Uwe Knüpfer
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US-Haushaltsstreit: ein Boxkampf in der 40. Runde

4/1/1996

 
Ein brasilianisches Fußballteam  kommt nicht in die USA - mangels Visa für die Spieler. US-Diplomaten in Moskau pumpen sich Geld, um russische Angestellte zu entlohnen. Die US-Botschaft in Vietnam kann ihre Stromrechnung nicht begleichen: Fernwirkungen des US-Haushaltsstreits zwischen Präsident Clinton und dem republikanisch kontrollierten Kongreß. Das Ansehen der USA im Ausland nimmt Schaden: Die Supermacht spielt Bananenrepublik.

Der Streit gleicht einem Boxkampf, der in die 40. Runde geht: Alle Akteure sind ermüdet, das Publikum ist gelangweilt bis verärgert, mit einem K.O.-Sieg irgendeiner Seite ist längst nicht mehr zu rechnen.

Der Sieger nach Punkten heißt Clinton, aber sein Gegner gibt nicht auf. Die Schläge einstecken müssen eine Dreiviertelmillion Angestellte des Öffentlichen Diesntes. Seit Mitte Dezember warten sie vergeblich auf ihre Gehälter.

Die meisten von ihnen müssen gleichwohl zur Arbeit erscheinen. Anders als in der ersten Runde des Etatstreits im November hat die Regierung diesmal den Großteil ihrer Beschäftigten für unverzichtbar erklärt. Nur 280 000 Bedienstete, ein Bruchteil aller US-Bundesbeamten, haben zuhause zu bleiben, nun schon seit dem 15. Dezember. Oft fielen Weihnachtseinkäufe ins Wasser. Einige Banken bieten ihnen inzwischen aus Kulanz zinslose Darlehen an.

Die meisten Amerikaner aber bemerken wenig von der teilweisen Zahlungsunfähigkeit ihrer Regierung. Post, Militär, Feuerwehr, die meisten Sozialbehörden arbeiten wie gewohnt. Auch ihre Schuldzinsen zahlt die Regierung pünktlich, möglich gemacht durch allerdings teils gewagte Umwegfinanzierungen.

Geschlossen sind einige Museen in Washington und viele "nationale Monumente" - ärgerlich für Touristen. Besonders populäre Nationalparks wie der Grand Canyon waren im November geschlossen, sind jetzt aber erreichbar. Am Grand Canyon zahlt der Staat Arizona vorübergehend die Gehälter der Parkwächter. Portland, Oregon, meldet, daß die Gräber auf einem dortigen Heldenfriedhof verwahrlosen. In Kansas werten Anträge auf Arbeitslosenunterstützung nicht mehr bearbeitet.

Hart getroffen sind das Außenministerium, die US-Umweltbehörde und viele, auch private, Forschungseinrichtungen. Das State Department schickte 6500 seiner 9000 Beamten nach Hause. Die National Science Foundation ist außerstande, überweisungen zur Forschungsförderung zu tätigen. Die nationale Gesundheitsbehörde NIH warnt, die Entwicklung von Impfstoffen für die nächste Grippewelle sei ins Stocken geraten.

In den USA endet das Haushaltsjahr stets am 30. Oktober. Der Kongreß hat schlichtweg die Teiletats für einige Ministerien nicht verabschiedet. Gegen einige Teiletats hat Clinton sein Veto eingelegt.

Der Kongreß, beherrscht von Clintons politischen Gegnern, will den Präsidenten zu einer rigorosen Sparpolitik zwingen. Zu Lasten von Programmen, die Clinton - und dessen treuesten Wählern  - besonders am Herzen liegen. Die Republikaner wollen die Rückkehr zu ausgeglichenen Bundeshaushalten - die im Prinzip auch Clinton will - als Vehikel benutzen, jahrzehntealte Sozialprogramme entweder drastisch zu beschneiden oder gänzlich abzuschaffen. Gleichzeitig planen sie Steuererleichterungen vor allem für Einkünfte aus Kapitalvermögen, sprich für wohlhabende Amerikaner.

Anfang November schickte Clinton erstmals Beamte aus Geldmangel nach Hause. Nach drei Tagen war der Blackout der Regierung beendet: Präsident und Kongreß einigten sich darauf, sich einigen zu wollen, mehr aber auch nicht. Eine befristete Zahlungsvollmacht des Kongresses für die Regierung lief am 15. Dezember aus, ohne daß der Streit in der Zwischenzeit beigelegt worden wäre. Der Kongreß zwang die Regierung erneut in die Zahlungsunfähigkeit. Seit Weihnachten treffen sich Clinton und seine Gegenspieler Dole und Gingrich nahezu täglich. Von Verhandlungsfortschritten ist die Rede, aber sichtbar werden sie nicht. Derweil zerbröselt die Einheitsfront der Republikaner.

Fred Upton, republikanischer Abgeordneter aus Michigan, gestand ein: "Wir haben den PR-Krieg verloren." Die Öffentlichkeit weist mehrheitlich dem Kongreß die Schuld an der Misere in Washington zu, nicht Clinton. Aber, fügte Upton hinzu: "Niemand weiß, wie wir aus dem Schlamassel rauskommen."

Bob Dole, Mehrheitsführer im Senat, zeigt Mitgefühl mit den unentlohnten Beamten und wäre zu Kompromissen bereit, doch seine Truppen folgen ihm nicht. Dole brachte einen Gesetzentwurf ein, wonach die zwangsbeurlaubten Beamten hätten bezahlt werden können. Der Senat stimmte geschlossen zu. Doch im Repräsentantenhaus lief der Gesetzentwurf auf Grund. Dort haben Newt Gingrich und dessen Anhänger das Sagen: ideologische Eiferer aus dem Hinterland, "Freshmen" in der Mehrzahl: Neulinge in Washington und getrieben von radikalem Sendungsbewußtsein.

Clinton nannte die teilweise Handlungsunfähigkeit der Regierung eine "gemachte Katastrophe". Eine "kleine Bande von Extremisten" habe Millionen von Amerikanern als Geiseln genommen. Es werde nichts fruchten, versprach Clinton: Erpressen lasse er sich nicht. Der Boxkampf geht weiter.


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