Es gab Hummer mit Gurkenmousse und Kaviarsauce, Kalbsfilet und Ananas-Champagnersorbet. Anne Willan fand das beschämend. Den 150 zum Staatsbankett ins Weiße Haus geladenen Gästen schien es hingegen zu schmecken. Präsident Bush gab ein Diner zu Ehren von Bundespräsident Richard von Weizsäcker, derzeit Staatsgast in Amerika.
Frau Willan ist so etwas wie der weibliche Küchenpapst der amerikanischen Hauptstadt und der Meinung, die Köche der USA hätten Originelleres zu bieten als Hummer und Champagner. Auch die Washington Post machte sich über vermeintliche Haare in des Präsidenten Kaviarsauce her. Was Barbara und George Bush da ihren Gästen vorgesetzt hätten, sei ein typisches Luxusmahl der Schickeria, teuer und geschmacklos, befand das Blatt. Und außerdem das gleiche wie bei den letzten 19 Staatsbanketts.
(Der erste Staatsbesuch eines Präsidenten des ungeteilten Deutschland fand bisher mehr Echo in den bunten Teilen der amerikanischen Blätter als in jenen Spalten, die dort für die Politik reserviert sind. Wie sich aber selbst aus Menükarten ein Scherbengericht bereiten läßt, führte die schon zitierte Zeitung vor. Sie schloß kurzerhand von der Art des US-Präsidenten, seine Gäste zu bewirten, auf seine Politikmethode. Risikoscheu sei die und altbacken.)
Am Donnerstag wurde dem Bundespräsidenten die seltene Ehre zuteil, vor beiden Häusern des Capitols - Senat und Abgeordnetenhaus - sprechen zu dürfen. Richard von Weizsäcker gab eine weitere Probe seiner hohen Kunst, sich aus der Tagespolitik herauszuhalten und dennoch kaum ein heikles Thema auszulassen.
Er dankte den USA für Jahrzehnte der Solidarität mit Deutschland: "Thank you America!" Vor allem aber warb der Präsident um Verständnis für die heutige Situation Deutschlands. Die politische Vereinigung sei geschafft, aber noch liege "ein langer Weg vor uns." Die "abrupte" Einführung der Marktwirtschaft in der einstigen DDR sei "ein Abenteuer ohne Beispiel." Das Staatsoberhaupt fügte hinzu: "Es wird mehr Zeit und Geld kosten, als man ursprünglich dachte oder zugeben wollte." Wen er mit "man" meinte, ließ der Präsident offen.
Um den ohnehin bröckelnden Glauben der Amerikaner an die immerwährende Solidität der deutschen Wirtschaft und Politik nicht noch weiter zu erschüttern, rief Richard von Weizsäcker seinen Zuhörern anschließend aufmunternd zu: "Aber wir werden nicht scheitern!" Die Begründung lautete sinngemäß: Weil wir nicht scheitern dürfen.
Versicherung Eins folgte Versicherung zwei: Das vereinigte Deutschland werde nicht schaukeln noch wanken zwischen Ost und West. Es sei heute eher noch europäischer als die kleinere Bundesrepublik früherer Jahre. Denn: "Wir Deutschen wissen sehr genau, daß wir bei einer Rückkehr zu nationalen Alleingängen selbst die Hauptleidtragenden wären."
(Die USA betrachten mit durchaus gemischten Gefühlen, wie sich Europa zu einer wirtschaftlichen und politischen Union formiert, mit eigenen Sicherheitsinteressen und Bündnissen. Der Bundespräsident sagte, dies registrierend, er freue sich darüber, mit welchen Argusaugen Amerika darüber wache, daß EG, WEU und KSZE der Nato "keinen Abbruch tun". Denn: "Dies deutet auf ein ungebrochenes amerikanisches Interesse an Europa hin." Dieses Interesse sollten die USA sich doch bitte erhalten!
Nebenbei stärkte von Weizsäcker so seinem Gastgeber Bush den Rücken, der sich - mitten im Wahlkampf - Forderungen entgegenstemmt, die weite Welt links liegen zu assen - zuhause sei genug zu tun. Der Bundespräsident, ohne diplomatische Schnörkel: "Die USA müssen weiterhin die Führungsrolle im Team übernehmen, wenn es darum geht, die zugleich befreiende und chaotische Lage nach Auflösung des Sowjetimperiums zu meistern.")
Im Anschluß an seine Rede nahm von Weizsäcker an der alljährlichen Holocaust-Gedenkfeier jüdischer Organisationen im Capitol teil. Er hätte auch kaum anders gekonnt, ohne sich gleichsam aus dem Parlamentsgebäude herausschleichen zu müssen. Geplant war die Teilnahme ursprünglich nicht. Die Veranstalter sprachen von einem zufälligen Zusammentreffen der Termine von Trauerfeier und Staatsbesuch.
Das mag man glauben oder auch nicht. In Amerikas jüdischen Kreisen ist jedenfalls nicht vergessen, wie Bundeskanzler Helmut Kohl den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zu einer pathetischen Versöhnungsgeste auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg drängte. Dort liegen auch SS-Angehörige begraben. Auch daß und mit welchen Randbemerkungen Kohl sich vor kurzem mit ôsterreichs Präsident Waldheim traf, ist hier sauer aufgestoßen. Waldheim haben die jüdischen Organisationen aufgrund seiner umstrittenen Kriegsvergangenheit mit einer Art Bann belegt.
Zufall oder nicht: Die deutsche Seite entschloß sich schnell, an die offizielle Version zu glauben und das beste draus zu machen. Richard von Weizsäcker besichtigte gar noch, ungeplant, den Rohbau des neuen Museums, das künftig an den deutschen Judenmord erinnern wird - mitten in Amerikas Hauptstadt.
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