Aktualisiert 1. November 1985 07:00 Uhr Von Uwe Knüpfer
Karl-Heinz Krahn ist begabt, jung, fleißig, promovierter Ingenieur und diplomierter Physiker und – frustriert. Dabei schien sein Glück schon gemacht an jenem Tag im Frühling 1979, ab er sah, daß eine Idee, die er gehabt hatte, sich tatsächlich verwirklichen ließ.
Krahn ist Laser-Experte. 1979 hatte er eine Assistentenstelle an der Bochumer Ruhr-Universität inne. Er beschäftigte sich damals mit gepulsten Gaslasern und war einer Möglichkeit auf die Spur gekommen, handelsübliche Geräte dieses Laser-Typs in „altes Eisen“ zu verwandeln. Das Besondere an einem gepulsten Gaslaser ist: Er feuert gebündelte Lichtstrahlen in rascher Folge ab, die Löcher oder Schnitte in Oberflächengewebe brennen, ohne darunterliegende Materialschichten zu verletzen.
Mit dieser Art von Laser lassen sich zwar keine Raketen vom Himmel holen, wohl aber – zum Beispiel – Augenoperationen durchführen. Nur leider, und das ärgerte Krahn, haben seine Strahlen gegenüber denen anderer Laser-Typen einen schwerwiegenden Nachteil: Ihr Querschnitt ist nicht rund, sondern eher rechteckig, und die Intensitätsverteilung des Lichts innerhalb dieses Rechtecks ist ungleichmäßig. Um aber mit ihm haarfeine Schnitte machen, ja um ihn besser durch Linsen oder Glasfasern leiten zu können, sollte ein Laserstrahl immer genau in seiner Mitte am hellsten sein.
Karl-Heinz Krahn bewies, was vor ihm niemandem gelungen war; daß auch gepulste Gaslaser einen runden Strahlquerschnitt haben können. Er hatte nämlich eine schlichte, aber gerade eben deshalb genial anmutende Idee: Er verdoppelte – vereinfacht ausgedrückt – das Energiefeld, in dem der Laserstrahl sich aufbaut, und verdrehte beide Felder miteinander zu einem; dies glich nun zwei ineinander verflochtenen Spiralen. Krahns Forscherkollegen in Bochum applaudierten, als eine Versuchsanordnung, wie Krahn sagt, „vom ersten Schuß an“ funktionierte.
Damals ahnte der findige Wissenschaftler noch nicht, was der Volksmund schon seit alters weiß und was Krahn in den folgenden Jahren erst unter Schmerzen zu glauben lernte: Erfinden lohnt sich nicht.
Weitererzählt werden immer nur die Erfolgsgeschichten. Wie der Bikini kreiert, wie der erste Heimcomputer zusammengebastelt wurde. Oder die von dem Mann, der den Reißverschluß erfand, steinreich wurde und die Knopfindustrie in eine Strukturkrise stürzte.
Im Gegensatz zu den Erfindern hat die Industrie aber aus solchen Geschichten Lehren gezogen. Und längst Mittel und Wege gefunden, sich revolutionierende Neuerungen – nicht kostensparende Detailverbesserungen, die sind gern gesehen – solange wie möglich vom Leib zu halten.
Krahn ließ sich seine Idee patentieren; in der Bundesrepublik, in den USA, in Kanada, in Japan. Die Patentgebühren, dachte er, würde er schon vorfinanzieren können und die Einnahmen dürften ja wohl nicht lange auf sich warten lassen.
Doch das war ein Irrtum. Zwar bestärkte ihn auch die Patentstelle für die Deutsche Forschung in München, eine Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft, in der Gewißheit, sein Laser sei eine echte Innovation. Und auf Innovationen warte die Wirtschaft angeblich voller Ungeduld. Die Münchener erklärten sich sogar bereit, potentielle Interessenten auf die Erfindung aufmerksam zu machen.
Krahn wartete, forschte weiter, wechselte von der Uni in die Privatwirtschaft und zurück und – hörte nichts. „Die Reaktion war gleich Null“, sagt er.
Längst schon hatte er aufgegeben, da erkannte ihm eine unabhängige Jury für seine Erfindung den Philip-Morris-Forschungspreis 1985 zu. Krahn freute sich, kassierte 30 000 Mark, kaufte seiner Frau und sich Abendgarderobe, eigens für die Preisverleihung, schöpfte neue Hoffnung und ging erneut mit seinem nun preisgekrönten, Laser hausieren.
Diesmal schrieb er selbst alle deutschen Firmen an, die, soweit bekannt, mit Lasertechnik irgend etwas zu tun haben. Die Adressenliste liest sich wie ein Gotha der heimischen Hochtechnologie.
Das ist nun fünf Monate her. Und jetzt, allmählich, „kommen die Absagen“. Inzwischen glaubt Krahn schon den Inhalt solcher Antwortbriefe zu kennen, bevor er sie geöffnet hat. „Herzlichen Glückwunsch“, steht da, sinngemäß, stets drin, „das ist wunderbar, was Sie da erfunden haben, aber wir brauchen es nicht.“ Die gepulsten Gaslaser mit rechteckigem Strahlquerschnitt verkaufen sich indes, scheint es, noch immer prächtig.
Aber auch in anderen Bereichen sind Innovationen zur Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen offenbar doch nicht so gefragt, wie immer behauptet wird – zumindest dann nicht, wenn die Ideen von Außenseitern kommen. Denn an mangelnder Findigkeit deutscher Tüftler kann es nicht liegen, daß die Arbeitslosenquote partout nicht unter die Zweimillionenmarke sinken will, denn die Zahl der Einfälle hat sprunghaft zugenommen: 1981 verlieh das Deutsche Patentamt nur 9271 Patente, 1984 waren es 21773. „Die erfinderische Leistungsfähigkeit faßt wieder Tritt“, formulierte der Präsident des Amtes, Erich Häußer, im Frühjahr 1985 für die Süddeutsche Zeitung. Und das Handelsblatt schwärmte gar: „Anstieg der inländischen Patente kündet den Innovationsfrühling an.“
Ziemlich parallel zur Zahl der Patentanmeldungen steigt auch die Zahl der Existenzgründungen. Statistisch zwar kaum belegbar, aber dennoch zu vermuten ist, daß immer mehr – meist junge – Menschen all ihre Hoffnung darauf setzen, ihre Erfindung selber zu realisieren oder durch die Vermarktung einer originellen Idee dem Schicksal der Arbeitslosigkeit zu entrinnen.
Es muß nicht immer gleich ein Laser sein. Die größte Gruppe der 1984 angemeldeten Patente hatte mit Mechanik zu tun, gefolgt von Maschinenbau und Elektrotechnik.
Ein typischer selbständiger Erfinder ist der Duisburger Rolf Schaefer. Er hält Dutzende von Patenten in aller Welt. Meist betreffen sie Kleinigkeiten, Verbesserungen im Detail, von denen Schaefer jedoch jahrelang ganz gut leben konnte. Bis auch ihm (scheinbar) der große Wurf gelang. Er erfand ein simpel-raffiniertes Stecksystem für Möbel. Schränke, Regale und selbst ganze Baracken lassen sich damit, das führt Schaefer Besuchern in seinen Firmenräumen gern vor, verblüffend rasch, ganz ohne Schrauben und Beschläge, wasserdicht und beliebig oft zusammensetzen und ebenso leicht wieder auseinandernehmen.
Vor drei Jahren stellte Schaefer sein System auf der Kölner Möbelmesse vor, Alle, die es sahen, erzählt der Erfinder, waren begeistert. Besonders angetan zeigte sich der Chef eines Unternehmens, das Küchenmöbel herstellt. Schaefer: „Ich dachte schon, die greifen zu.“ Doch ganz im Gegenteil. Er könne doch kein Interesse daran haben, wandte sich der Manager zum Gehen, sein eigenes, sich gut verkaufendes Beschlägesystem auf den Müll zu werfen einschließlich aller Maschinen, mit denen nichts anderes herzustellen ist als die herkömmlichen Schraub-Möbel. „Aber was tun Sie denn, wenn einer Ihrer Wettbewerber mein System übernimmt?“ Die Antwort: „Dann ziehen wir nach.“
So jedenfalls erzählt es Rolf Schaefer – ganz ohne Groll. Er ist schließlich selbst Unternehmer. „Ich würde genauso handeln.“
In der Grundlagenforschung, sagte der diesjährige Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, erbrächten die deutschen Wissenschaftler nach wie vor Leistungen, die sich weltweit sehen lassen können. Was den Deutschen aber fehle, so der Nobelpreisträger weiter, sei die Fähigkeit, ihr Wissen, ihre Ideen schneller als andere in verkaufbare Produkte zu verwandeln.
Der Laser-Spezialist Krahn, gewiß ein Patriot, sagt es auf seine Weise, und inzwischen klingt es etwas patzig: „Ich warte jetzt nur noch darauf, daß ein Japaner kommt und fragt: Was willst du dafür? Dann bin ich am nächsten Tag in Tokio.“
- Quelle DIE ZEIT, 1.11.1985 Nr. 45