Uwe Knüpfer
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Der Europäische Gipfel in Nizza: Mut zur Vision

7/12/2000

 
An der Grenze zwischen Deutschland und Polen begann der Zweite Weltkrieg. Kaum eine Grenzlinie in Europa wurde so oft verschoben, mit so viel Gift beladen wie die zwischen Deutschen und Polen. Erst wenn diese Grenze aufgehoben wird, ist Europa geeint.

Und geeint muss es sein. Viel wird derzeit geklagt, die Idee Europa habe ihren Glanz verloren. Das mag stimmen. Doch an Wert hat sie mitnichten verloren.

Wann hat es das jemals gegeben, in Europas blutiger Geschichte: 50 Jahre Frieden, 50 Jahre Wohlstand. Jedenfalls im Westen des Kontinents, rund um jene Grenze herum, die einst ähnlich vergiftet war wie jene zwischen Deutschen und Polen: die zwischen den Erzfeinden, zwischen Franzosen und Deutschen?

Den Frieden und den Wohlstand, den wir Westeuropäer genießen, haben wir jenen Politikern zu verdanken, die den Weitblick und die Weisheit besaßen, den Grundstein zu einem Gebäude zu legen, dessen Richtfest sie - das wussten sie - nicht mehr würden erleben können. Solche Politiker sind auch heute wieder vonnöten.

Nichts von dem, was wir heute als selbstverständlich erachten, versteht sich von selbst: nicht der neckisch-zwanglose Umgang zwischen Deutschen und Franzosen und Briten, nicht die niederländischen Busse am Oberhausener CentrO, nicht die Allgegenwart unseres Italieners an der Ecke, nicht die Freiheit, mit der wir uns zwischen Lissabon und Athen, Kopenhagen und Salerno bewegen, nicht Ballermann 6 und die deutsche Finca auf Mallorca.

Jeder noch so winzige Fortschritt hin zur Europäischen Integration war nur möglich, weil in allen Hauptstädten Westeuropas Politiker regierten - und Beamte verwalteten -, die auch nach schier endlosen nächtlichen Verhandlungen über Milchquoten die Idee Europa nie aus dem Blick verloren. Lange zeit genügte das. Weil ein Bauplan vorgegeben war.

Doch dieser Bauplan trägt nicht mehr. Das Gebäude der Europäischen Union ist schon jetzt zu groß geworden, um noch übersichtlich zu sein. Es gleicht einem gewucherten Verwaltungsgebäude mit zahllosen Kammern und endlosen Fluren, ohne Maß und ohne Gesicht. Wenn Polen der EU beitreten wird und mit oder nach ihm zehn und mehr weitere Staaten, muss ein neues Gebäude her. Kein erweitertes, kein Anbau, nein: ein neues Gebäude.

Europa muss neu gedacht und geplant werden, und zwar jetzt. Zähigkeit und Pragmatismus reichen nicht aus, das Werk der Europäischen Einigung zu vollenden. Im Gegenteil: Wenn die Politiker derJetztzeit sich darauf beschränken, so weiter zu wursteln, wie es zwischen Brüssel und Straßburg jahrzehntelang üblich - und ausreichend - war, ist das Projekt Europa gefährdet.

Statt neuer Quotenregelungen braucht Europa einen Quantensprung.

Brüssels Kompetenzen gehören klar definiert und begrenzt. Das Europäische Parlament muss an Einfluss gewinnen. EU-Europa muss für seine Bürger begreifbar, verstehbar und zähmbar werden.

Aller Europa-Skepsis zum Trotz: Die allermeisten Menschen in Europa wollen die Integration nicht rückgängig machen - ebenso wenig wie die allermeisten Sachsen und Thüringer sich das Minenfeld der innerdeutschen Grenze zurückwünschen, allem Gegrummel zum Trotz.

Kanzler Schröder hat sich und seine Amtskollegen zum Beginn des Gipfels in Nizza aufgerufen, Mut zu beweisen. Dem ist wenig hinzuzufügen - außer: Es lohnt sich.

Politiker, die stets nur auf Wahltermine schielen, werden rasch vergessen. Schröder, Chirac und Co. haben die Chance, als Architekten Europas unvergessen zu bleiben.

Größeren Lohn hat Politik nicht zu bieten.

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