Uwe Knüpfer
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Die US-Tabakindustrie bangt um ihre Profite - Verharmlosende Wirkung kann teuer werden / US-Supreme Court eröffnet ungeahnte Klagemöglichkeiten

25/6/1992

 


"Rose Cipollone strahlt sicher, wenn sie jetzt von oben heruntersieht," versicherte ihr Anwalt. Frau Cipollone ist 1984 an Lungenkrebs gestorben, 58jährig. Jetzt entschied der Oberste Gerichtshof der USA, daß ihre Nachkommen die Tabakindustrie auf Schadenersatz verklagen dürfen. Den US-Zigarettenherstellern könnte es nun ergehen wie einst der Asbestindustrie: durch Klagen in die Pleite getrieben zu werden.
Die US-Tabakindustrie ist seit langem in der Defensive. Rauchen hat ein schlechtes Image. Manche Firmen stellen nur noch ein, wer versichern kann, während der letzten zwölf Monate keine Zigarette angefaßt zu haben. Der Staat Maryland hat gerade eben das Rauchen in und um Schulen generell verboten.
Die Zahl der Raucher sinkt seit Jahren stetig. 1991 wurden landesweit 510 Mrd Glimmstengel verqualmt, 1981 waren es noch fast 640 Mrd. Gleichzeitig stieg die Zahl der Amerikaner, die an Lungenkrebs starben, dramatisch an. Der Grund: Die Kettenraucher der 50er bis 70er Jahre bekommen die Folgen ihres Lasters mit Verspätung zu spüren.
Wie Rose Cipollone. 42 Jahre lang hat sie heftig geraucht. Sie hat damit auch nicht aufgehört, nachdem seit Ende der sechziger Jahre auf allen Packungen Warnungen stehen mußten: Rauchen kann Krebs verursachen.
Unter Hinweis auf diese Warnungen hat die Tabakindustrie bisher alle Schadenersatzklagen abschmettern können. Sie wurden in der Regel gar nicht erst zugelassen. Nicht einen einzigen Cent hat die Industrie bisher an die Hinterbliebenen von Lungen- und Mundkrebsopfern auszahlen müssen. Vor Gericht eilt ihr der Ruf der Unbesiegbarkeit voraus. Das könnte sich nun ändern.
Der oberste Gerichtshof entschied: Von nun an sind Klagen zulässig, die auf dem Verdacht basieren, daß die Tabakindustrie Informationen über die Schädlichkeit ihrer Produkte zurückgehalten hat. Oder darauf, daß sie in ihrer Werbung lügt und betrügt. Rose Cipollone hat argumentiert, sie habe weitergeraucht in dem Glauben, ihre Sorte sei besonders "mild". So stand es in der Werbung.
Ein Sprecher der Zigarettenfirma Philip Morris gab sich nach dem Urteil gelassen. Mit Lug und Trug habe sein Unternehmen nichts im Sinn, versicherte er. Auch die Börse zeigte keine Zeichen von Beunruhigung.
Dabei hatte mit diesem Urteil niemand gerechnet. Der Oberste Gerichtshof gilt in seiner heutigen Zusammensetzung als ausgesprochen industriefreundlich.
Die Zuversicht der Tabakindustrie beruht darauf, wie schwer es sein dürfte, ihr im Einzelfall Betrugsabsichten nachzuweisen. Außerdem nehmen Gerichte Klägern ungern ab, sie seien nicht ausreichend über die Gefahren des Rauchens im Bilde gewesen.
Aber es gibt auch Richter wie Lee Sarokin in New Jersey. In einem aufsehenerregenden Fall, der jetzt neue Chancen hat, vor Gericht zu kommen, verdächtigte der Richter die Tabakindustrie der Verschleierung und der Desinformation. Er ordnete die Herausgabe interner Dokumente an.
Eine Berufsgruppe wittert in jedem Fall Morgenduft: die der Anwälte. Ihnen stehen lukrative Fälle ins Haus. Der Kampf geschädigter Raucher gegen die Zigarettenhersteller sei immer wie der Kampf David gegen Goliath gewesen, ließ sich einer von ihnen frohlockend vernehmen, nur: "Vor diesem Urteil hatte David keine Schleuder. Jetzt haben wir eine."

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