Uwe Knüpfer
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Nahverkehr: Eiserne Schaffner

1/1/1990

 
Aktualisiert 17. August 1984  08:00 Uhr  Passé sind jene glücklichen Zeiten, da ein Reisender in fremden Städten nur die Tram zu besteigen, dem Schaffner sein Ziel zu nennen und den geforderten Betrag zu zahlen brauchte. In Bussen geht’s ja noch. Da sitzt, sichtbar und zugänglich, ein Fahrer, und mit dem sollte sich doch reden lassen. Auf S- und U-Bahnhöfen aber stehen große, eckige, nicht immer funktionsbereite Klötze aus Metall und Plastik: Fahrscheinautomaten.

Vielleicht, weil solche Geräte einem rascheren Generationenwechsel unterliegen als wir Menschen, steht der rückständige Reisende heute so oft staunend und hilflos vor dieser weit fortgeschrittenen Fahrkartenausgabetechnik der öffentlichen Nahverkehrsunternehmen.

Die Geräte der ersten Generation, Kurbelautomaten noch, gelten Experten heute als „wenig flexibel“ und gleichen so vielen Benutzern. In den siebziger Jahren wurden sie weithin ersetzt durch Apparate, die immerhin schon verschieden wertvolle Karten auszuspucken verstanden, aber noch kein Wechselgeld. Das war die zweite Automatengeneration. In großen Städten begegnen wir heute schon den Enkeln der Kurbelgeräte. An ihnen erlaubt eine Vielzahl von Drucktasten eine reiche Fahrkartenauswahl, ein eingebauter Nadeldrucker beschriftet Blankotickets, ganz nach Kundenwunsch, zuviel eingezahlte Geldbeträge werden wieder ausgespuckt.

Möglicherweise wird die vierte Generation, die etwa für Anfang der 90er Jahre zu erwarten wäre, dem alten Schaffner wieder ähnlicher: durchaus denkbar, daß die Geräte dann sprechen können. Einstweilen helfen dem Reisenden nur Tabellen, Karten und behördendeutsche Texte bei der Beantwortung von Fragen wie diesen: In welcher Tarifzone befinde ich mich, in welcher Wabe liegt mein Fahrziel, welche Verbundstufe gilt derzeit, und welche der bis zu 17 Preisstufen ist meiner Fahrstrecke wohl zuzuordnen?

Man merkt es sofort: Bei der Planung der Verkehrsverbünde waren deutsche Tüftler am Werk. Sie ersannen Systeme, Regeln und Ausnahmeregelungen, bei deren Studium die Berufsgrammatiker der Duden-Redaktion blaß werden können.

In Stuttgart etwa richtet sich der Fahrpreis „nach der Zahl der Zonen, die bei einer Fahrt berührt werden. Ausnahme: Werden auf einer Fahrt die Kernzone und mindestens zwei Zonen des Innenrings berührt, wird eine Zone des Innenrings nicht berechnet.“ In Hamburg ist das ganz anders. Aber wiederum auch nicht so wie in Köln oder München.

Die bayerische Metropole hat ganz was Besonderes zu bieten: den Straßenunterführungstarif. Was auch immer, jedenfalls ist er preiswert: 30 Pfennig.

Als preiswert gilt auch das Lösen von Sammel- oder Mehrfachkarten, weißen oder grünen, Zeitkarten oder Verbundpässen, gelben oder grünen, oder – Gipfel des Ganzen – der Frankfurter top-ticket-Wertmarke. Guten Gewissens ist der Kauf solcher Karten aber nur Zeitgenossen zu empfehlen, die sich nach Aneignung der Grundregeln des jeweiligen Tarifwesens nun zu einem tieferen Einstieg in die Welt der Waben und Zonen berufen fühlen.

Natürlich gibt es auch Rabatte. In Berlin für Touristen, in Hamburg für Familien, in Stuttgart für Kongreßteilnehmer und im Ruhrgebiet für Arbeitslose.

Experten, die sich einen Vergleich der im Grunde unvergleichlichen Tarifsysteme zutrauen, sagen: In München ist es am billigsten. Ganz sicher gilt das für Fahrten erster Klasse; die kosten dort nichts extra.

Münchner müssen umlernen, kommen sie doch einmal ins Rheinland oder nach Westfalen. Die Verkehrsverbünde dort verlangen ihren Kunden ein gerüttelt Maß an Demut ab: Sie fordern sie zur Selbstentwertung auf. Uwe Knüpfer

  • Quelle DIE ZEIT, 17.8.1984 Nr. 34

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