Wenn Europäer Friedenskonferenzen organisieren, wählen sie zumeist Säle mit Lüstern, Orte, die zum Tanze laden. Wien, Versailles, Paris. Dayton ist von anderem Kaliber. Schon die Stadt selber ist schwerlich ein Erholungsort. Aber die Vertreter Serbiens, Bosniens und Kroatiens werden selbst von Dayton so gut wie nicht sehen. Sie sind eingesperrt - Pardon: Gäste - auf einem 3300 Hektar weiten Militärgelände außerhalb der Stadt. Die Wright-Patterson Air Force Base ist eine Stadt für sich - und in sich eine treffliche Demonstration militärischer Stärke. Wenn Slobodan Milosevic, Alija Izetbegovic und Franco Tudjman sich hier umsehen, dürften sie einen Vorgeschmack davon bekommen, was es heißt, demnächst womöglich die Nato im Lande zu haben.
Auf einer Air Force Base herrschen strenge Regeln, es regiert der Luxus der Nützlichkeit: Effizienz ist das Maß aller Dinge. Finten, Ausflüchte und Dummejungenspäße werden nicht geschätzt.
Es dürfte den Balkanführern auch guttun, für ein paar Tage in einer Welt zu sein, der die bosnischen Querelen herzlich fremd sind. Die Lokalzeitung von Dayton bemüht sich in diesen Tagen geradezu rührend, ihren Lesern zu erklären, welch historisches Drama nun vor ihrer Haustür einem Höhepunkt - vielleicht seinem Ende - entgegensieht. Das fällt nicht immer leicht. Da werden Izetbegovic und Tudjman schon mal verwechselt und auch, wer denn nun im Zweiten Weltkrieg zu den Nazis hielt. Die Serben? Oder doch die Kroaten? Vielleicht braucht es ja diese Art von Distanz, um einen frischen Blick auf den Balkan zu werfen.
Immerhin haben sich Milosevic und Izetbegovic in Dayton schon die Hand geschüttelt. Was nicht wenig ist, wenn man bedenkt, daß in Bosnien seit ihrem letzten Händedruck Schätzungen zufolge eine Viertelmillion Menschen abgeschlachtet worden sind.
Der Händedruck war minutiös choreographiert. Die Amerikaner überlassen nichts dem Zufall. US-Unterhändler Richard Holbrooke spielt einmal mehr den Vermittler, und nur die Amerikaner geben Presseerklärungen ab. Reporter können die Air Force Base nicht betreten. Milosevic, Izetbegovis und der kroatische Außenminister, der seinen Präsidenten Tudjman für die meiste Zeit vertritt, haben keine Chance, über die Bande der Medien zu spielen.
Wenn Kardinäle einen neuen Papst wählen, schließen sie sich ein - zum Konklave -, bis ein Ergebnis vorliegt und dem Vatikan eine Wolke weißens Rauchs entsteigt. Reporter warten nun auf den weißen Rauch aus dem Konklave von Dayton.
Die Kardinäle versammeln sich unter den grandiosen Gemälden der Sixtinischen Kapelle. Michelangelo kam nicht bis Dayton. Selbst noch die nüchterne Neonbeleuchtung in den Verhandlungsräumen, die Flecken auf den Teppichböden erfüllen eine Funktion: Hier gibt es nichts zu feiern, hier kommt man zur Sache. Wer sich spreizen will, macht sich nur lächerlich. Bosniens Außenminister geht davon aus, daß die Wohnräume der Delegationen sorgfältig "verwanzt" worden sind. Sprich: daß die Amerikaner immer mithören. Wahrscheinlich stimmt es. Aber schon die Annahme ist nützlich.
Allzulange haben sich die Führer der Serben, Kroaten und der bosnischen Moslems in ihrer Rolle als Kriegshelden und umschmeichelte Staatsgäste gefallen. Dayton bietet ihnen dafür keine Bühne. Wenn sie die Bühne wechseln wollen - im Erfolgsfall lockt eine Konferenz in Paris, dort sicher wieder unter Lüstern - müssen sie zur Sache kommen und sich sputen.
Die Amerikaner haben eine gute Wahl getroffen - wie nur sie es vermögen. Congratulation!