"Ich hatte einen Traum," hat Ross H. Perot einmal gesagt, den Traum, eine Perle zu sein: "Aber mit meinen großen Ohren, wußte ich, war das unmöglich." Zur Zeit träumt der texanische Milliardär einen neuen Traum: George Bush abzulösen im Weißen Haus, Präsident zu werden der Vereinigten Staaten von Amerika, bei den Wahlen im November. Dem scheinen zumindest Perots Ohren nicht im Weg zu stehen: In mehreren Meinungsumfragen liegt der politisch unabhängige Milliardär aus Texas derzeit vor Bush und Bill Clinton von den Demokraten.
Am Montag karrten begeisterte Perot-Anhänger mehr als 200000 Unterschriften ins texanische Landesparlament. Unterschriften von Bürgern, die Perots Namen im November auf dem Wahlzettel finden möchten. Nur knapp 55000 Unterschriften wären nötig gewesen. Aber zumindest Texas ist im Moment im Perot-Rausch. Dem Außenseiter lacht die Gunst der Stunde.
Normalerweise gibt es in den USA zwar viele Möchtegern-Präsidenten, aber nur zwei ernsthafte Kandidaten. Einen stellt die Republikanische Partei - es wird im November wieder George Bush sein -, einen die Demokratische - voraussichtlich Bill Clinton, den Gouverneur von Arkansas. Für Außenseiter sind die Hürden hoch. Doch Perot könnte sie meistern.
Bis heute hat der Selfmademan formell offengelassen, ob er überhaupt antreten will. "Jeder, der intelligent genug ist, diesen Job zu meistern, ist auch klug genug zu wissen, daß es der schlimmste Job der Welt ist," beschrieb er das Amt des US-Präsidenten. Andererseits hat er im Februar, in einer Fernsehshow, versprochen, er werde kandidieren, wenn, ja wenn ihn die Wähler in allen 50 Bundesstaaten aufs Podium hieven. Das heißt, wenn in jedem einzelnen Staat die jeweils verlangte Menge von Unterschriften zusammenkommt. Bisher ist das außer in Texas erst in Tennessee und Utah gelungen.
Wenn bis Ende Juni Perot wirklich in allen Staaten auf dem Wahlzettel stehen sollte, wenn also der Ruf des Volkes nach dem Mann aus Texas unüberhörbar geworden sein sollte, dann, versprach Perot, werde er 100 Mio Dollar aus seinem Privatsäckel in den Wahlkampf investieren. Schon jetzt hat er erste Berater engagiert.
Andere Kandidaten müssen Geld sammeln und den Staat zur Kasse bitten, auch Bush, um Anzeigen und Mitarbeiter bezahlen zu können. Perot ist abzunehmen, daß er dies nicht nötig hat. Allein für den Verkauf seines Unternehmens Electronic Data Systems 1984 an General Motors hat er 2,5 Mrd Dollar kassiert.
Seit Februar schossen in vielen Staaten und Gemeinden Pro-Perot-Komitees aus dem Boden. Die Fernsehanstalten reißen sich um den Eventuell-Kandidaten. Auch ohne eigene Dollars zu investieren, hat Perot so schon mehr Sendeminuten zu besten Zeiten bekommen als jeder andere Kandidat, Bush vielleicht ausgenommen. Auch die Zeitungen laufen über von Perot-Geschichten.
Stoff bietet die Vita des 61jährigen in Hülle und Fülle. "Ich bin keine Legende," kokettiert Perot mit seinem Image als Kreuzritter im Kampf gegen bürokratische Behäbigkeit und parteipolitischen Leerlauf, "ich bin ein Mythos."
Als Kind in einem Ort namens Texarcana trug er Zeitungen aus, er ging zur Marine-Akademie, wurde Verkäufer bei IBM. Dabei kam er auf die Idee, noch besser als Computer zu verkaufen könnte es sein, Computerzeiten zu verkaufen. Weil sein Arbeitgeber darauf nicht ansprang, kündigte Perot und gründete seine eigene Firma, Electronic Data Systems, angeblich mit anfangs tausend Dollar, die er sich von seiner Frau geliehen hat.
Perot führte sein Unternehmen wie ein Patriarch, steil aufwärts zum Erfolg. Trotz oder wegen seines straffen Regiments - Bärte waren verpönt, uniformierte Kleidung war vorgeschrieben - gingen aus dem Mitarbeiterstab der Firma die bis heute gläubigsten Perot-Fans hervor. "Boss" Perot geht seither der Ruf voraus, aufzuräumen, wohin er auch geht, mit einer ebenso festen wie glücklichen Hand.
Daß aufgeräumt wird, wünschen sich im Wahljahr 92 viele Wähler auch für Washington. Und Perot tut alles, sich vom ängstlichen Politik-Stil a la Bush abzusetzen. Er erwähnt zwar nie den Namen des "Amtsinhabers", läßt aber jeden merken, was er von Bush hält: ein netter Kerl, aber völlig unqualifiziert für Aufgaben, die einen ganzen Mann erfordern. Eben einen wie Perot.˙ Der zur Zeit unbeschäftigte Unternehmer bietet einfache Lösungen an, wo "die Politiker" tricksen, eiern, zögern, Kompromisse schließen. Freilich, ohne je genau zu sagen, was und wie er denn nun täte, würde er tatsächlich Präsident.
Am Anfang der Perot-Begeisterung reichte das. Es reichte, um Begeisterung zu wecken, daß der VielleichtƒKandidat versprach, er werde die Verschuldungskrise des Landes beenden. Schließlich hatte Perot doch bewiesen, daß er mit Geld umgehen kann. 400 Mrd Dollar seien locker einzusparen im Haushalt des Bundes, ließ der Texaner in frühen Interviews vollmundig fallen.
Inzwischen wird schon mal nachgefragt: Wo denn?
Seit Perot ernst genommen werden muß als Kandidat, sind die Winde rauher geworden, die ihm auf seinem erhofften Siegeszug ins Weiße Haus entgegenwehen. Wird nachgehakt, weicht der Texaner aus. 180 Mrd Dollar würden schlicht "verschwendet", behauptete Perot. Zum Beispiel wofür, in welchen Etats genau? Perot bittet um Bedenkzeit, beruft sich auf Quellen im Weißen Haus, die er erst nicht namentlich nennen will, dann doch enttarnt, und die dann prompt dementieren.
100 Mrd Dollar will er von Deutschland und Japan kassieren, versprach Perot; als Beteiligung an den US-Militärkosten in öbersee. Doch seit es sich in den USA herumgesprochen hat, wie teuer die deutsche Einigung tatsächlich ist, schwindet der Glaube, die Ausländer könnten und wollten den amerikanischen Haushalt sanieren.
Auch Perots Mythos wird neuerdings seziert. So die hundertfach nacherzählte Geschichte, wie der Texaner eigenhändig zwei Angestellte 1979 aus einem iranischen Gefängnis befreite, nachdem diplomatische Bemühungen der Regierung gescheitert waren.
Eigens hatte der Milliardär Mitarbeiter seiner Firma für ein Militärkommando @M9 @M1trainieren lassen, war mit ihnen nach Teheran geflogen. Doch die Männer kamen gar nicht zum Einsatz, erfährt man jetzt. Anti-Schah-Demonstranten stürmten das Gefängnis und befreiten alle Insassen, darunter auch die zwei Perot-Angestellten.
Auch muß sich Perot vorhalten lassen, sein Vermögen großteils dank Aufträgen aus Washington gemacht zu haben. Das verträgt sich schlecht mit dem Bild eines Mannes, der angeblich auf Steuergelder pfeift. Aus dem Weißen Haus wurde zudem geschickt gestreut, Perot sei ein enger Berater des Präsidenten Nixon gewesen, mitnichten also ein Außenseiter im politischen Getriebe der Hauptstadt.
Perot reagierte dünnhäutig auf Anwürfe dieser Art. Seither wächst der Zweifel im Lande, ob er einen wirklich harten Wahlkampf durchstehen könnte.
Der Traum von der Perle und den großen Ohren ging noch weiter. Perot erzählte davon, als ihm der britische Prinz Charles den Winston-Churchill-Preis überreichte, 1986: Er habe begriffen, so der Geehrte, daß er zwar keine Perle sein kann - wohl aber das Sandkorn, daß die Auster anregt, eine Perle zu bilden.
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