Uwe Knüpfer
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NATO- Verteidigungsministertagung: Nagel einschlagen

6/10/1995

 
Die Nato steht vor ihrem ersten ernsten Einsatz am Boden. Und mehr als das: Die Entsendung von mehr als 30000 schwerbewaffneten Soldaten nach Bosnien soll zu einem Prüfstein für die "Neue Nato" werden, sagte Bundesverteidigungsminister Volker Rühe in Williamsburg. Zu einem Testfall und Vorspiel für die Erweiterung des Nordatlantischen Bündnisses nach Osten.

Im idyllischen Museumsdorf Williamsburg in Virginia zeigten sich die Verteidigungsminister der Nato-Staaten weitgehend einig über das Aussehen dessen, was nun "Neue Nato" heißt. Die Wortschöpfung soll russische Ängste for einem Vorrücken des westlichen Blocks in Richtung russischer Grenzen mildern. Deshalb ist jetzt auch nicht mehr von der "Erweiterung der Nato" die Rede, sondern von ihrer "Öffnung". Und wie diese "Öffnung" aussieht, das soll in Bosnien vorgeführt werden.

Während eines Helikopterausflugs aufs Wasser, auf das amerikanische Kommandoschiff USS Mount Whitney, konnten die Minister lernen, wie sich die amerikanischen Militärs die künftige multinationale Zusammenarbeit in einem "Kriegstheater" denken: elektronisch, mittels Videoschaltkonferenz, unter Beteiligung der Kommandeure vor Ort und in den Hauptquartieren. So sollen auch die Bewegungen von Truppen koordiniert werden können, die nicht Teil der Nato-Kommandostruktur sind.

Vorausgesetzt, alle Akteure im Theater beherrschen das  Abkürzungsesperanto der Nato. Für Einsteiger: Was heißt  COMSTRIKFLTLANT? Auflösung unten.

Es traf sich, daß in das Treffen von Williamsburg die Nachricht vom bevorstehenden Waffenstillstand in Bosnien platzte. US-Verteidigungsminister Perry erhielt spontanen Beifall, als er verkündete, was sein Präsident soeben in Washington bekanntgeben hatte: daß ab Dienstag nächster Woche die Waffen ruhen sollen. Die Verteidigungsminister hatten ohnehin über die Zusammensetzung jener Truppe reden wollen, die nach einem Friedensschluß Moslems, Kroaten und Serben auseinanderhalten soll. Bisher planten sie ins Blaue. Jetzt, plötzlich, haben sie die Chance, in Rühes Worten, einen "Nagel" einzuschlagen. Und womöglich wird der Hammer schneller gebraucht, als bis vorgestern gedacht.  Perry jedenfalls hält es für denkbar, daß die "Grünhelm"-Truppe schon Ende November zum Einsatz kommt.

Daß es eine Truppe unter Nato-Kommando sein wird, steht für die USA und stand in Williamsburg außer Frage. Die Nato sei die einzige Organisation in der Welt, die den Frieden in Bosnien militärisch sichern kann, sagte US-Präsident Clinton am Freitag in einer außenpolitischen Grundsatzrede. Er fügte hinzu: "Als Natos Führungsmacht müssen die Vereinigten Staaten ihren Teil beitragen."

Russen und Franzosen haben in der Vergangenheit Bedenken gegen ein Nato-Kommando erhoben. Die Franzosen lenkten in Williamsburg ein. "Es geht um ein Nato-Kommando," sagte Rühe: "Glasklar" sei das, und: Die Franzosen seien dabei. Ein "System mit Akashi und Subunternehmertum" komme nicht infrage.

 Akashi ist der Bosnienbeauftragte des UN-Generalsekretärs. Und er stand bis vor wenigen Wochen allen raschen Entscheidungen über Nato-Eingriffe in Bosnien im Wege. Zwei-Schlüssel-Kommando nannte man das. Nato-Planer schütteln sich inzwischen mit Grausen, wenn sie das Wort nur hören.

Die Verteidigungsminister verständigten sich auch über Vorschläge, wie die Russen an einem Nato-Einsatz beteiligt werden können. Man wolle es vermeiden, so ein Nato-Sprecher, Bosnien in Kommando-Sektoren aufzuteilen. Der Nato-Vorschlag läuft darauf hinaus, stattdessen den Russen - und möglicherweise auch den Truppen islamischer Staaten - bestimmte, klar definierte Aufgaben zu überlassen. Wie zum Beispiel die Aufgabe der Minenräumung  oder des Brückenbaus. Perry will die Nato-Ideen schon am Sonntag in Genf mit seinem russischen Kollegen Grachev erörtern.

Gelockt werden die Russen auch mit der Aussicht, eine Kooperation mit der Nato in Bosnien könne den Weg bereiten für eine ständige politische und militärische Zusammenarbeit zwischen der "Neuen Nato" und Rußland. Es gelte, ein "ständiges Konsultativgremium" zu schaffen, sagte Rühe.

Die Kosten des Nato-Einsatzes in Bosnien werden auf rund 1,2 Mrd Dollar je 25000 Mann und Jahr geschätzt. Die Kosten werde nicht die Uno tragen, sondern die Nato selbst, sagte Rühe. Die Aussicht auf Frieden auf dem Balkan "sollte uns das wert sein." Die Amerikaner hoffen unverhohlen, daß die Europäer den größten Teil der Kosten, auch wirtschaftlicher Aufbauhilfen, übernehmen werden.

Fest steht für die Amerikaner auch, daß der Nato-Einsatz in Bosnien zeitlich begrenzt sein muß. In Williamsburg war von einem Jahr die Rede; mit der Möglichkeit, schon früher einen Teil der Truppen zurückzuziehen. Clinton wird Wert darauf legen, mit dem Abzug amerikanischer Truppen vor der US-Präsidentschaftswahl im November 1996 zu begonnen.

Und was wird der Beitrag der Deutschen zu der Bosnien-Truppe sein? Rühe: "Wir werden einen klugen Beitrag leisten." Niemand in Williamsburg habe die Deutschen gedrängt, "alles zu tun." Noch einmal Rühe: "Wir wollen ein Teil der Lösung sein, nicht ein Teil des Problems werden."
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