Uwe Knüpfer
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Endlich Stille

23/12/2000

 
Weihnachten war immer mehr als ein christliches Fest. Dass wir es feiern, wenn die Tage beginnen, wieder länger zu werden, das knüpft an Bräuche an, die älter sind als die frohe Botschaft der Weihnachtsgeschichte.

Schon insofern ist es müßig, sich alle Jahre wieder darüber zu erregen, dass im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes in den meisten Häusern ganz anderes steht als die Freude über die Geburt des Jesuskindes.

Weihnachten ist, das zu allererst, ein Fest der Familie. Die Generationen rücken zusammen, wenigstens für ein paar Stunden, und auch dort, wo sie sich ansonsten wenig mitzuteilen haben. Das Sich-zusammenfinden an der Krippe, unterm Tannenbaum, es hat auch eine therapeutische Funktion.

Diese Funktion wird umso wichtiger, je lockerer die Bande wurden, die uns als Familien zusammen halten. Weihnachten kann eine Gelegenheit sein, darüber nachzusinnen, was uns fehlt, wenn wir ohne dauernde Kontakte zu Kindern, Eltern, Großeltern leben.

Die Organisation unserer Arbeitswelt, die Verlockungen unserer Freizeitgesellschaft machen es schwer, lassen es altmodisch wirken, ein Familienleben zu pflegen. Pflegen ist das treffende Wort, denn natürlich bereitet es Mühe, fordert es Opfer ab, Familien zusammen zu halten. Oft mag es scheinen, als lohne die Mühe nicht. Weihnachten bietet die Chance, diesen Anschein in Frage zu stellen.

Denn Weihnachten ist, schon weil die Räder der Wirtschaftswelt stillstehen, die Einkaufsmöglichkeiten begrenzt sind, das Fest der Besinnung.

Dieses eine Mal im Jahr ist es uns vergönnt, alle miteinander nichts tun zu müssen. Und deshalb zu erleben, wie schwer es uns geworden ist, Stille zu ertragen. Innezuhalten. Keine Termine zu haben, keine Verpflichtungen, die uns in Atem halten.

Die Chance, zur Besinnung zu kommen, ist so selten geworden, dass es vielen schwer fällt, sie zu nutzen. Wir leben im Zeitalter der Sofortigkeit - und zahlen dafür einen hohen Preis.

Wer kann noch warten? Auf die Erfüllung eines (lang?) gehegten Wunsches. Auf Kontakt zu Menschen, denen wir etwas mitteilen wollen. Auf die Lösung von Problemen. Auf eine gute Idee.

Zu kaufen, zu verschenken steht alles immer bereit. Telefon, e-mail und Fax sorgen für sofortige Kommunikation - was nicht unbedingt Verständigung bedeutet. Selbst auf einen guten Film im Fernsehen muss niemand mehr warten, dank Videotechnik und TV-on-demand.

Dem Zwang zur Sofortigkeit hat sich auch die Politik unterworfen. Wobei wir Journalisten uns verhalten wie das Rudel Hunde bei der Fuchsjagd: ständig in Eile, immer die Nase im Wind, stets bereit, laut kläffend einer frischen Spur zu folgen - und von ihr abzulassen, sobald sich eine noch frischere findet.

Politiker wiederum glauben, unter dem Zwang ständiger Mikrofon- und Kamerapräsenz auf alles sofort eine Antwort parat haben zu müssen. Auch dann, wenn es eine Antwort - zumindest noch - nicht gibt. Oder gar die Frage unverstanden ist. Wie beim Thema BSE.

Einst haben wir von den Regierenden Bedächtigkeit erwartet, wenn möglich gar Spuren von Weisheit. Heute erwarten wir Sofortigkeit.

Jeder kluge Politiker weiß, dass er zum Thema Rinderwahnsinn viel zu wenig weiß, um sinnvoll handeln zu können. Doch gehandelt werden muss, sofort - denn nicht sofort zu handeln sähe nach Gleichgültigkeit aus. Und diesen Anschein will sich niemand geben.

Dabei gibt es kaum eine ärgere Form der Gleichgültigkeit als besinnnungslose Eile.

Das zu erkennen, wenigstens einmal im Jahr, wenigstens vorübergehend, auch dazu bietet sich das Weihnachtsfest an.

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