Uwe Knüpfer
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Griechiche Segel

18/9/1992

 
Zum Von den Schwierigkeiten, vor Griechenlands Küsten zu kreuzen: Segel runter, Diesel an
von Uwe Knüpfer

Aktualisiert 18. September 1992  08:00 Uhr 

Anker“! ruft Paul. Paul ist unser Käpt’n. „Anker“! Er meint mich. Zu viert sind wir seit zwei Tagen auf einer Zehnmeter-Segelyacht, der Fragile. Zwei Männer, zwei Frauen: zwei Paare. Anders gerechnet: ein erfahrener Skipper und drei Gelegenheitssegler.

Zwei sind neu hier, einer davon bin ich. Wir sind im Hafen von Ägina. Segel runter, Motor an, Fender raus (das sind die Gummikissen, die über die Reling gehängt werden als Puffer zu anderen Booten). Stolz passiert die Fragile die Hafeneinfahrt. Klamm sieht die Besatzung ihrem ersten Anlegemanöver entgegen; zu Recht.

Am Samstag mittag waren wir in Athen gelandet. „Yachthafen Kalimaki!“ hatten wir dem Taxifahrer zugerufen. Nur Minuten, und wir fanden uns in einem Meer von Masten wieder. Yachthafen Kalimaki: Das hat soviel mit Seefahrerromantik zu tun wie die Parkplatzsuche am Einkaufszentrum mit Cabrio-Fahren.

Wir staunten noch, da bremste der Fahrer. „Wohin?“ wollte er wissen. Wir auch. Wir wußten nur den Namen des Charterunternehmens und des Bootes. Noch rätselten der Fahrer und wir, da hielt ein anderes Auto neben unserem Taxi. Die Fahrer wechselten einige griechische Worte, sprangen dann ins Freie und begannen unser Gepäck umzuladen. „Nepheli?“ fragte uns der neue Fahrer, wir nickten erfreut, so heißt unser Vercharterer. In rasender Fahrt ging es weiter, an Dutzenden von Kais entlang, einmal wieder zurück, wir waren wohl schon zu weit, um die Ecke, noch mal um die Ecke – der Fahrer bremst, da liegt das Boot, unser Boot. Paul ist enttäuscht. Nur ein Blick, und er weiß: Das Schiff hat keine Ankerwinde und kein Steuerrad, nur eine Pinne. Die Vermittlerin in Hamburg hatte anderes versprochen.

Egal, wir sind da. Und wie durch ein Wunder taucht im selben Moment die Chefin des Charterunternehmens auf und auch der Eigner des Bootes. Unser Fahrer fragt, ob wir Lebensmittel brauchen. Natürlich! Er schlägt vor: Zwei gehen aufs Boot, zwei kommen mit ihm einkaufen. Wir passieren Supermarkt um Supermarkt, alle geschlossen. „Erst Getränke!“ befiehlt der Fahrer. Wir nicken stumm, da stoppt er schon vor einem kleinen Laden. Wir werden erwartet. Die nette Inhaberin führt alles, was durstige Segler brauchen: Bier, Mineralwasser, Cola, Wein, Ouzo. Wir ordern palettenweise und werden umgerechnet 189 Mark los. Mein ganzes griechisches Bargeld ist weg. Der Fahrer auch. „No problem“, beruhigt uns die Verkäuferin. Wir sollen alles stehenlassen, es werde gebracht. Ein kleiner Junge ist aufgetaucht und führt uns um die Ecke zum Lebensmittelladen, wahrscheinlich gehört der dem Schwager des Onkels des Fahrers, oder alle Läden und das Taxiunternehmen gehören der Nepheli GmbH und Co KG, oder die gehört dem Onkel des Schwagers. Egal, jedenfalls führt der Laden alles, was hungrige Skipper auf See vermissen könnten und noch viel mehr. Nur leider habe ich kein Bargeld mehr. „No problem, zahlen Sie später auf dem Boot“, meint der nette Verkäufer. Prima, wir kaufen munter ein. Kaum sind wir fertig, ist ein Fahrer da, ein neuer. An Bord treffen wir den schwitzenden Eigner. Der Motor springt nicht an. Der Eigner bastelt und bastelt, schließlich strahlt er, der Diesel tut’s doch: „No problem.“ Nur leider ist es inzwischen zum Auslaufen zu spät. Wider Willen verbringen wir eine Nacht teils in Athens Altstadt, teils im Hafen Kalimaki.

Warten auf Wunder Dafür sind wir am nächsten Morgen, es ist Sonntag und wieder wolkenlos, die ersten, die den Hafen verlassen. Leider ist es auch völlig windstill. Aber der Diesel tut’s ja wieder. Wir tuckern hinaus in die Bucht von Piräus und zählen die Frachter und Fähren, die unseren Weg hinüber nach Ägina kreuzen. Auf sechzehn sind wir gekommen, als nach eineinhalb Stunden Vera, die etwas tranige Stille an Bord, mit der schüchternen Frage durchbricht: „Verbrauchen wir nicht etwas viel Sprit?“ Käpt’n Paul starrt auf die Tankanzeige, wir Matrosen auch. Auf halb steht der Zeiger. Das heißt: Mehr als zwanzig Liter sind weg. Dabei soll der Motor doch nur zweieinhalb Liter pro Stunde fressen, hat der Eigner versichert.

Er hat nicht gelogen; der Rest findet sich im Motorraum. Irgendein Schlauch ist undicht. Wir machen kehrt. In Kalimaki kennen wir uns inzwischen aus. Den alten Liegeplatz finden wir, den Bootseigner aber nicht mehr. Schließlich ist Sonntag. Im Hafencafé gibt es kein Telephon. Das Büro des Charterunternehmens ist nicht besetzt. Schließlich taucht doch noch jemand auf. Allerdings spricht er weder Deutsch noch Englisch. Immerhin, der junge Mann versteht Gebärden, sieht sich den Schaden an, blickt sehr besorgt, bedeutet uns, wir sollten warten – und verschwindet.

Wir warten. Und tatsächlich: Nach einiger Zeit – es ist inzwischen Mittag – naht die Chefin. Paul hat sich vorgenommen, mit einer Reparatur nicht einverstanden zu sein. Wir wollen ein anderes Boot. „Unmöglich“, meint die Chefin. Und verschwindet. Nach einer Stunde ist sie wieder da. Und verkündet strahlend: Wir bekommen ein anderes Boot, ein neueres, größeres. Wir sollen warten. Wir warten, inzwischen an griechische Wunder gewöhnt.

Am späteren Nachmittag kommt ein Auto, holt uns ab. Die neue Yacht heißt Fragile, hat eine Ankerwinsch und ein Steuerrad. Drei Mann haben den ganzen Nachmittag lang geschuftet, um sie seeklar zu machen. Wir preisen die Götter. Leider ist es zum Auslaufen zu spät. Wir vertiefen unsere Kenntnisse der Athener Verkehrsverhältnisse und des Hafens Kalimaki.

Am Montag kommen wir dann doch noch nach Ägina, zuletzt, nach Stunden der Flaute, sogar unter Segeln, bei Windstärke vier. „Anker!“ brüllt Paul. Er hat eine Lücke an der Hafenmauer ausgeguckt und in deren Höhe die Fragile so gedreht, daß sie mit dem Heck einparken kann. Ich stehe am Bug, an der Ankerwinsch. Der Anker klemmt; die Kette hat sich verhakt. Fummeln, zerren, schwitzen – da, sie löst sich. Rasselnd platscht der Anker ins Wasser.

Leider hat sich in dem Moment das Schiff schon gedreht. Paul hat die Fahrt gestoppt. Ohne Motor folgt der Kahn dem Ruder nicht. „Anker hoch!“ befiehlt Paul. Rasselnd rollte die Kette Glied für Glied zurück ins Boot. „Stopp!“ brüllt Paul. Wir liegen quer zu zwei anderen Booten, ein Tau hat sich im Wasser über unseren Anker gelegt. Unsere Frauen und ein Junge vom Ufer versuchen auseinanderzuhalten, was aufeinander zutreibt; unser Boot und die anderen. Paul und ich fingern mit dem Enterhaken nach dem fremden Tau. Wir haben es, da bricht der Enterhaken ab. Was nun? Paul: „Einer muß ins Wasser.“ Sein Blick ist eindeutig: Er meint mich. Ich werfe Hemd und Schuhe von mir, springe heldenmütig über Bord, tauche – und befreie den Anker.

Während ich aufs Boot klettere und auf den Beifall warte, sind die anderen schon mit einem neuen Problem beschäftigt. Eine weitere fremde Leine hat sich unter unserem Rumpf zwischen Steuer und Schraube festgesetzt, sagt Paul. Ziehen hilft nicht. Wieder dieser Blick. Ich springe. Tauche, sehe: Paul hat recht. Ich ziehe, die Leine löst sich nicht. Ich versuche es von der anderen Seite, schlucke Wasser, ziehe, die Leine löst sich.

Ouzo zum Trost Der zweite Anlegeversuch klappt. Mit Ouzo und Weißwein desinfizieren, wir die Abschürfungen an Haut und Seele. Und verbringen den Rest des Nachmittags damit, andere ankommende Segler bei ihren Einparkmanövern zu beobachten. Danach wissen wir, warum sich am Ufer keiner aufgeregt hat, als wir so dilettantisch daherkamen. Das ist so üblich hier.

Vom Boot aus sind es nur Schritte zum Fischmarkt, zum Café mit Torten in bester k.u.k.-Tradition – und zur öffentlichen Toilette. Das Schiffsklo ist defekt.

Am nächsten Tag tuckern wir, weil zum Segeln der Wind wieder nicht reicht, notgedrungen weiter. Am übernächsten Tag kommen wir, zum Teil sogar unter Segeln, bis Poros. Ein hübscher Ort, der so nah an Athen liegt, daß jeder Tourist ihn sehen muß. Der Kellner in der Taverne fühlt sich verpflichtet, Sirtaki zu tanzen und dabei immer freundlich zu lächeln. Immerhin: Es lenkt vom Teller ab. Doch die griechische Küche ist eine Geschichte für sich. Sie trüge die Überschrift: „Greek salad ist überall“.

Wenn Poros die Insel für Urlauber der Kategorie Kegelclub ist, dann ist Hydra die Variante für Studiendirektoren, die in der Toskana schon waren. Leonhard Cohen hat hier ein Haus. Wie seine Lieder klangen, so ist die Landschaft: traurig schön, tief einprägsam und monoton. Auf Hydra gibt es keine Autos, nur Maultiere. Schlichte Häuser bergen edle Hotels, die Kargheit der Landschaft wirkt wie gewollt. So erträumt sich der nordische Großstädter sein mediterranes Inselparadies. Was sich herumgesprochen hat. Die Diskothek oben auf der Hafenbefestigung, mit traumhaftem Blick auf Meer und Sonnenuntergang (links) beziehungsweise pittoreskes Hafenidyll (rechts), offenbart sich als Treffpunkt des internationalen Party-Jet-set.

Wenn die Motoryacht nur dick genug ist, und die Brieftasche vermutlich auch, gelten selbst die sonst peinlich beachteten Umweltgesetze zum Schutze des Hafens plötzlich nicht mehr. Wo kein Auto Lärm und Abgas verbreiten darf, röhrt uns die ganze Nacht der Schiffsdiesel irgendeines Krösus zur See die Ohren voll. Unsere freundliche Bitte, den Motor abzustellen, ruft helles Erstaunen an Bord hervor. Die Kühlanlage hätte sonst zuwenig Strom, wird uns, per Diener, bedeutet, auch der Hafenmeister habe das schon eingesehen. An seiner kurzen Leine knurrt der Wachhund.

Nächste Insel, nächstes Glück. Zielstrebig nähert sich unsere Fragile rückwärts der Hafenmauer. Schon steht jemand bereit, die Leinen zu fangen und festzumachen. Vera hält die eine, Helga die andere. Nur noch gut ein Meter bis zum Ufer, Vera wirft – die Leine landet im Wasser. Nicht schlimm, machen wir erst die zweite fest. Helga wirft. Weit genug, der Mann am Ufer fängt. Er legt die Leine um den Poller, schaut plötzlich auf, ungläubiges Entsetzen. Er hat das ganze Tau in Händen! Helga hat ihm das Paket zugeworfen, ohne zuvor ein Ende an der Fragile festzumachen. Der hilfreiche Mann, selber Segler, grüßt uns trotzdem noch. Segeln macht Spaß.

  • Quelle DIE ZEIT, 18.9.1992 Nr. 39
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Die meisten Amerikaner werden ärmer, die Reichen reicher

4/9/1992

 
George Bush ist Präsident der Vereinigten Staaten und will es bleiben, Bill Clinton will es werden. Doch wenn beide von der wirtschaftlichen Lage der USA reden, klingt das, als hätten sie grundverschiedene Länder im Blick.
Für Bush ist die Lage "besser, als die meisten Leute in Amerika denken." Für Clinton sind die USA von Platz eins unter den Wirtschaftnationen zurückgefallen auf einen Rang "irgendwo zwischen Deutschland und Sri Lanka". Bush verweist hoffnungsvoll auf einen sanften Rückgang der Arbeitlosenquote, für Clintons Sicht spricht: Der amtlichen Statistik zufolge sind die Amerikaner heute so arm wie seit 1964 nicht mehr.
Die Arbeitslosenquote, im Juni auf einem Höchststand seit eineinhalb Jahren (7.8 %), ist im August auf 7,6 % gesunken. Die Bush-Regierung verkündet jede Nachricht, die auf einen allmählichen Konjunkturaufschwung schließen läßt, mit lauten Fanfarenstößen.
Keine Musik erklang, als die Volkszählungsbehörde der USA in dieser Woche, wie jährlich, die Bewegungen an der offiziellen Armutsgrenze verkündete. Für 1991 lag diese Grenze bei knapp 14000 Dollar Jahreseinkommen für einen Haushalt von vier Personen. Das sind umgerechnet rund 20000 DM. 36 Mio Amerikaner hatten Einkünfte, die darunter lagen.
Nur 1964 waren noch mehr Amerikaner offiziell arm. Es war das Jahr, in dem Präsident Lyndon B. Johnson die Nation zum "Krieg gegen die Armut" aufrief.
Und wieder, wie 1964, sind es vor allem die Schwarzen, die auf Lebensmittelmarken und Wohlfahrtschecks angewiesen sind. Weniger als elf Prozent der Amerikaner europäischer Abstammung fallen unter die Armutsgrenze, aber 32,7 % aller Schwarzen.
 Beunruhigender als die Zahlen der Armen - die ohnehin meist nicht zur Wahlurne gehen - ist für die persönlichen Berufsaussichten des Präsidenten, daß die Einkommen der Mittelschicht schrumpfen. Von 1989 bis 1991 ist das inflationsbereinigte mittlere Familieneinkommen um 5,1 % gesunken - während gleichzeitig vor allem die Kosten des Gesundheits- und Erziehungswesens förmlich explodieren.
 Die Gebühren für ein Studium an einer amerikanischen Universität haben sich während der Reagan/Bush-Regierungsjahre verdoppelt. 90000 Dollar muß eine Familie heute zurückgelegt haben, um ein Kind zum College zu schicken. Und 35 Mio Amerikaner, eine Million mehr als im Jahr davor, waren 1991 ohne Krankenversicherungsschutz.
Doch es gibt auch Amerikaner, deren Einkünfte während der achtziger Jahre kräftig gewachsen sind. Es sind die Superreichen. Nahezu jeder zweite Dollar, der 1991 in den USA verdient wurde, floß in die Brieftaschen der obersten fünf Prozent auf der Einkommensskala.
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