Uwe Knüpfer
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Watergate

17/6/1992

 
Am 17. Juni 1972, um 1 Uhr 52 in der Nacht, wurde eine Polizeistreife zum Hotel Watergate in Washington gerufen. Die drei Beamten ertappten dort fünf Dunkelmänner. Einbrecher mit Handschuhen, Funkgeräten und nagelneuen Hundert-Dollar-Noten in der Tasche, im sechsten Stock, im Wahlkampf-Hauptquartier der Demokratischen Partei. Zwei Jahre später, am 9. August 1974, trat der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zurück, Richard Nixon. Zuvor hatte er noch beteuert: "Ich bin kein Schurke."
Mit einem Polizeieinsatz, der nach Routine roch, begann vor zwanzig Jahren, was sich als der größte Politskandal der amerikanischen Geschichte erwies. Er bescherte dem Hotel mit der geschwungenen Fassade am Ufer des Potomac eine traurige Berühmtheit. Er zerstörte die Ehrfurcht der Amerikaner vor dem Amt des Präsidenten. Er war die Geburtsstunde eines neuen, aggressiven Stils von Journalismus.
(Watergate dient seither als Namensgeber für all die vielen kleineren und größeren Skandale, die gelegentlich das Licht der ôffentlichkeit erblicken, weltweit. Präsident Reagan erlebte sein "Iran-Gate", Deutschland mit dem Barschel-Drama ein "Waterkant-Gate".)
Die Watergate-Story kennt viele Schurken und nur wenige aufrechte Helden. Amerika tröstet sich, das System habe schließlich funktioniert: Verbrechen im Amt wird geahndet, auch Präsidenten haben sich an die Gesetze zu halten. Doch ein schaler Nachgeschmack blieb. Nach Feuerwerk ist niemandem zumute an diesem Jahrestag. Zu viele Fragen, zu viele Zweifel sind nach Watergate geblieben.
Nur weil zwei bis dahin namenlose Reporter der Washington Post, Carl Bernstein und Bob Woodward, sich wie Terrier festbissen an dem Verdacht, der Auftrag zum Einbruch könnte aus dem Weißen Haus gekommen sein, wurde der Skandal nicht schon früh beerdigt. (Nur weil zwei Journalisten, auch der Skepsis und dem Spott vieler Kollegen zum Trotz, hartnäckig blieben, endete die Watergate-Geschichte nicht mit der Verurteilung der Einbrecher und ihrer unmittelbaren Geldgeber, auch nicht mit dem Rücktritt des damaligen Stabschefs im Weißen Haus, Haldeman, im April 1973.)
Die Nation war schockiert, als schließlich unter dem dauernden Druck der Presse Tonbänder veröffentlicht wurden, Mitschnitte von Gesprächen im Oval Office des Präsidenten. Auch sie erbrachten zwar nicht den Beweis, daß Nixon selber von dem Einbruch wußte. Aber die Bänder offenbarten einen erschreckenden, einen zynischen, einen sprachlich vulgären Umgang des Präsidenten und seiner Helfer mit der vom Volk geliehenen Macht. Ein Staatsoberhaupt, das Fäkal-Begriffe in den Mund nimmt und das auch noch aufzeichnen läßt: Das war zuviel. Mit seinem Rücktritt kam Nixon einer Amtsenthebung zuvor. Sein Nachfolger Ford schützte ihn vor gerichtlicher Verfolgung.
(Bis heute weiß niemand, wieviel der Präsident wirklich wußte. Sicher ist nur, seine Leute versprachen sich ausschlachtbare Informationen über den Wahlkampf der gegnerischen Demokraten. Dabei führte Nixon in den Umfragen solide. Im November 1972 wurde er wiedergewählt, man sprach von einem Erdrutschsieg. Der Einbruch war, so betrachtet, völlig überflüssig.)
Bis heute weiß (auch) niemand, wer die Reporter mit den entscheidenden Informationen belieferte. Wer war "Deep Throat"? Noch immer ist das ein beliebtes Ratespiel auf Washingtoner Parties. Die meisten Insider tippen auf Alexander Haig, den Nachfolger Haldemans als Stabschef im Weißen Haus und späteren Außenminister. Weniger spektakulär, aber durchaus plausibel klingt die Vermutung, die Quelle sei im FBI zu orten.
Ohne Watergate wäre die jüngere Geschichte der USA anders verlaufen. So wurde der geradlinige Gerald Ford erst Präsident, dann abgewählt. An seiner Stelle zog der Erdnußplanzer Jimmy Carter in das Weiße Haus ein, brachte Bescheidenheit und Anstand mit. Er scheiterte an sich selbst, am hinhaltenden Widerstand des Establishments in Washington und an dem mißglückten Versuch, amerikanische Geiseln in Teheran militärisch zu befreien. Watergate und Carter erst machten die éra Ronald Reagan möglich. Der gelernte Schauspieler verlieh dem Amt neuen Glanz. Der schöne Schein regierte. Heute stellen die Amerikaner mit Verblüffung fest, der letzte Präsident, unter dem innenpolitische Reformen ernsthaft ins Rollen kamen, hieß: Richard Nixon.
Und Bod Woodward, gefragt, ob sich Watergate wiederholen könnte, antwortete: "Vielleicht hat es sich schon wiederholt, und wir wissen es nur nicht."

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