Uwe Knüpfer
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Unruhen in Los Angeles - Empörung über Freispruch für prügelnde Polizisten

30/4/1992

 
Häuser brannten, die ganze Nacht auf Donnerstag hindurch, Geschäfte wurden geplündert, Autofahrer auf der Straße angehalten, aus ihren Wagen gezogen und blutig geschlagen. Der Bürgermeister von Los Angeles rief den Notstand aus, der Gouverneur setzt die Nationalgarde in Marsch. Amerika erlebte einen Alptraum. All das als Folge eines Urteils.
Zwölf weiße Geschworene hatten vier weiße Polizisten im wesentlichen von der Anklage freigesprochen, einen schwarzen Verkehrssünder mit übermäßig brutaler Gewalt zusammengeschlagen zu haben. Amerikas schwarze öffentlichkeit war schockiert. Und nicht nur sie. Denn die ganze Nation hatte doch mit eigenen Augen gesehen, was damals geschehen war, am 3. März 1991. Ein Anwohner hatte auf Videofilm festgehalten, wie die vier Polizisten auf den 27jährigen Rodney King einprügelten, mit ihren Schlagstöcken, 56 mal, 81 Sekunden lang. Als sie einhielten, war Kings Bein gebrochen, sein Kopf blutig geschlagen.
Auch die Jury hatte den Film gesehen, wieder und wieder. Im Gerichtssaal stand ein Großbildschirm. Die Anklage glaubte gute Karten zu haben. Auch die schwarzen Führer, ohnehin davon überzeugt, daß die Polizei gegen Schwarze viel brutaler vorgeht als gegen Weiße, waren zuversichtlich, nun, endlich, einmal Gerechtigkeit zu erleben - so wie sie es sahen. Zumal selbst Präsident Bush von "beklemmenden" Gefühlen sprach, nachdem er die Videobilder gesehen hatte. Die vier Polizisten wurden vom Dienst suspendiert, der Polizeichef mußte seinen Hut nehmen.
Um so überraschender kam der Freispruch, nach dreitägigen intensiven Beratungen. Selbst die Angeklagen schienen es kaum glauben zu können, klopften sich vor Freude gegenseitig auf die Schulter, umarmten Verwandte. Die Zuhörer im Gerichtssaal hingegen konnten es kaum fassen. Die Menge draußen reagierte empört. Die Geschworenen verließen das Gebäude klammheimlich durch einen Hinterausgang.
Die Nachricht von dem Freispruch machte wie ein Lauffeuer die Runde. Als es Nacht wurde in Los Angeles, brannte es in den Straßen tatsächlich, in Stadtteilen, in denen überwiegend Schwarze leben. Horden von Jugendlichen zogen durch die Straßen, griffen weiße Autofahrer an. Scheiben wurden eingeschlagen. Das Fernsehen zeigte, wie ein Lastwagenfahrer aus seiner Fahrerkabine herausgezerrt wurde, mit Eisenstangen geprügelt, während gleich nebenan ein Spirituosenladen geplündert wurde. Die Schläger schienen sich über die Anwesenheit des Fernsehteams zu freuen, grinsten in die Kameras.
"Das sind keine Demonstranten, das sind Kriminelle," sagte L.A.-Oberstaatsanwalt Ira Reiner. Auch er sei unzufrieden mit dem Urteil, aber: "Wir haben es zu akzeptieren." Präsident Bush reif, beim Abendessen mit Richard von Weizsäcker, seine Mitbürger zu Ruhe und Vernunft auf. In der größten Kirche der Westküstenstadt versammelten sich Tausende schwarzer Gläubiger zu Gebeten und Gesängen. Ein Prediger rief von der Kanzel: "Wir alle sind das Opfer dieser Polizeibrutalität." Das Urteil sei "ein Angriff nicht nur auf die schwarze Rasse, sondern auf die Menschlichkeit an sich." Alle Redner mahnten gleichwohl, keine Gewalt anzuwenden, andere Mittel zu suchen, doch noch Gerechtigkeit zu erfahren. Amerikas wohl prominentester schwarzer Politiker, Jesse Jackson, forderte den Kongreß auf, die Umstände des Urteils zu untersuchen. Das Bundesjustizministerium kündigte an, es werde prüfen, ob die verbrieften Bürgerrechte durch das Urteil verletzt wurden.
Die Straßenunruhen konnten derart schlimme Formen annehmen, weil die Polizei sich zurückhielt. Leitende Beamte sagten, der Anblick Uniformierter hätte die Menge nur weiter gereizt. Auf Feuerwehrleute wurde geschossen, auch auf Polizeihubschrauber.
Sprecher des Gerichts bemühten sich zu versichern, das Urteil habe nichts mit Rassismus zu tun. Die Geschworenen hätten es sich nicht leicht gemacht. Die Verteidigung hatte argumentiert, das Videoband erzähle "nicht die ganze Geschichte." Die Aufnahmen setzten ein, als die Polizisten bereits prügelten.
Sie hatten Rodney King nach einer Verfolgungsjagd gestellt. Er war mit 125 Meilen/Stunde durch die Stadt gerast. Anwalt Michael Stone sagte, die Polizei habe "guten Grund gehabt, den Fahrer zu fürchten." King ist ein Koloß von über hundert Kilo, er war betrunken. Die Beamten, so der Anwalt, hätten zudem annehmen müssen, er stehe unter dem Einfluß der Droge PCP. Der wird nachgesagt, sie setze übermenschliche Kräfte frei. Später wurde festegellt, daß King kein PCP im Blut hatte.
Zudem müsse man die Beamten verstehen, so der Anwalt. Tagtäglich seien sie mit brutaler Gewalt konfrontiert. Stone: "Diese Polizisten werden nicht dafür bezahlt, daß sie Straßenkämpfe verlieren. sie werden nicht dafür bezahlt, sich mit Typen wie Mr. King im Schmutz zu wälzen." Von einer "feinen blauen Linie" sprach der Verteidiger in seinem Plädoyer. einer Linie, die gesetzestreue Bürger von nichtgesetzestreuen trennt. Donnerstagnacht in Los Angeles geriet diese Linie außer Sicht.

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