Heute betreten das Museum, still, zögerlich, forschend, auch viele, die Nixon nie gewählt, die einst gegen ihn demonstriert, die ihn beschimpft haben. Sie werfen einen zweiten Blick, einen Blick zurück, auf eine Abzweigung auf ihrem Lebensweg, an der sie vorbeigeeilt sind.
Das Wort von der "schweigenden Mehrheit", Nixon hat es berühmt gemacht. In Nixon wie in keinem anderen US-Präsidenten dieses Jahrhunderts erkannte sie sich wieder, diese Mehrheit hart arbeitender, pünktlich ihre Steuern zahlender, Recht und Ordnung liebender Amerikaner der Weltkrieg II-Generation. Oder, wie der Regisseur Oliver Stone seinen Film-Nixon vor dem Bildnis John F.Kennedys bemerken läßt: "In Dir haben sie gesehen, was sie gerne wären. In mir sahen sie, was sie sind." Stone ist einer der späten Nixon-Ergründer aus der einstmals lauten Minderheit.
Kein US-Politiker dieses Jahrhunderts feierte mehr Comebacks als Nixon, keiner ging durch bitterere Niederlagen. Nixon ließ zeit seines Lebens und läßt noch heute, zwei Jahre nach seinem Tod - niemanden kalt: Man verehrt ihn oder man haßt ihn. Manche, wie Stone, tun beides zugleich.
Können Sie sich vorstellen," hat Nixons Sicherheitsberater und Außenminister Henry Kissinger einen Reporter gefragt, "was dieser Mann gewesen wäre, hätte ihn jemand geliebt?"
Nixon war ein gewiefter Taktiker, ein raffinierter - und skrupelloser - Wahlkämpfer, ein Pionier der Fernsehdemokratie, ein klarer Analytiker, ein energischer Reformpolitiker - unter Nixon kamen die USA zu ihren ersten ernsthaften Umweltschutzgesetzen - ,am Ende reifte er gar zum visionären Staatsmann. Zahlreiche Bücher über Politik, vor allem über Außenpolitik, hat er geschrieben, und immer waren sie lesenswert und lesbar. Noch kurz vor seinem Tod schrieb Nixon "Beyond Peace", eine Mahnschrift an Isolationisten in der eigenen Partei und an den jetzigen US-Präsidenten Bill Clinton, sich in der internationalen Politik nicht hinter Bündnissystemen zu verstecken: "Amerika muß führen."
Clinton hat sich seither, bewirkt durch was auch immer, vom außenpolitischen Wackler zum mutigen Handler entwickelt. Siehe Bosnien.
Nixons mutigster Akt der Außenpolitik war die Annäherung der USA an das kommunistische China. Nur ein erprobter Kommunistenfresser wie Nixon konnte sie innenpolitisch durchsetzten: Jeder andere Politiker wäre, so geht das Bonmot, dafür niedergemacht worden: von Nixon. So wie der junge Kongreßabgeordnete Richard Nixon Ende der vierziger Jahre einen Diplomaten des State Department, Alger Hiss, als Spion Moskaus enttarnte - oder verunglimpfte: Der Streit darüber ruht bis heute nicht. Hiss ging ins Gefängnis, Nixon wurde zum Senator gewählt. 1953 wurde er, gerade vierzigjährig, an der Seite Dwight D. Eisenhowers Vizepräsident der USA. Antikommunismus hatte Hochkunjunktur. Die Zukunft, sie schien Nixon zu gehören.
Die Enttäuschung folgte 1960. Nixon war zuversichtlich, Eisenhower zu beerben. Aber ein junger Senator der Gegenpartei, der playboyhafte John F. Kennedy, schlug ihn mit dem hauchdünnen Vorsprung von 118000 Stimmen; aus 60 Mio abgegebenen Stimmen. Nixon sah es als eine Verschwörung der Osküstenelite von Geld- und Bildungsadel gegen ihn, den Underdog aus Kalifornien. Von Wahlbetrug war die Rede, aber Nixon ging dem nicht nach: "Ich glaube an den Kampf", hat er einmal gesagt - und ein Kämpfer muß einstecken können.
Außer Bill Clinton wuchs kein US-Präsident dieses Jahrhunderts unter armseligeren und schwierigeren Umständen auf als Nixon. Sein Vater war ein erfolglos rackernder Zitruspflanzer. Die Mutter betrieb einen Lebensmittelladen. Die Kinder halfen mit. Zwei Brüder Richard Nixons starben früh an Tuberkulose. Nur so wurde der Weg zur Universität für Richard frei: Mehr als ein Studium konnten die Eltern nicht finanzieren.
Von seiner Mutter lernte der weder besonders schöne noch besonders starke noch auffällig kluge Richard nie aufzustecken. In seinen eigenen Worten: "Wenn Du einigermaßen intelligent bist und wenn deine Wut tief und stark genug ist," kannst du alles erreichen "während die, die alles haben, auf ihren fetten Hinterteilen sitzen."
Die, "die alles haben", zeigten Nixon ein ums andere mal, wo seine Leisten sind. Aber Nixon rappelte sich immer wieder auf.
Nach der Niederlage gegen Kennedy bewarb er sich 1962 um das Amt des Gouverneurs von Kalifornien. Vergeblich. Er verabschiedete sich von Reportern mit dem legendär-trotzigen, wenn auch wenig visionären Satz, nun hätten sie "keinen Nixon mehr, den sie herumschubsen können."
1972 sorgten zwei Reporter der Washington Post dafür, daß sich der Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei zu einer Affäre auswuchs, die Nixon zu Fall brachte, zum Watergate-Skandal, zum erzwungenen Rücktritt des Präsidenten zwei Jahre später. Der Auftrag zum Einbruch war aus dem Weißen Haus gekommen. Nixon stolperte über seine Versuche, dies zu vertuschen - und über seine Eitelkeit, die ihn trieb, alle Gespräche im "Oval Office" heimlich auf Tonband mitschneiden zu lassen.
In den Rückzugsgefechten um Watergate opferte Nixon Mitarbeiter und Freunde, ohne erkennbare Skrupel. Das trugen ihm selbst Verehrer lange nach. Spiro Agnew, den Nixon 1973 zum Rücktritt vom Amt des Vizepräsidenten trieb, wechselte danach niemals wieder ein Wort mit dem Weggefährten von einst.
Nixon war sich keiner Schuld bewußt. Tricks - auch schmutzige Tricks - gehörten für ihn stets zum Geschäft. Von "Tricky Dick" schauen US-Politiker bis heute ab, wie man Gegner anschwärzt, fertigmacht und darüber Wahlen gewinnt.
1968 hatte Nixon die Wahl zum Präsidenten mit dem Versprechen gewonnen, den Vietnamkrieg zu beeenden. Angeblich besaß er einen "Geheimplan". Sein Versprechen hielt er erst fünf Jahre später, nach massiver Steigerung der Kriegsanstrengungen, nach Flächenbombardements von Kambodscha und Hanoi, nach dem Tod von mehr als 50000 US-Soldaten und Hunderttausenden von Vietnamesen. Den "ehrenvollen" Frieden, den Kissinger und Nixon schlossen, und dem bald der Sieg des Nordens über Washingtons Marionettenregierung in Südvietnam folgte, hätte Nixon nach Meinung von Historikern in ganz ähnlicher Form auch schon 1969 haben können.
In den Augen von Demonstranten gegen das US-Engagement in Vietnam war Nixon ein Schurke und Mörder, für Amerikas schweigende Mehrheit schien er Ende der sechziger Jahre das letzte Bollwerk gegen den Verfall von Disziplin, Standhaftigkeit und Moral. "So beginnt der Tod von Zivilisationen," kommentierte Nixon die gewaltsamen Sit-Ins langhaariger, kiffender, die sexuelel Revolution verkündender Studenten.
Einer der Demonstranten jener Tage hieß Bill Clinton. Clintons spätere Frau Hillary arbeitete jenem Kongreßausschuß zu, der Nixons Absetzung betrieb. Aber es war Bill Clinton, der - als Präsident - das tiefe Schweigen um Richard Nixon durchbrach, fast zwei Jahrzehnte nach dessen schmählichem Abtritt. Erst Clinton lud Nixon wieder ins Weiße Haus, als Gast: eine versöhnende Geste über den Graben zwischen den Generationen hinweg. Nixon ergriff die Hand dankbar. Nie hatte er nachgelassen, sein Image zu polieren, auf eine Rehabilitierung zu hoffen. Nicht als Gescheiterter wollte er in Erinnerung bleiben, sondern, so steht es, von ihm selbst verfügt, auf seinem Grabstein: als Friedensstifter.
Viele in Clintons Generation der "Baby-Boomer" erschrecken heute vor der gigantischen Scheidungsrate, vor der Zahl von Kindern, die ohne Eltern und ohne klare moralische Vorgaben aufwachsen, vor der brutalen Jugendkriminalität im Lande, vor der grassierenden Kultur der Gewalt und der Beliebigkeit. Und sie fragen sich: Hatte Nixon vielleicht doch recht? Irgendwo?
Nach 1974 war Nixon in Washington eine Unperson. Sein Nachfolger Gerald Ford gewährte ihm eine Amnestie für alle Vergehen, deren Nixon im Zusammenhang mit Watergate hätte bezichtigt werden können. Ford wurde abgewählt.
"Leute sehen mich und denken," sagte Nixon 1986: "Der muß von den Toten auferstanden sein."
Für den Bau seiner Bibliothek in Yorba Linda erhielt er anders als viele Vorgänger und Nachfolger anfangs keine öffentlichen Zuschüsse.
Dafür flossen reichlich Spenden; aus den Taschen der schweigenden Mehrheit.