Aktualisiert 22. Juni 1984 08:00 Uhr Unter der Überschrift „Zur Strafe auf die Uni“ sang die junge Studentin Claudia Duchene das Klagelied der unfreiwilligen Studenten, die die Hörsäle bevölkern und doch viel lieber etwas ganz anderes lernen würden (ZEIT Nr. 25). Der Vorspann zu diesem Beitrag ließ Distanz, ja Ironie erkennen („ja, sie sind übel dran, die jungen Menschen ...“). Er hat diese Antwort provoziert.
Die Jungen verstehen die Alten nicht, und den Alten fehlt das Verständnis für die Jungen. Das ist nichts Neues. Seitdem das verkrampfte „Gespräch mit der Jugend“ abgelöst wurde durch Helmut Kohls lockeres Lächeln mit der Jugend (von den CDU-Plakaten herab zu uns Wählern), darf man sich endlich wieder so richtig herrlich nichtverstehen. Die gezwungene Suche nach Gründen, das Vorgeben und Erheischen von „Verständnis“, das alles braucht nicht mehr zu sein. Seitdem keine Steine mehr fliegen, können und dürfen auch die Alten Vorurteile und tiefsitzendes Unverständnis wieder pflegen und – äußern. Die Jungen haben von dieser lieben Gewohnheit ohnehin niemals gelassen. Das „Gespräch mit der Jugend“, ja das war in aller Munde. Aber wer von den Jungen wollte das „Gespräch mit dem Alter“?
Wo also eine junge Studentin heute über Perspektivlosigkeit klagt, von der vermeintlich schönen, ihr aber verschlossenen Welt des Handwerks träumt, da darf ein gestandener Mann mit Lebenserfahrung (und sei es ein Redakteur) sich auch wieder öffentlich belustigen über diesen ihren Mangel an Optimismus, an Initiative, an Kampfgeist. Zur Freude seines Publikums, des älteren also: Wie jämmerlich wirkt doch eine Jugend, die jammert!
Sicher, junge Menschen haben es heute schwer: Arbeitslosigkeit, Lehrstellenmangel, Verlust des Fortschrittsglaubens. Aber junge Menschen hatten es doch immer schwer. Und wer will, wer wirklich will, der beißt sich durch. Der biß sich immer durch. Wenn ich keine Lehrstelle finde, wie ich sie mir wünsche, mit Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz und so weiter, dann suche ich mir halt einen Job, und sei es als Büglerin, und mache das Beste draus. Wo Gedränge herrscht, da gilt es, Nischen zu entdecken. Etwa im Dienstleistungsbereich, wo Möglichkeiten schlummern, an die lange niemand laut zu denken wagte. Es geht bei uns ja – Gott sei Dank! – nicht allen schlecht.
Vielen geht es sehr gut. Und endlich dürfen sie das auch wieder zeigen. In einem Magazin für Feinschmecker beklagte sich ein Journalist kürzlich darüber, daß Mann auf Reisen niemanden finde, der ihm seine Hemden bügelt. Ganz anders in Amerika. Dort stürzen sich die Menschen willig auf jede Art von Arbeit, für die man bezahlt. Auch wenn sie vorher studiert haben oder sonstwas waren. Keine Spur von Dünkel.
Alles Gute kommt von drüben wieder. Mag sein, die erzieherische Kraft der Rezession beschert auch uns erneut Stubenmädchen und Brötchenjungen, willige Büglerinnen wie dankbare Schuhputzer. Die Jugend muß nur wollen!
Aber noch will sie nicht, noch bestätigen Ausnahmen nur die traurige Regel. Statt dessen beklagt sie sich, weil sie die strahlende und sorgenfreie Welt der Werbung, in der sie großgeworden, nach der Schule in der Wirklichkeit nicht wiederfindet.
Großgeworden sind die heute 20jährigen bekanntlich mit einer Pädagogik, die zu glauben lehrte, Konkurrenz sei böse, Solidarität gut. Und wo immer sie hinkamen, war die Welt schon fertig. Es wurde ihnen beigebracht, daß Ansprüche stellen muß, wer etwas bekommen will. Daß man sich, so man sucht, nach Wegweisern zu richten hat.
Ein Schüler der Sekundarstufe II lernte doch nicht, einfach nur so gut zu sein, auf irgendeinem als interessant empfundenen Gebiet. Daß es ebenso nützlich wie schön sein kann, aus einem vorgeebenen System auszubrechen, auf eigene Faust, Eigenes zu suchen, dieser ihm vielleicht schon von der Natur mitgegebene Gedanke wurde einem solchen Schüler doch mit zäher pädagogischer Geduld und gründlich ausgetrieben. Punkte zu sammeln sei wichtig, lernte er, egal in welchem Fach. Ein durchtriebenes System der Leistungsbewertung zu durchschauen und auszutricksen, das lernte er. Sich später nahtlos einzufügen in das Volk der Antragsteller und der Steuerbetrüger.
Und jetzt steht er da, studiert irgend etwas, das ihn nie interessierte: Doch eben dieser Fachbereich stand ihm offen – und dumm wäre er gewesen, diese Chance etwa nicht zu nutzen. Und plötzlich sind all die schönen Kanäle verstopft.
Einen Job will er haben, einen gutbezahlten noch dazu, in einem Beruf, der ihm Spaß macht? Lächerlich. Träumt womöglich gar schon jetzt von einer sicheren Pension! Der „nahtlose Übergang vom Bafög zur Rente“, Sie wissen?
Der gestandene Ältere aber, der längst schon auf einem gutdotierten Arbeitsplatz sitzt, wie es seiner akademischen Ausbildung entspricht, klopft sich lachend auf die Schenkel. Etwas Schadenfreude ist dabei, durchaus. Endlich sind die Jungen mal düpiert und nicht die Alten. Stehen da und stellen Ansprüche an die Wohlstandsgesellschaft, die sie doch so verachtet haben.
Das Kapitel aus dem Roman vom Generationskonflikt hat ein Happy-End, vorerst. Kriegt doch im Grunde jeder das, was er so gerne wollte: die Alten eine Jugend, die aufschaut und strampelt, sich anstrengt und buckelt, die Jugend eine Aufgabe: zu vergessen, was sie lernte, und mit eigenen Händen ganz was Neues aufzubauen.
Uwe Knüpfer
- Quelle DIE ZEIT, 22.6.1984 Nr. 26