Aktualisiert 7. September 1984 08:00 Uhr Von Uwe Knüpfer
Ideen verbreiten sich manchmal wie Gerüchte: in Windeseile. Kaum galt die Erkenntnis ab gesichert, die deutsche Wirtschaft habe auf dem Gebiet der Mikroelektronik den Anschluß verpaßt, schien auch schon ein Instrument gefunden, die Schlappe wettzumachen, den Abstand aufzuholen: Technologieparks kombiniert mit Gründerzentren. Die Idee kam aus Amerika und heißt dort science park. Berühmtheit erlangte vor allem das kalifornische Silicon Valley. Dort hatten in enger Nachbarschaft zur Stanford University schon ab 1948 junge Wissenschaftler Unternehmen gegründet, die ihnen selber Reichtum und der Region Wohlstand brachten.
Am schnellsten waren die Berliner, angeführt von Wirtschaftssenator Elmar Pieroth. Ihr Innovations- und Gründerzentrum (BIG) auf dem alten AEG-Gelände im Wedding, Ende 1983 eröffnet, wurde zum Prototyp des neuen Instruments kommunaler und landespolitischer Wirtschaftsförderung, das sich offenbar nicht beschreiben läßt ohne inflationäre Verwendung der vier Werte Technologie, Innovation, Zukunft und Gründer. Glaubt man Presseberichten und den Absichtserklärungen der Bürgermeister, ist die Bundesrepublik inzwischen auf dem Wege, sich in eine gigantische Silicon-Tiefebene zu verwandeln.
Die Heftigkeit des Gründerbooms überraschte selbst seine Initiatoren. Seit dem Frühjahr – außer BIG war noch kein Zentrum wirklich in Betrieb – mehrten sich deshalb die kritischen Stimmen. Von einer „Modewelle“ war plötzlich die Rede, von unsinnigen kommunalen Konkurrenzkämpfen um neue Prestigeobjekte in der Nachfolge von Rathäusern und Badeanstalten. Der Gründerwelle werde zügig eine Pleitewelle folgen, ließen prophetisch begabte Experten sich zitieren. Was erst als Vorbild galt – BIG in Berlin – wurde nun als einzigartig, unkopierbar hingestellt.
Die Planer all der neuen Parks, Zentren und Fabriken wollen vor allem dreierlei:
- einen engeren Zusammenhang herstellen zwischen Forschungsinstituten und Unternehmen; durch räumliche Nähe zueinander und personelle Bindungen untereinander.
- Firmengründungen junger Wissenschaftler und anderer Pioniere mit unternehmerischer Neigung erleichtern, die zwar zündende Ideen, aber wenig Kapital und ökonomische Erfahrung besitzen. Preiswerte Räume, technische Dienste, Beratung und Finanzierungshilfen sollen ihnen aus den Startlöchern helfen.
- Arbeitsplätze schaffen.
Programmatisch verweisen die Berliner auf die „anderen“ Gründerjahre, die nach 1871. Schon sprechen sie von der „Technologiestadt Berlin“. Alle sechs Wochen treffen sich Jungunternehmer, Finanzbeamte, Mitarbeiter der Industrie- und Handelskammer und Steuerberater am „Gründerstammtisch“. Sie alle eint eine Aufbruchstimmung, ohne die „nichts laufen würde“ (BIG-Koordinator Heinz Fiedler).
Beflügelnd wirken mag dabei der rege Besucherverkehr im BIG. In den ersten sechs Monaten seines Bestehens haben sich schon rund 2200 Menschen durch das Zentrum führen lassen, Beobachter multinationaler Konzerne ebenso wie nachahmungswillige Kommunalpolitiker.
Herbert Krist vom Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) der Fraunhofer-Gesellschaft in Karlsruhe schätzt, daß es derzeit bundesweit rund fünfzig ernsthaft betriebene BIG-Nachahmungsprojekte gibt – „mit sehr unterschiedlichen Qualitäten“. Mindestens hundert weitere Bürgermeister hätten die vage Absicht bekundet, ihre Gemeinden auf diesem Weg in die technologische Neuzeit zu führen. Das ISI veranstaltet Seminare, in denen es Kommunalpolitiker über „ausländische Erfahrungen bei der Gründung, Finanzierung und beim Management von Zentren für junge Unternehmer“ aufklären will.
Zumindest teilweise schon mit Leben erfüllte Gründerzentren gibt es, außer in Berlin, momentan nur in Karlsruhe und Aachen mit jeweils sieben Mietern, in Kassel (23 Mieter) und in Schwerte (drei Mieter). In Vorbereitung befinden sich beispielsweise Zentren in Hamburg, Syke, Buxtehude, Hildesheim, Hannover, Dortmund und Duisburg, Saarbrücken, Stuttgart, Ulm und Heidelberg.
Vor allem im Norden und Westen der Republik wird rege geplant. Kein Wunder, denn die Länder Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben Förderprogramme aufgelegt. Sie locken technologiefreudige Kommunen und Jungunternehmer mit Millionenbeträgen. Allein der Düsseldorfer Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen hatte in diesem Jahr und zu diesem Zweck 45 Millionen Mark zu vergeben.
Wer solche Hilfen richtig zu nutzen weiß, braucht nicht viel eigenes Geld zu riskieren. Die Stadt Buxtehude, in Niedersachsen nahe bei Hamburg gelegen, hat ihr „Technologiezentrum“ so konzipiert, daß sie selbst nur ein Fünftel der Kosten tragen muß. Die Saarbrücker rechnen mit EG-Zuschüssen aus dem Programm zur Rekultivierung von Industriestandorten. Die Landesregierung von Baden-Württemberg arbeitet noch an einem Konzept für „Technologiefabriken“. Schon in wenigen Monaten soll aber auch im Südwesten den Gemeinden das neue Instrument kommunaler Wirtschaftsförderung mit mehr als nur mit guten Worten schmackhaft gemacht werden.
Die Jungunternehmer selbst erhalten Geld vom Bundesminister für Forschung und Technologie – sofern sie sich mit Mikroelektronik befassen. Das Modewort Technologie benutzen viele Wirtschaftsförderer ohnehin bedeutungsgleich mit Mikroelektronik.
In funktionierenden Gründerzentren im Ausland aber arbeiten nicht nur Elektroniker, sondern oft auch klassische Handwerksbetriebe. Erfahrungen in den USA und den Niederlanden lehren: Technologieparks und Gründerzentren sollte man auseinanderhalten. Das erste taugt für wenige, das zweite aber möglicherweise für sehr viele deutsche Städte.
In den Niederlanden etwa wird die Zahl solcher Einrichtungen – bereits bezogen oder im Bau befindlich – auf rund 140 geschätzt. Nur fünf oder sechs davon sind reine Technologiezentren, in die nur einziehen darf, wer auf dem Gebiet der Mikroelektronik tätig ist. Die meisten dieser Zentren gleichen eher Gewerbehöfen. Sie sorgen dafür, daß in stillgelegte Fabrikanlagen wieder Leben einzieht: Wo sich ein Großunternehmen, aus welchen Gründen immer, nicht mehr halten konnte, gedeihen einige Dutzend kapitalschwacher Kleinbetriebe. Sie teilen sich nicht nur Gebäude- und Energiekosten. Gemeinsam finanzieren sie – über eine Trägergesellschaft –, was sich jeder von ihnen allein nicht leisten könnte: digitalisierte Telephonanlagen, Kopiergeräte, Telex und Fernkopierer, Konferenzräume, einen zentralen Schreibdienst.
Gründerzentren dieser Art, glaubt Herbert Krist vom ISI, könnten auch in Deutschland vielerorts erfolgreich sein. Sie dürften sich dann freilich nicht als rein „technologieorientierte Durchlauferhitzer“ verstehen, sie dürften nicht, wie viele Kommunen das planen, ihre Mieter nach drei, vier oder fünf Jahren wieder an die Luft setzen. Kurz: Sie dürfen sich weder am kalifornischen noch am Berliner Vorbild messen.
Ideenbrutstätten solchen Kalibers können bestenfalls dort entstehen, wo leistungsfähige Forschungseinrichtungen schon angesiedelt, Spitzenunternehmen der Elektronikbranche schon beheimatet sind. Krist räumt unter diesem Aspekt vor allem Karlsruhe und München Chancen ein. Enorme Forschungskapazitäten hat auch das Ruhrgebiet zu bieten. Die Industrie- und Handelskammern dort halten neuerdings engen Kontakt zu einigen Universitätsfakultäten. Vom Kommunalverband Ruhrgebiet besonnen moderiert, scheint ihnen der Durchbruch durch die Abwehrfront der Kohle- und Stahlproduzenten inzwischen gelungen zu sein, die jahrelang jeden Umstrukturierungsversuch in der Region zu blockieren wußten. Auch Aachen, mit seiner renommierten Technischen Hochschule und der Kernforschungsanlage Jülich nahebei, träumt vielleicht nicht nur von einer siliconträchtigen Zukunft.
Technologieparks hier und da, Gründerzentren aber allerorten, das könnte, zeigt der Blick nach Holland, eine Perspektive sein. Das könnte auch eine Methode sein, sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Zunächst sollten die Erwartungen allerdings nicht zu hoch geschraubt werden: Im BIG finden gegenwärtig, neben den Gründern, 56 Menschen Arbeit; auf 80 soll ihre Zahl bis zum November steigen. Die Karlsruher Technologiefabrik soll einmal 150 bis 200 Mitarbeiter beschäftigen. Die aktuelle Zahl der Beschäftigten in Aachen: drei.
Die Betreiber der Zentren hoffen aber auf Multiplikatoreffekte. Einzelne Neugründungen werden wachsen und ausziehen. Eine Garantie, daß die Unternehmen dann in der Nähe ihrer Brutstätte bleiben und nicht etwa von Buxtehude nach Berlin oder von Berlin nach München umziehen, gibt es natürlich nicht. Die sichersten Arbeitsplätze sind die bei den Trägern der Zentren selbst; im Schreibdienst, in der Pförtnerloge, in der Verwaltung.
Und die solidesten Firmengründungen sind die, deren Unternehmenszweck im Zentrum selbst begründet liegt. Unter den Jungunternehmern, die bereits ihre Absicht bekundet haben sollen, in das geplante Technologiezentrum Buxtehude einzuziehen, befinden sich vier, die davon leben wollen, ihren späteren Kollegen Dienstleistungen anzutragen: Spezialisten für Marketing, industrielles Design, für „strategische Unternehmensplanung“.
Ein Unternehmen hat sich dieser Aufgabe bereits in großem Stil angenommen und ist dabei erfolgreicher als die meisten Politiker: In Großbritannien, wo die Stahlkrise früher begonnen hatte ab hierzulande, gründeten Manager der British Steel Corporation 1980 ein Unternehmen mit dem vielversprechenden Namen Job Creation Ltd. Zuerst auf der britischen Insel, dann in den Niederlanden, in Spanien, Belgien, Irland, den USA und jetzt auch in der Bundesrepublik, nämlich in Kassel, verwandelte Job Creation alte Industrieanlagen in Gewerbehöfe.
In Kassel nahm, sich das Unternehmen der verlassenen Enka-Werke an. Bis jetzt hat es dort 23 Kleinunternehmen ansiedeln können, darunter zwölf neugegründete. Neben Labors und High-Tech-Werkstätten ist hier Platz für alternative Bäckereien und auch für Unternehmer, die schlicht und einfach Lagerhallen suchen. Einen ausrangierten Eisenbahnwaggon baut sich eine Arbeitslose zur Cafeteria um.
„Um die siebzig“ Personen haben auf dem Enka-Gelände inzwischen wieder Arbeit gefunden, sagt der Projektleiter, Keith Freestone. Fünf- bis achthundert sollen es in drei Jahren sein. In England will Job Creation auf diese Art mittlerweile 18 000 Erwerbslose von der Straße geholt haben. Das Unternehmen kassiert Erfolgsprämien für jeden Arbeitsplatz, der nicht nach zwei Jahren wieder verschwunden ist. Freestone: „Wir arbeiten mit Gewinn.“
- Quelle DIE ZEIT, 7.9.1984 Nr. 37