Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich jogge bis heute nicht. Manchmal gehe ich laufen, aber das ist ein anderes Thema.
Auch die Aerobic-Welle, das Working-Out und jede der letzten 679 endgültig revolutionären Diäten sind an meinen Hüften spurlos vorübergegangen. Ich war auch nicht unter den ersten, die Kaschmirpullover trugen oder Porsche-Brillen oder Seidenkrawatten, als die wieder in Mode kamen. Bis heute besitze ich weder ein Autotelefon noch einen Filofax.
Ich habe mich damit abgefunden, daß ich ein Trendmuffel bin. Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt: Wie kann so jemand denn Journalist sein? Bevor sich das auch meine Vorgesetzten fragen, hier die gute Nachricht: Neuerdings bin ich modemäßig ganz weit vorn.
Nach Amerika versetzt, dem Land der freien Auswahl zwischen Cola, Diet-Cola, Cherry-Cola und Cola-Classic, kam ich mir bisher in hiesigen Restaurants verlassen vor, jedenfalls von allen herben Getränken. Bis ich entdeckte: Da gibt es ja noch etwas, ganz unten verborgen auf der Speisekarte, heimlich gebraut im hintersten Winkel der Küche, ein konspiratives Getränk für Außenseiter: Eistee, ungesüßt.
Wie der auf die Speisekarte kam, war mir bis gestern ein Rätsel, wo in den USA doch sogar Würstchen süß sind. Doch dann las ich in der New York Times: Der Eistee war einmal modern, so um 1912 herum. So kam er auf die Speisekarte. Da hat er überwintert, auch als die Mode längst vergessen war. Und jetzt, jetzt ist er "hip".
Die Schicken, Schlanken und Schönen verlangt es nach nichts anderem mehr. Eistee erfrischt, ist "light", macht nicht dick, wirkt irgendwie verrückt, also europäisch, also elegant - Eistee, thatØs it!
Coca-Cola und Pepsi lesen auch und wollen jetzt Eistee in Dosen produzieren. Allerdings, so fand die Getränkeindustrie heraus, eines paßt den meisten Konsumenten nicht: daß Eistee so ganz und gar nicht süß schmeckt. Klammheimlich geben sie ein bißchen Sirup dazu. Oder auch ein bißchen mehr. Schon gibt es Eistee mit Pfirsich- oder Zimt-Aroma. (Igitt!) Auch an Papaya und Mango wird gedacht.
Ich befürchte, die neue Modewelle überrollt mich. Dann sitze ich im Restaurant und weiß wieder nicht, was ich trinken soll, weil auch der Eistee schmeckt wie Cola. Vielleicht steige ich dann um auf heißen Tee.
Vielleicht auch nicht. Denn die New York Times hat ihren Lesern schon verraten, wie der zubereitet wird. Ganz einfach: Man muß nur eine Dose Eistee nehmen und erhitzen.
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