Waffen und Material ab.
- Auch die UN-Inspektionsteams hatten erneut Probleme, im Irak ihrer Arbeit nachzugehen. Darüber wäre es schon im Sommer fast zu einer militärischen Konfrontation gekommen, hätte Saddam nicht nachgegeben.
- Am 27. Dezember, verlautete aus dem Clinton-Hauptquartier in Little Rock, sei ein USƒMilitärflugzeug über dem Irak mit einer Rakete beschossen worden. Die Rakete habe ihr Ziel verfehlt, hieß es zur Erklärung, daß der Angriff erst spät ans Tageslicht kam. Erst bei der Auswertung von Videomaterial sei man auf die Raketenspur gestoßen.
Derartige Berichte sollten den Rechtsstandpunkt der Allierten untermauern, wonach ein Militärschlag gegen Saddam Hussein auch ohne erneuten UN-Beschluß möglich ist - weil der Irak die Waffenstillstandsvereinbarungen notorisch unterläuft.
Bush packt im Weißen Haus seine Koffer, aber er wollte es dem irakischen Diktator nicht erlauben, diesen Vorgang mit Triumphgeheul zu begleiten. In Washington hat sich seit langem die Erkenntnis breit gemacht, daß der Sieg im Golfkrieg vor zwei Jahren auf tönernen Füßen steht, solange Saddam an der Macht bleibt. Das sieht Clinton offenkundig genauso wie Bush.
Schon im Sommer 1992 bereitete das Pentagon Pläne für einen Militärschlag vor, der weit über eine Demonstration alliierter Stärke hinausgehen könnte. Ziel, hieß es damals aus Quellen im Außenministerium, müsse sein, Iraks Diktator so entscheidend zu schwächen, daß in Bagdad ein Regierungswechsel möglich wird.
Die Militärs gaben sich überzeugt, diesmal nachholen zu können, was ihnen im Golfkrieg nicht gelungen ist: Kommandozentralen und Raketenstellungen des Irak gezielt und wirksam auszuschalten. Dank ihrer Lufthoheit über Irak haben die Alliierten diesmal präzisere Informationen über mögliche Ziele für ihre Cruise Missiles, „Tomahawks“ und die „smart bombs“ der „Stealth“-Bomber als vor zwei Jahren. Der Angriff am Mittwoch sollte das demonstrieren und die Sicherheit der alliierten Patrouillenflüge wiederherstellen.
Mehr allerdings war schon deshalb nicht möglich, weil die arabischen Golfkriegsverbündeten Türkei und égypten zu einer Beteiliung an einem neuen Krieg nicht bereit waren. Deshalb mußte sich der Angriff auch auf Ziele im Südirak beschränken. Bush-Sprecher Fitzwater warnte Saddam nach vollendetem Angriff allerdings, weitere Schläge seien jederzeit möglich. Die USA haben zusätzliche Soladaten Richtung Kuweit in Marsch gesetzt.
Das Pentagon hatte über die Bewegungen des Flugzeugträgers Kitty Hawk, der im Golf kreuzt, eine Nachrichtensperre verhängt. Lange Zeit, nachdem die Flugzeuge gestartet waren, gab es aus offiziellen Quellen in Washington keinerlei Kommentar. Die Weltöffentlichkeit durfte, wie Saddam, rätseln, was die Ziele der Maschinen waren. Erst als die Mission beendet war, kam die Bestätigung.
Politisches Ziel der Aktion war: Verunsicherung Saddams, psychologische Schwächung seiner Position im eigenen Land, Stärkung der irakischen Opposition, Stärkung auch der Autorität der UN und der USA und ihres abschiednehmenden Präsidenten.
Bill Clinton hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er die Irak-Politik seines Vorgänger billigt. Clintons Sprecher Stephanopoulos machte am Mitttwoch aber auch klar, daß die Verantwortung für den Angriff allein beim amtierenden Präsidenten lag.
Clinton muß daran interessiert sein, die Dauerkrise am Golf möglichst rasch beendet zu sehen, schon um die dort stationierten US-Truppen endlich abziehen zu können. Der Weg über einen Deal mit Saddam dorthin scheint ihm verwehrt. Denn dann sähe es in den USA so aus, als hätte Clinton Bushs Sieg verschenkt, und der neue Präsident wäre mit einem Zeichen der Weichlichkeit in seine Amtszeit gestartet. So etwas ist in den USA nicht populär.
Bush hinterläßt Clinton ohnehin mehr außenpolitische Brandherde, als dem lieb sein kann. Clinton ist angetreten, sich zu allererst um die Innenpolitik zu kümmern. Stattdessen wird er, kaum daß er am 20. Januar den Amtseid wird abgelegt haben, sich nicht nur mit Saddam beschäftigen müssen, sondern auch mit Bosnien, mit der Frage, wie es in Somalia weitergehen soll und was aus den stockenden Nahost-Friedensgesprächen wird.
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