Anstelle von Tornistern tragen viele amerikanische Schulkinder in diesen Frühsommertagen Wasserflaschen auf dem Rücken. Was aussieht wie eine knallbunte Taucherausrüstung, sind Ersatztanks für Waffen. Diese Kinder sind gerüstet für die ultimative High-Tech-Wasserschlacht. Der letzte Schrei auf dem US-Spielzeugmarkt sind wasserspritzende Maschinenpistolen, "Squirt guns". Sie schießen kraftvoll bis zu zwanzig Meter weit. "Ein reiner Spaß", meint die Herstellerfirma. Einen Jungen in Boston hat der Spaß das Leben gekostet.
Der 15jährige Christopher Miles wurde erschossen, mit einer richtigen Pistole. Aus einer Wasserschlacht war Ernst geworden. Christopher Miles wurde zum Verhängnis, daß viele Amerikaner eine scharfe Waffe bei sich tragen, für alle Fälle. Auch Jugendliche.
Ähnliche Vorfälle wie in Boston ereignen sich tagtäglich an vielen Orten der USA, zum Glück bisher sonst nicht mit tödlichem Ausgang.
An einer Straßenecke in Harlem in New York wurde ein Passant aus Versehen - so jedenfalls sagen die beteiligten Jugendlichen - von einem Wasserstrahl getroffen. Er sah sich einer Gruppe von acht jungen Squirt-gun-Trägern gegenüber. Das Opfer zog blank und schoß zurück. Mit einem Revolver. Zwei Jugendliche liegen jetzt mit Schußwunden im Krankenhaus. "Es war ein heißer Tag, und wir wollten doch nur Spaß haben," erklärte einer der Angeschossenen, "ich weiß nicht, warum der Mann so ausgerastet ist."
In einer Kleinstadt in Pennsylvania spritzten feixende Teenager aus dem fahrenden Auto in die Menge auf dem Trottoir. Jemand aus der Menge schoß zurück. Eine Kugel verletzte ein Mädchen am Arm.
Beliebt ist es auch, anstelle von klarem Wasser Säuren oder Waschmittellösungen in die Tanks zu füllen. Natürlich ist das nicht im Sinne des Erfinders. Ein Sprecher der Herstellerfirma: "Ich kriege es nicht in meinen Kopf, daß in diesem Land Menschen auf die Idee kommen, sie könnten jemanden erschießen, nur weil der sie naß gemacht hat."
Die Innovation auf dem Kinderwaffenmarkt ist ein echter Renner. Binnen kurzem wurde sie millionenfach verkauft. Damit könnte bald Schluß sein. Bostons Bürgermeister Raymond Flynn hat an die Besitzer von Spielzeugläden appelliert, keine Squirt guns mehr zu verkaufen. Bisher ohne Erfolg. Jetzt wird der Ruf laut, dann eben den Verkauf solcher Spielzeugwaffen gesetzlich zu verbieten.
Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Warum den Verkauf von Spielzeugwaffen verbieten, wenn an jeder Straßenecke echte Waffen frei verkäuflich sind? Jährlich werden in den USA rund zwei Millionen Pistolen und Gewehre an den Bürger gebracht. Oft finden diese Waffen den Weg in Kinderhand.
Befragungen zufolge sind in den großen Städten 28 vH aller männlichen Oberschüler schon mindestens einmal mit einer Waffe bedroht worden. Auf 17 vH wurde tatsächlich geschossen. Viele Jugendliche trauen sich nicht mehr unbewaffnet auf die Straße oder in die Schule. Täglich werden in den USA im Schnitt elf Kinder von Kugeln tödlich getroffen.
Der alltäglich Kleinkrieg auf den Schulhöfen gibt jenen Kräften Nahrung, die den Verkauf echter Waffen verbieten oder zumindest strenger kontrollieren wollen. Doch wie immer, wenn diese Diskussion aufkommt in den USA, meldet sich einer der mächtigsten Lobby-Verbände des Landes zu Wort, die National Rifle Association.
Freie Bürger brauchen freie Schußbahn, meint die. Wer dem Bürger das Recht nimmt, eine Waffe zu tragen, liefere ihn wehrlos dem Verbrechen aus.
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