Uwe Knüpfer
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Zwei jugendliche Helden aus dem Süden wollen das Weiße Haus erobern - Das "Ticket" Clinton/Gore

8/7/1992

 
Bisher wissen die meisten Amerikaner von Bill Clinton nicht viel mehr, als daß er Saxophon spielt, gerne ißt, eine schöne, aber gefährlich kluge Frau hat und nicht richtig inhalieren kann. Diese Karikatur war das Produkt des Vorwahlkampfes innerhalb der demokratischen Partei. Der lief - wie üblich - nach dem Muster ab: Alle Bewerber bewerfen sich gegenseitig mit Dreck, die Presse wirft fröhlich mit, Sieger ist, wem das Lachen trotzdem nicht vergeht.
Am Montag eröffnen die Demokraten mit ihrem Parteitag in New York den eigentlichen Wahlkampf, und dann soll alles anders werden. Statt mit Schlamm werden die mehr als 2000 Delegierten im Madison Square Garden Clinton und seinen Vize-Kandidaten Albert Gore mit Konfetti bewerfen. New York und die Nation sollen erleben: die vollendete Verwandlung Clintons vom Schmuddelkind zum jugendlichen Helden.
Während sich Präsident Bush und der unabhängige, aber reiche Vielleicht-Kandidat Perot persönlich beharkten, profilierte sich Clinton während der letzten Wochen still als der einzige Kandidat mit einem politischen Programm. Nebenher bewies er Mumm. Etwa indem er auf einem Gewerkschaftskongreß des öffentlichen Dienstes ankündigte, er werde als Präsident 100000 Bürokraten-Stellen streichen. Und jetzt entschied er sich für "Al" Gore als zweiten Mann auf dem demokratischen Ticket. Auch das brachte ihm Applaus ein.
öblicherweise erwählt sich ein Präsidentschaftskandidat einen Vize, der jene Wähler erreichen könnte, die ihm selber nicht zulaufen. Ein Kandidat aus dem Süden holt sich seinen Stellvertreter aus dem Norden, ein älterer Kandidat wählt einen jungen Vize. Ein schwacher Kandidat sorgt dafür, daß der Stern des zweiten Mannes nicht am Ende heller strahlt als sein eigener.
Clinton setzte sich souverän über diese gesammelten Parteitagsweisheiten hinweg. Gore ist wie er Mitte 40, Vertreter der Baby-Boom-Generation. Beide kommen aus dem Süden; Clinton aus Arkansas, Gore aus dem benachbarten Tennessee. Gore ist ehrgeizig und gilt als kompetent auf Feldern, von denen Clinton nicht allzu viel versteht: Außen- und Sicherheitspolitik, Umweltschutz. Er war der Vertreter des Senats beim Umweltgipfel in Rio. Verglichen mit Bush-Vize Quayle ist Gore ein politsches Schwergewicht.
(1988 wollte Al Gore selber Präsident werden. Er unterlag in den Vorwahlen. Für 1992 trat er nur deshalb nicht an, heißt es, weil Amtsinhaber Bush zu Beginn des Vorwahlkampfes noch unschlagbar schien.)
(öber Wochen interessierten sich die amerikanischen Medien nur am Rande für den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei. Der Held der Stunde hieß Ross Perot. Doch inzwischen klingt das Perot-Fieber ab. In den Meinungsumfragen hat Clinton inzwischen mit Bush und Perot gleichgezogen.
In seinem Heimatstaat Arkansas gilt er als politisches Wunderkind. Als einer, der Wahlen glänzend gewinnen, Menschen von sich überzeugen und solide regieren kann. Als Clinton mit nur 32 Jahren hier erstmals Gouverneur wurde, war er der jüngste Regierungschef der USA. Inwischen ist er - mit 45 Jahren - der am längsten amtierende.)
Noch vor kurzem spekulierten nicht wenige Kommentatoren, der Parteitag könnte Clinton für zu leicht befinden und kurzfristig ganz jemand anderen aufs Schild heben, Perot zum Beispiel. Inzwischen pilgert Parteigröße nach Parteigröße zu Clinton und sichert Unterstützung zu. Einer gelungenen Inszenierung von Partei-Eintracht im Madison Square Garden scheint nichts mehr im Wege zu stehen.
Vor vier Jahren feierten die Delegierten das Gespann Dukakis/Bentsen. Dukakis ging dann allerdings im Wahlkampf gegen George Bush mit Pauken und Trompeten unter. Den Tiefschlägen der republikanischen Profis war er nicht gewachsen.
Doch Clinton hat schon bewiesen, daß er Stehvermögen hat. Nacheinander wurde er als Ehebrecher, Marihuana-Raucher und Vietnamkriegs-Drückeberger "entlarvt". Er hat es politisch überlebt.
Ein Clinton-Berater verglich das bisherige Desinteresse vieler Amerikaner an seinem Chef mit dem Verhalten eines Reifenkäufers: "Erst wenn die Reifen wirklich gewechselt werden müssen, interessiert man sich ernsthaft für die Modelle, die am Markt sind."
Und warum sollten sich die Wähler dann ausgerechnet für den "Reifen" Clinton entscheiden? Die Antwort: "Weil der als einziger am Ende nicht platt ist."

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