"Die hätten auch den Papst verurteilt," glaubt Michael Strippoli, Frührentner aus Queens, einem Stadtteil von New York. Strippoli war unter den Demonstranten, die am Dienstag gegen die Verurteilung des Mafia-Bosses John Gotti zu lebenslanger Haft auf die Straße gingen. Für sie ist das harte Urteil - vorzeitiger Straßerlaß ist ausgeschlossen - Ausdruck angelsächsischer Willkürjustiz.
Nach Polizeischätzungen hatten sich bis zu tausend aufgebrachte Menschen vor dem Gerichtsgebäude in Brooklyn versammelt. Mehrere Autos gingen zu Bruch, acht Polizisten wurden verletzt, sieben Menschen verhaftet.
Nach öberzeugung des Gerichts hat Gotti 1985 den damaligen Boss der mächtigen Gambino-Familie umbringen lassen, Paul Castellano. Seither ist Gotti Chef des Clans. Der Polizei war es gelungen, ihn heimlich abzuhören und einen seiner engsten Gefolgsleute als Kronzeugen zu gewinnen. Salvatore Gravano, genannt Sammy Bull, durchbrach das Schweigegebot der Mafia und packte aus.
New Yorks Mafiafahndern lag viel daran, gerade Gotti hinter Gitter zu bringen. Dreimal schon hatten sie ihn vor Gericht gezogen, jedesmal kam Gotti wieder frei. Den "Teflon-Don" taufte ihn die Boulevard-Presse, ein Ruf der Unverwundbarkeit eilte ihm voraus. Zumal Gotti stets, auch am Tag seiner Verurteilung, auftritt wie eine Mischung aus Showstar, Politiker und Wirtschaftsführer, elegant gekleidet, mit modischer Krawatte und strahlendem Lächeln. Bilderblättchen und lokale Fernsehsender bauten ihn zu einer Art von modernem Robin Hood auf.
Staatsanwalt Andrew Maloney gibt denn auch zum Teil der Presse die Schuld an den Demonstrationen. Nicht jeder, der protestierte, wirkte bezahlt. Obwohl zweifellos viele, die auf die Straße gingen, in irgendeiner Weise am weitverzweigten Wurzelwerk der New Yorker Mafia hängen. Die meisten weigerten sich, Reportern ihre Namen zu nennen. öber Gotti wußten sie nur: "Zu mir und meiner Familie war er immer sehr nett."
Viele kamen in gecharterten Bussen. Der Staatsanwalt vermutet, daß Gotti-Sohn John Jr. die Proteste organisiert hat.
Die Verteidigung setzt auf eine Berufungsverhandlung. Sie will beweisen, daß Gotti unfair behandelt wurde. Geschworene sollen unter Druck gesetzt worden sein. Für Gottis Anhänger und Teile der New Yorker Presse ist die rauhe Methode, mit der die Justiz der Mafia jetzt zu Leibe Lückt, ein Angriff auf den speziellen italienischen Way of Life, eine Verletzung des Toleranzgebotes. "Auch wir Italiener sind eine Minderheit," meint Michael Strippoli.
Ein anderer Demonstrant, Kenny Saricka (18), gefragt, weshalb er für einen Mörder auf die Straße geht, erwiderte: "So ist die Mafia eben. Die bringen keine Unschuldigen um. Die bringen sich gegenseitig um. Das ist die Art, wie Gotti lebt. Das ist sein Lifestyle."
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