Die Unruhen fanden an den breiten Straßen statt. Mit am schlimmsten hat es die Vermont Avenue getroffen. Sie erinnert an Bilder aus dem Golfkrieg, aus Bagdad, an die Einschläge präzisionsgesteuerter Raketen. An der Kreuzung Vermont Avenue/Martin-Luther-King Boulevard stand ein kleines Ladenzentrum. Das Reklameschild steht noch und die Filiale von Popeye’s, einer Fast-Food-Kette. Vom Rest ist nicht mehr geblieben als angekokelte Dachlatten, verbogenes Metall, geschmolzenes Plastik.. An einem Mauerrest klebt ein Flugblatt. Reklame einer Baufirma, die auf Renovierungen spezialisiert ist; auf "Remodeling". Popeye’s ist öffnet, der Betrieb läuft normal. In in der Martin-Luther-King-Highschool auf der anderen Straßenseite wird längst wieder unterrichtet. Nicht nur Fast-Food-Läden, auch die Schulen blieben verschont. Nicht ein einziges Unterrichtsgebäude in Los Angeles hat gebrannt in jenen drei blutigen Tagen. Die University of Southern California war umzingelt von Feuern. Doch kein Plünderer hat den Campus betreten. Die Universität, vor 120 Jahren gegründet, nach dem blutigen Bürgerkrieg, der Nord und Süd der Vereinigten Staatenauseinanderriß, ist der "Suche nach der Wahrheit" gewidmet, "der Freiheit des Gedankens und der Diskussion, der unvoreingenommenen Analyse, ... dem Fortschritt der Menschheit". So steht es an einem Brunnen zu lesen unweit vom George-Lucas-Buildung, der Schule für Fernsehen und Film. Hier reift Hollywoods hoffnungsvoller Nachwuchs heran. Wer es schon geschafft hat in der Traumfabrik, die Reichen, Schönen und Mächtigen, sie wohnen weiter im Norden, dort, wo die Berge beginnen, in Beverly Hills. Hier enden die Avenues. Auch hierhin ist kein Plünderer gekommen. Der weiße Mittelstand wohnt weder hier noch in der Innenstadt, sondern weit draußen im Süden, in Gemeinden, die Ontario heißen oder Irvine. Vor vierzig Jahren wuchsen dort nur Zitrusfrüchte. Orange County heißt der Landkreis. Aus Plantagen wurden Firmensitze und Wohngebiete. Hier ist heute eine Hochburg der Rüstungs-und Elektronikindustrie. Und der Republikanischen Partei, bisher jedenfalls. Während der republikanische Präsident Bush das Katastrophenzentrum im Ambassador Hotel besuchte, machte sein Konkurrent von den Demokraten, Bill Clinton, gerade Wahlkampf in Irvine. Eingeladen hatte ihn, auf eine Bühne zwischen Firmensitz und Parkplatz, der Chef der Western Digital Corporation, Roger Johnson. Vor vier Jahren sammelte Johnson Spendengelder für Bush, vorher für Reagan. Jetzt macht er sich für Clinton stark. Der rief seinen Zuhörern zu, er komme nicht als Demokrat oder Republikaner, sondern "zuerst als Amerikaner". In Zeiten wie diesen müsse die Nation zusammenstehen. Ehemalige Soldaten will Clinton zu Lehrern und Entwicklungshelfern für die Innenstädte umschulen lassen, der schrumpfenden High-Tech-Industrie verspricht er neue Staatsaufträge. Nicht mehr zugunsten der Rüstung, sondern zum Aufbau neuer Verkehrs- und Glasfasernetze. Der Applaus war freundlich. Einige Zuhörer trugen Ross-Perot-Buttons. In den USA gibt es keine Meldepflicht. Wer an Wahlen teilnehmen will, muß sich eintragen lassen. Den Koreanern von Los Angeles war das bisher nicht wichtig. Nur rund 50000 von ihnen sind als Wähler registriert. Die meisten waren zufrieden, so wie es war im Land. Das hat sich geändert. Jerry Woos Organisation will die Zahl der koreanischen Wähler bis zur Präsidentschaftswahl im November verdoppeln. Niemals zuvor in der amerikanischen Geschichte, klagt Woo, mit temperiertem Zorn in der Stimme, habe die Polizei untätig danebengestanden, wenn unschuldige Bürger ausgeraubt wurden. Die von Weißen beherrschte Justiz sei gegenüber Asiaten eben genauso einäugig wie gegenüber Schwarzen. "Wir müssen Einfluß nehmen auf die Politik. Wir müssen als ein Block auftreten." Und wen werden die Koreaner wählen? "Nicht die Amtsinhaber," sagt Woo. Wahrscheinlich Clinton. Von Perot, dem Milliardär aus Texas, möglicher dritter Kandidat im Rennen, wisse man nicht, was er eigentlich will. Die Koreaner wollen jetzt nicht nur wählen, sondern auch aktiv mitwirken beim Wiederaufbau der Stadt. Peter Ueberroth. der Organisator der Olympischen Spiele von 1984, ist Chef einer kommunalen Aktionsgemeinschaft. An vielen Stellen in der Stadt verkünden Tafeln: "Gemeinsam werden wir es schaffen". Darunter steht eine Telefonnummer. Jeder ist eingeladen, mitzumachen. Auch die schwarzen Jugendbanden wollenmitmachen. Zumindest versichern das ihre Führer. Seit Wochen hält ein Waffenstillstand zwischen den "Bloods" und den "Crips". Kein Stadtteil in Süd-Los Angeles, in dem nicht an jeder kahlenHauswand geheimnisvolleGraffiti verkündeten, welche Bande hier der Herr im Viertel ist. Die meisten Morde in der Stadt sind traditionell das Resultat von Rachefehden zwischen Crips und Bloods. Mitglieder beider Gangs versammeln sich jetzt an Wochenenden in Parkanlagen, feiern die Verbrüderung. Am Tag nach dem Bush-Besuch hat die Polizei zwei solcher Treffen vorsorglich aufgelöst, das eine Mal mit Gewalt (achtzehn Verhaftungen), das andere Mal gingen die Jugendlichen freiwillig auseinander. Einige waren betrunken, begründete die Polizeileitung den Einsatz. In der koreanischen Gemeinde war heftig umstritten, ob man sich mit Gang-Führern an einen Tisch setzen soll. "Cosmos"-Besitzer Lee ist dagegen, die Führung der Korean-American Coalition ist dafür. Vizepräsident Woo hat schon mit Bandenführern gesprochen: "Das waren sehr ernsthafte und intelligente Leute," sagt er. Leute mit Ideen, Leute, die wissen, was die Menschen auf der Straße denken. Frank Holoman ist schwarz, ein Hüne und Geschäftsmann. Sein Markenzeichen ist eine mit Glasperlen bestickte Baseballkappe. Der Perlenschriftzug verkündet: "Blv Cafe". So heißen Holomans vier Restaurants. Außerdem besitztHoloman eine Zeitung, ein Anzeigenblatt. Es trägt den Titel "Black Achievers" - Schwarze, die es geschafft haben. Die jungen Leute brauchen positive Leitbilder, sagt Holoman, und sie brauchen Chancen. Er hat mit den Crips und den Bloods nichts am Hut. Zur Verdeutlichung krempelt er ein Bein seiner Jogginghose hoch. Sichtbar wird eine lange, tiefe Narbe an der Wade. Zwei Jugendliche, schwarze Jugendliche, wollten Holoman ausrauben. Es ist ihnen nicht gelungen. Holoman ist stark und mutig, und er hat einen Rottweiler. "Ich bin für Law und Order," sagt er, "aber Gerechtigkeit muß dazukommen." 50000 Dollar zahle der Staat pro Jahr für jeden Gefängnisinsassen: "Warum geben wir nicht genauso viel Geld für Schulen und für Ausbildung aus?" Vor den geschäftstüchtigen Koreanern, sagt Holoman, zieht er die Kappe. Die halten zusammen, helfen sich gegenseitig, anders als die Schwarzen. Aber er wirft den Koreanern Rassismus vor: "Kommt ein Weißer in den Laden, wird er freundlich bedient, kommt ein Schwarzer, wird er mißtrauisch beobachtet." Außerdem: "Die Koreaner investieren nicht in den Stadtteil." Sie machen soviel Geld wie möglich, dann ziehen sie weg, sagt Holoman, in bessere Viertel, wie die Weißen. Weiße, Asiaten, Latinos, Afro-Amerikaner, jeder Mensch, das ist Holomans Philosophie, will im Grunde das gleiche: einen Job, eine Aufgabe, eine Familie, ein eigenes Heim. "Wer nichts besitzt, hat nichts zu verlieren." Die Graffiti der Gangs an den Straßen sind für ihn Zeichen, die sagen sollen: Wir sind wer. Auch wir haben etwas. Auch wir haben etwas zu verlieren. Wenn sich nicht jetzt etwas grundlegend ändert im Lande, sagt Frank Holoman, wenn nicht ein charismatischer Präsident dem neuen Geist des "Zusammen schaffen wir’s" ein Ziel gibt und Geld, einer wie einst die Kennedy-Brüder, dann wird der Frieden nicht lange halten in der Stadt: "Und das nächste Mal wird es schlimmer."
Die Straße ist breit wie üblich in Los Angeles, sie ist gesäumt von Bankfilialen, Firmensitzen, Baustellen. Hier geht es aufwärts. Die Straße ist proper und heißt auch so, Harvard Boulevard. Es ist elf Uhr vormittags, der Himmel, auch das wie üblich in Los Angeles, ist graublau. Die Sonne kämpft gegen den Smog. Am späten Nachmittag wird, wie üblich, die Sonne siegen und die ganze Stadt in ein pastellenes Märchenlicht tauchen.
Im Schatten einer Palme, auf dem schmalen Rasenstreifen zwischen Trottoir und Limousinen, liegen zwei Menschen, unter einer gewebten Decke, die einmal weiß gewesen sein mag. Ein Paar, ein schlafendes Paar, engumschlungen. Er ist weiß, sie ist schwarz, beide sind obdachlos.
Zwei Häuser, ein Dutzend parkende Autos weiter steht ein adretter junger Mann auf Stufen, die hinaufführen zu einem glitzernden Verwaltungsbau. Dunkler Anzug, Seidenkrawatte, schlank und frisch gekämmt, Jerry Woo könnte in Harvard studiert haben. Sein Englisch ist makellos wie sein Auftreten, von Beruf ist er Vice President der Korean-American Coalition. Sein Job ist es, die Interessen der wachsenden Gemeinde von Amerikanern koreanischer Abstammung in Los Angeles zu vertreten.
Im US-Fernsehen wurden die blutigen Unruhen von Ende April oft als Konflikt zwischen Schwarzen und Koreanern beschrieben. "Ja," bestätigt Jerry Woo, "es gibt eine Menge Haß und Ressentiments unter den Schwarzen der Stadt gegenüber uns Koreanern." Aber: "Wir sind nicht Teil des Problems."
Weiße Polizisten hatten, vor über einem Jahr, einen schwarzen Verkehrssünder angehalten und blutig gesprügelt. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Ungewöhnlich war: Der Vorgang wurde gefilmt, und er war, monatelang, auf allen Fernsehschirmen zu sehen, wieder und wieder. Auch Präsident Bush im Weißen Haus war "betroffen". Sehr zum érger des Polizeichefs von Los Angeles, "Chief" Daryl Gates. Der glaubt, anders als mit brutaler Härte sei der Mob nicht im Zaum zu halten in der Elfmillionenstadt. Nur rund 7000 Polizisten hat Gates unter sich. Was sei das schon gegenüber hundert- bis hundertfünfzigtausend Bandenmitgliedern, fragt Gates.
Ende April 1992 wurden die Polizisten freigesprochen, von einer Jury, die nur aus Weißen bestand. Stunden später brannten die ersten Geschäfte.
Die meisten geplünderten Läden, 2700 an der Zahl, gehörten Koreanern.
Menschen wie Hee Lyung Lee. Seit 16 Jahren lebt er in Amerika, und er hat es geschafft. Sein "Cosmos"-Fernseh- und Videogeschäft an der Vermont Avenue ist gewachsen und gewachsen, heute hat Lee 22 Angestellte, teils sind es Koreaner, teils Latinos, keiner ist schwarz.
Am 29. April, kurz vor Mitternacht, fuhr ein Lkw durch die Fensterscheibe in Lees Laden hinein. Lee, von Nachbarn alarmiert, mußte zusehen, wie Menschen, die er nicht kannte, nahmen, was sie kriegen konnten, mit Vorliebe Fernseher und Camcorder. "Es war wie eine Bescherung mitten im Frühjahr", sagt Lee. Dreimal rief er die Polizei an, flehte um Hilfe. Dann kam ein Streifenwagen. Aber die Beamten griffen nicht ein. Wir haben so viele Anrufe, wir können nicht überall sein, haben die Polizisten zu Herrn Lee gesagt, er solle doch selber sehen, wie er die Plünderer los wird.
Herr Lee hat, wie jeder gute Amerikaner, eine Pistole. In die Luft geschossen hat er, nur in die Luft - "Wir sind doch keine Soldaten, wir sind Geschäftsleute." Die Plünderer sind abgezogen. Elf Tage lang hat sich Lee dann mit seinen Angestellten im Laden verbarrikadiert.
Das Ambassador Hotel, kaum eine Meile von Lees "Cosmos"-Laden entfernt, hat bessere Tage gesehen - und einen, der eingegangen ist in die grausigen Kapitel der amerikanischen Geschichte. Robert Kennedy wurde hier ermordet, als Präsidentschaftsbewerber, 1968.
Der dunkelrote Teppichboden in den Konferenzsälen, die kupferfarbenen Kronleuchter: verblichener Luxus. An der Garderobe hängt noch ein Schild: "Nur Kreditkarten". Doch niemand nimmt hier mehr Stolen entgegen. Seit Jahren hat im Ambassador Hotel kein Gast mehr übernachtet.
In den Konferenzräumen ist jetzt das Disaster Assistance Center untergebracht. Ausgeraubte Geschäftsleute, durch die Brandstiftungen obdachlos Gewordene finden hier Formulare und Hilfe. Ein Katastrophenfonds der Bundesregierung ersetzt Schäden, für die keine Versicherung aufkommt. Antragsformulare gibt es in Koreanisch, Spanisch und Englisch.
Win Henderson ist eigentlich Lehrer. Katastrophenhelfer ist er im Nebenamt, für neun Dollar pro Stunde, wie ein Soldat in Reserve. Normalerweise wird er bei öberschwemmungen oder Erdbeben gerufen. Henderson ist wichtig, daß niemand, der hier um Hilfe nachsucht, gefragt wird, wie er eingereist ist ins Land, ob er vielleicht polizeilich gesucht wird: "Wir haben keine Querverbidnungen zu anderen Behörden."
Jeder zweite Latino in der Stadt ist seriösen Schätzungen zufolge illegal im Land. Jährlich kommen mehr als eine Million über die nahe Grenze aus Mexiko. Die Spanischsprechenden stellen längst die größte ethnische Gruppe in Zentral-Los Angeles.
Neulich, vier Tage vor den Vorwahlen in Kalifornien, war der Präsident der Vereinigten Staaten hier, George Bush. Jedem wird geholfen, versicherte er, zur Not werde der Katastrophen-Fonds nochaufgestockt.
Los Angeles ist eine Stadt ohne eigentliches Zentrum. Ein Städtebrei, zusammengewachsen aus Dutzenden von Gemeinden, ein Ruhrgebiet mit Palmen, zusammengehalten von Stadtbautobahnen und schnurgeraden Avenues. An den Avenues liegen die Läden, die Tankstellen, Einkaufszentren, Schulen und Kirchen. Schilder verkünden: Monty’s, Bonanza, Rick’s Mexican Cuisine, Clinica de Protecion oder Don Quijote Mart. Oft blättert die Farbe.
In den Seitenstraßen reiht sich Einfamilienhaus an Einfamilienhaus. "Weiträumig" und "ziemlich hübsch" fand George Bush die Gegend. Bisher habe er Innenstadtkrawalle immer mit "Mietskasernen und Hoffnungslosigkeit" assoziiert, wunderte sich der Präsident auf dem Rückflug in die Hauptstadt.
Die Unruhen fanden an den breiten Straßen statt. Mit am schlimmsten hat es die Vermont Avenue getroffen. Sie erinnert an Bilder aus dem Golfkrieg, aus Bagdad, an die Einschläge präzisionsgesteuerter Raketen. An der Kreuzung Vermont Avenue/Martin-Luther-King Boulevard stand ein kleines Ladenzentrum. Das Reklameschild steht noch und die Filiale von Popeye’s, einer Fast-Food-Kette. Vom Rest ist nicht mehr geblieben als angekokelte Dachlatten, verbogenes Metall, geschmolzenes Plastik.. An einem Mauerrest klebt ein Flugblatt. Reklame einer Baufirma, die auf Renovierungen spezialisiert ist; auf "Remodeling". Popeye’s ist öffnet, der Betrieb läuft normal. In in der Martin-Luther-King-Highschool auf der anderen Straßenseite wird längst wieder unterrichtet. Nicht nur Fast-Food-Läden, auch die Schulen blieben verschont. Nicht ein einziges Unterrichtsgebäude in Los Angeles hat gebrannt in jenen drei blutigen Tagen. Die University of Southern California war umzingelt von Feuern. Doch kein Plünderer hat den Campus betreten. Die Universität, vor 120 Jahren gegründet, nach dem blutigen Bürgerkrieg, der Nord und Süd der Vereinigten Staatenauseinanderriß, ist der "Suche nach der Wahrheit" gewidmet, "der Freiheit des Gedankens und der Diskussion, der unvoreingenommenen Analyse, ... dem Fortschritt der Menschheit". So steht es an einem Brunnen zu lesen unweit vom George-Lucas-Buildung, der Schule für Fernsehen und Film. Hier reift Hollywoods hoffnungsvoller Nachwuchs heran. Wer es schon geschafft hat in der Traumfabrik, die Reichen, Schönen und Mächtigen, sie wohnen weiter im Norden, dort, wo die Berge beginnen, in Beverly Hills. Hier enden die Avenues. Auch hierhin ist kein Plünderer gekommen. Der weiße Mittelstand wohnt weder hier noch in der Innenstadt, sondern weit draußen im Süden, in Gemeinden, die Ontario heißen oder Irvine. Vor vierzig Jahren wuchsen dort nur Zitrusfrüchte. Orange County heißt der Landkreis. Aus Plantagen wurden Firmensitze und Wohngebiete. Hier ist heute eine Hochburg der Rüstungs-und Elektronikindustrie. Und der Republikanischen Partei, bisher jedenfalls. Während der republikanische Präsident Bush das Katastrophenzentrum im Ambassador Hotel besuchte, machte sein Konkurrent von den Demokraten, Bill Clinton, gerade Wahlkampf in Irvine. Eingeladen hatte ihn, auf eine Bühne zwischen Firmensitz und Parkplatz, der Chef der Western Digital Corporation, Roger Johnson. Vor vier Jahren sammelte Johnson Spendengelder für Bush, vorher für Reagan. Jetzt macht er sich für Clinton stark. Der rief seinen Zuhörern zu, er komme nicht als Demokrat oder Republikaner, sondern "zuerst als Amerikaner". In Zeiten wie diesen müsse die Nation zusammenstehen. Ehemalige Soldaten will Clinton zu Lehrern und Entwicklungshelfern für die Innenstädte umschulen lassen, der schrumpfenden High-Tech-Industrie verspricht er neue Staatsaufträge. Nicht mehr zugunsten der Rüstung, sondern zum Aufbau neuer Verkehrs- und Glasfasernetze. Der Applaus war freundlich. Einige Zuhörer trugen Ross-Perot-Buttons. In den USA gibt es keine Meldepflicht. Wer an Wahlen teilnehmen will, muß sich eintragen lassen. Den Koreanern von Los Angeles war das bisher nicht wichtig. Nur rund 50000 von ihnen sind als Wähler registriert. Die meisten waren zufrieden, so wie es war im Land. Das hat sich geändert. Jerry Woos Organisation will die Zahl der koreanischen Wähler bis zur Präsidentschaftswahl im November verdoppeln. Niemals zuvor in der amerikanischen Geschichte, klagt Woo, mit temperiertem Zorn in der Stimme, habe die Polizei untätig danebengestanden, wenn unschuldige Bürger ausgeraubt wurden. Die von Weißen beherrschte Justiz sei gegenüber Asiaten eben genauso einäugig wie gegenüber Schwarzen. "Wir müssen Einfluß nehmen auf die Politik. Wir müssen als ein Block auftreten." Und wen werden die Koreaner wählen? "Nicht die Amtsinhaber," sagt Woo. Wahrscheinlich Clinton. Von Perot, dem Milliardär aus Texas, möglicher dritter Kandidat im Rennen, wisse man nicht, was er eigentlich will. Die Koreaner wollen jetzt nicht nur wählen, sondern auch aktiv mitwirken beim Wiederaufbau der Stadt. Peter Ueberroth. der Organisator der Olympischen Spiele von 1984, ist Chef einer kommunalen Aktionsgemeinschaft. An vielen Stellen in der Stadt verkünden Tafeln: "Gemeinsam werden wir es schaffen". Darunter steht eine Telefonnummer. Jeder ist eingeladen, mitzumachen. Auch die schwarzen Jugendbanden wollenmitmachen. Zumindest versichern das ihre Führer. Seit Wochen hält ein Waffenstillstand zwischen den "Bloods" und den "Crips". Kein Stadtteil in Süd-Los Angeles, in dem nicht an jeder kahlenHauswand geheimnisvolleGraffiti verkündeten, welche Bande hier der Herr im Viertel ist. Die meisten Morde in der Stadt sind traditionell das Resultat von Rachefehden zwischen Crips und Bloods. Mitglieder beider Gangs versammeln sich jetzt an Wochenenden in Parkanlagen, feiern die Verbrüderung. Am Tag nach dem Bush-Besuch hat die Polizei zwei solcher Treffen vorsorglich aufgelöst, das eine Mal mit Gewalt (achtzehn Verhaftungen), das andere Mal gingen die Jugendlichen freiwillig auseinander. Einige waren betrunken, begründete die Polizeileitung den Einsatz. In der koreanischen Gemeinde war heftig umstritten, ob man sich mit Gang-Führern an einen Tisch setzen soll. "Cosmos"-Besitzer Lee ist dagegen, die Führung der Korean-American Coalition ist dafür. Vizepräsident Woo hat schon mit Bandenführern gesprochen: "Das waren sehr ernsthafte und intelligente Leute," sagt er. Leute mit Ideen, Leute, die wissen, was die Menschen auf der Straße denken. Frank Holoman ist schwarz, ein Hüne und Geschäftsmann. Sein Markenzeichen ist eine mit Glasperlen bestickte Baseballkappe. Der Perlenschriftzug verkündet: "Blv Cafe". So heißen Holomans vier Restaurants. Außerdem besitztHoloman eine Zeitung, ein Anzeigenblatt. Es trägt den Titel "Black Achievers" - Schwarze, die es geschafft haben. Die jungen Leute brauchen positive Leitbilder, sagt Holoman, und sie brauchen Chancen. Er hat mit den Crips und den Bloods nichts am Hut. Zur Verdeutlichung krempelt er ein Bein seiner Jogginghose hoch. Sichtbar wird eine lange, tiefe Narbe an der Wade. Zwei Jugendliche, schwarze Jugendliche, wollten Holoman ausrauben. Es ist ihnen nicht gelungen. Holoman ist stark und mutig, und er hat einen Rottweiler. "Ich bin für Law und Order," sagt er, "aber Gerechtigkeit muß dazukommen." 50000 Dollar zahle der Staat pro Jahr für jeden Gefängnisinsassen: "Warum geben wir nicht genauso viel Geld für Schulen und für Ausbildung aus?" Vor den geschäftstüchtigen Koreanern, sagt Holoman, zieht er die Kappe. Die halten zusammen, helfen sich gegenseitig, anders als die Schwarzen. Aber er wirft den Koreanern Rassismus vor: "Kommt ein Weißer in den Laden, wird er freundlich bedient, kommt ein Schwarzer, wird er mißtrauisch beobachtet." Außerdem: "Die Koreaner investieren nicht in den Stadtteil." Sie machen soviel Geld wie möglich, dann ziehen sie weg, sagt Holoman, in bessere Viertel, wie die Weißen. Weiße, Asiaten, Latinos, Afro-Amerikaner, jeder Mensch, das ist Holomans Philosophie, will im Grunde das gleiche: einen Job, eine Aufgabe, eine Familie, ein eigenes Heim. "Wer nichts besitzt, hat nichts zu verlieren." Die Graffiti der Gangs an den Straßen sind für ihn Zeichen, die sagen sollen: Wir sind wer. Auch wir haben etwas. Auch wir haben etwas zu verlieren. Wenn sich nicht jetzt etwas grundlegend ändert im Lande, sagt Frank Holoman, wenn nicht ein charismatischer Präsident dem neuen Geist des "Zusammen schaffen wir’s" ein Ziel gibt und Geld, einer wie einst die Kennedy-Brüder, dann wird der Frieden nicht lange halten in der Stadt: "Und das nächste Mal wird es schlimmer." Kommentare sind geschlossen.
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