Mit Wumms aus der Krise
Ganz offiziell sehen wir jetzt der Gefahr einer weltweiten wirtschaftlichen Depression ins Auge, vom Ausmaß jener der frühen 1930er Jahre, mit allen befürchtbaren sozialen und politischen Folgen. Wenn man Arbeitslose und Kurzarbeitende zusammenzählt, haben mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland ihre Arbeit verloren, infolge der Pandemiepolitik. Die vielen Selbstständigen, die momentan ihre Ersparnisse aufzehren und hoffen, der Privatinsolvenz zu entkommen, nicht mitgezählt. Und diese erschreckenden Zahlen verblassen angesichts der für uns namenlosen Opfer in Ländern mit schlechteren Gesundheits- und Sozialsystemen wie Indien oder Brasilien.
Noch tragen Virologen wie Christian Drosten einen unsichtbaren Lorbeerkranz, auch wenn er welkt, wie an einer wütenden Attacke der Bild-Zeitung auf den selbsternannten Berliner Obervirologen zu erkennen war. So überzogen und boulevardesk diese Attacke war, bald schon könnte „Virologe“ ein neues Schimpfwort sein.
Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die Folgen der Pandemiepolitik mindestens so viele Opfer hinterlassen wie das Virus selbst. Schwere Nicht-Corona-Krankheitsfälle blieben unversorgt, ungezählte Menschen starben völlig vereinsamt, in vielen Familien dürften sich Tragödien abgespielt haben. Die Zahlen der neu mit Covid 19 Infizierten hingegen stagnieren bei uns seit vielen Wochen. Im Kreis Ahrweiler ist es bei dem einen frühen Todesopfer „in Zusammenhang mit Covid 19“ geblieben. Die Kassandrarufe der Berliner Virologen werden nur noch von wenigen Politikern verstärkt und für bare Münze genommen. Seit Mitte Mai versucht man sich an der Rücknahme der unsinnigen allgemeinen Freiheitsbeschränkungen – und erlebt, wie schwer es ist, den Geist der Angst wieder in die Flasche zurückzupressen.
Gleich zwei Gruppen schreien auf: der verängstigte und der vom Autoritären der Coronamaßnahmen in innere Vibration versetzte Teil der Bevölkerung. Lehrer wollen nicht wieder ins Klassenzimmer zurückkehren. Freizeit-Blockwarte sehen sich mit ihrem Unverständnis der Funktionsweise offener Gesellschaften und ihrer Sehnsucht nach strammer Führung ins Internet zurückgeworfen.
Aber es gibt auch Gutes. Die Bundesregierung hat äußerst schnell auf die sich anbahnende Wirtschaftskrise reagiert, mit der Ausweitung der Kurzarbeiterregelung, mit Soforthilfen für kleine und größere Betriebe, jetzt mit dem „Wumms“-Konjunkturprogramm, und auch mit einer neuen europäischen Solidarität. Keynes triumphiert über Hayek und Co. Insofern zumindest werden sich die Fehler der Jahre 1929-33 nicht wiederholen.
Wie vergleichsweise harmlos die Corona-Bedrohung ist – bei aller Unberechenbarkeit des Virus – zeigt das Aufleben der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA. George Floyd ist zu einem Märtyrer wider Willen geworden. Der dunkelhäutige Mittvierziger wurde in Minneapolis von einem weißen Polizisten auf offener Straße und – dank eines Handyvideos – vor den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit ermordet. 8 Minuten 46 Sekunden kniete der Polizist auf Floyds Nacken, der immer wieder rief, er könne nicht atmen. 8 Minuten 46 Sekunden ist ein Kampfruf geworden, eine Zeiteinheit, deren erschütternde Bedeutung sich tief in die Erinnerung vielen jetzt Lebender eingraben wird.
Jetzt demonstrieren nicht nur in Minneapolis und Dutzenden US-amerikanischer Städte, sondern auch in Berlin, München, Düsseldorf Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt, allen Coronawarnungen und Demonstrationsverboten zum Trotz, und längst sind es nicht nur „farbige“ Menschen. Die meisten sind jung. Sie demonstrieren, auch wenn sie es nicht hinausschreien, für die allgemeine Gültigkeit der Menschenrechte. Sie geben der Aufklärung neue Kraft.
Das kommt dabei heraus, wenn Spießbürger, die Steuern sparen wollen, ihre Pamphlete von einem gebildeten Idealisten mit journalistischem Anspruch formulieren lassen. Thomas Jeffersons „All men are created equal“ wird eben von jedem verstanden, und so kann jeder und jede auch sehen, welches Versprechen der Aufklärung und der US-Verfassung bis heute nicht eingelöst ist. Gut möglich, dass sich in diesen Wochen in der nachwachsenden Generation ein tiefes Verständnis des Wesens offener Gesellschaften verfestigt und damit ihre Entschlossenheit, den jetzt gerade sehr sicht- und spürbaren Bedrohungen von Freiheit und Demokratie, von Presse-, Rede-, Versammlungsfreiheit und Rechtstaatlichkeit entgegenzutreten. So wie das junge Menschen in Hongkong tun, in aussichtsloser Lage, angesichts der Übermacht und Brutalität der chinesischen Staats- und Parteiführung. Xi Jinpeng ist auf dem Weg, sich als gottgleich verehren zu lassen. Leider wird wohl auch dieses Idol erst vom Sockel stürzen, wenn der reale Xi schon nicht mehr lebt. Aber stürzen wird es.
Die Sehnsucht nach Freiheit ist wie Wasser. Die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit und Anstand auch. Donald Trump sieht seine Felle schwimmen. (Was ihn leider einstweilen noch gefährlicher macht.)
Auch die Vorschrift, in Gesellschaft fremder Menschen einen Mundschutz zu tragen, hat ihr Gutes. Indem sich nahezu alle daran halten, entsteht sichtbar ein neuer Gemeinsinn. Oder besser: Ein verloren geglaubter Gemeinsinn erwacht zu neuem Leben. Damit einher geht die Bereitschaft, entgegen der herrschenden Lehre des Neoliberalismus eine Politik der organisierten Solidarität zu fordern oder mindestens hinzunehmen, bis hin zu Abgaben auf Supervermögen. Vielleicht wird Corona, in der Rückschau, das Ende der vierzigjährigen Ära des Neoliberalismus markieren.
Leider kann, wie wir dank der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts wissen, die politische Organisation einer solidarischen Gesellschaft demokratische oder autoritäre Züge tragen, die Züge Roosevelts oder Mussolinis. Momentan grinsen uns noch dreist die Mussolini-Nachahmer entgegen, die Trumps, Bolsonaros, Johnsons, Orbans und Erdogans der Welt. Aber die Hoffnung, sie wächst. Möge der Wumms seine erhoffte Wirkung entfalten und Biden im November siegen!
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