"Ich war so stolz, meinem Land zu dienen," erzählte Jacqueline Ortiz einem Senatskomitee, "aber nicht, ein Sex-Sklave zu sein." Die 29jährige war als Mechanikerin der US-Army während des Golf-Kriegs in Saudi-Arabien. Seither kann sie schlecht schlafen, muß sich häufig übergeben. Schuld daran ist nicht der Feind, sondern ein Vorgesetzter. Jacqueline Ortiz sagt, sie sei von ihrem Sergeanten anal vergewaltigt worden, im hellen Tageslicht.
Dies ist nur die neueste einer Vielzahl von Enthüllungen über den Umgang der Armee mit Sex und überhaupt mit weiblichen Soldaten. Lange war das Thema tabu.
Frau Ortiz erstattete sofort Bericht, stieß aber bei den Offizieren ihrer Einheit auf taube Ohren. Die Army tat ihre Klage mit einer Verwarnung ab - für beide, den Sergeant und sie.
Einer Untersuchung des Pentagon zufolge ist jede dritte Frau in der Armee während ihrer Dienstzeit mindestens einmal von männlichen Kameraden belästigt, befingert oder vergewaltigt worden. Diana Davis, heute Leiterin einer Vereinigung von weiblichen Armee-Veteranen, berichtete dem Senatskomitee, auch sie selbst sei Opfer einer Vergewaltigung geworden. Auch in diesem Fall war der Täter der unmittelbare Vorgesetzte. Auch Mrs. Davis erstattete Bericht. Doch ihr Kompaniechef riet ihr, schlicht "die ganze Sache zu vergessen." Sie würde sonst die Karriere eines hoffnungsvollen jungen Sergeanten zerstören. Diana Davis hielt sich bisher an den Rat. Jetzt nicht mehr.
Der Armeekodex gebietet: öber Sex macht man Witze, aber er findet nicht statt. Und wenn, dann spricht man nicht darüber. Soldaten, die in Verdacht geraten, homosexuell veranlagt zu sein, werden ausgespäht und, sofern der Verdacht sich bestätigt, erbarmungslos entlassen. Homosexualität, so ist das Credo der Truppe, untergräbt die Disziplin. Auch Präsident Bush teilt diese Haltung.
Die Vorschrift stammt aus einer Zeit, in der alle Soldaten Männer waren. Sie US-Armee steht aber schon seit langem Frauen offen. Sie tun heute Dienst in praktisch allen Einheiten, auch mit der Waffe. 1,2 Mio Amerikanerinnen tragen oder trugen Uniform. Doch das hat die Armeeführung bisher nicht darüber nachdenken lassen, ob heterosexuelles Verlangen der Disziplin vielleicht genauso abträglich sein könnte wie homosexuelles. Oder wie eine moderne Armee damit umgehen kann, daß ihre Angehörigen fleischliche Verlangen haben.
Laut darüber nachgedacht wird erst, seit durchsickerte, was sich im September 1991 im Hilton-Hotel Las Vegas ereignete. Die Tailhook Association, eine Verbindung von aktiven und pensionierten Marine-Piloten, feierte dort ihre jährliche Zusammenkunft. Drei Tage lang ging es sehr laut, sehr feucht, sehr fröhlich zu. Nur den weiblichen Soldaten verging das Lachen, gründlich.
Leutnant Paula Coughlin, eine Helikopterpilotin, dachte sich nichts Böses, als sie den Aufzug im dritten Stock des Hotels verließ. öberall in den Gängen standen, tranken und lachten Offiziere. Was dann begann, schildert Paula Coughlin als einen alptraumhaften Spießrutenlauf. Sie wurde von vorn und von hinten begrapscht, längs durch den Flur weitergereicht, von Gruppe zu Gruppe. Sie biß um sich und schrie um Hilfe. Vergeblich. Ihre Kameraden reagierten mit Grinsen.
"Ich hatte Angst wie nie im Leben," berichtete Leutnant Coughlin jetzt, nach monatelangem Schweigen: "Ich dachte, ich werde das Opfer einer Massenvergewaltigung."
Soweit kam es nicht. Aber ähnliches wie Leutnant Coughlin erlebten mindestens noch 25 weitere Frauen. Eine Untersuchung der Vorfälle kam nur schleppend in Gang. Die Navy-Führung gab sich alle Mühe, den Tailhook-Vorfall im Dunkeln zu lassen. Am Ende vergeblich. Die Frauen durchbrachen das Schweigegebot, Paula Coughlin als erste.
Am letzten Wochenende mußte der Marineminister, Lawrence Garrett III., seinen Abschied nehmen. Präsident Bush empfing Leutnant Coughlin zu einem persönlichen Gespräch. Gegen mehr als 70 Navy-Piloten wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.
Die Navy versicherte, sie wolle den Umgangston und die chauvinistischen Sitten und Gebräuche in Kasernen und auf Schiffen ändern. Eilig wurde, jedenfalls versuchsweise, der Kampf gegen sexuelle Belästigung in die Ausbildungsordnung aufgenommen. Motto der Kampagne: "Nicht in unserer Marine!"
Schon Paula Coughlins Vater war Offizier. "Ich habe mich abgerackert, um dazuzugehören," sagte sie: "Ich wollte der bestmögliche Marineoffizier sein und beweisen, daß ich alles kann, was der Job von mir verlangt. Stattdessen wurde ich behandelt wie ein Stück Dreck - nicht wie einer von ihnen."
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