Die Demontage des Ross Perot hat schon begonnen. Der Mythos des Milliardärs aus Texas bröckelt. Dabei steht der eigentliche Kampf ums Weiße Haus in Washington erst noch bevor.
Wie zuvor dem vermutlichen Kandidaten der Demokraten, Bill Clinton, setzen nun ganze Heerscharen von Reportern dem Außenseiter aus Texas zu, durchleuchten seine Vergangenheit, nehmen jedes Staubkorn unter die Lupe, das sie unter Perots Teppich finden können.
Es ist unwahrscheinlich, daß der nächste Präsident der Vereinigten Staaten Ross Perot heißen wird. Aber: Allein daß dies denkbar wäre, allein daß die Kandidatur eines Mannes ernstgenommen wird, der vom Politikbetrieb nichts hält, sagt viel über den Zustand, in dem Amerika sich nun befindet.
Mitten im Wahljahr ist die letzte Weltmacht der Erde so verunsichert wie lange nicht mehr. Das war schon vor den Unruhen von Los Angeles so. Das hat sich durch die Unruhen verstärkt. Im Lande herrscht ein starkes Gefühl: So wie bisher geht es nicht weiter.
Die schönen Träume der Reagan-Jahre sind verflogen. Reagan, dem einstigen Schauspieler, war es gelungen, dem Volk inmitten aller Malaise immerhin das Gefühl zu vermitteln, in einem großartigen Land zu leben, wundervoll regiert zu werden. Unter Reagans Nachfolger George Bush bröckelte der Lack vom schönen Bild. Zumal die Wirtschaft, in den ersten Reagan-Jahren boomend, sich in einem langen Tunnel befindet. Nur ganz winzig ist von fern ein Licht zu erspähen.
Die Politik des schönen Scheins und der militärischen Stärke hat zwar die Sowjetunion in die Knie gezwungen, aber auch ein Amerika hinterlassen, in dessen Innenstädten sich außerhalb der Geschäftsviertel seit zwanzig Jahren nichts getan hat. In Schulen bröckelt der Putz, Brücken rosten, viele Gemeinden können kaum ihren Sheriff bezahlen. Mit Entsetzen blicken die USA in den Spiegel und erkennen ein Gesicht mit vielen Wunden und Narben.
Wieviele arm sind, wie viele obdachlos in diesem Land, wurde lange verdrängt. Wie sehr die Reagan-Bush-Jahre die Kluft vertieft haben zwischen den wenigen sehr Reichen und den vielen sehr Armen, lange wollte es niemand wissen. Jetzt rufen die Amerikaner es sich umso lauter ins Bewußtsein zurück.
In dieser Situation wächst die Sehnsucht nach "leadership", nach einer politischen Führung, die Probleme nicht schönredet und medienwirksam Themen besetzt, sondern Probleme löst und die Nation zusammenführt. Weder Bush noch - bisher jedenfalls - Clinton wird das zugetraut.
Das ist der Boden, auf dem eine Kandidatur Perot gedeihen kann. Ob der Außenseiter aus Texas nun antritt oder nicht, ob er gewählt wird oder nicht, ob er am Ende Bush mehr Stimmen wegnimmt oder Clinton - er wird tiefe Spuren hinterlassen in Washingtons politischer Landschaft. Niemand wird gewählt werden, der nicht glaubhaft Perots Botschaft aufgreift: Es muß gehandelt werden im Lande.
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April 2020
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