Uwe Knüpfer
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„Wir brauchen ein Großes Palaver“ – Was heißt heute deutsch?

20/3/2015

 
Zum Bearbeite 20. Forum Migration, Bonn, 12. März 2015

     

Deutschland ist ein Einwanderungsland, muss aber noch lernen, sich auch so zu benehmen. Im Mittelpunkt des 20. Forums Migration aus Anlass des 50. Gründungstages der Otto-Benecke-Stiftung stand die Forderung nach einem „Spurwechsel“ in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik. Nötig sei eine breite Debatte darüber.

  Naika Foroutan, die stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung, zeichnete im Bonner Haus der Geschichte anhand einer großen Datenfülle das Bild eines Landes, das mit sich selbst nicht im Reinen ist: „Wir erleben einen Transitmoment.“ Die „Narration des Deutschseins“ sei im Fluss. Einerseits wachse die Offenheit gegenüber Flüchtlingen und anderen Einwanderern, andererseits hielten sich Ängste und Vorurteile hartnäckig. Integrationsmaßnahmen seien vielleicht nicht nur im Blick auf Neuankömmlinge sinnvoll, sondern „auch für Pegida-Demonstranten“.

  Der Berliner Migrationsforscher Professor Klaus Bade begrüßte die geplante Gründung eines Migrationsmuseums. Über die Frage „Was ist heute deutsch?“ müsste quer durchs Land „ein Großes Palaver“ beginnen. Hilfreich sei womöglich die Einsetzung einer „Leitbildkommission auf Bundesebene“.  

„Die Bundesrepublik war seit 1948/49 ein Einwanderungsland,“ rückte Professor Jochen Oltmer vom Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien eine „Fülle von Mythen“ zurecht. Die Bundesrepublik habe von Beginn an eine aktive Integrationspolitik betrieben: gegenüber Flüchtlingen aus der DDR, Aussiedlern, Spätaussiedlern und anerkannten Asylsuchenden. Allerdings nicht gegenüber Arbeitsmigranten. Das müsse sich ändern. Oltmer: „Wir müssen Handlungsmacht von Einwanderern schaffen oder erhöhen.“

  Er erlebe in dieser Hinsicht „viel Engagement in den Pfarrgemeinden“, berichtete der Leiter des Katholischen Büros NRW, Antonius Hamers. Für ihn sei das Bild „eher hell als dunkel“. Manfred Kock, Altpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland, mahnte, Asylsuchenden nicht gleich mit einem „Betrugsvorwurf“ zu begegnen und Verschiedenheit als Reichtum zu betrachten statt als Bedrohung. Das sah Tayfun Keltek ähnlich, der Vorsitzende des Integrationsrats NRW: „Unterschiede sind Stärken.“ Er riet, Menschen mit Migrationshintergrund als „DeutschePlus“ zu sehen.

  Namens der deutschen Arbeitgeberverbände sprach sich Peter Clever dafür aus, Zuwanderungs- und Asylpolitik zusammenzuführen. „Wir brauchen beides: eine gesteuerte Zuwanderung und eine humane Flüchtlingspolitik.“ Nur in einer humanen, befriedeten Gesellschaft ließen sich gute Geschäfte tätigen.

  Eberhard Diepgen, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und Vorsitzende des Beirats der Otto-Benecke-Stiftung, plädierte für einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik. Abgelehnte Asylbewerber müssten die „zweite Chance auf ein grundsätzliches Bleiberecht“ erhalten. Es sei ein „Unsinn sich vorzumachen, die bleiben nur zwei Jahre hier“. Die Idee, ein Migrationsmuseum zu gründen, finde er gut.

  Klaus Bade sprach statt von einem Paradigmen- lieber von einem  „Spurwechsel“. Die jetzt überall angemahnte Willkommenskultur werde von der OBS übrigens bereits seit Jahrzehnten gepflegt. Die Praxis der OBS zeige aber auch: „Mentalitäten ändert man nicht durch freundliche Umgangsformen allein.“ Ein nachhaltiges, personenbezogenes Sich-Kümmern sei gefordert.

  Diepgen sprach in diesem Zusammenhang von einer „Langfristaufgabe“, die man „nicht projektbezogen leisten“ könne – eine Spitze gegen die seit 2009 gültige Förderpraxis der Bundesregierung. Lothar Lemper, der Vorsitzender der OBS, hatte zur Eröffnung des Forums darauf hingewiesen, dass die dem Verein zur Verfügung stehenden Fördermittel zuletzt nicht erhöht, sondern gekürzt worden seien – und das angesichts stark steigender Zahlen der Bewerber für Sprach- und Integrationskurse.

  Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Anette Kramme, sieht Deutschland auf dem Weg zu einer Bildungsgesellschaft. Dabei gelte es, „alle mitzunehmen“. Das setze eine „funktionierende bundesweite Umsetzungsstruktur“ voraus.

  Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, schilderte, wie sehr sich die Praxis seines Amtes im Umgang mit Asylbewerbern bereits geändert habe, hin zu einer „Anerkennungskultur“. Mitarbeitern der Ausländerämter werde vermittelt, dass es gelte, allen Ankommenden mit Respekt zu begegnen. Allerdings tendiere die Chance von Menschen aus den Balkanländern, Asyl zu erhalten, nun einmal gegen Null.

  Diskutanten aus dem Publikum wiesen auf die Schwierigkeit hin, Menschen einerseits freundlich aufzunehmen und ihnen gleichzeitig sagen zu müssen: Ihr könnt nicht bleiben.

  Die Tagungspausen wurden rege dazu genutzt, Kontakte zwischen Behördenvertretern, Wissenschaftlern und Ehrenamtlichen zu knüpfen. Viele der gut 500 Teilnehmer des Forums Migration machten sich in der Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ schon mal ein Bild davon, wie ein Migrationsmuseum gestaltet sein könnte. Auch das Gesprächsangebot von OBS-Betreuerstudierenden wurde rege aufgegriffen. Die Studierenden mit Herkunftsländern in Osteuropa, Asien und Afrika hatten sich mit selbstgestalteten „Graduation Caps“ bekrönt, um im Getümmel jederzeit erkennbar zu sein. Man konnte an diesem Tag den Eindruck gewinnen: Das „Große Palaver“ hat bereits begonnen.
(obs-ev.de)

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