Exklusiver kann das Programm eines Kurzbesuchs kaum sein. Klaus Kinkel wurde am Dienstag in Washington von Hand zu Hand gereicht, vom Kapitol zum Pentagon zum Weißen Haus. Der neue Bundesaußenminister kam zum ersten Mal in dieser Funktion in die US-Hauptstadt. Heute folgt ihm Verteidigungsminister Volker Rühe, auch er neu im Amt. Unbekannt sind sie hier beide nicht. Das politische Washington zeigte sich dennoch neugierig auf die neuen Gesichter der deutschen Politik.
Als Angehörige der Nachkriegsgeneration eilt beiden Ministern der Ruf voraus, deutsche Interessen unbeschwerter vertreten zu können als ihre Vorgänger, unbelastet von dem Gefühl, Repräsentanten einer Republik von amerikanischen Gnaden zu sein.
Den Kinkel-Stil genießen die Amerikaner geradezu; nach Ablauf der éra Genscher. Der neue Mann gilt als umgänglich und geradeheraus. So wie es die Amerikaner lieben. Der sphinxhafte Wortreichtum seines Vorgängers verursachte ihnen nicht selten Gefühle, die Sodbrennen ähneln.
Besonders mit US-Außenminister James Baker soll sich Kinkel bestens verstanden haben. In Bakers Augen hat dem deutschen Neuling Respekt verschafft, daß er sich nicht einschüchtern läßt. Schroffen Angriffen Bakers auf Unverständlichkeiten der europäischen Politik begegnete Kinkel schlichtweg gelassen und mit Humor.
(Wie üblich geworden stattete zwar auch Kinkel den Dank an die Amerikaner ab für ihre Unterstützung Deutschlands bei der Wiedervereinigung. Das hinderte ihn aber nicht, genauso frank und frei Kritik an den Deutschen zurückzuweisen, wo er sie für unberechtigt hält.)
Insbesondere die Gründung des - zunächst nur deutsch-französischen - Eurokorps nehmen die Amerikaner gern zum Anlaß, den europäischen Verbündeten bohrende Fragen zu stellen. Für Kinkel kein Anlaß zum Kleinmut. Wer wie die Amerikaner immer darauf gepocht hat, die Europäer sollten gefälligst mehr für ihre eigene Verteidigung tun, klang seine Replik, sollte nicht beleidigt sein, wenn Europa genau das tatsächlich tut. Im übrigen: Wer wisse denn, wie die amerikanische Haltung zur Nato nach den Präsidentschaftswahlen im November aussehen wird?
(Nicht wenige Wahlbürger fragen sich nämlich, wozu noch immer US-Truppen in Europa stehen, wo doch der Kalte Krieg beendet ist. Präsident Bush ist zwar ein klarer Befürworter einer "substantiellen" US-Präsenz in Europa. Doch seine Aussichten, wiedergewählt zu werden, sind derzeit alles eher als rosig. Wie die Außenpolitik eines Präsidenten Clinton oder Perot aussähe, vermag so genau niemand zu sagen. Das gab Kinkels Argument Gewicht, Europa tue gut daran, sich auf alles vorzubereiten.)
Der US-Wahlkampf bleibt auch nicht ohne Einfluß auf das Drehbuch des Jugoslawien-Konflikts. Für Bush könnte ein militärisches Eingreifen in Bosnien-Herzegowina gerade gelegen kommen, um erneut internationale Führungsstärke zu beweisen. Sein Außenminister bemüht sich seit Wochen, den Kontrast zwischen dem amerikanischen Umgang mit der Golf-Krise und dem europäischen Geeiere in Jugoslawien unübersehbar zu machen.
Andererseits birgt eine militärische Intervention die Gefahr, daß amerikanische Boys kurz vor dem Wahltermin in Leichensäcken in die Heimat zurückkehren. Das wiederum bremst die Bereitschaft des US-Präsidenten, der UNO Bodentruppen zur Verfügung zu stellen.
Kinkel warb darum, die Westeuropäische Union (WEU), das Verteidigungsbündnis der Europäer, als willkommene Ergänzung zur Nato zu sehen. Das Eurokorps, versicherte er, werde im Bündnisfall dem Nato-Oberkommando unterstellt. Das hören die Amerikaner gern, allein, es fehlt der rechte Glaube, daß die Franzosen dies genauso sehen.
(Von Rühe erhoffen sich die USA nun genauere Auskunft darüber, wie es mit WEU, Eurokorps, Nato und KSZE weitergehen soll. Das Spinnennetz internationaler Verflechtungen und Organisationen, von Hans-Dietrich Genscher so kunstvoll gewoben - es ist ihnen im Grunde suspekt.)
Als wohltuend pragmatisch dürften die Amerikaner empfunden haben, daß der neue deutsche Außenminister über die Hilfsprogramme für Rußland genauso denkt wie sie; ohne Sentimentalität. Kinkel ließ keinen Zweifel daran, daß die in Aussicht gestellten 24 Mrd Dollar des Weltwährungsfonds nicht "in ein Faß ohne Boden" fließen dürfen. Das ist exakt die Haltung der Bush-Regierung und noch mehr die der Abgeordneten und Senatoren auf dem Kapitol.
Kinkel-Vorgänger Genscher hatte die USA stets für ihre zurückhaltende Art gegenüber Geldgeschenken an den Osten getadelt. Mit dem Ergebnis, daß sie sich schofel vorkommen mußten. Sie waren Kinkel dankbar, daß auch dies jetzt ausgestanden ist.
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