Aktualisiert 13. Dezember 1985 07:00 Uhr Von Uwe Knüpfer
In einen alten Backsteinbau, verwitterndes Monument der großen industriellen Vergangenheit der Stadt, in der er steht, ziehen neue, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Unternehmen ein. Eine Industriebranche mausert sich zum Hoffnungsträger. Junge, unternehmenslustige Menschen füllen das Gemäuer mit High-Tech. Schon macht sich Aufbruchstimmung breit, wo vor noch nicht allzu langer Zeit Trauer und Ratlosigkeit herrschten.
Ein Technologiezentrum, das in Idee und Zielsetzung vielen ähnlichen Einrichtungen in Berlin und im Bundesgebiet sehr ähnlich ist und sich dennoch in einem ganz wesentlichen Punkt davon unterscheidet: Im Technologiezentrum Ruhr (tzr) steckt nicht eine Mark an Subventionen. Es ist die Frucht einer Privatinitiative. Der Stadt Bochum ist das tzr irgendwie in den Schoß gefallen.
Schöpfer des erstaunlichen Zentrums und sein guter Geist in einem, dem Typ Herbergsvater nicht unähnlich, ist Hans Georg Schlaeger. 1970 hat der gelernte Kaufmann, damals 35jänrig, sich in der Sparte Maschinen- und Apparatebau selbständig gemacht. Drei Jahre später nutzte er die günstige Gelegenheit, die unmittelbar am Ruhrschnellweg gelegene Dreherei und Schmiede der stillgelegten Kokerei „Carolinenglück“ in Bochum zu kaufen. Ein großes Gebäude, viel zu groß für Schlaeger allein. Zudem habe er bald – so erzählt er – „auf einem Haufen Maschinen gesessen, die schlecht ausgelastet waren“, als die Konjunktur sich auf den Weg in die Talsohle begab. So kam Schlaeger auf die Idee, einige seiner Räume zu vermieten, und zwar möglichst an solche Unternehmen, denen er und seine Dreher zuarbeiten konnten, Unternehmen zudem, die eine Zukunft zu haben schienen.
Es begann mit Voss electronic, einer Firma, die neuartige Verzinnungsanlagen fertigen und vertreiben wollte. Schlaeger übernahm es, die Anlagen zu bauen, Voss konzentrierte sich auf Vertrieb, Kundendienst und Marketing. Heute sind die Anlagen weltweit begehrt. Jedenfalls unterhält Voss electronic inzwischen sogar eine Niederlassung in Kalifornien.
Bald fanden sich weitere Interessenten. Worüber anderswo kompliziert zusammengesetzte Gremien lange palavern müssen – wer nämlich ins Zentrum aufgenommen wird –, das entschied Schlaeger anfangs ganz allein. Inzwischen sprechen alle Mieter mit: Die neuen Firmen sollen die alten ergänzen. Man will sich keine Konkurrenz ins Haus holen, weil es dann wohl bald mit der Offenheit untereinander aus wäre. Berlin ist stolz auf seinen Gründer-Stammtisch. „Den haben wir jeden Tag“, sagt einer der Bochumer Jungunternehmer.
Acht Unternehmen bewohnen mittlerweile die einstige Schmiede. Sie ist zu eng geworden, soeben wurde ein Anbau hochgezogen. Doch schon haben die tzr-Insassen ein Auge auf eines der Nachbargrundstücke geworfen. Sie kennen, sagen sie, eine Menge Leute, etwa an der Bochumer Ruhr-Universität, die sich gerne selbständig machen und bei ihnen niederlassen würden. Existenzgründer, die das technische Spektrum des tzr erweitern würden.
Bisher finden sich hier, neben Schlaeger und Voss, Fachleute für die Mikrowellenanwendung, Plasmaphysiker, der Konstrukteur eines neuartigen keramischen Gasmotors, Produzenten von speicherprogrammierbaren Steuerungen, Hydraulikexperten und ein „Büro für Umweltschutz und Verfahrenstechnik“.
Dessen Inhaber ist der promovierte Ingenieur Friedhelm Sporenberg. Er vermarktet hier die Kenntnisse, die er beim Aufbau eines gleichnamigen Instituts an der Universität Essen gesammelt hat. Ein knappes Jahr nach seinem Einzug ins tzr beschäftigt er bereits sieben festangestellte und zwei freie Mitarbeiter; in der Mehrzahl ehemalige Studenten von ihm. Sein Büro entwirft, im Auftrag mittelständischer Industrieunternehmen, maßgeschneiderte Anlagen zur Luftreinhaltung und Abwasserreinigung. Es sei „recht gut im Geschäft“, meint Sporenberg, bescheiden lächelnd.
Insgesamt 52 feste Arbeitsplätze bietet das tzr zur Zeit. Zum Vergleich: Das Berliner BIG, das noch immer mit Abstand erfolgreichste der von Politikern kreierten und mit Steuergeldern unterstützten Technologiezentren, beherbergt derzeit 28 Firmen mit zusammen rund 150 festen Arbeitsplätzen.
Für die subventionierte Konkurrenz haben Schlaeger und seine Mieter aber nur Hohn und Spott übrig. Bei der gehe es zwar oft schneller voran, meint etwa der Physiker Hans Beerwald, ein ehemaliger Mitarbeiter der Kernforschungsanlage Jülich, aber dafür werde von vornherein in Kauf genommen, daß ein Großteil der unerfahrenen Existenzgründer, die dort einziehen, nach wenigen Jahren mit einem gewaltigen Schuldenberg auf dem Rücken wieder aufgeben müssen.
Schlaeger, der bekennt, eine „Heidenangst vor der Bürokratie“ zu haben, gesteht den Landespolitikern und Bürgermeistern, die gegenwärtig ihr Heil in der Gründung solcher Zentren suchen, zwar zu, daß sie guten Willens seien, doch „sie verschwenden Steuergelder“. Dabei sind die Mieten selten so niedrig wie im tzr, wo fünf Mark pro Quadratmeter verlangt werden.
Allerdings, das muß zugegeben werden: Dem tzr fehlt es an jedem Chic. Rein äußerlich verhält es sich zu Innovationskathedralen wie etwa dem Technologiezentrum Dortmund mit seinen Baukosten von rund zwanzig Millionen Mark wie ein Fiat 500 zu einem Lamborghini-Zwölfzylinder – aber eben nur äußerlich. Bürgermeistern falle, denken sie an „Zukunftstechnologien“, immer nur die Mikroelektronik, bestenfalls noch die Robotik ein, glaubt Schlaeger. Dabei seien das „längst abgefahrene Züge“, wer erst einmal „fünf Jahre an der Satzung des Trägervereins arbeitet“, bevor er ein Zentrum eröffnet, sei meist fixiert darauf, immer nur das zu kopieren, was in Japan schon läuft. Schlaeger hält das für die falsche Methode, die deutsche Wirtschaft renovieren zu wollen.
Ähnlich gestelzt kommt ihm der Versuch vor, über sogenannte Transferstellen das in den Hochschulen angeblich massenhaft brachliegende Know-how von dort in die Wirtschaft zu lotsen. Da könne man ebensogut Schilder in der Wüste aufstellen, auf denen steht, dort solle es bald üppig grünen.
Technologiezentrum nennt sich die Bochumer Gemeinschaft der High-Tech-orientierten Kleinunternehmer erst seit knapp einem Jahr. Der Vorschlag kam von der örtlichen Industrie- und Handelskammer. Aber natürlich hatten auch Schlaeger und seine Kollegen längst bemerkt, daß ihr seit geraumer Zeit im Stillen realisiertes Konzept anderswo als neue Wunderwaffe im Kampf gegen Verkrustungserscheinungen der Wirtschaft elegisch gepriesen wurde. Inzwischen bereuen sie jedoch die Namensgebung fast schon wieder. Der schöne Titel bringt nämlich auch Probleme.
Die Stadt Bochum muß mit der peinlichen Tatsache fertigwerden, daß sie schon besitzt, was sie doch gerade erst planen wollte. Eigentlich sollte in Uni-Nähe ein ähnlich schickes Zentrum entstehen, wie es Dortmund hat. Und was ist mit dem schönen Geld, daß die EG alten Stahlstandorten just für die Schaffung solcher Zentren bereitgestellt hat? Das droht jetzt an Bochum vorbei, ausschließlich in die Nachbarstädte zu strömen.
Mindestens muß jetzt rasch ein Trägerverein her für das tzr. Damit es bald ordentlich, nämlich „institutionalisiert“, an Kommune, Uni und Handelskammer angebunden ist. Schlaeger und die anderen scheinen durchaus bereit, der Vereinsgründung zuzustimmen, wenn auch unter Bauchschmerzen. Immerhin winkt die Aussicht, auf diesem Weg endlich an eins der begehrten Nachbargrundstücke zu kommen.
Vielleicht spendiert der Verein den tzr-Bewohnern ja auch eine zentrale Telephonanlage – bisher hat jeder seinen eigenen Anschluß – und läßt einen Innenarchitekten kommen, der für das vornehme Äußere sorgt. Dann fände das Bochumer Selfmade-Zentrum möglicherweise auch vor den Augen der Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) Gnade. Das Karlsruher Institut hat die derzeit gängigste Definition dessen ausgegeben, was ein echtes Technologiezentrum von einem schlichten Gewerbehof oder auch nur von einem Gründerzentrum unterscheidet. Danach, so Michael Meyer vom ISI, fällt das tzr durch alle Definitionsraster. So etwas ist schlicht nicht vorgesehen. Es fehlt der Manager und „das Beratungselement fällt raus“, sagt Meyer. Es mangele zudem an Gemeinschaftseinrichtungen, wie etwa der zentralen Telephonanlage oder einem Schreibbüro. Zudem sei der Bau „nicht so repräsentativ. Das ist ja oft ein Problem.“
Aber auch Friedhelm Sporenberg, der Umweltschutz-Ausrüster mit Geschäftskontakten quer durch die ganze Republik, hat ein Problem. Er will den Zusatz „Technologiezentrum Ruhr“ wieder aus dem Briefkopf seines Unternehmens streichen: „Leute, die uns nicht kennen, denken sonst, das sei wieder eine dieser jungen Firmen, die zu schwach sind, um auf eigenen Füßen zu stehen.“ So etwas habe er leider schon hören müssen.
Hans Georg Schlaeger will mit dem Titel Technologiezentrum aus ähnlichen Überlegungen heraus ebenfalls auf keinen Fall Reklame machen: „Am Ende werden wir mit Berlin und Syke in einen Topf geworfen.“
- Quelle DIE ZEIT, 13.12.1985 Nr. 51