Ronald Reagan, Amerikas 40. Präsident, wird sie nicht erhören. Er feiert seinen 85. Geburtstag am Dienstag abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Amerikas prominentester Alzheimer-Patient ist nahezu taub und so vergeßlich geworden, daß er selbst engste Verwandte oft nicht erkennt.
Er ist nicht mehr "der große Kommunikator".
Seit Kennedy und zuvor Franklin Roosevelt hat es kein US-Präsident so verstanden wie Reagan, Wählern warme Gefühle zu geben. In Kabinettsitzungen schlief er ein, politische Details interessierten ihn nicht. Er hinterließ ein gigantisches Haushaltsdefizit und den größten Finanzskandal der US-Geschichte, die große Sparkassenpleite. Seine Regierung verschob insgeheim Waffen nach Iran und an die Contra-Rebellen in Nicaragua - an Reagan blieb nichts haften. Er war der "Teflon-Präsident".
Eine Fernsehrede, sorgsam inszeniert, ein joviales Augenzwinkern, ein Bonmot - und alles war vergeben. Auch politische Gegner preisen Reagans Charme, seinen Witz und seine Menschlichkeit.
Was er tat, das tat er mit Stil. 1994 offenbarte Ronald Reagan seine Erkrankung - und verabschiedete sich mit einem handgeschriebenen Brief vom amerikanischen Volk: "Ich trete jetzt eine Reise an, die mich in das Abendrot meines Lebens führen wird."
Jammerer mochte er nie.
Reagan verstand es stets, große Ideen auf einen einfachen Punkt zu bringen. Intellektuelle schüttelten überlegen den Kopf, als er die Sowjetunion "das Reich des Bösen" nannte, lächelten süffisant, als er in Berlin forderte, die Mauer müsse fallen. Ja, er ist ein Träumer, aber einer, dessen Träume verblüffend häufig Wahrheit wurden. Er lebte den "American Dream".
Er ist ein Armeleutekind, geboren 1911 in einer Industriestadt in Illinois, in Amerikas Mittelerem Westen. Sein Vater war ein hart trinkender Schuhverkäufer, die Mutter Näherin. Jung-Ronald, genannt "Dutch", galt als schüchternes Kind. Bis Dutch zum erstenmal eine Bühne bestieg, als Vorleser - und das Publikum applaudierte. "Als ich an jenem Abend die Bühne verlies," schriebt Reagan in seiner 1990 erschienenen Autobiographie, "hatte sich mein Leben verändert."
1932 wurde Reagan Ansager für eine Rundfunkstation, zog bald darauf nach Kalifornien, nach Hollywood. Als Schauspieler drehte er rund 50 Filme. Einer der ganz großen wurde er nie. Man nannte ihn den "Erroll Flynn der B-Filme".
Reagans erste Ehe mit der Schauspielerin Jane Wyman scheiterte früh. 1952 heiratete er Nancy, seine zweite Frau, die Liebe seines Lebens. Keine First Lady beherrschte wie Nancy die hohe Kunst, liebevoll-bewundernd zu ihrem Mann hainaufzublicken.
An Nancys Seite startete Reagan, was seine zweite Karriere werden sollte, die politische. Als Vorsitzender einer Filmschauspielergewerkschaft kämpfte er gegen tatsächliche oder vermeintliche kommunistische Unterwanderer. Der einstige Demokrat und Bewunderer Franklin Roosevelts rückte nach rechts, vollends während seiner Jahre als Sprecher für das Unternehmen General Electric. Reagan wurde zu jenem konservativen Republikaner, als der er der Welt in Erinnerung blieb. Reiche Freunde hielten ihn fortan großzügig aus.
Zweimal wurde er zum Gouverneur von Kalifornien gewählt (1966-1974), zweimal bewarb er sich vergeblich um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei (1968 und 1976). Beim dritten mal war er erfolgreich. 1980 besiegte er Amtsinhaber Jimmy Carter haushoch (51 zu 41 %). 1984, gegen Herausforderer Mondale, brachte es Reagan gar auf 59 % . Im Jahr zuvor hatte er einen Attentatsversuch überlebt, mit Glück und Zähigkeit.
Die Reagan-éra , das waren Goldgräberjahre für Spekulanten und Kaliforniens Rüstungsindustrie. SDI - der "Krieg der Sterne" - war Reagans Lieblingsprojekt. Die Idee, die USA durch ein satellitengestütztes System von Laserwaffen vor Raketenangriffen zu schützen, schien dem Hirn von Science-Fiction-Autoren entsprungen. Reagan war in sie vernarrt, und an einmal für richtige Erkannten hielt er stets unbeirrbar fest.
Wissenschaftler liebten die Strategic Defense Initiative, weil sie ihnen einen reichen Dollarsegen aus Washington bescherte. Unter Präsident Clinton erst wurde das Projekt auf Eis gelegt.
Am Sozialen ließ Reagan sparen - wenn auch lange nicht so sehr, wie seine politischen Freunde es wünschten und es heute, da sie die Mehrheit im Kongreß haben, durchzusetzen versuchen. Ins Weiße Haus brachten die Reagans nach dem Brot- und Wasser-Stil der Carter-Jahre wieder Glamour und Champagner. Glitzer-Chic nach Art von Beverly Hills.
Für Reagan-Fans waren die Achtziger schlicht "Goldene Jahre". Für seine Gegner waren sie das "Jahrzehnt der Habgier".
Die USA gingen unter Reagan durch eine tiefe Rezession. In Erinnerung blieb, er habe Millionen neuer Jobs geschaffen. Den Gewerkschaften brach er - durch die Aussperrung streikender Fluglotsen - das Genick. Die Realeinkommen der Mittelschichten sanken, Spitzenverdiener durften sich über kräftige Steuersenkungen freuen. Reagan-Freunde und Förderer aus Hollywood wurden mit prestigeträchtigen Botschafterposten belohnt.
Man nahm und nimmt ihm nichts übel. Niemand kam auf die Idee, Reagans Befähigung zum Obersten Kriegsherrn in Frage zu ziehen, nur weil er ungedient war. Er hat Soldatenrollen nur gespielt, und auch als Kriegsherr hielt sich sein Erfolg in Grenzen. 1983 befahl Reagan die Invasion der winzigen Karibikrepublik Grenada - um ein linksgerichtetes Regime zu vertreiben. Im Libanon endete eine Militärintervention in einem blutigen Desaster.
Niemand kreidete Reagan wirkungsvoll an, daß seine Frau auf Personalentscheidungen der Regierung großen Einfluß nahm. Und daß Nancy dabei wiederum auf den Rat von Astrologen hörte. Die Clintons dürften vor Neid ergrünen.
Ihren Alterssitz in Bel Air, dem teuersten Wohnviertel der USA, haben den Reagans reiche Freunde gekauft. Auch daran nahmen die Wähler nicht Anstoß. Fundamentalistische Christen wählten Reagan, obwohl der geschieden war und seine Familie verzankt. Tochter Patti legte aus Protest den Namen ihres Vaters ab und ließ sich, schon um ihre Eltern zu ärgern, nackt fotografieren. Sohn Michael enthüllte in einem Buch die angebliche Lieblosigkeit im Elternhaus.
All das ist Vergangenheit. Ronald Reagans langsamer Abschied von der Welt hat die Familie wieder zusammengeführt. Patti Davis sagt, sie sehe heute ihren Vater mit gänzlich anderen Augen.
Nancy Reagan ist nach wie vor die Hüterin ihres Mannes. Jetzt sorgt sie dafür, daß keine Bilder nach außen dringen, die ihn alt und tatterig zeigen. Planend wie immer, hat sie für Ronald und sich, enthüllte sie in einem Interview, auch schon eine letzte Ruhestätte ausgesucht, im Simi Valley bei Los Angeles: "Ich glaube, er wird dort sehr glücklich sein."
Die Aussicht sei schön.