Aktualisiert 17. August 1984 08:00 Uhr
Von Uwe Knüpfer
Horst Fischer beugt sich leicht hinunter zu der henkellosen Tasse aus weißem Porzellan, führt sie zügig zum Mund und saugt den Tee mit einem laut schlürfenden Geräusch in sich hinein. Jetzt hebt er den Kopf, den Blick ins Nirwana gerichtet, bewegt den Schluck sichtlich in seinem Mundraum hin und her und gibt dabei dreimal rasch hintereinander ein Geräusch von sich, das sich als eine Mischung aus Grunzen und Glucksen nur unvollkommen beschreiben läßt. Neben ihm steht, auf Rollen, ein hoher Kupfereimer. Hierin landet die verbrauchte Probe – wie ein ausgekauter Priem.
„Ist in Ordnung“, sagt Horst Fischer. Er ist Teataster – „Teeprobierer“ übersetzt er selbst – bei der Tee-Im- und Exportfirma Hälssen und Lyon im Hamburger Freihafen. Fischers Probier-Kontor ist vollgestopft mit Blechdosen und einer bunten Vielfalt von Teetüten und -tütchen aus aller Welt – soweit sie Tee produziert. An der Wand hängt eine Tafel mit den wichtigsten Devisenkursen, stets auf dem aktuellen Stand. Während Horst Fischer schluckt und gluckst und spuckt, entscheidet er für seine Firma über Ausgabe oder Nichtausgabe mitunter sechsstelliger Beträge. „Ich muß heute schmecken, was der Kunde in einem halben Jahr kaufen will“, beschreibt er sein Geschäft.
Anders als ihre Kollegen in der Kaffee-Branche schließen Teehändler nur in Ausnahmefällen feste Lieferverträge mit Tee-Exporteuren oder Plantagen ab. In der Regel führt der Weg des Tees vom Erzeuger zum Verbraucher über Auktionen; in London, vor allem aber in Kalkutta und anderen Metropolen des Fernen Ostens. Diese Börsenplätze haben eine gewaltige Hausse hinter sich. Länger als ein Jahr kletterten die Teepreise am Weltmarkt auf immer neue Rekordmarken; seit Mai etwa halten sie sich auf hohem Niveau.
Die deutschen Teetrinker haben davon aber bislang kaum etwas zu spüren bekommen. Auch nachhaltige Preisbewegungen am Weltmarkt erreichen den Verbraucher hierzulande erst viele Monate später, mit stark abgeschwächter Wirkung. Dennoch: Anfang 1984 erhöhten einige Marken ihre Preise um rund zehn Prozent, und Experten rechnen mit weiteren Anhebungen noch im Laufe dieses Jahres. Langfristig wird Tee teurer, denn weltweit wird Jahr für Jahr mehr davon getrunken. Einer Ausweitung der Produktion guter Tees sind aber ökologische Grenzen gesetzt.
Im Hamburger Hafen, dem bedeutendsten Tee-Umschlagplatz des Kontinents, lagern ständig rund zehntausend Tonnen dieses haltbaren Genußmittels. Damit kämen Deutschlands Teetrinker ein halbes Jahr lang aus. Aber nicht nur die Händler – also Importeure – sondern auch die Packer – also Vermarkter – halten Lager. Markentees sollen nämlich immer gleich schmecken. Der Geschmack der Blätter wechselt aber von Erntewoche zu Erntewoche, von Plantage zu Plantage. Mischungen wie die „ostfriesische“ oder die „englische“ müssen deshalb ständig neu zusammengesetzt, zusammengeschmeckt werden. Das besorgen die Teataster. Teure Tees verschneiden („blenden“) sie mit preiswerteren, neu angelandete mit schon länger gelagerten Vorräten.
Die hohen Zinsen der letzten Jahre haben die Lagerhaltung verteuert. Viele Packer (nicht Händler!) räumten daher ihre Lager. Auch deshalb konnten sie ihre Preise lange halten.
In Deutschland trinken fast nur Kenner Tee. Deshalb kaufen deutsche Händler in Indien und Sri Lanka stets die besten – und damit teuersten – Sorten und Ernten auf. Die meisten Kenner leben in Ostfriesland. Ein Fünftel aller importierten Tees endet in friesischen Aufgüssen. Teebeutel werden dort nur selten verwandt, und auch bundesweit konnten sie ihren Marktanteil von fast fünfzig Prozent in letzter Zeit nicht mehr vergrößern. Auch der Boom der künstlich aromatisierten Kirsch-, Whisky- und-so-weiter-Tees scheint vorüber. In Skandinavien, Italien und Amerika beginnt er erst, zur Freude der deutschen Händler.
Ein halbes Pfund Tee brüht der statistische Durchschnittsdeutsche pro Jahr auf, drei Kilogramm der Ostfriese, noch mehr verbrauchen nur Briten und Iren.
Seit die Opec-Länder zu Geld gekommen sind, steigt der Teeverbrauch auch im Nahen Osten; In Saudi-Arabien etwa verzehnfachte er sich beinahe zwischen 1977 und 1981. Folgenschwerer noch für den Welt-Teemarkt ist das Bevölkerungswachstum im wichtigsten Erzeugerland, in Indien. Die Inder trinken jährlich etwa um so viel mehr Tee, wie die Bundesdeutschen insgesamt verbrauchen. Allerdings nehmen die armen Inder, anders als die reichen Araber, vor allem mit billigeren Sorten vorlieb, sogenannten „bread-and-butter-teas“. Deren Preise sind denn auch an den Auktionsorten am kräftigsten gestiegen, zumal während des indischen Exportverbots für schlichte, Sorten, das im Dezember 1983 verhängt und erst im Mai angesichts außerordentlich reichhaltiger neuer Ernten wieder aufgehoben wurde.
In Sri Lanka, dem zweitwichtigsten Tee-Exportland, ist die Produktion rückläufig. Nach der Verstaatlichung der Teeplantagen kamen oftmals Personen in leitende Funktionen, die die Kunst des Teeanbaus schlechter beherrschen als die des politischen Ränkespiels. Zudem gehen den ceylonesischen Plantagen die Facharbeiter aus. Die geibten Teeverarbeiter und Pflückerinnen gehören nämlich der tamilischen Minderheit an. Ihre Vorfahren wurden von britischen Plantagenbesitzern einst von Indien her nach Ceylon umgesiedelt. Heute bemühen sich die Regierungen beider Länder um eine Rücksiedlung der Tamilen. Die Folge: Auf den Plantagen arbeiten neuerdings Angehörige der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit, und inzwischen erledigen auch Männer hier und dort die traditionelle Frauenarbeit des Pflückens.
Männer und Frauen traten im April auf vielen Plantagen Sri Lankas gemeinsam in den Streik. Sie setzten durch, daß beide Geschlechter jetzt gleich bezahlt werden. Der Tagelohn beträgt seither umgerechnet 2,20 Mark; Kinder bekommen etwas weniger.
Sri Lanka bezieht rund dreißig Prozent seiner gesamten Exporterlöse aus dem Teegeschäft. Der Staat verdient gleich dreifach: Als Plantagenbesitzer und durch das Erheben von Steuern und Zöllen. Es leben außerdem vom Tee: Broker an den Auktionsorten, Exportfirmen und europäische Händler. Dennoch entfallen von einer Mark, die ein deutscher Verbraucher für Tee ausgibt, nur 25 Pfennig auf die Kosten der importierten Ware. Weitere 25 Pfennig gehen für Kosten und Gewinn des Packers drauf 16 Pfennig kassiert der deutsche Fiskus. Und 34 Pfennig schließlich sind für den Händler reserviert, der den abgepackten Tee dem Verbraucher verkauft. Helmut Grösser vom Deutschen Teebüro: „Die große Handelsspanne ist leider nötig, weil Tee keinen Umsatz hat.“
Die deutsche Teekultur im Blick, könnte Grösser auch von einem Teufelskreis sprechen. Geringer Umsatz der Branche bedeutet für sein Teebüro: vergleichsweise wenig Geld für Werbung. Und so wird die Mehrheit der Deutschen wohl nie lernen, Tee richtig zuzubereiten. Tee, so sagen Experten, könne sein göttliches Aroma nur entfalten, wenn das Wasser sauber, die Aufgußmenge reichlich bemessen und von keinem engen Tee-Ei an seiner Geschmacksentfaltung gehindert ist.
Horst Fischer, der Teeprobierer im Hamburger Hafen, kostet im Schnitt zweihundert Sorten Tee täglich. Jede davon, behauptet er, kann er wiedererkennen. Viele Worte verliert er darüber nicht. Seine Antwort auf die Frage: „Wie schmeckt denn nun der Tee, den Sie gerade getestet haben?“ entbehrt des blumigen Vokabulars seiner Kollegen von der Wein-Zunft: „Gut“.
- Quelle DIE ZEIT, 17.8.1984 Nr. 34