Nationale Regierungen, voran Frankreich und Deutschland, diktieren derzeit Europas Tagesordnung, eilen von "Gipfel" zu "Gipfel" - und versinken doch immer tiefer im Schuldenmorast. Die Großen regieren über die Kleineren hinweg und in sie hinein - gegen Geist und Text der Europäischen Verträge.
Die EU-Kommisssion hat sich im Zeichen von Liberalisierung, Globalisierung und Wettbewerb zum Handlanger internationaler Finanzakrobaten gemacht. Um Banken zu retten, haben Europas Staaten sich hoch verschuldet. Nicht nur Griechenland droht nun der Absturz in Elend und Armut.
Es ist an der Zeit, wildgewordene Märkte zu bändigen und fruchtbaren Wettbewerb durch heilsame Solidarität zu ergänzen. Es ist an der Zeit, Spekulation zu besteuern und Banken besser zu regulieren.
Europa braucht weniger Technokraten und mehr Demokraten. Über Länder- und Parteigrenzen hinweg sind sich nachdenkliche Menschen einig: Europa muss begreifbarer und es muss sozialer und demokratischer werden, jetzt - oder die größte geschichtliche Leistung mindestens des 20. Jahrhunderts droht vor unseren Augen zu zerfallen.
Europa braucht eine verständliche Begriffswelt und erkennbare Gesichter. Und: Die EU muss sich eigene Einnahmequellen erschließen. "Zentralisiere ihre Brieftaschen, dann kannst du ihre Herzen gewinnen," hat schon James Madison gewusst, einer der Väter der Verfassung der USA. Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer - vulgo: Spekulantensteuer - ist der erste Schritt. Doch wem kommt sie zugute? Darüber dürfen nicht Merkel und Sarkozy verfügen. Das muss, wie es sich in Demokratien gehört, Sache der Volksvertretung sein.
Das Europäische Parlament muss werden, was es sein soll: die gewählte Vertretung der Bürger Europas, Auftraggeber und Kontrolleur einer europäischen Regierung.
Seit dem 17. Januar 2012 hat dieses Parlament einen neuen Präsidenten. Einen Präsidenten, dem Freund und Gegner zutrauen, Regierungen und Beamten Paroli zu bieten: den Sozialdemokraten Martin Schulz aus Würselen. Ein Anfang ist gemacht. (vorwärts Februar 2012)