Uwe Knüpfer
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Die Presse ist krank

9/12/2011

 
Gesucht: mutige Verleger - helfen könnte eine Bundesstiftung Neue Presse

Nur neun von 100 Deutschen glauben, dass Journalisten die Wahrheit sagen (Quelle: Allensbach) .  "Im Angstmachen", schreibt der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer, "sind die deutschen Medien wirklich spitze."  Die Presse hat ein Problem - und damit die Demokratie.

Journalisten sind professionelle Aufklärer. Auch wenn sie nicht immer die Wahrheit finden, so sollten sie doch immer auf der Suche nach ihr sein. Um das sicherzustellen, haben Journalisten früher eiserne Regeln gelernt: immer Distanz wahren, immer eine zweite Quelle besorgen, immer auch die "andere Seite" hören, Wichtiges von Belanglosem, Nachrichten von Meinungen trennen, Abstand zu Gerüchten halten.

Anonyme Briefe wurden in seriösen Redaktionen sofort weggeworfen. Heute sind die Internetseiten auch angesehener Blätter voll von Verdächtigungen, Unterstellungen, Schmähungen; meist vorgetragenen im Schutze lächerlicher Pseudonyme:  "adeD", "Abbamaehrlich",  "Dr.Super".

Der Journalismus als Beruf ist eine Frucht der Aufklärung. Eine bürgerliche Öffentlichkeit verlangte nach verlässlichen Informationen. Sie war bereit, dafür zu zahlen. Denn nur so war die Unabhängigkeit des Mediums sicherzustellen. Auf der Basis dieses Geschäftsmodells entstanden Zeitungen und Verlage. Wenn sie ihr Geschäft  nachhaltig solide betrieben, glichen sie Gelddruckmaschinen.

Demokratie verlangt nach dem mündigen Bürger. Mündig ist nur, wer in der Lage ist, sich eine eigene Meinung zu bilden.  Journalisten helfen ihm dabei. - indem sie recherchieren, vorsortieren, einordnen und kommentieren.  Das ist ihr Job.

Das war ihr Job. Wer in einer online-Redaktion gehalten ist, mindestens alle 30 Minuten eine neue, möglichst sensationell klingende Nachricht abzusetzen, hat keine Zeit für gründliche Recherche.  Außerdem könnte Gründlichkeit seine aufregend klingende  Geschichte in heiße Luft auflösen.

Nicht nur Magazin-Verlage bieten Anzeigenkunden redaktionelle Umrahmungen ihrer Werbung an.  Für schnelle Gewinne prostituieren sie sich. Sie verscherbeln das kostbarste Gut jeder Redaktion: Glaubwürdigkeit.

Boulevardmedien gibt es, seitdem Menschen sich für Tratsch interessieren, also immer schon. Seriöser Journalismus grenzt sich davon ab. Wo der Boulevard erregen will, da setzen Journalisten auf Ernüchterung. Der Boulevard wirft sich ran, Journalismus hält Abstand. Der Boulevard zielt auf den Bauch oder tiefer, Journalismus fordert das Hirn.

Im Jahr 2011 nennt sich  die BILD-Zeitung unwidersprochen Deutschlands Leit-Medium. Die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten überbieten sich im Kampf um Quoten.  Da "Nackter Po" immer besser läuft als "Neue Rentenpläne", ist klar, wohin das führen musste: zu Quassel-Shows, Soaps und Tralala anstelle ernsthaft unterhaltender Information. Selbst die New York Times schließt Auslandsbüros und brüstet sich mit Lifestyle-Stories über Essen und Mode.

Wenn ernsthafter Journalismus nur noch schrumpfende Teilöffentlichkeiten erreicht, wird der mündige Bürger immer seltener. Häufiger tritt auf: der schnell erregte Wutbürger. Der Ansehensverlust des Journalisten korrespondiert mit wachsender Parteien- und Demokratieverdrossenheit. In der eingangs zitierten Allensbach-Umfrage gaben gerade mal drei von hundert Befragten an, sie würden Politikern vertrauen.

Dabei war es - dank Internet  - niemals leichter und preiswerter als heute, Informationen zu beschaffen, zu prüfen, aufzubereiten und weiterzuverbreiten. In China, Ägypten, Tunesien entstehen dank Internet und engagierter, mutiger  Journalisten demokratische Öffentlichkeiten. Da sollte es doch im freiheitlich-demokratischen Deutschland möglich sein, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die unabhängigen, ernsthaften Journalisten ein Auskommen sichern, auch im Lokalen.

Ansätze dazu gibt es, frische Ideen auch: lokale Online-Zeitungen, Stipendien für investigative Journalisten, Stiftungen, die Zeitungen finanzieren. Woran es noch mangelt, ist ein neuer Typ von Verleger: Unternehmer, die es verstehen, in Erfüllung eines publizistischen Auftrags Geld zu verdienen.

Helfen könnte eine Bundesstiftung Freie Presse, die guten lokalen Journalismus nachhaltig fördert. Wenn sich nur ein Bruchteil der Einnahmen der GEZ (Gebühreneinzugszentrale) dorthin umleiten ließe, ginge es Presse und Demokratie in Deutschland bald wieder besser. (vorwärts Dezember 2011)

  


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