Eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner hält den Freispruch für weiße Polizisten, die einen wehrlosen schwarzen Verkehrssünder blutig prügelten, für Willkürjustiz. Praktisch jeder, der in den USA in diesen Tagen zu Wort kommt, ruft aber auch zu Ruhe und Besonnenheit auf, fordert ein Ende Gewalttätigkeiten, die diesem Urteil folgten.
(In Washington gingen Weiße und Schwarze zusammen auf die Straße, um gegen das Urteil von Los Angeles zu demonstrieren, friedlich. Schwarze wie Weiße sehen aber auch mit Schrecken, zu welcher Brutalität Menschen gegenüber unschuldigen Mitbürgern fähig sind. Das Fernsehen zeigte immer wieder Bilder von unvorstellbarer Grausamkeit.)
Typisch für Amerika: Im Augenblick der tiefsten Spaltung rückt die Gesellschaft zusammen, lebt die uramerikanische Tugend der Zivilcourage auf. Amerika wäre aber nicht Amerika, wenn die tragischen Geschehnisse von Kalifornien nicht auch prompt ein Wahlkampfthema würden - und ein Geschäft. Es ist schon mehr als makaber, daß Rodney King, das Opfer der prügelnden Polizisten, schweigt, obwohl er vielleicht am ehesten bei denen Gehör fände, die jetzt plündernd durch die Straßen ziehen. Er schweigt, so muß man annehmen, weil er aus seinem Unglück das aus seiner Sicht Beste zu machen versucht. Er will seine Geschichte vermarkten, er steht schon unter Vertrag.
King verhält sich da im Grunde nicht anders als Politiker, die erst kalkulieren, was ihnen am besten bekommt, bevor sie Stellung nehmen. Es dauerte zwei Tage, bis die Wahlkampfberater von Präsident Bush glaubten sicher zu sein, was dessen Wiederwahl am förderlichsten wäre.
(Dabei erwarteten nicht nur die Schwarzen im Lande, daß Bush beherzt Stellung nahm gegen den Freispruch. Sie erwarteten, daß Washington für Gerechtigkeit sorgt, wo die lokale Justiz parteiisch scheint. Die Mittel dazu gibt es. Sie wurden im Kampf um die Gleichberechigung der Schwarzen früher vielfach angewandt. Der gesetzestreue Durchschnittsbürger erwartete andererseits auch, daß der Präsident keine Minute unbeteiligt zusieht, wie Unschuldige ermordet und ausgeraubt werden, ohne daß die Polizei eingreift.)
Amerikas Wahlkämpfer sehen sich vor der Frage: Wie machen wir es der einen Wählergruppe recht, ohne die andere zu verprellen. Dabei könnten die Ereignisse von Kalifornien ein Anlaß sein, wirkliche Themen in den Wahlkampf zu bringen. Denn die Feuer von Los Angeles haben drastisch erhellt, woran dieses Land krankt: an tiefen sozialen Konflikten, oft - aber nicht nur - entlang der alten Rassengrenzen.
Immer mehr Amerikaner erwarten sich von Washington jetzt einen Aufbruch in eine neue éra der Reformen und der nationalen Versöhnung. Kein Durchwursteln und keinen Schlammwahlkampf. Die Ereignisse von Los Angeles dürften nicht ohne Einfluß darauf bleiben, welchen Präsidenten sich Amerika im November wählen wird.
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April 2020
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